Frida Kahlo: Retrospektive. Rez.: Ingrid Reichel
Ingrid Reichel
DIE IKONE
FRIDA KAHLO
Frida Kahlo:
Selbstbildnis mit
Dornenhalsband, 1940
Retrospektive
Kunstforum Bank Austria
Eröffnung: 31.08.10, 18.30 Uhr
Ausstellungsdauer: 01.09.10 – 05.12.10
Kuratorin: Helga Priegnitz-Poda, Ingried Brugger, Florian Steininger
Fotokuratorin: Cristina Kahlo
Ausstellungsmanagement: Lisa Kreil
Ausstellungsassistenz: Barbara Gilly
Katalog zur Ausstellung:
FRIDA KAHLO
Retrospektive
Hg. Bank Austria Kunstforum Wien, Martin-Gropius-Bau Berlin
München, Berlin, London, New-York: Prestel Verlag, 2010.
256 S.
ISBN 978-3-7913-5009-7 Deutsche Buchhandelsausgabe
ISBN 978-3-7913-6264-9 Deutsche Museumsausgabe
ISBN 978-3-7913-5010-3 Englische Buchhandelsausgabe
Museumsshop: Euro 29.-
Weitere Preise: Euro 39,95 - Euro 41,10.-
Nach einem halben Jahrhundert hat die Realität die ikonographischen Selbstdarstellungen der bereits 1954 verstorbenen mexikanischen Künstlerin Frida Kahlo eingeholt. Klassisch, wie es bei den Ikonen der Byzantinischen Kunst zu sehen ist, erwecken die Selbstportraits Ehrfurcht und verschmelzen mit der emotionalen Befindlichkeit des Betrachters.
Kahlo hat hiermit unbewusst die besten Voraussetzungen zur Mythenbildung um ihre Person geschaffen und den Grundstein gelegt posthum als Kultfigur gesehen werden zu können.
Frida Kahlo:
Selbstbildnis als Tehuana
oder
Diego in meinen
Gedanken, 1943
Unsere Welt ist arm an Idealen geworden und das Resultat der Suche nach ihnen fällt meist ziemlich erbärmlich aus. Das schicksalhafte Leben der Frida Kahlo und ihre daraus resultierende Persönlichkeit prädestiniert sie als Kultfigur, macht sie zu einem begehrten Medium, fertig ausgeschlachtet zu werden. Mit Frida Kahlo wird man nicht nur in der Kunstszene noch mehr Geld verdienen können. Hierzu äußert sich ausführlich und emotional der amerikanische Kinderpsychiater, Autor und Kahlo-Experte Salomon Grimberg in seinem Essay im zur Ausstellung erschienenen Katalog „Fridas Freunde sind auch meine Freunde“ auf Seite 35. Er spricht von regelrechten „Fridamaniacs“.
Zu Frida Kahlos Vermarktung hat nicht zuletzt der verschönbildete Hollywoodfilm „Frida“ aus dem Jahr 2002 mit der Produzentin und Hauptdarstellerin Salma Hayek als Frida Kahlo beigetragen. Die optische Verschönerung des Leides gelingt nicht zuletzt wegen Kahlos indigenem, apartem Aussehen und ihres starken unbeirrbaren Charakters sowie ihres Selbstbewusstseins.
Frida Kahlos Martyrium begann bereits im Kindheitsalter und endet mit 47 Jahren. Beginnend mit der Kinderlähmung setzte sich ihr qualvolles körperliches Dasein durch einen verheerenden Autobusunfall fort, bei dem sich eine Metallschiene durch ihren Unterleib schob, die erst bei der Wirbelsäule wieder zum Austritt gelangte. Obwohl die plastische Chirurgie der 1920er fern von den heutigen Methoden war, überlebte die gerade erst 18-jährige Frida. Ein Leben teilweise ans Bett gefesselt, teilweise in schwere Gips- und Stahlkorsetts, ein Leben voller Schmerzen war ihr vorbestimmt, eingedämmt durch starke Medikamente und schließlich in ihren letzten Jahren auch durch Alkohol. Frida Kahlo war eine voll geistigem Schaffensdrang sprühende, junge Frau, gefangen in einem völlig zertrümmerten Körper. Ihren Wunsch Medizin zu studieren konnte sie an den Nagel hängen. Übrig blieben ihr die Malerei und das Schreiben, die ihr Mittel und Zweck wurden, sich nicht nur in ihrer emotionalen Befindlichkeit auszudrücken, sondern ihr auch die Möglichkeit der Verarbeitung und Sinngebung boten. Ungeschönt stellt sie sich selbst dar, schreibt und malt sprichwörtlich um ihr Leben. Die Kunst wurde zur „Wirbelsäule“ ihres Daseins.
Frida Kahlo:
Die zerbrochene
Wirbelsäule, 1944
Dass Frida Kahlo zusätzlich zu ihren körperliche Qualen auch noch eine komplizierte Liebe mit dem 19 Jahre älteren mexikanischen Künstler Diego Rivera lebte, seine kommunistische Auffassung teilte, ihn in seiner politisch versierten Kunst bestärkte und unterstützte, gibt ihrem Leben eine weitere tragische Komponente.
Kahlo war behaftet mit starkem nationalem Stolz, trug mit Vorliebe die regionalen Trachten ihres Landes, insbesondere auch während ihrer Auslandsaufenthalte in Amerika, wählte mit Bedacht täglich die dazu passenden Accessoires, sie war Rebellin, Revolutionärin, und beispielgebende Emanze und lebte dennoch, hinsichtlich der Schmerzen, die sie zu ertragen gewillt war, ein bescheidenes und gottgefälliges Leben.
Nickolas Muray
New-York 1939
In dieser Schau, die frisch aus Berlin vom ehemaligen Kunstgewerbemuseum, dem Martin-Gropius-Bau und nunmehrigen Ausstellungshaus nach Wien übersiedelt wurde, werden 50 Ölgemälde, 90 Arbeiten auf Papier, fotografisches Dokumentationsmaterial, welche Frida Kahlos Großnichte Cristina Kahlo zusammenstellte, und digitale Auszüge aus ihrem legendären Tagebuch gezeigt.
Wie aus der Pressemappe zu entnehmen ist, zählt das bescheidene Vermächtnis der Künstlerin gerade 143 Werke. Unklar dabei ist, ob in dieser Nummerierung ausschließlich die Ölwerke verzeichnet sind. Zu vermuten ist es.
Kahlos Werke sind großteils in Privatbesitz und befinden sich in Mexiko und in den USA.
Erschwernis für die Ausstellungsmanager, Leihgaben zu bekommen, war bzw. ist einerseits, dass Frida Kahlos Werk zum mexikanischen Kulturerbe gezählt wird und andererseits ein gewisser geistig-emotionaler gestörter Besitzanspruch bei manchen Eigentümern zu beobachten ist (Kat. Grimberg: S. 34).
Bei all dieser Fridamanie und diesem Marktrummel stellt sich nun die Frage für Kunstliebhaber, warum man sich diese Ausstellung dennoch anschauen sollte:
Zum einen ist eine wunderbare Ausstellung gelungen, die man daher durch einen Besuch als Anerkennung der vielen Mühen und Anstrengungen der Betreibenden würdigen sollte.
Zum anderen kann man in der Ausstellung, den Mythos um die Künstlerin, beginnen zu begreifen und dennoch die mediale Marktlawine vergessen. Frida Kahlos Werke sprechen für sich, kommunizieren mit dem Betrachter, offen, uneigennützig, ohne jeglichen Hintergedanken.
Letztendlich ist es das Œuvre, weswegen eine Ausstellung besucht wird und jenes von Frida Kahlo gehört zu denen, dessen Originale um ein Vielfaches besser als alle Reproduktionen und Dokumentationen ihrer Werke sind. Frida Kahlo ist unzweifelhaft eine Meisterin der Ölmalerei, die unter schwierigsten Bedingungen ihre Werke zustande brachte. Oft werden ihre Werke als surrealistisch empfunden, obwohl sie selbst bekundete: „Ich habe niemals meine Träume gemalt. Ich habe meine Realität gemalt.“ (Kat. 43: Hayden Herrera: Frida Kahlo. Die Gemälde. München 1992, S. 72)
Versäumen Sie also diese Ausstellung im Bank Austria Kunstforum in Wien nicht, lassen Sie sich von Frida Kahlos Werken ansprechen. Unterziehen Sie sich Kahlos so oft zitiertem „autoritärem Auge“, sie werden hocherhobenen Hauptes die Ausstellung verlassen.
Im Ausstellungskatalog verweisen fernerhin interessante Beiträge auf Frida Kahlos schriftlich-lyrisches Werk:
Die Kuratorin und für das Ausstellungskonzept verantwortliche Helga Priegnitz-Poda mit ihrem Essay „Die himmlische Liebesgeschichte und chiffrierte Geheimschriften im Werk von Frida Kahlo“. Der Schriftsteller und Journalist Peter von Becker mit „Frida Kahlo, die Poetin“ bringt Kahlo in Zusammenhang mit der écriture automatique.
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Weiters empfehlenswert:
Frida Kahlo – Ein leidenschaftliches Leben
Hayden Herrera
Aus dem Amerikanischen: Dieter Mulch
Originalversion: A biography of Frida Kahlo
Fischer Verlag Tb., 1998, neueste Auflage 2008. 416 S.
ISBN 978-3-596-18037-0
LitGes, September 2010