Premiere und Saisonbeginn Landestheater NÖ 11.9.2021 Othello

Eva Riebler

Wer ist Othello? Ein gefeierter Volksheld, der mehrere Seeschlachten für die Republik Venedig gewonnen hat? Ein siegreicher General, der mit strategischem Kalkül Venedigs Stellung als europäische Handelsmacht zwischen Ost und West festigen konnte? Oder nur ein Eindringling, der sich geschickt Zutritt zur venezianischen Oberschicht verschafft hat? Als Othello die Senatorentochter Desdemona heimlich zur Frau nimmt, wird aus verdeckten Ressentiments offener Rassismus.

Othello ist nun „the moor, the thicklips“. In der streng hierarchischen Männergesellschaft wird er zur Projektionsfläche für Neider und zur Zielscheibe für Missgunst und Hass gegen alles Fremde. Ohne sein Wissen schafft er sich Feinde, im privaten wie im beruflichen Umfeld. Die Liebe zu Desdemona bringt Othellos Nebenbuhler Rodrigo gegen ihn auf. Jago, sein Fähnrich, fühlt sich übergangen, da Othello einen Mitbewerber zum Leutnant befördert hat. Jago will Rache. Als Othello auf Zypern das venezianische Militär anführt, um den Angriff der Türken abzuwehren, gelingt es Jago, ein perfides Netz aus Fake News, Lügen und Intrigen zu spinnen. Er sät Zweifel an Desdemonas Treue und treibt damit Othello bis zum Äußersten.

Premiere und Saisonbeginn Landestheater NÖ
11.9.2021 Gr. Haus

Othello
Inszenierung v. Rikki Henry

Charaktertragödie mit miesem Charakter!
Oder
Der, der liebt, ist immer im Nachteil!

Bereits 1887 hatte Arrigo Boito (1842-1918), der das Libretto für Verdi schrieb, aus Jago den Herrn der Finsternis gemacht. So trug auch folgerichtig diese Tragödie ursprünglich den Titel „Jago“. Und so ist auch in dieser Inszenierung  Jago die Hauptfigur, einer mit dem roten Wams, der Hahnenfeder und dem Pferdefuß, ein Teufel schlechthin. Tim Breyvogel verkörpert diese Falschheit von Beginn an und kann seine Körperhaltung nur mehr auf notorischen Verführer, Heuchler und Einflüsterer trimmen.

Da die Vorgeschichte fehlt und auch die politische Bedeutung Othellos im Krieg Venedig-Türkei ausbleibt, hat er in dieser Inszenierung von Anbeginn nicht die hohe Stellung und den Ruhm, den er als siegreicher Heerführer verdient. Wer nicht von hoch oben herunterfällt, verleiht dem Stück weniger Dramatik. Und so bleibt Jago die Hauptfigur und Othello (Nicholas Monu) nur das Opfer, das allerdings den Kontrast siegreicher General und übertölpelter Liebender hätte, würde seine hochrangige, dekorierte Stellung im venezianischen Krieg hervorgehoben werden. Auch der Rassismus findet nur mit einem Satz Eingang in das Stück und wird keineswegs tragend oder schlagend. Dass er als Schwarzer echte Liebe, Angst und Reue zeigt, macht ihn für uns heute eher liebenswert, während in der Vorzeit des Stückes genau dies Missachtung hervorrief und hervorrufen sollte.

Auch Destemona und Rodrigo sind Opfer, weil sie Spielfiguren in Jagos Spiel sind. Allerdings, trotz schauspielerisscher Leistung, verblassen sie in dieser Inszenierung neben Jago. Die Anspielung, dass Frauen sexuelle Sünder sind und daher dem damaligen Vorbild der keuschen Frau, die keinerlei sexuelle Gelüste haben sollte, widerspreche, kommt weder zu tragen noch ist dies in dieser Inszenierung fassbar.

Toll ist das Bühnenbild mit den Videos und bewegten Stoffbahnen, die sehr deutlich die Eifersuchtsgedanken und Qualen Othellos sichtbar machen.

Obwohl man sich fragt, warum das Stück in einem Box-club stattfindet und warum Emilia (Bettina Kerl) begehrenswerter als Desdemonia (Mathe Lola Deutschmann) ist oder transportiert wird, ist man auf Grund der herausragenden schauspielerischen Leistung, der guten unaufgeregten, kargen Bühnengestaltung, der hervorragenden Video-Einblendungen und der verhaltenen Musik zufrieden – und man weiß und sieht es wieder: es siegen im Leben Fake News, das Perfide, die Heuchelei, Lüge und Missgunst und nicht das Gute.

 

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