Gerhard Roth: Die Imker

Florian Müller

Gerhard Roth:
Die Imker

Frankfurt am Main:
2022, S. Fischer Verlag
560 Seiten
ISBN 103103974671

Plato, Seneca und die Bienen. „In seinem letzten Roman ‚Die Imker‘ zieht Gerhard Roth die Summe seines Denkens“. Selten war der Umschlagtext aus der Marketing-Abteilung eines Verlags so passend wie dieser. Wer den siebenbändigen Zyklus „Die Archive des Schweigens“ kennt, weiß, dass Gerhard Roth ein Schriftsteller der großen Projekte ist, der dennoch eine unheimlich empathische und nicht belehrende Sprache findet.
Auch sein posthum erschienenes Werk ist auf schlanken 560 Seiten eigentlich eine Menschheitsgeschichte, die trotz zahlreicher intertextueller Verflechtungen mit Literatur, Film und bildender Kunst leichtfüßig wie eine phantastische Erzählung von Jorge Luis Borges daherkommt.
Und obwohl die Handlung immer wieder ins Phantastische abgleitet, so bleiben doch die beschriebenen menschlichen Abgründe allzu real. Wir schreiben den 1. April. Ein gelber Nebel legt sich über das Land. Flugzeuge stürzen ab, Fahrzeuge verunglücken, und dennoch sind nirgendwo Leichen zu finden. Denn wer stirbt, löst sich auf und hinterlässt nur einen Haufen Kleidung. Die einzigen Überlebenden dieser Apokalypse sind die Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses der Künstler in Maria Gugging und eines benachbarten SOS Kinderdorfes.
Der Ich-Erzähler Franz Lindner, Patient und Künstler aus Gugging, wird nun zum Chronisten der Geschichte. Mit einer unfassbaren literarischen Kraft beschreibt er die Wunder der Natur wie etwa das Arbeiten der Bienen, fein durchsetzt mit grotesk anmutenden Gedichten eines Autors, der die verbale Kommunikation verloren hat, aber umso intensiver über den Alltag im Ausnahmezustand schreibt. Was treibt dieser aus einer Kaserne entlaufene Feldwebel? Warum wollen Ärzte Patienten immer normalisieren? Franz Lindner ist ein kritischer, sensibler Geist, der wohl auch deswegen die Sprache der Tiere versteht und Dinge in Bildern sieht, die anderen verborgen bleiben. Es ist ein sprichwörtlich starkes Buch, dass man nur ungern zur Seite legt.

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