Die vierte Schwester: Janusz Glowacki. Rez.: Eva Riebler
Eva Riebler
Ich hab eine Melancholie
Die vierte Schwester
Janusz Glowacki
Landestheater NÖ, Großes Haus
Premiere: 23.10.2010, 19.30 Uhr
Österr. Erstaufführung
Deutsch: Birgitt Woitge
Regie: Isabella Suppanz
Bühne und Kostüme: Martin Warth
Musik: Krzysztof Dobrek
Mit:
Pippa Galli, Antje Hochholdinger, Chris Pichler, Dolores Schmidinger
Philipp Brammer, Krzysztof Dobrek, Rainer Doppler, Gregor Fürnweger,
Karl Ferdinand Kratzl, Oliver Rosskopf, Jürgen Weisert,
Helmut Wiesinger, Hendrik Winkler
Uraufführung Teatr Polski, Wroclaw Dez. 1999
Die erste Szene macht neugierig, nimmt vieles vorweg und beginnt wie die zweite mit der Preisverleihung des Film-Oskars für „Die Kinder von Moskau“. Die drei Töchter sowie der im Haushalt lebende Waisenknabe Kolja (Hendrik Winkler), der später die vierte Tochter Sonja für den prämierten Film abgibt, sind die Sinnbilder und Statisten der Kinder von Moskau: Sie leben chancenlos in einer korrupten Gesellschaft, haben wenig Möglichkeiten auf Aufstieg im Beruf oder auf einen netten, adäquaten Ehemann. Nur der Alkohol ist ihnen sicherer Trost. Als die älteste Tochter Wera (Antje Hochholdinger) von ihrem Freund, dem hohen Politiker (Rainer Doppler), schwanger wird, gibt er ihr keine Eheversprechen, freut sich zwar überschwänglich, das bezieht sich jedoch nur darauf, dass er offensichtlich nicht zeugungsunfähig ist und er bietet 600 Dollar für eine Abtreibung. Die jüngste Tochter Tanja (Chris Pichler) meint ihr Liebesglück im in Bestechungsangelegenheiten ebenbürtigen Gauner Kostja (Oliver Rosskopf) gefunden zu haben, jedoch reißt der Tod ihn von ihrer Seite. Dabei war er es, der großspurig meinte – er besteche den Tod! Und die mittlere Tochter Katja (Pippa Galli) wird ebenfalls von der holden Männlichkeit enttäuscht, da dieser ihr nur das gestohlene Fleisch, das sie bei sich trägt, entwenden wollte, bzw. der sie liebende Regisseur John Freeman (Gregor Fürnweger) bei der Oskarverleihung für den Film „Die Kinder von Moskau“ sich unvermutet als bereits verheiratet herausstellt. So ist stets die Freude ein Trugbild und bloß mit Leid verbunden. Auch der Wunsch in die USA zum Onkel auszuwandern, entpuppt sich als gefährliche Falle, ein Hirngespinst von dem man Abstand nehmen muss. Hier finden sich die Parallelen zu Tschechows Theaterstück „Die drei Schwestern“, in dem die drei Schwestern am Ende ebenfalls alleine und mehr oder minder unversorgt dastehen.
Brillant spielen nicht nur diese Protagonisten, ebenfalls hervorragend stellte Karl Ferdinand Kratzl Juri Alexejewitsch, den trinkenden russischen Vatertypus und Dolores Schmidinger Babuschka, die befreundete, stets neugierige Nachbarin dar. Diese ist übrigens die Einzige, die den sozialen Aufstieg in die so genannte „bessere“ Schicht durch ihre Tätigkeit als Werbefigur für gepanzerte Jacken, schafft. Doch auch hier ist der Wehmutstropfen, dass sie vorerst ihren einzigen Sohn, den korrupten Kostja, verlieren musste, da dieser eben keine dieser Westen getragen hatte. Von beiden und vor allem von Chris Pichler wird die russische Seele mit Melancholie, verbunden mit Korruption und Geldgier, herausragend dargestellt. Im Stück ist das verstorbene Mütterchen die Person, von der man sich etwas wünschen darf, bei dieser Premiere blieb kein Wunsch offen. Das Lachen über die Korruption zu Zeiten der Korruption blieb nicht im Halse stecken, sondern befreite, da man getröstet wurde mit Sätzen, wie: „Mut und Ehre zählt nicht mehr!“, oder „Was für ein Land! Wenn man in Russland was verändern will, statt zu trinken, fallen alle über einen her!“
Das komödienhafte, pointierte Treiben auf der Bühne bekommt stets von den Akkordeonklängen Krzysztof Dobreks (Komposition und Spiel) Stimmung und weiteren Schwung.
Eine unterhaltende, schwungvolle und qualitätsreiche Inszenierung (Regie: Isabella Suppanz, Dramaturgie: Barbara Nowotny) mit sorgsam gewählten Kostümen und sparsamem, geglücktem Bühnenbild von Martin Warth.