Peter Becher: Unter dem steinernen Meer

Cornelia Stahl

Peter Becher:
Unter dem steinernen Meer

Roman
Prag: Vitalis Verlag, 2022.
200 Seiten
ISBN: 978-3899196467

Gespenster der Heimsuchung. „Gespenster erstehen aus unserer Angst vor der Vergangenheit der Räume, in denen wir leben. (…) In unseren Gebäuden sind Dinge passiert, von denen wir nichts wissen“. Daniel Kehlmanns Poetikvorlesung „Kommt, Geister“ (2014) spiegelt atmosphärisch, was uns in Peter Bechers Roman begegnet. Darin treffen sich 1990 zwei Jugendfreunde nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, in einem böhmischen Gasthaus, wieder: der deutsche Arzt Karl Tomaschek und der tschechische Ingenieur Jan Hadrava. Das Gespräch ruft in ihnen Erinnerungen und Verdrängtes wach. Sechs Monate später findet man Tomaschek in einer österreichischen Almwirtschaft, erfroren nach plötzlichem Wintereinbruch. Der Autor skizziert die Freundschaft zwischen den Jugendfreunden und menschliche Schwächen wie Verrat, Niederlage und Gewalt. Parallel erzählt er von der ambivalenten Beziehung zwischen Tomascheks Söhnen Andreas und Thomas, die nach dem Tod des Vaters, nach jahrelanger Distanz, erneut aufeinander zugehen und sich Fragen nach der Herkunft des Vaters stellen: Vielleicht, sagte sich Andreas, hätten wir ihn öfters fragen sollen, nach seinen Eltern,(...) die wir eine Kindheit lang besucht und doch nie richtig kennengelernt haben“, S.23.
Besuche führten sie zur mütterlichen Verwandtschaft in die Steiermark, zu bekannten Wegen, im Gegensatz zum Böhmerwald, wo Tomascheks Eltern lebten. Erkundigten sich die Brüder, reagierte der Vater ungehalten: „Seid froh, dass ihr hier lebt, dass ihr euch frei bewegen könnt“. In authentischen Dialogen thematisiert Becher Freundschaft und Verrat, erzählt von Annäherung und Versöhnung, die zeitlos und zugleich dringlich erscheint. Literaturhistoriker Peter Becher, geboren 1952, Vorsitzender des Adalbert Stifter Vereins München, erzählt (Familien)Geschichte, verortet zwischen Österreich, Böhmen und Deutschland. Letzte Veröffentlichung: „Prager Tagebuch“, 2021, ein Kaleidoskop tschechischer und deutscher Schriftsteller*innen.

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