Paula Modersohn-Becker. Rez.: I. Reichel
Ingrid Reichel
REQUIEM FÜR EINE REVOLUTIONÄRIN
Kopf einer alten Frau mit
PAULA MODERSOHN-BECKER
Selbstbildnis mit
Bernsteinkette, 1905
Mädchenbildnis, 1905
Kopftuch, 1904
Pionierin der Moderne
Kunsthalle Krems
Eröffnung: 13.03.10
Ausstellungsdauer: 14.03.10 – 04.07.10
Kurator: Hans-Peter Wipplinger
Katalog zur Ausstellung:
PAULA MODERSOHN-BECKER
Pionierin der Moderne
Hg. Rainer Stamm und Hans-Peter Wipplinger
Krems: Kunsthalle Krems in Kooperation mit dem Verlag Hirmer, 2010.
168 S.
ISBN 978-3-901261-44-3
c.a. € 29,90.-
Paula Modersohn-Becker fand das Band zwischen der Antike und der Moderne. Sie fühlte eine innere Verwandtschaft von der Antike zur Gotik, wie sie selbst in Briefen und in ihrem Tagebuch dokumentierte. Die große Einfachheit der Form hat es ihr angetan. Ungekünstelte frontale Portraits, in Bildausschnitt und Format auf das portraitierte Gesicht begrenzt. Fette Farbe pastos mit heftigen Pinselstrichen aufgetragen, durchbrechen die Lieblichkeit der Jugend der gemalten Gesichter, meist war es ihr eigenes, woran sie sich unermüdlich erprobte. Ungeschönt, ohne Schnörkeln richtet sie ihr Augenmerk sachlich, präzise auf ihre Umgebung, ohne dass sie jemals in eine kalte Ästhetik verfiel. Meist sind es weibliche Sujets, wie Frau, alte wie junge, Mutter und Kind, Kind, die sie zur Höchstleistung brachten. Sie macht die Ruralität der Frau zu einem monumentalen und archaischen Thema, ohne dabei sozialpolitische Intentionen zu hegen. „Konsequent verzichtet Paula Modersohn-Becker auf die Differenzierung zwischen Pupille und Regenbogenhaut, so dass die Augen merkwürdig hölzern, abstrakt und leblos wirken, was durch den Verzicht auf die Glanzlichter noch verstärkt wird.“, schreibt Rainer Stamm, der Direktor des Paula Modersohn-Becker Museums in Bremen, in seinem Essay „Leben und Werk im Spiegel ihrer Selbstporträts“ (Katalog S. 16). Seiner Meinung nach kommt hier besonders deutlich der Bezug zu den Mumienbildern heraus. Durch Bewahrung der Lebendigkeit wird Unsterblichkeit erlangt, oder „ein Schwebezustand zwischen Leben und Tod“.
Affektlos und bewegungslos verharren sie, die Gemalten, vor dem Betrachter. Durch die fehlenden Pupillen fehlt die Orientierung ihres Blickes, schauen sie über ihn hinweg. Maskengleich, gewähren sie keinen Einblick in ihre innere Befindlichkeit. Frappierend ist die Ähnlichkeit der dargestellten Portraits, vergleicht man Modersohn-Beckers und Pablo Picassos Werke aus dem Jahr 1906. Als Modersohn-Becker das dritte Mal nach Paris reiste, wohnte sie vis à vis von Michael und Sarah Stein, erzählt Stamm. Michael, der Bruder der berühmten Autorin Gertrude Stein, sammelte ebenfalls Kunstwerke, vor allem Matisse und Picasso. Es kann daher weder ausgeschlossen noch bewiesen werden, dass Modersohn-Becker die Sammlung gesehen hat, führt Stamm seine Erläuterungen fort. (Katalog S. 18) Interessant hierzu ist jedoch der Vermerk, dass dieser Parisaufenthalt mit 1905 angegeben ist, die Gemälde beider Künstler jedoch mit 1906 datiert sind: Abbildungen 6-12 Seite 16 ff. Nur das Selbstbildnis mit Bernsteinkette ist mit 1905 bestimmt. Picassos berühmtes Werk „Bildnis Gertrud Stein“ sowie folgende Werke, die ähnlich wie bei Modersohn-Becker ikonographisch aufgebaut sind, sind im Band I „Pablo Picasso, Werke 1890-1936“ herausgegeben von Carsten-Peter Warncke (Taschen Verlag 1995), aber mit 1906 beschriftet. Modersohn-Becker könnte sich bestenfalls eine weit entfernte Inspiration geholt haben, eher schon eine Vision, wenn man bedenkt, dass Picasso ein Schnellmaler war und daher sicherlich nicht ein Jahr an dem Bildnis der Gertrude Stein gemalt hat. Vielleicht war es aber auch umgekehrt. Picasso lernte Modersohn-Becker kennen, sah ihre Entwürfe und wurde von IHR inspiriert. Aber das werden wir wohl nie erfahren, nachdem sie keinen Vermerk in ihrem viel zitierten Tagebuch gemacht hat.
Die 1876 in Dresden geborene Paula Modersohn-Becker genoss eine zweijährige Ausbildung als Lehrerin (1893-1895), nebenbei erhielt sie Zeichen- und Malunterricht bei Bernhard Wiegandt. Nach einem Ausstellungsbesuch der Worpsweder Maler in der Kunsthalle Bremen, entschloss sie sich Malerin zu werden. Modersohn-Becker gehört noch zu jenen Frauen, denen eine akademische Ausbildung verwehrt blieb. Alles nur wegen des Aktzeichnens. Männer durften nackte Frauen und Männer sehen und malen, Frauen nicht. Direkt zynisch kommt Stamms Kommentar bei der Pressekonferenz rüber, als er meinte, Frauen hätten nichts versäumt, denn die Künstler der Avantgarde wurden ja auch nicht an der Akademie aufgenommen. Ich drifte gedanklich weiter: Ja, womöglich war (oder ist?) die Ablehnung sogar Voraussetzung, um es überhaupt zu etwas zu bringen. Man denke an die Impressionisten und ihren Salon des Refusés (Salon der Zurückgewiesenen). Dabei hatte Modersohn-Becker noch Glück an so einen offenen Vater geraten zu sein, der etwas für Bildung und Kunst übrig hatte. Offensichtlich war er der Auffassung, dass seine selbstbewusste Tochter nicht hübsch genug war, eine gute Partie zu machen, deshalb auch die Ausbildung zum Broterwerb. Tja, ernsthafte Themen haben oft kabarettistischen Charakter. Natürlich hat Stamm recht mit allem, was er sagte, an diesem Donnerstagvormittag des 11.03.10.
Aber nun sind 100 Jahre vergangen, die Frauen dürfen die nun zu Universitäten umbenannten einstigen Kunstakademien besuchen, sie dürfen Aktzeichnen, mit Busenkinos auf die Straße (Valie Export) und sie dürfen sich vor laufender Kamera sogar eine Gurke in die Vagina schieben und das Video im Museum ablaufen lassen (Elke Krystufek). Ja, all dies dürfen Frauen nun. Sie brauchen Papa nicht mehr zu bitten, das lernen zu dürfen, was sie wollen, und sie brauchen ihre Göttergatten nicht mehr um Erlaubnis zu fragen wenn sie ins Ausland verreisen, wie Modersohn-Becker es noch musste. Nein, diese Zeiten sind allemal vorbei, zumindest bei uns in Europa, in demokratischen Ländern. Und dennoch stößt Stamms Wortspende inmitten dieser Ausstellung sauer auf, weil einem der steinige Weg der Frauen bewusst wird und somit der mühsame Werdegang der Modersohn-Becker, wie sie sich die von Männern angelernte akademische Malweise – ja, auch ohne Akademie ist das möglich! – in dem „Verein der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen zu Berlin“, der Worpsweder Künstlerkolonie und in der Académie Julian und Académie Colarossi - die weibliche Studenten aufnahmen – zuerst anlernte, um sich davon wieder zu entfernen. Selbstverständlich machen das auch die männlichen Kollegen durch. Nur, wozu dann noch Akademien und Universitäten für kreative Berufe? Drei ganze Bilder hat sie zu Lebzeiten verkauft. Eines davon eignete sich der Dichter Rainer Maria Rilke an mit dem sie eine enge Freundschaft verband.
Modersohn-Becker verließ im Februar 1906 ihren Mann und zog nach Paris. „Ich bin nicht Modersohn und ich bin nicht mehr Paula Becker“ schreibt die Nicht-Sufragette aber für die damalige Zeit recht eigensinnige und egozentrische Künstlerin in ihr Tagebuch, „Ich bin Ich, und hoffe es immer mehr zu werden […]“(17.02.1906) Das Bild „Der 6. Hochzeitstag“ zeigt sie mit nacktem Oberkörper und dickem Bauch, signiert ist es mit den Initialen ihres Mädchennamens (1906). Ob dieses Werk ein Affront gegenüber ihrer kinderlos gebliebenen Ehe war, oder ob es eine Provokation gegenüber der Kunstwelt darstellt, sich als Frau und Künstlerin als alleinige Schöpferin und daher Gebärende fühlen zu dürfen, oder ob es schlichtweg nur einen Kinderwunsch ausdrückt? Wie auch immer, dieses Werk ist als erster weiblicher Selbstakt in der Geschichte der Malerei dokumentiert und hat nachweislich die Emanzipation in der Malerei vorangetrieben. Doch bis es in die Öffentlichkeit gelangte, vergingen noch viele Jahre, noch dazu mit der Erschwerniszulage, da ihre Kunst in der Nazi-Zeit als entartet eingestuft wurde.
Selbstbildnis am
6. Hochzeitstag, 1906
Hans-Peter Wipplinger, Leiter der Kunsthalle Krems und mit Rainer Stamm Herausgeber des Katalogs, kuratierte diese bemerkenswerte Ausstellung selbst. Sein Essay „Zur Geschichte einer künstlerischen und persönlichen Identitätssuche“ bringt die Aktualität dieser Künstlerin voll zum Ausdruck. Wipplinger verweist auf Kunstkritiker wie Arthur Fitger (1840-1909) und zitiert in Ausschnitten dessen damalige Kritik über die erste Ausstellung der jungen Paula Becker mit zwei Malkolleginnen, welche in der Weser-Zeitung erschienen ist.
Eine kleine Kostprobe, womit sich Künstlerinnen vor 100 Jahren abfinden mussten:
„[…] Für die Arbeiten der beiden genannten Damen reicht der Wortschatz einer reinlichen Sprache nicht aus, und bei einer unreinlichen wollen wir keine Anleihen machen […]. Wir sind uns bewusst, […] keineswegs diejenigen Ausdrücke zu gebrauchen, die unsere Entrüstung entsprechen würden […]“
Nicht nur, dass Fitger in seiner sogenannten Kritik in Pluralis Majestatis übersehen hat, dass es sich um drei Damen handelt, hat er dann auch noch einen der zwei Namen falsch geschrieben: Paula Boecker. Die Kritik, die auch aus damaliger Sicht, als rein subjektive Meinung zu gelten hat, spiegelt hier bereits die absurde männliche Autoritätskrise bezüglich der weiblichen gesellschaftlichen Rolle im wirtschaftlichen, geisteswissenschaftlichen sowie sozialpolitischen Bereich. Wipplinger wirft uns hier unwillkürlich in die gegenwärtige Diskussion. Mit dem Tod der Grande Dame des österreichischen Feminismus, Johanna Dohnal melden sich erneut seltsame Stimmen. Und wer den Club 2 (ORF 2) Anfang März 2010 gesehen hat, weiß wovon ich spreche. Hier werden Männerstimmen laut, die behaupten, Männer würden auf Grund der Quotenregelung diskriminiert, vor Gericht schlechter aussteigen und weiteres altes Gesudere. Nicht gerade maskulin diese männliche Wehleidigkeit und permanente Identitätskrise … Man fragt sich unwillkürlich, was bitte hat sich in den letzten 100 Jahren seitens des männlichen Verstands eigentlich geändert? Scheinbar NUR, dass es Museumsleiter gibt, die darüber sprechen wollen. Immerhin!
Mit der bitteren Erkenntnis, dass sie sich alleine in der Malerei nicht durchbringen wird können, kehrte Modersohn-Becker zu ihrem malenden Ehemann zurück. Ihre Selbstprophetie, dass sie nicht alt werden würde, erfüllte sich bald. Modersohn-Becker starb am 20.11.1907 mit 31 Jahren im Kindbett, nachdem sie ihre Tochter Tille auf die Welt gebracht hatte. Auch für Otto Modersohn, ihrem 11 Jahre älteren Ehemann, der ihr laut Biographie sehr zugetan war, wurde seine Angst, seine Frau durch den damals häufigen Tod im Kindbett zu verlieren - deswegen auch der langjährige Kinderverzicht seinerseits - zur traurigen Realität.
Paula mit Tochter Tille,
November 1907
Kohlezeichnung, 1899
Modersohn-Becker hinterließ in nur 10 Jahren Schaffenszeit 750 Gemälde und über 1000 Zeichnungen. Davon waren alleine 50 Selbstportraits.
Die Kunsthalle Krems würdigt die außergewöhnliche und progressive Künstlerin Paula Modersohn-Becker mit einer erstmaligen Einzelausstellung in Form einer Retrospektive mit einem wunderbaren Querschnitt und absoluten Highlights ihres Œuvres. Die Schau garantiert eine Auseinandersetzung mit der Frauenthematik, mit der Gleichberechtigung und ihre daraus resultierenden Probleme in einer Art, wie sie von der Politik gerne unter den Teppich gekehrt wird und daher von der heutigen Generation, obwohl noch lange nicht umgesetzt, fälschlicher Weise als vollzogen erachtet und als selbstverständlich negiert wird.
Fazit: Eine großartige Ausstellung mit einem ausgezeichneten Katalog!
LitGes, März 2010