Körper als Protest. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Zu wenig Körper, zu wenig Protest!

 
John Coplans:
Interlocking Fingers No. 17
Silbergelatinepapier, 2000
Albertina, Wien
 

Körper als Protest
Pfeilerhalle, Albertina, Wien
Ausstellungsdauer: 05.09. bis 02.12.2012
Kurator: Walter Moser

In dieser Ausstellung in der Pfeilerhalle der Albertina werden acht internationale Fotografen und Fotografinnen mit insgesamt 34 Fotoarbeiten und 3 Filmen - Arbeiten, die zwischen 1967 und 2000 entstanden sind - vertreten. Laut Pressetext sind hier radikale Ausdrucksformen als visueller Protest gegen gesellschaftliche, politische, aber auch künstlerische Normen zu sehen. So soll die Darstellung von Krankheit und Alter gegen die Ideologie der Vollkommenheit des Körpers stehen.

Bezüglich Aktualität sei erwähnt, dass fünf der acht KünstlerInnen bereits verstorben sind. Schwerpunkt bilden die Werke des nach Amerika emigrierten britischen Künstlers John Coplans (1920-2003). Im Alter von 64 Jahren widmete er sich seinem eigenen nackten Körper und dokumentierte damit seinen Verfall. So sind Großaufnahmen einzelner Körperpartien zu sehen wie Hände, Füße, Unterleib … Seine Intention lag darin einen Kontrast zu der typischen männlichen Inszenierung unversehrter, makelloser und kraftvoller Körper zu bilden. Solche wie sie Robert Mapplethorpe (1964-1989) zeigte. Doch Mapplethorpes Fotografien waren homoerotisch und wenig maskulin, sodass sie gesellschaftspolitisch der Homosexuellen-Bürgerrechtsbewegung zu Popularität verhalfen.

Die Schweizerin Hannah Villiger (1951-1997) hingegen begann in den 1980ern Polaroid-Schnappschüsse ihres eigenen Körpers zu machen, deren radikale Ausschnitte sie zu einem ganzen Abbild zusammenfügte. Die einzelnen Fotos setzte sie jedoch unpassend zusammen, sodass der Körper entfremdet wurde. So zeigt "Block XXX" ein zerstückeltes Ich.

Während die 1947 geborene Japanerin Miyako Ishiuchi mit ihrer Serie "1906 to the Skin" (1991-1993) die Betrachtung der alternden Haut mit ihren Nahaufnahmen des 87-jährigen Tänzers Kazuo Ōno sensibilisierte, enthüllte die italienische Konzeptkünstlerin Ketty La Rocca (1938-1976) anhand einer Radiografie "Craniologia (1973) ihren wachsenden Gehirntumor, an dem sie mit 38 Jahren verstarb. In ihrer kleinen Serie "You You" zeigt sie Handgesten anhand von acht Aufnahmen, in denen ein paar Männerhände, eine Frauenhand einrahmen.

Um Gesten geht es auch in der 35 Minuten langen s-w-Videoperformance "Gestures" (1974) der Amerikanerin Hannah Wilke (1940-1993). Sie zeigt wiederholt typisch weibliche Handgebärden an ihrem Gesicht, so als ob sie sich das Gesicht eincremen würde, nicht vorhandene Falten glätten würde, Augen und Zähne kontrolliert, Lippen befeuchtet… Von dem 1940 geborenen Amerikaner Vito Acconci wird der 14 Minuten lange Super 8 mm Film "Openings" (1970) gezeigt und von dem 1941 geborenen Amerikaner Bruce Nauman der 4:36 Minuten lange 16 mm Film "Pinch Neck (1968). Leider sind die Filme hintereinander auf nur einer großen Leinwand zu sehen. Jack Fulton fotografierte den Grimassen schneidenden Bruce Nauman in einer fünfteilige Serie "Studies for Holograms" (1967). Nauman gehört zu den Künstlern, die ab den 1960ern den eigenen Körper als elementaren Bestandteil ihres Werkes begriffen (Pressetext).

Dass in der Kunst der menschliche Körper als Mittel zum Widerspruch, zur Demonstration und Provokation eingesetzt wird, ist nichts Neues. Und ob der Körper als Protest, als Zeuge, Beweis oder Anklage dient, auch nicht. Gerade die österreichische Kunst der 1968er, allen voran Valie Export und ihr Busenkino oder Günter Brus und Rudolf Schwarzkogler mit ihren inszenierten Selbstverstümmelungen und Bandagings zeigten am ehesten die fehlende politische Aktion in Österreich an ihrem eigenen Leib. Doch zugegeben, diese Künstler sind nicht als Fotografen, sondern als Aktionskünstler aufgetreten. Viel eindrucksvoller erinnert mich der Titel "Körper als Protest" an die Fotoserie "Verletzungen" der wenig beachteten österreichischen Fotografin Hermi Pohl, in der sie Menschen mit Amputationen auf empfindsame und ästhetische Weise zeigt.

Die Perspektive, die Walter Moser, Ausstellungskurator und Leiter der Albertina-Fotosammlung der Gegenwart in dieser Ausstellung darbot, ist jedoch eine minimalistische und sehr reduzierte. Schade, das hervorragende Thema hätte eine umfangreichere und vor allem kritischere Schau verdient.

LitGes, September 2012
 

Zur Ausstellung erschien ein zweisprachiger Katalog (Deutsch-Englisch):

 

Körper als Protest/ The Body as Protest
Walter Moser und Klaus Albrecht Schröder Hrsg.
Berlin: Hatje Cantz Verlag, 2012. 144 S,
ISBN: 978-3-7757-3423-3
€ 29,80.- / Im Shop der Albertina € 21.-

 

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