Ilse Tielsch: Die Früchte der Tränen.

Cornelia Stahl

 

454 Seiten. Wien: Edition Atelier. 2020
ISBN: 978-3-99065-014-1

 

Geschichten von Flucht und Vertreibung: Seit 1966 veröffentlicht Ilse Tielsch Lyrik und Prosa. In einem Antiquariat entdeckte ich durch Zufall zwei ihrer Werke: „Fremder Strand“- eine Erzählung (1984) und „Zwischenbericht“ – Gedichte (1986). Wiederum zufällig stieß ich auf den Wiener Verlag Edition Atelier, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Erinnerungskultur mit Leben zu füllen. Tielsch´s Romane legt er neu auf. „Die Früchte der Tränen“ ist der letzte ihrer Romantriologie. Lesende begleiten darin den Weg einer sudetendeutschen Familie. Anni studiert und arbeitet in einer Buchhandlung. Mit ihrem Mann ist sie aus Mähren geflohen und nun entschlossen, sich der Aufbruchstimmung völlig hinzugeben. Tielsch nimmt uns mit in die 1950er Jahre und zoomt uns nah an den Familienalltag heran, sodass die Figuren lebendig werden. Besonders berührt hat mich die Geschichte des Enkels um seinen Großvater, einst Schmied von Mühlfraun bei Znaim (S.14), der aus seiner Heimat vertrieben wurde und bis zuletzt, im Spital, von einem Neuanfang träumte. Nach dessen Tod findet der Nachkomme in der großväterlichen Westentasche den Schlüssel zur Schmiede, den er seit seiner Flucht verwahrt hatte. „Liegt Mähren am Meer“ (S.454) fragt er Enkel, neugierig und bedacht um die Herkunft der Großmutter. - Die Autorin fasziniert mit einer an Bildern und Metaphern reichen Sprache und einem tief verwurzelten Humanismus, der atmosphärisch im Subtext mitschwingt. Ein großartiges Projekt europäischer Geschichtsschreibung – inhaltlich spannend und berührend zugleich, da Themen wie Flucht und Vertreibung bis dato allgegenwärtig sind! Unbedingt lesen!

Ilse Tielsch, 1929 in Auspitz/Hustopece/ Mähren geboren. Studium der Zeitungswissenschaften und Germanistik, 1953 Promotion. Mitglied: PEN Österreich, OeSV, Gründungsmitglied PODIUM. Preise (Auswahl): Franz-Theodor-Csokor-Preis für ihr Lebenswerk.

 

Mehr Kritiken aus der Kategorie: