Lucian Freud: Zweimal Freud in Wien. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Fleischeslust

 

 

Lucian Freud: Reflection
(Self Portrait), 1985. Oil on
canvas. Privat Collection
© The Lucian Freud Archiv /
The Bridgeman Art Library

 
 

Working at Night, 2005
© David Dawson. Courtesy:
Hazlitt Holland-Hibbert

 

Zweimal Freud in Wien!
Lucian Freud
Kunsthistorisches Museum Wien
Ausstellungsdauer: 08.10.13 - 06.01.14
Kurator: Jasper Sharp
Lucian Freud: Privat. Fotografien von David Dawson
Sigmund Freud Museum, Wien
Ausstellungsdauer: 09.10.13 - 06.01.14
Kuratoren: Jasper Sharp, David Dawson

Eine Ausstellung mit Werken des berühmten Malers Lucian Freud in Wien ist zunächst erstmalig, vielleicht auch einmalig, denn Sigmund Freuds berühmter Enkel lehnte es bis knapp vor seinem Tod ab, in Österreich auszustellen. Als 1999 das KunstHaus Wien erstmals jene herausragende Künstlergruppe, die als „School of London“* bezeichnet wird, in Österreich präsentierte und zu der unter anderem Lucian Freud, Francis Bacon, Paula Rego und Ronald B. Kiraj zählen, zog Freud seine angekündigten Werke zur Ausstellung kurzfristig zurück.

Lucian Freuds Vater, Ernst Ludwig Freud, war der jüngste Sohn von Sigmund Freud. Er war Adolf Loos Schüler und etablierte sich als Architekt in Berlin. Hitlers Aufstieg, die nationalsozialistische Propaganda und die Hetzjagd gegen jüdische Bürger bewog ihn mit seiner Familie zur Übersiedlung nach Großbritannien. Da war der 1922 in Berlin geborene Lucian gerade elf Jahre alt. Erst im Juni 1938, nach dem Anschluss Österreichs, folgten ihnen auch Sigmund Freud mit seiner Frau und seiner Tochter Anna nach London.

Für uns Österreicher löst es ein Stück geschichtliche Aufarbeitung aus, dass Lucian Freud 2011 der Ausstellung im KHM (Kunsthistorischen Museum Wien) zustimmte und sie auch mitgestaltete, in dem er die Werke zur Schau gemeinsam mit seinem langjährigen Assistenten David Dawson selbst wählte. Ob dies als Versöhnung seitens Freud oder als eine Form von Altersmilde des betagten Künstlers zu deuten ist, werden wir nie erfahren. Am 20. Juli 2011 verstarb Lucian Freud im 88. Lebensjahr.

Lucian Freud war zeitlebens bemüht, sich vom berühmten Namen seines Großvaters loszulösen, obwohl sie beide eine gute Beziehung zueinander hatten und der Großvater ihn durch Kunstdrucke Alter Meister, die er ihm schenkte, künstlerisch förderte. Lucian Freud studierte von 1938 bis 1943 an diversen Kunsthochschulen Englands. 1939 erhielt er die britische Staatsbürgerschaft. Internationales Ansehen erlangte er ab den 1950er Jahren mit seiner realistischen aber sehr fleischig anmutenden Aktmalerei, wiewohl er auch als Porträtmaler große Anerkennung genoss und in England als bedeutendster Porträtmaler des 20. Jahrhunderts gilt. Großes Aufsehen erregte das Bildnis der Queen Elisabeth II, welches Freud zwischen 2000 und 2001 am lebenden Modell erarbeitete. Das kleine Werk ist im Privatbesitz der Queen.

Das Kunsthistorische Museum zeigt 43 Ölgemälde, eine kleine aber wichtige Auswahl seiner 70 Jahre währenden Schaffenszeit. Die Schau ist chronologisch aufgebaut, beginnend mit noch surrealistisch geprägten Porträts, später den Bildnissen der Mutter des Künstlers und das Bildnis eines Babys aus den 1950er Jahren. Unter den Porträts ist weiter jenes wunderschöne Abbild des britischen Künstlers und Illustrators Francis John Minton (1952) zu sehen. Dazwischen sind wenige Stilleben wie „Two japanese wrestlers by a sink“ (1983-1987) oder „Still life with book“ (1991-1992), „Wasteground with houses, Paddington“ (1970-1972) als einziges architekturales Bildnis zeigt einen zugemüllten Hinterhof mit roten Backsteinhäusern. Freuds detailreiche und hyperrealistische Pflanzenbilder fehlen in dieser Schau vollkommen, mit Ausnahme des großformatigen Gemäldes „Interior with a plant“ (1973), das ein kleines Selbstporträt hinter einer enormen Topfpflanze im Vordergrund hervorblitzen lässt. Als Leitfaden durch die Ausstellung dient im Übrigen Freuds vielseitige Selbstporträts, das älteste mit 1943 datiert, ein unvollendetes aus dem Jahr 1956 und ein abstrahiertes kleines Selbstporträt (1963).

Ein Meisterwerk des Perspektivenspiels ist „Reflection with two children“ (1965), jene Selbstdarstellung, wo der Künstler im Straßenanzug zentral und überproportional von unten nach oben verzerrt über die im Vordergrund links in Frontalansicht abgebildeten zwei Kinder die Dominanz gewinnt, rechts hinter seiner Schulterhöhe erscheint die prävalente Deckenlampe. „Painter working, reflection“ (1993) ist ein schonungsloses Ganzkörper-Selbstbildnis des alternden Künstlers. Splitterfasernackt steht er wie eine römische Statue inmitten des leergefegten Ateliers, seine Füße mit lächerlichen Altmänner-Hausschuhen bekleidet, sein rechter Arm ist im rechten Winkel angehoben, in der Hand das Malmesser, er zückt es wie zum Kampf, der linke Arm erstreckt sich gerade nach unten und hält die Farbpallette als Kampfschild fest in der Hand. Das jüngstes Selbstporträt in der Schau stammt aus dem Jahr 2002.

Zwei großformatige Bildnisse zeigen wie unerbittlich Freud auch mit seinen Auftragsgebern umging: „Man in a chair“ (1983-85) zeigt den Kunstsammler und Großindustriellen Baron Hans Heinrich von Thyssen-Bornemisza. Das Werk lehnt sich an die Porträtmalerei des Diego Velázquez und erinnert in der Komposition an das Meisterwerk „Papst Innozenz X“ (1650), das Werk, welches schon seinen Malerkollegen und Freund Francis Bacon lange beschäftigte (s. „Schreiender Papst“, 1951). Hier thront der Baron auf einem schmalen Fauteuil, die zwar elegant gemalten Hände münden in überlange Finger, die sich irritierend über die Schenkel des Barons spreizen, seine Füße sind von der unteren Bildkante brutal abgeschnitten. Auf der rechten Seite des Posierenden hat Freud seine dreckigen Malfetzen angehäuft. Der Blick des Abgebildeten ist in sich gesunken und wendet sich nach unten. Wenig schmeichelhaft ist auch das Gemälde „Two irish men in W11“ (1984-85), das Bildnis des Inhabers eines Wettbüros und seines Sohnes. Wieder ist der Mächtige zentral postiert. Seine Beine sind knapp oberhalb des Knies von der unteren Bildkante abgeschnitten. Seine beiden Arme liegen ruhig auf den Armlehnen des weißen schmalen Fauteuils, doch dennoch wirkt er angespannt. Der Blick ist wie schon beim Baron in sich gesunken und nach unten gewandt. Der eher schmächtig wirkende Sohn steht zu seiner linken Seite hinten. Auch hier kommt Freuds tückisches Spiel mit der Perspektive zum Einsatz und erweckt in uns das Gefühl einer distanzierten Vater-Sohn-Beziehung. Obwohl der Sohn sich mit seiner rechten Hand an der Rückenlehne abstützt, erscheint es von der Größenproportion, als ob er einen Meter hinter dem weißen Fauteuil stünde. Und obgleich sein Blick zum Betrachter gerichtet ist, blickt er ins Leere. Ein Werk mit vielen Kontroversen. Der karge Raum, vermutlich das Atelier des Künstlers, wird durch den Blick aus dem Fenster mit Leben erfüllt. Dort erscheinen die Hausdächer der Umgebung mit soviel Detail und Liebe, dass das Fenster als Bild im Bild von der eigentümlichen Beziehung zwischen Vater und Sohn tröstlich wieder abzulenken vermag. Freuds Widersprüchlichkeiten basieren jedoch auf beinahe karikatureskem Humor, auf Detailfreudigkeit, die er dann durch pastosen Farbauftrag partiell wieder aus der Lieblichkeit reißt und zerstört. So gestaltet sich der feine Farbauftrag der stofflichen Motive, wie bei den Anzügen der seidige Glanz ihrer Stoffe auf teure Maßanzüge schließen lässt, als Widerspruch zu den derben fleischigen Teints der abgebildeten Personen.

Ähnlich sind Freuds große Aktgemälde ausgeführt. Höhepunkt ist „Benefits supervisor resting“ (1994), das Gemälde, welches den feisten Körper der Sue Tilleys offenbart, die wie der Titel es verrät zum Zeitpunkt der Erschaffung des Werkes als Sozialbeamtin tätig war. Freud schuf insgesamt vier große Gemälde mit ihr. Trotz ungeschönter Darstellungen der Körper, verströmen Freuds Aktgemälde weder voyeuristische oder erotische noch desavouierende Züge.

Freud malte an seinen Ölbildern meist mehrere Monate, einige sind sogar mit zwei Jahreszahlen datiert. Seine Arbeitsweise gliederte sich in Vormittag-, Mittag- und Abendbilder. Oft lehnte er sich in der Komposition seiner Werke an Alte Meister, die Schau liefert hierzu zwei Beispiele. Freuds einerseits klassische und dennoch sehr moderne Umsetzung der figurativen Malerei fügt sich außerdem hervorragend in die bestehende KHM-Sammlung.

Sein letztes Werk, das er 2011 begann, blieb unvollendet. Es ist ein Aktgemälde von David Dawson mit Freuds Jagdhund an der Seite und trägt den Titel „Portrait of a hound“. Dieses Werk ist im KHM nicht nur ausgestellt, sondern der Besucher der Ausstellung kann sogar an seiner Entstehung beiwohnen. David Dawson, der ihn über 20 Jahre in seinem Schaffen als Assistent und Sekretär begleitete und der Modell für dieses Werk saß, filmte ihn während diverser Séancen. Daraus entstand ein zehnminütiger Film („Film on Lucian Freud on his last day of painting“. 2011) aus dem ersichtlich wird, wie akribisch Freud an einem Werk arbeitete. Doch Dawson fotografierte auch den begnadeten Künstler und schuf damit eine beträchtliche Bilddokumentation. Eine kleine Auswahl kann man bis zum 6. Januar im Museum Freud, der einstigen Wohnung seines Großvaters in der Berggasse 19, wo er auch später seine Psychoanalysen durchführte, sehen. Diese Fotografien wurden noch nie der Öffentlichkeit gezeigt.

Es ist nicht sicher, ob wir zum 100. Geburtstag 2022 Freuds Œuvre nochmals in Österreich sehen werden können. Es ist daher ein absolutes Muss, diese zwei herausragenden Ausstellungen zu besuchen, eine einmalige Chance noch nie gezeigte Fotos von Freud privat und wie er diverse Personen malt sind im Freud Museum und die Meisterwerke des Künstlers im KHM in Wien zu sehen. Diverse Filme über den Künstler in der Kuppelhalle und im Bassano-Saal sowie ein ausführliches Führungsprogramm runden die gelungen Ausstellungen ab.

Zur Ausstellung im KHM erschien ebenfalls ein allumfassender deutsch-englischer Katalog in Hardcover:

Lucian Freud
Hrsg. Sabine Haag, Jasper Sharp, KHM
München: Prestel Verlag, 2013. 264 S.
ISBN 978-3-7913.6503-9
Preis: € 39,95.-

*Ausstellung: „School of London“, 12.05.-29.08.1999 KunstHaus Wien. Die von US-Maler Ronald B. Kitaj bezeichnete Gruppe von vielseitigen Künstlern, die in den 50er Jahren in London lebten und sich - gegen den Strom der abstrakten - der figurativen Malerei verschrieben.

LitGes, Oktober 2013

Mehr Kritiken aus der Kategorie: