Alena Mornstajnova: Hana. Roman

Lakshmi Seitz

Übersetzt von Raija Hauck.

Wieser Klagenfurt/Celovec 2020

 

 

Das Werk beginnt im Februar 1954 mit der Kindheit der Ich Erzählerin Mira, geschildert wird das Leben einfacher Leute in Tschechien, ihre Mama wusch brav jeden Sonntagnachmittag Kaffeetassen, dann starb sie früh und war zu denen geworden, deren Gräber sie besucht hatte. Mira´s Leben dreht sich darum, ob Mohn oder Powidl in den Buchteln ist, ob Papa den Gürtel nimmt, wenn er erkennt, dass Mira am Wasser war, auf Eisschollen geritten ist. Diese Schläge waren fürchterlich erniedrigend. So geht es dahin bis zu jenem unheilvollen Tag, dem Wendepunkt in Mira´s Leben, an dem das „Böse, das hereinkriecht“, personifiziert ist (S. 21), da sie als Einzige ihre Familie verliert, weil sie bestraft wird, folglich die aufgrund einer Epidemie von Typhus vergifteten Zuckerkringel als Einzige nicht serviert bekommt. Dann erbt sie das große Haus der Familie. Als Waisenkind schlägt sie sich in einer Ziehfamilie durch, bis sie zu ihrer Tante Hana kommt, unserer Titelheldin, die einst im KZ war und ein dämmeriges Dasein führt, doch wohlwollend zu Mira ist. Im Laufe der Zeit wird der Sohn der Ziehfamilie Mira´s Geliebter, was von der Tante und von außen nicht gern gesehen wird, doch Mira erklärt uns sonnenklar, warum sie sich auf Gustav einlässt: „Ich war nicht so vorsichtig. Ich wollte einen nahen Menschen haben, jemand, den ich ganz und gar gernhaben konnte und der meine Liebe erwidern würde“ (S.111). Doch Gustav´s Schwäche, er „war geradeaus und nicht hinterhältig und deshalb konnte er Heimtücke nicht erkennen“ (S.113) lässt ihn nicht auf die Idee kommen, dass er vorsichtig sein sollte. Er wird später ihr Ehemann.

Im 2. Teil macht die Autorin einen Rückblick auf die sehr packende Familiensaga voll Herzeleid in der Generation vor Mira, wir erfahren alles über Mira´s Mutter Rosa und Schwester Hana, deren Liebesbeziehungen, Bangen, Schicksal und Bewältigung. Der Teil thematisiert das Leben der Juden 1933-1945. Wir sind mitten in den Fluchtschicksalen und den Einschränkungen der tschechischen jüdischen Familie im Zuge des 2. Weltkriegs. Der sensible, emotionale Stil der Autorin lässt den Leser magnetisch in die Handlung hineingezogen sein. Die Hilflosigkeit gegenüber der Übermacht einer einher ziehenden Krankheit der Ludmila schildert sie etwa folgendermaßen: „Dann begann sie über Schwellen und Teppichkanten zu stolpern, Dinge fielen ihr aus den Fingern, sie zerschlug vier Teller und zwei Tassen aus dem Porzellanservice von ihrer Großmutter und ihre Knie waren so schwer, dass sie nicht die Treppe hochkam“ (S. 129).

Der offizielle Kriegsbeginn brachte Bekanntmachungen gegen die Juden, z.B.: „Es begann mit dem Verbot, Kinos und Theater zu besuchen. … Dann kam das Ausgehverbot nach acht Uhr abends“ (219).

Im 3. Teil, der 1942-1963 angesiedelt ist, spielt die Ich-Erzählerin Hanna in ihrer schlanken, dunklen, lediglich Brot essenden Präsenz die Hauptrolle. Die Befindlichkeit der ehemaligen KZ-Insassin schildert sie selbst so: „In meinem Kopf ist nur Nebel. Manchmal ist er so undurchdringlich, so dicht, dass kein einziger Gedanke hindurchscheint. Das ist der Zustand, den ich für Glück halte“ (S.265).

Die Familiensaga hält die Traumata der Frauen, die durch die Judenvernichtung entstanden sind, fest. Die empfindsam erzählte Inhaftierung in KZs sowie die Vorsicht der jüdischen Bevölkerung geht dem Leser direkt unter die Haut. Es ist eine sehr starke, herzzerreißende Chronik, in der jede/r Liebende das Bangen um die eigenen Beziehungen wiederfinden kann. Die Frauenschicksale aus verschiedenen Blickwinkeln werden generationsübergreifend dargestellt. Zum Schluss erscheint wieder Mira, die einzige Nachfahrin ihrer großen Familie, mit ihrer kleinen Familie und – immerhin – ihrer eigenen Lebensperspektive. 

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