Johannes Witek Gedichte

Lakshmi Seitz

Johannes Witek: Gedichte. Container Press: Walheim 2019

 

Witek experimentiert in seinen siebzig lebendig-vielschichtigen Gedichten mit seiner Vorstellung von Wahrheit und deren Verschleierungen. Er spielt sämtliche Lebenslagen durch, etwa genseitiges Ausrichten als Pärchen, das auf den grauenvollen Zustand eines Singlemannes blickt, und empfiehlt ihm „das Schlimmste: eine Katze gegen die Einsamkeit“ (S. 26). Witeks Weltsicht zeugt von einer Kritik am Establishment, die Schwächen versteht: „Alltagstrott entsteht, wenn man „vom System absorbiert, mit komfortablem Frust in Agonie liegt“, „mit unbestimmtem Schmerz im Gesicht“, aber „mit Krankenversicherung“ (S.27). Denn die Frage nach der Alternative zum System wäre höchstens eine Umschulung als Tätowierer und sich selbstständig zu machen oder auf die Osterinsel zu ziehen. Da drängt sich die Erkenntnis auf: „Unter 400 Schichten von Bullshit ist jeder Mensch ein Individuum, ein nacktes zitterndes einsames und leidensfähiges Lebewesen, das einfach nur verstanden, gemocht und akzeptiert werden möchte“ (S.29). Doch stets sind es nur die Lichter im Lokal, die angehen. Die Trostlosigkeit des Alltags, der aus einer hoffnungslosen Jugend wurde, sieht er bei Bernhard, Innerhofer und Dostojewsky: Sie beraten ihre LeserInnen in Dingen, die keiner von ihnen selbst schaffte.  Behutsam untersuchen Witeks Gedichte einzelne Gruppen der Gesellschaft wie die „Alten“, er sieht sie als „Inseln“, als „Schiffbrüchige“ (S.71). Sieht jemand den Alten nicht gerne, wisse er:  letzten Endes wird es bei ihm selbst später im Leben genauso!

Die Hand des Marktes – des Arbeits- und Partnermarktes - flüstert Witek ein, sie sei der Realität immer als „hübsche kleine Lüge“ (S.71) vorzuziehen. Viele eklige Märchen müssen um des Marktes willen erfunden werden, damit man am Markt erfolgreich eigene Interessen durchsetzen kann.

Witek liebt das Namedropping hochgradiger Dichterkollegen, setzt Schimpfwörter immer wieder als Kraftstoff ein, doch er kann Atmosphäre kreieren: „Das ewige Bedürfnis und mit Glück auch noch das Talent dazu“ zeichnet den typischen, also reflektierenden, dekadenten, drogensüchtigen Schriftsteller aus, der die Gabe hat, „die banalste Kacke aus dem eigenen Leben in Unterhaltung zu verwandeln“ (S.44). Jener hat allenfalls auch einen Suicidversuch hinter sich und er zieht seine Inspirationen aus dem Alkohol. Gerne zeichnet Witek die Eigenheit jeden von ihn erkorenen Dichters und beschreibt das Spektrum, das die Dichtung als Beitrag zur menschlichen Erkenntnis leistete. Eine bunte Fülle von Gestalten tanzt vor unseren Augen bei der Lektüre von Witeks Gedichten.

Der Hass in uns „sucht Hilfe im Leben der Andern“, z.B. bei Kerouac, Henry Miller, Camus, Chaplin, Anne Sexton. Sich selbst etwas abzuverlangen und zu suchen empfiehlt Witek als Fortschritt, dass uns nicht „das Zimmer gefangen hält“ und wir überwinden, dass Veränderung schwer ist, daher lautet sein Appell, hinauszugehen ins Freie (S.110).

Wer Pessimismus im Mantel hochrangiger Einsichten in die Dynamiken des Menschlichen erträgt und einen Streifzug durch Witeks Horizont und der daraus gefolgerten Wahrheit machen will, wer scharfe Worte und Kompromissloses aushält, wer sich nicht von flätigen Wörtern abstößt, wer Schmerz und Leiden in Worten erträgt, der lese dieses Buch. Es wird ihm viel selbst Durchlittenes, über das per se nie gesprochen wird, gewahr machen und die eigene Gesinnung außerhalb des Mainstreams, des satten, zufriedenen Bürgertums, widerspiegeln.

 

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