Elliott Erwitt: Retrospektive. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Der professionelle Amateur

 

Elliott Erwitt
Retrospektive

Kunst Haus Wien, Museum Hundertwasser
Pressekonferenz 13.06.12 zur Ausstellungseröffnung
Ausstellungsdauer: 14.06. bis 30.09.2012
In Zusammenarbeit mit Magnum Photos Paris
Kurator: Andreas Hirsch, Kunst Haus Wien

Mit dem US-Fotografen Elliott Erwitt führt das Kunst Haus Wien seine Ausstellungsserie von Fotografen der unabhängigen Fotografenagentur Magnum fort. Letzte Fotoausstellung (17.11.2011 – 26.02.2012) handelte von Gründungsmitglied Henri Cartier-Bresson. (Zur LitGes Kritik)

Es sind nicht nur der gleiche Wohnort und die Inspirationsquelle schlichtweg namens New York, weshalb man Elliott Erwitt als Woody Allen der Fotografie bezeichnet. Es ist vielmehr der ironisch humorvolle Blick auf die Menschen und die Stadt in der sie beide leben, erklärt Hans Patay, Direktor des Kunst-Haus-Wien, den sie gemein haben und der sie verbindet. Aber halt! Liest man ihre Biographien, haben beide einen Immigrationshintergrund und jüdisch-russische Wurzeln. Während Woody Allen 1935 bereits in NY/ Brooklyn als Allen Stewart Konigsberg mit deutschsprachiger Österreich-russischer Abstammung geboren wurde und dort aufwuchs, wurde Elliott Erwitt 1928 als Elio Romano Erwitz, Sohn russischer Einwanderer in Paris geboren und verbrachte seine Kindheit in Mailand. Nach einer kurzen Übersiedlung zurück nach Paris 1938, emigrierte die Familie 1939 schließlich in die USA. Es ist also nicht der europäische Humor, der sich in Erwitts Fotos manifestiert, wie Patay weiter bekundete, als vielmehr der so herrlich satirische und scharfe jüdische Blick, im Banalen die Komplexität wahrzunehmen und die Fähigkeit dabei eine liebenswürdige Sanftheit zu verströmen.

Muße und Kontemplation gehören zu Erwitts geheimem Erfolgsrezept. Als Fotograf und Journalist benötige man einfach das Glück, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein, an und für sich keine komplizierte Sache… "First of all: you need to have access, and then: good luck!"

Es ist wohl dem US-Fotografen Robert Capa - einem der vier Magnum Gründungmitglieder - zu verdanken, dass Erwitt entdeckt wurde. Umso berührender das Foto Robert Capa's Mutter aus dem Jahr 1954 am Grab ihres Sohnes, der im selben Jahr in Thai-Binh im einstigen Französisch-Indochina, dem heutigen Vietnam, fiel. Capa selbst war Österreich-ungarischer Herkunft und immigrierte ebenfalls 1939 in die USA, wo er sich als Kriegsreporter einen Namen machte.

In dieser Ausstellung geht es nicht um Erwitts Auftragsarbeiten, als vielmehr um seine ganz persönlichen privaten Fotoserien, die er nebenbei verfolgte. Es ist eine Retrospektive seiner Schwarz-Weiß-Fotos der letzten 50 Jahre. Erwitt selbst bekundet seine Zwiespältigkeit zwischen Profession und Amateurfotografie, denn es ist nicht immer die perfekte Auftragsarbeit, die das beste Bild liefert. Am Beispiel der Familienfotos, die in Auftrag gegeben wurden, und den Fotos, die hier exponiert sind, verstehen wir, wovon Erwitt spricht. Da sind Aufnahmen zweier Familien aus den Jahren 1962 und 1963, die Familie ist noch nicht adjustiert oder schon wieder abgelenkt, sie schauen nicht mehr in die Kamera, wirken als ob der Fotograf nicht mehr vorhanden ist, sich selbst überlassen, ein Moment der natürlichen Intimität, der Moment, in dem die konstruierte und gestellte Situation kippt und den authentischen Augenblick einer Familie dokumentiert.

Erwitt gelangen viele meisterhafte Schnappschüsse: Z.B. die trauernde Jacky Kennedy bei der Beerdigung ihre Mannes in Arlington 1965, Castro inmitten von Komparsen, die weltberühmte Fotoserie bzw. Dokumentation der aufsehenerregenden Küchendebatte (Kitchen debate) 1959, als sich der einstige russische Präsident Nikita Chruschtschow und der damalige US-Präsidentschaftswahlkandidat Richard Nixon, der 1960 die Wahl gegen John F. Kennedy verlor, anlässlich einer US-Handels- und Kulturmesse im Moskauer Gorki-Park einer nationalistischen Prahlorgie hingaben.

Doch trotz Stars und Promiaufgebot konzentriert sich Erwitts Augenmerk auf die unbekannten, daher „unbedeutenden“, Menschen. Im Bewusstsein, dass sich die von ihm abgebildeten Personen eigentlich im Moment der Aufnahme in einer Opferrolle befinden, entwickelte er eine besondere Begabung für die schnelle Fotografie, den so genannten Schnappschuss. So entstand z.B. ein Foto, welches die Situation einer Straßenbeichte wiedergibt. Ein Pfarrer sitzt frontal sichtbar in seinem Beichtstuhl am Gehsteig, der Beichtende durch einen schwarzen Vorhang geschützt, um die Ecke die Menschenschlange der zur Beichte sich anstellenden Sünder. Einen Schritt daneben zwei Frauen im Tratsch vertieft. Geht es um eine Doppelbeichte oder wissen die beiden schon mehr als der Pfarrer? Erwitts Fotos leben von visuellen Widersprüchlichkeiten, von denen ein Fotograf nur träumen kann.

Doch Erwitt hat seine Aufmerksamkeit nicht nur dem Menschen, den Liebespaaren, Nudisten und Museumsbesuchern sondern auch dem Zirkus und Varieté und der Landschaft – wenige sind ohne Menschen – gewidmet. Die Ausstellung zeigt ebenfalls, wie Erwitt auf den Hund gekommen ist und welche Tricks er angewandt hat, um sie im richtigen Moment des Abdrückens,  zum springen zu bringen.

Begleitet wird die Schau mit ein paar privaten Kontaktabzügen wie Mutter und Kind (1953) aus der Serie „Family of Man“ (1955) oder Fotos von Okky Offerhaus, Fotomodell und Fotografin aus den 60er Jahren, mit der er liiert war. Die Ausstellung endet mit einem Trailer zum bald erscheinenden Dokumentarfilm über den legendären Fotografen und einem würdigen Großportrait, aufgenommen von Andreas H. Bitesnich (2006).

Eine sehenswerte Ausstellung, beschwingt und leicht bekömmlich, von der sich mancher Interessierte zugegeben mehr Hintergrundinformationen zu einzelnen Fotos erhofft hätte.
Im Shop gibt es dann allerdings erstklassige Bildbände.

Zur Homepage von Elliott Erwitt

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