Acht Frauen: Robert Thomas. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Lei lei und Prosit Neujahr!

 

Acht Frauen
Robert Thomas

Deutsch von Franz Martin
Landestheater NÖ, Großes Haus
07.12.12, 19.30 Uhr
Premiere
Regie: Maria Happel
Mit vom Ensemble: Babett Arens, Swintha Gersthofer, Christine Jirku, Lisa Weidenmüller
Gastrollen: Birgit Doll, Ulrike Folkerts, Cornelia Köndgen, Jessica Schwarz
Bühne: Thomas Lorenz-Herting
Kostüme: Dagmar Bald
Musik: Bernhard Moshammer
Dauer: 2 Std. 15 Min (inkl. Pause)

Bereits 1958/59 schrieb der bekannte französische Autor Robert Thomas (1927-1989) den Dreiakter "Acht Frauen" (Huit femmes), erzielte damit jedoch keine Beachtung. Erst 1960 gelang ihm mit seinem Kriminalstück "Die Falle" (Piège pour un homme seul), das 1961 zum meistgespielten Theaterstück im deutschen Raum wurde, der ersehnte Durchbruch. Thomas machte sich mit seinen Krimi-Boulevards regelrecht einen Namen, sogar Alfred Hitchcock, der Doyen des Suspense, sicherte sich die Filmrechte für "Die Falle".

Zum Inhalt des Stücks "Acht Frauen":
Es ist Weihnachten und die in England studierende Tochter des Hauses, liebevoll Suzon genannt, kehrt zum großen friedlichen Familienfest nach Frankreich nachhause. Es schneit, es ist kalt, aber es erwartet sie ein warmes Heim mit Vater Marcel, Mutter Gaby, der noch pubertierenden jüngeren Schwester Catherine, Mamy - der gehschwachen Omi, der überdrehten altjungfernen Tante Augustine und der geliebten Nanny und Köchin Madame Chanel. Doch der Hausherr hatte eine lange Nacht und als das neue, gutaussehende, junge Zimmermädchen Louise den Hausherrn gegen Mittag wecken will, findet sie ihn mit einem Messer im Rücken tot im Bett. Und dann erscheint die achte Frau, Pierrette, die unwillkommene Schwester des offensichtlich ermordeten Hausherrn. Wie in Agatha Christies vielgelesenem und mehrfach verfilmten 26. Kriminalroman "Und dann gab's keines mehr" (And then there were none)*, befindet sich die Familie plötzlich von der Öffentlichkeit abgeschieden: Die Telefonleitung wurde gekappt, das Auto startunfähig gemacht, das Tor verschlossen. Auch die Hunde, die für Sicherheit geachtet haben, geben im Garten keinen Laut von sich, sie scheinen vergiftet worden zu sein. Die winterliche Witterung sorgt für den Rest. Das traute Heim bricht wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Die acht Frauen beginnen sich gegenseitig zu verdächtigen und gegeneinander auszuspielen. Die Masken fallen, Geheimnisse werden gelüftet: Betrug und Bankrott, nie erwähnte Gefühle, erwiderte wie auch unerwiderte Liebe, sexuelle Neigungen, Neid und Habgier kommen an die Oberfläche und ergeben immer wieder neue Beziehungskonstellationen, bis es schließlich zu einem großen Showdown kommt.

Zur Inszenierung:
Mit diesem Stück gelang Thomas eine wahrlich bitterböse Satire über die Dekadenz und Verklemmtheit der Bourgeoisie. Für den Boulevard war er mit diesem Stück seiner Zeit weit voraus, bedenkt man, dass die 68er noch eine Dekade entfernt lagen. Dementsprechend setzte sich das Stück erst 1970 mit dem verdienten Erfolg in der Theaterwelt durch. 2002 erzielte der französische Filmregisseur François Ozon mit seiner Verfilmung im Stil eines musikalischen Krimi-Kammerstücks einen internationalen Kassenschlager. Film und alle acht Hauptdarstellerinnen wurden vielfach für den César nominiert und mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet.

Nach Ozons grandioser Interpretation sind die Erwartungen des Publikums hoch. Kein leichter Stand für die renommierte Burgschauspielerin Maria Happel, die zwar bereits einige Inszenierungen erfolgreich bei den Festspielen Reichenau absolvierte, aber mit dieser ihr Regiedebut am Landestheater NÖ vollbrachte.

Maria Happel legte dieses Stück als Gesellschaftsspiel an. Thomas Lorenz-Herting gestaltete dementsprechend gekonnt karg das Bühnenbild. Am Boden ein dominierendes begehbares Brettspiel, welches an eine Mischung zwischen Mensch ärgere dich nicht! und Halma erinnert. Rundherum sind übermannsgroße Spielkarten, die drehbar sind und nach Bedarf sich als Weihnachtsbaum, Fenster oder Tür entpuppen. Übergroße Würfel und Spielfiguren dienen gegebenenfalls als Sitzfläche. All dies ergäbe im Grunde eine ideale groteske Inszenierungsidee, die den Kerninhalt des Stückes verstärken und sich geschickt vom vorherrschenden Erfolgsfilm distanzieren könnte.

Leider wurde die Strategie des Gesellschaftsspiels nicht konsequent durchgezogen. Die Regeln, die so ein Brettspiel mit sich bringt, fehlten völlig. Beziehungskonstellationen, ja ganze Handlungsfolgen werden unlogisch und sind - bei Unkenntnis des Inhalts seitens des Publikums - schlichtweg nicht nachvollziehbar. Einerseits, weil keine individuellen, charakterlichen Eigenschaften der einzelnen Figuren ausgearbeitet wurden und daher die verschiedenen emotionalen Beziehungen zu den diversen Figuren völlig fehlen, andererseits, weil sich unter den gegebenen Umständen die für einen Krimi unabdingliche Spannung nicht ergeben kann. Da helfen auch nicht die billigen Mittel von Rütteln an den Theatersaaltüren und dem Klirren des Saallüsters.

Vielmehr konzentriert man sich auf ein allgemein gehaltenes hysterisches, kreischendes, habgieriges, neidbehaftetes und verbittertes Frauenbild, das dem Mann an die Wäsche will. Primitivität statt Subtilität ist angesagt. Auf der Bühne herrschte stetes Chaos. Abwechselnd zur übertriebenen Gestik und lautem Gekreische, übertönte dann das Getrampel und Getrippel auf dem Spielbrett fallweise auch noch die Stimmen der Protagonistinnen.

Selbst die außerordentlich guten schauspielerischen Leistungen der acht Darstellerinnen des Ensembles des Landestheaters NÖ - Babett Arens als Tante Augustine, Swintha Gersthofer als Suzon, Christine Jirku als Schwiegermutter, Lisa Weidenmüller als Catherine - oder des Staraufgebots in den Gastrollen - Birgit Doll als Gaby, Ulrike Folkerts als Pierrette, Cornelia Köndgen als Chanel und Jessica Schwarz als Louise konnten samt ihrer von Bernhard Moshammer arrangierten musikalischen Live-Einlagen nicht verhindern, dass dieses Stück leider zu einer regelrechten Faschingssitzung ausartete. Dies führte zu ungeahnter Perplexität bei den Besuchern, die sich doch sicher im Landestheater NÖ in St. Pölten wähnten, nicht aber in der Reitschulgasse 9 der Villacher Faschingsgilde. Zugegeben das Stück wird als Silvesterprogramm angeboten und für eine feucht-fröhliche Nacht mag diese Inszenierung vielleicht seine Berechtigung haben. Jene, die sich - ganz im Sinne des Autors - auf einen besinnlich vorweihnachtlichen Gruselabend gefreut haben, werden eher enttäuscht nach Hause gehen.

*Ursprünglich erschien 1939 der Krimi unter dem Titel "Ten little Niggers", 1944 in Deutsch "Letztes Weekend". Seit 1982 wurde der aus dem Jahr 1868 stammende Zählreim "Zehn kleine Negerlein" auch als deutscher Titel verwendet. Auf Grund politischer Korrektheit wurde 1985 international der Titel auf "And then there were none" - in Deutsch erst 2003 auf "Und dann gab's keines mehr" - geändert.

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