Einer ist der Dumme: Georges Feydeau. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Was für ein Theater!

 

Einer ist der Dumme
Georges Feydeau

Übersetzung und Fassung für das Landestheater NÖ: Isabella Suppanz
Originaltitel: Le Dindon, 1896
Landestheater NÖ, Großes Haus
Premiere: 03.03.2012, 19.30 Uhr
Regie: Isabella Suppanz
Mit: Christine Jirku, Karin Yoko Jochum, Chris Pichler,
Caroline Richards, Ulrike Sophie Rindermann, Katharina von Harsdorf
Philipp Brammer, Rainer Doppler, Paul Goga, Daniel Kamen,
Valentin Schreyer, Jürgen Weisert, Helmut Wiesinger, Stefan Wilde
Bühne und Kostüme: Daniela Juckel
Dauer: 2 Stunde 30 Minuten inkl. Pause

In ihrer letzten Saison als Intendantin des Landestheaters NÖ, welches sie in den letzten sieben Jahren erfolgreich von einem Stadttheater zu einem Landestheater erhob, inszeniert Isabella Suppanz mit ihrem Ensemble, als Abschiedsgeschenk könnte man meinen, eines der weniger geachteten Theaterstücke des berühmten französischen Dramatikers Georges Feydeau (1862-1921): Le Dindon (zu Deutsch: Der Gefoppte oder Der Dumme). Isabella Suppanz übersetzte das Stück und brachte es für das Landestheater NÖ in Fassung: Einer ist der Dumme.

Feydeau, der mit seinen Stücken das Genre des Vaudeville zum Höhepunkt führte, bevor es von der Bühne völlig verschwand, schrieb Le Dindon 1896 als Gesellschaftskomödie.

Laut Zeittafel im Programm des Landestheaters NÖ wurde das Stück 1896 uraufgeführt, erst 1951 erstmals auch von der Comédie Française aufgeführt.

1951 wurde jedoch der Dreiakter unter selbem Titel auch von Claude Barma verfilmt, die Rolle des Hotelverwalters spielte niemand geringerer als der franz. Klamaukdarsteller per se, Louis de Funès. Schließlich wurde 1968 eine Aufführung im Théâtre Marigny in Paris für die franz. Fernsehsendung "Au théâtre ce soir" aufgenommen.

Das Stück verspricht also einen vergnüglichen heiteren Abend.

Der verheiratete Monsieur Pontagnac steigt gerne Frauen nach. Dass dieses (französische) Faible ihm eines Tages zum Verhängnis wird, liegt klar auf der Hand. Als er wieder einmal einer hübschen Frau bis zu ihrem Heim mit Liebesschwüren nachläuft, trifft er auf deren Gatten, der, wie sich herausstellt, Notar Vatelin, ein Bekannter von ihm ist. Ab diesem Zeitpunkt werden sich viele Personen kennenlernen, welche in der Folge sich zu treffen vermeiden oder sich wünschen wiederzufinden (1. Akt). Ein turbulenter Abend ist vorprogrammiert, der in der Folge durch List und Intrigen in einem Hotelzimmer mündet (2. Akt) und schließlich am folgenden Morgen im Rauchsalon des Oberstechers Rédillon endet (3. Akt).

Eine klassische französische Komödie, die sich wie oft um die verklärten Moralansichten der Bourgeoisie dreht. Mesdames sind treu ergeben, bis auf Widerruf. Messieurs gelten als treu ergeben, bis man sie erwischt. Das franz. Volk konnte sich über solch menschliche Irrwege schon immer gut amüsieren, je burlesker, umso besser. Wusste schon Feydeau aus seinem eigenen Leben, dass der Ehemann als Handwerker gilt und der Liebhaber den Künstler in amourösen Dingen verkörpert.

Wer wagt, gewinnt. Denn dem St. Pöltner Publikum schien die übertriebene franz. Komik zu gefallen. Permanente Lacher und regelrechte Brüller aus dem Zuschauerraum gelten als Beweis.

Isabella Suppanz blieb in ihrer profunden Übersetzung nahe der Originalfassung und kam mit wenigen Kürzungen zurecht. Auch konnte sie das Stück vom Fin de Siècle über die Belle Époque zur Gegenwart gut transponieren. Die relativ üppigen und farbprächtigen Kostüme kamen in dem minimalistisch gehaltenen, weißen Bühnenbild, das sich schnell und aufwandslos in drei verschiedene Schauplätze variieren ließ, voll zu Geltung. Verantwortlich dafür war Daniela Juckel.

Den Schauspielern und Schauspielerinnen wird in diesem Stück höchste Konzentration zu einem rasanten Tempo abverlangt, eine Leistung, die ihnen allesamt auch während der Premiere bravourös gelungen ist.

Besonders hervorzuheben ist Chris Pichler, die wir bereits in St. Pölten aus Die Ortliebschen Frauen von Franz Nabl und Die vierte Schwester von Janusz Głowacki kennen. In Einer ist der Dumme spielt sie die Rolle der Lucienne Vatelin, die betrogene Ehefrau, die, verklemmt in ihrer verklärten Moralansicht, sich selbst vergewaltigt, indem sie sich an ihrem Mann partout mit einer Liebschaft rächen will. Pichler kam im 3. Akt erst völlig zur Geltung, akrobatisch, beinahe schwebend giert sie im Fensterrahmen des Rauchsalons des designierten, jedoch durch eine andere Affäre schon längst ausgepumpten, Liebhabers nach Befriedigung durch vermeintlichen Vergeltungssex. Luciennes Erwartungshaltung, jedermann zum Sklaven ihrer Launen zu machen, konnte Pichler bestens umsetzen.

Ein wunderbarer Theaterabend, dem Dank der guten Inszenierung und der schauspielerischen Fähigkeit des gesamten Ensembles die Kontroverse zwischen dem savoir-vivre und dem laissez-faire der Franzosen erhalten blieb.

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