Rolf Gregor Seyfried: Das Ende des Festes

Eva Riebler

Rolf Gregor Seyfried:
Das Ende des Festes

Prosastücke/Gedichte
Athena Verlag, 2021
68 Seiten
978-3-7455-1109-3

Stellen Sie sich vor, Sie gehen jeden Mittwoch zur selben Zeit in die Wohnung des Nachbarn und nehmen dort ein Edbeerjoghurt aus dem Kühlschrank und essen es genüsslich. Die Frage ist dann, was tun mit dem leeren Becher? Was wird er Nachbar dazu sagen? Er sagt, nichts, er grüßt Sie weiterhin freundlich am Gang – oder war das soeben nicht wirklich eindeutig freundlich? - Und schon sind Sie mitten in der Handlung, Teil der Handlung. Nicht minder skurril ergeht es Ihnen, wenn das Spiegelbild NEIN sagt, während Sie JA gesagt haben. Sie sich nackt auf einer leeren Straße in einer verlassenen Stadt befinden und … - ja die Gedanken fordern eine Fortsetzung der Geschichte….
Genauso spannend ist die Erzählung des Hünen, der eines Morgens unter dem Judasbaum auftaucht und nur unverwandt blickte. Der Ortsvorsteher, der ihn wegschicken möchte wird langsam durchsichtig und …...
Durchsetzt mit Verweiswörtern (z. B. Judasbaum) gibt uns der Autor eine mögliche Spur der Interpretation vor und doch können wir nicht alle Rätsel lösen oder Handlungsmotive erschließen.
Er ist wortgewandt und leitet nicht zufällig Workshops für kreatives und biografisches Schreiben, studierte Philosophie in Wien und ist Inhaber der SPRACHKÜCHE und setzt in diesem Werk uns sein ganzes Können vor.
Jede neue Seite, die wir aufschlagen versetzt uns in eine andere Zeit, Welt oder den Alltag, der in Wirklichkeit gar kein gewöhnlicher Alltag zu sein scheint. Erinnerungen werden eingefangen, sie schmecken nach Krieg und Verfolgung, Auslöschung und Leid. Und doch ist der Erzählton ruhig fließend, keine Anklage und im Gedicht „Zeit des Stillstandes“ ist eine positive Leichtigkeit zu spüren: ... Wir folgen dem Stern in unserer Mitte, / wenn geöffnet ist die goldene Schließe auf der Stirn, - und gehen mit luftigen Schritten / durch die Tagebücher der Ahnen …
Diese Handlungsvielfalt, dieser Facettenreichtum in Inhalt wie Sprache macht es so ungewöhnlich und reizvoll!

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