HR Giger: Featured Artist Ars Electronica 2013. Die Kunst der Biomechanik. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Unvergessliches

 

Featured Artist Ars Electronica 2013
Die Kunst der Biomechanik
HR Giger
Lentos, Kunstmuseum Linz
Ausstellungseröffnung: 04.09.13, 19 Uhr
Ausstellungsdauer: 05.09.-29.09.2013
Kurator: Andreas J. Hirsch

Ein Projekt von Ars Electronica Festival mit HR Giger, LENTOS Kunstmuseum Linz, Museum HR Giger Gruyères und dem Giger-Sammler Marco Witzig

Die Ars Electronica, das Linzer Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft ist seit seinem Gründungsjahr 1979 zu einem international anerkannten Event geworden. Ihr diesjähriges brisantes Thema „Erinnerung“ steht unter dem Titel „Total recall. The evolution of memory.” Wer kann sich nicht an den herrlichen und zugleich beängstigenden Science-Fiction-Film „Total recall“ des niederländischen Regisseurs Paul Verhoeven aus dem Jahr 1990 mit Arnold Schwarzenegger in der Hauptrolle erinnern? Wenn eine Macht durch ein Implantat deine ganze Erinnerung nimmt, dich deiner Identität, deines Lebens beraubt?

Als künstlerische Gallionsfigur der Ars Electronica 2013 wurde der 1940 geborene Schweizer Extremkünstler HR Giger gewählt, in Kooperation mit dem Linzer Kunstmuseum Lentos zeigt man bis Ende September im Keller des Museums eine kleine Retrospektive, um dem Ars Electronica interessierten Publikum, einen Einblick in die Kunst der Biomechanik zu ermöglichen.

Internationale Anerkennung bekam Giger nicht zuletzt durch Ridley Scotts Science-Fiction-Horrorklassiker „Alien“ (1979), für den er nicht nur das Gruselwesen Alien, sondern gleich eine ganze Welt schuf. Für die Umsetzung wurde das Team für Spezialeffekte 1980 mit dem Oscar ausgezeichnet. Doch auch in anderen bekannten Filmen wirkte Giger im Filmdesign mit: Poltergeist II; Species; zuletzt Prometheus (2010) u.v.m. und gestaltete weiters Platten- und CD-Covers.

Gigers Werk wird dem Surrealismus und dem Phantastischen Realismus zugeordnet und hat sich im Laufe der Jahre zur Cyborg-Kunst entwickelt. Zunehmend verschmolz Mensch, Insekt und Maschine zu einer biomechanischen Kreatur. Viel Kritik musste der Künstler am Beginn seiner Karriere einstecken wegen seines Erotomechanics-Zyklus und wegen seines an H.P. Lovecraft inspiriertem Necronom-Zyklus. Nach wie vor wird Giger und sein Werk gern und oft als morbide bezeichnet und als satanisch abgewertet.

Giger, der das Studium der Architektur und des Industriedesigns an der Hochschule für Angewandte Kunst in Zürich absolvierte, verdingte sich jahrelang erfolgreich als Innenarchitekt, während er ab 1960 nebenbei künstlerisch tätig war. Es war das Zeitalter des Kalten Krieges, meist brachte Giger seine Ängste über einen bevorstehenden Atomkrieg mit Tusche auf Papier zum Ausdruck. Bereits 1968 war er ausschließlich als Künstler und Filmemacher tätig, später auch als Szenen- und Kostümbildner. Anfang der 1990er legte der Airbrush-Virtuose seinen Luftpinsel beiseite und kümmert sich fortan einzig um die dreidimensionale Umsetzung seiner Werke. Seine ersten Gemälde entstanden 1966. 1972 wechselte er von der Ölmalerei auf Tusche und Acryl mit Spritzpistole, doch bereits Mitte der 60er entstanden die ersten plastischen Arbeiten aus Polyester, Bronze, Aluminium und andere Materialien. Später kamen Möbel dazu. Giger-Bars entstanden, die erste in Tokyo wurde bereits wieder geschlossen, doch die zweite in seiner Geburtsstadt Chur ist seit 1992 geöffnet. 1998 wurde das Museum HR Giger im Schloss St. Germain in Gruyères in der Schweiz, das heuer sein 15-jähriges Jubiläum feiert, errichtet. Hier gibt es Gigers Privatsammlung phantastischer Kunst sowie eigene Werke zu sehen. Das Museum wurde 2003 um eine Giger-Bar erweitert.

Giger wurde in mehreren Museen durch Retrospektiven gewürdigt, besonderes Interesse an seinem Schaffen zeigte man bereits zweimal im Kunsthaus Wien (2006 und 2011).

Für die Schau im Lentos wurden u.a. mit noch nie ausgestellten Werken geworben. Giger bestätigte dies in einem APA-Interview mit Tobias Prietzel im August dieses Jahres: „Kurator Andreas Hirsch hat mich gebeten, für die Ausstellung im Lentos einige Werke auszuleihen, die ich normalerweise nicht aus dem Haus gebe. Er will, dass das Publikum sehen kann, wie sich mein biomechanischer Stil entwickelt hat. Das wurde so noch nie gezeigt.“ [1]

Zu sehen sind acht Skulpturen und über 35 Bilder. Davon sind ein paar Ölbilder auf Holz/ Papier auf Holz, eines aus der Serie „Unter der Erde“ ist unvollendet. Neben den großformatigen Airbrush-Werken (Papier auf Holz) aus der Serie „Necronom“ (1976), „Erotomechanics“ (1979) und „Alienmonster“ (1978) sind auch Werke, die als Entwurf zum Film Alien dienten wie „Pilot im Cockpit“ und „Eiersilo“ (1978) sowie frühere Werke wie „Mutanten“ (1967-75) und „Todgebärmaschinen“ (1977) ausgestellt.

Gezeigt werden viele Giger-typische und detailfreudige Tuschezeichnung auf Papier auf Holz, aber auch wenige tachistische Tuschewerke aus dem Beginn der 60er Jahre, die in ihrem hingeworfenen, abstrakten expressionistischen Schwung eine ungeahnte spontane Leichtigkeit Gigers Künstlerhand vermuten lassen und Anregungen für seine 1968 entstandene Öl-Serie „Hommage à S. Beckett“* gewesen sein könnten.

Interessant ist die Tuschezeichnung „Gebärmaschine. 2. Fassung“ (1965-66), die es auch als Siebdruck mit der Inschrift „Ein Fressen für den Psychiater“* gibt. Die Serie aus Tuschezeichnungen entstand, nachdem Giger monatelang seine Träume aufgeschrieben hatte und sie nach Sigmund Freuds Traumdeutung versucht hatte zu analysieren. Giger war der festen Überzeugung, seine Träume vor dem Einschlafen beeinflussen zu können und, dass jeder Psychiater seine Traumzeichnungen ähnlich wie er interpretieren würde [2]. Oft ist in den Werkbeschreibungen von Transcop-Papier die Rede, dabei dürfte es sich um ein spezielles Papier für Architekten zum Planzeichnen handeln.

Aus der Serie „Biomechanoid“ (1969) sind vier Siebdrucke (Schwarz auf Silber) zu sehen und eine Zink-Lithographie aus dem Jahr 1996 „Alien III Blueprint“.

Abgesehen von der großen Alien-Skulptur, die den zweiten Kellerraum beherrscht sind noch weitere Plastiken exponiert: „Babywall“, ein Relief aus Fiberglas (1998) hängt direkt neben „Landschaft XVIII“ (Acryl auf Papier auf Holz, 1973) und zeigt anschaulich wie Giger aus einer zweidimensionalen Idee eine dreidimensionale entwickelt. „Humanoid“ (1968), eine Skulptur aus Polyester mit einmontierter Kamera und Tonbandgerät sitzt im ersten Raum bequem gegen die Wand gelehnt. „Birth Machine Baby“, zwei Aluminiumskulpturen (1998) und drei weitere Alien Babys sind in einer Vitrine präsentiert. Höhepunkt der Ausstellung ist das noch nie öffentlich ausgestellte Alien-Tagebuch (1978-79), welches nun digitalisiert als Buch im Museumsshop erhältlich ist. Zwei Filme untermauern das Ansinnen des Kurators, u.a. „Gigers Alien“ (34 Min. Regie: Jean-Jacques Wittmer und H.R. Giger. 1979).

Negativ erscheint in dieser an sonst sehr gelungenen, minimalistisch aber umfassenden Ausstellung zum Thema der Ars Electronica, die viel zu klein gestaltete Tafel mit Gigers Biografie in Deutsch und Englisch. Sie ist nicht nur mühsam lesbar wegen der zu klein geratenen Schrift, sondern auch wegen eines Spots, der die Lettern je nach Standpunkt verschluckt.

Info zu einer weiteren Gigerveranstaltung:
Ars Electronica Center, Deep Space Live am Freitag, 06.09., 22:00 Uhr: HR Gigers World

“Im Deep Space des Ars Electronica Center führt eine Serie von Gigapixelbildern in noch nie dagewesener Weise in den abgründigen Kosmos HR Gigers, begleitet von einem Gespräch zwischen Kurator Andreas Hirsch und dem Künstler selbst.“

[1] Link: http://www.aec.at/totalrecall/featured-artist-h-r-giger/

[2] laut H.R. Giger, Katalog: www HR Giger com §§§. Taschen Verlag, S. 32
* Nicht in der Ausstellung zu sehen

LitGes, September 2013

Mehr Kritiken aus der Kategorie: