Die größere Hoffnung

Stefan Harm

Uraufführung von Ilse Aichingers „Die größere Hoffnung“

in einer Fassung von Sara Ostertag und Julia Engelmayer

1. Dezember 2023, Landestheater Niederösterreich, St. Pölten

 
Sara Ostertag und Julia Engelmayer bringen mit Ilse Aichingers Roman „Die größere Hoffnung" einen sowohl thematisch als auch formell höchst anspruchsvollen Text auf die Bühne, der die fürchterlichen Lebensbedingungen von verfolgten Kindern „mit den falschen Großeltern“ während der NS-Zeit anschaulich macht. Jede*r Darsteller*in ist mit mehreren Rollen bedacht und zusätzlich wechseln sich Caroline Baas, Bettina Kerl, Julia Kreusch und Laura Laufenberg in der (Haupt-)Rolle der Protagonistin, Ellen, ab. Das mag zwar unüberschaubar wirken, funktioniert aber bemerkenswert gut und gibt der Dramatisierung zusätzlich einen gewissen Spin.
 
Die Inszenierung schafft es, der poetischen Fülle dieses vielschichtigen Romans voller Metaphern und Symbole gerecht zu werden. Eine treffliche Auswahl von märchenhaften Traumsequenzen und generell surreal wirkender Erzählungen, verwoben mit historisch-plausiblen Ereignissen voller Tragik und auch kindlich-naiven, beinahe witzigen, Einschüben erzeugt eine ambivalente, im besten Sinne angespannte, Stimmung. Ein durchaus von Ironie geprägter Zugang macht die Grausamkeit der eigentlichen Thematik erträglicher. So muss man schon schmunzeln, wenn der 1964 geborene Michael Scherff als das jüngste Kind der Gruppe, Herbert, auftritt – mit einem Teddybären unterm Arm.
 
Die Bühne ist recht dunkel gehalten, der Einsatz von Requisiten und Licht ist effizient wie effektiv. (Die Kostüme wurden übrigens aus alter Kinderbettwäsche angefertigt.) Mira Lu Kovacs prägt das Bühnengeschehen mit einer breiten, wunderbar einfühlsam abgestimmten Mischung aus zart-melancholischen Passagen, musicalartig choreographierten Einlagen und kräftigem E-Gitarren-Sound. Abgesehen von der leider zunehmenden weltpolitischen Aktualität von Krieg, Verfolgung und Vertreibung ist es vor allem ihrem Einsatz von Musik und Gesang zu verdanken, dass die Inszenierung sehr gegenwärtig wirkt. 
 
Trotz zunehmender Verdunkelung und schwindender Zuversicht werden Träume nie ganz aufgegeben. Die „große Hoffnung“ der Kinder, eine Ausreise, ein Entkommen, bleibt (wie im Roman) freilich auch im Bühnenstück unerfüllt. Der titelgebende Begriff von „größerer Hoffnung“ lässt sich schwer fassen, wird oft mit dem Tod (und damit dem Ende aller Schrecklichkeiten) gleichgesetzt. Er hat jedenfalls nichts mit der Hoffnung zu tun, bloß irgendwie zu überleben. Vielmehr geht es dabei um eine Art innere Haltung, selbst im allerdunkelsten Moment, im Angesicht von Tod und Niedertracht, menschlich zu bleiben. Aichingers Roman ist keine leichte Kost und fordert einen durchaus – Sara Ostertag, das gesamte Ensemble und natürlich Mira Lu Kovacs servieren ein Stück, das kräftig, ästhetisch schön und überaus empfehlenswert ist.
 
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