Kokoschka: Das Ich im Brennpunkt. Rez.: Gertraud Artner
Gertraud Artner
Kokoschka
Das Ich im Brennpunkt
In einer einzigartigen Ausstellung zeigt das Leopold Museum im Wiener Museumsquartier Leben und Werk von Oskar Kokoschka, in der die Malerei des großen Expressionisten und Fotografien von ZeitgenossInnen Seite an Seite gestellt in einen Dialog gebracht werden. Im Pressegespräch betont Ausstellungskurator und museologischer Direktor Tobias G. Natter: “Als Leopold Museum sind wir stolz, in Kooperation mit der Universität für angewandte Kunst erstmals eine monografische Kokoschka-Würdigung im eigenen Haus zu zeigen mit dem Ziel einen bleibenden Beitrag sowohl zur Kunst- und Künstlergeschichte als auch zur Medien-, Sozial- und Zeitgeschichte zu leisten.“ Rund 220 ausgewählte Fotografien begleiten 32 bedeutende Gemälde sowie 20 Zeichnungen und Lithografien Kokoschkas. Ergänzt wird die Zusammenstellung durch Film- und Tondokumente, Zeitschriften und Bücher bis hin zu Briefe und Postkarten.
Oskar Kokoschka gehört neben Gustav Klimt und Egon Schiele zu den drei Künstlerpersönlichkeiten, die den Aufbruch der Wiener Moderne zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts mehr als alle anderen prägten. In diesem Dreigestirn entfaltete sich das einzigartige Potential der österreichischen Kunst zwischen Jugendstil und Expressionismus voller Innovationskraft, Radikalität und Kompromisslosigkeit.
Im Unterschied zu Klimt und Schiele, die beide 1918 aus dem Leben gerissen wurden, erreichte Kokoschka das hohe Alter von 94 Jahren. Sein Leben und Werk umspannt praktisch das ganze 20. Jahrhundert. Und er nahm aktiv Anteil an den Höhen und Tiefen seiner Zeit, sah seinen Lebensmittelpunkt nicht allein in Wien, sondern agierte grenzüberschreitend und international. In jungen Jahren der Oberwildling und Bohemien, später von den Nazis als „entarteter Künstler“ verfolgt, blieb Kokoschka doch stets Humanist. Bemerkenswert auch sein pädagogisches Engagement: bereits 1919 als Professor an der Dresdner Akademie, Ende der 40 er/ Anfang der 50er Jahre in den USA und von 1953 bis 1963 als Leiter der „Schule des Sehens“, der Malschule der Salzburger Sommerakademie für Bildende Kunst. Seine allgegenwärtige Leidenschaft für alle Kunst- und Lebensbereiche faszinierte unzählige ZeitgenossInnen.
Berühmtheit erlangte er vor allem durch seine Portraits. Sogar seine Städtebilder nannte er „Städteportraits“. „Wie mit dem Skalpell gemalt“ wurde zum sprichwörtlichen Begriff für seine expressionistische Malweise. Doch auch als Dramatiker, Essayist und Bühnenbildner hat Kokoschka einen festen Platz in er Kunst- und Literaturgeschichte.
Bisher kaum bekannt war hingegen die Tatsache, dass Kokoschkas Leben und Schaffen auch durch eine Vielzahl von Fotos eingefangen und dokumentiert worden sind. Auf den vielen Stationen seines langen Lebens war immer irgendwo auch eine Kamera. Kokoschka hat zwar nicht selbst fotografiert und auch wenig von der Fotografie als neuer Kunstform gehalten, doch hat er kaum wie ein zweiter Künstler quer durch das 20. Jahrhundert die Fotografie als Medium der Selbstinszenierung genutzt. Tausende Aufnahmen belegen dieses besondere Talent des Malers. Es ist der Witwe Olda Kokoschka hoch anzurechnen, dass die Fotos der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnten. Nach dem Tod ihres Mannes übergab Olda das „Privatalbum“ mit über 5000 Fotografien der Universität für angewandte Kunst und legte damit eigentlich den Grundstein für die gegenwärtige Präsentation im Leopold Museum.
Die absolut empfehlenswerte Ausstellung läuft noch bis 27. 01. 2014, begleitet von einem höchst informativen Katalog.
LitGes, Oktober 2013