Kabale und Liebe: F. Schiller. Rez.: Alois Eder

Alois Eder
Louise Millerin in Stöckelschuhen

 

KABALE UND LIEBE
Friedrich Schiller
Landestheater St. Pölten
Premiere: 14. 10. 2006
Regie Oliver Haffner


Es gehört zur Existenzrechtfertigung unseres Bühnenwesens, dass darin immer wieder die Klassiker durch die Mangel des Repertoire-Theaters gedreht werden müssen, obwohl der Bildungszweck inzwischen auch durch die Vorführung von Videobändern vorbildlicher Inszenierungen zu erreichen wäre, was freilich der Lindner-ORF in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt hat. Da ist dann die Versuchung groß, durch Originalitätshascherei in Regie, Bühnenbild und Kostüm aus dem erwartbaren Rahmen auszubrechen, im Fall der St. Pöltner Kabale etwa durch die Vermeidung des zeitgenössischen Rokoko-Interieurs zugunsten einer an Nestroy Zu ebener Erde und erster Stock angelehnten zweigeschoßigen, auf der Drehbühne rotierenden Holzkiste.

Nicht ganz unmotiviert durch Schillers Sturm-und-Drang-Stück, handelt es sich doch um die Liebe zwischen dem Sohn Ferdinand, des aktuellen Günstlings eines der vielen Duodez-Prinzen, und der Tochter des armen Musikus Miller, den die Regie zum Eingang symbolträchtig das Metronom dirigieren lässt, um die kurze Reichweite seiner väterlichen Gewalt zu symbolisieren. Dieser Hinweis auf das gesellschaftliche Oben und Unten - zu ersterem gehört auch die prinzliche Maitresse Lady Milford, welche durch die Intrige mit Ferdinand vermählt werden soll - wäre vielleicht im Programmheft deutlicher zu kommentieren gewesen. Auch wenn die Proxemik des Vaters Miller (Ensemble-Mitglied Helmut Wiesinger) einer- und des Präsidenten (Gaststar Heinz Trixner, via TV hinlänglich vorbeworben) anderseits gar nicht anders kann, als dem Modell Rechnung zu tragen, das bis herauf zum Traumpaar Schüssel-Gusenbauer kaum Wandlungen unterworfen gewesen sein dürfte. Und die Kabalisten wie den intriganten Sekretär Wurm (Daniel Brockhaus) findet man eben auch heute noch auf der Seite der Macht.

Für die konkrete Ausformung des Intrigenspiels gibt die abstrakte Schablone der Modernisierung der Phantasie des Publikums allerdings wenig Hilfen - was nicht als simples Plädoyer fürs Ausmotten der sicher vorhandenen Rokoko-Kostüme im Fundus verstanden werden soll. Aber wenn das Programmheft den jungen Schiller schon mit Thomas Langhoff als unheimlichen Realisten feiert, bleibt in Oliver Haffners Inszenierung eher die Komponente des Unheimlichen erhalten, und vor allem die um Ferdinand konkurrierenden Damen Louise (Charlott Kreiner) und Lady Milford (Antje Hochholdinger) spielen auch mit anerkennenswerter Intensität nur mühsam dagegen an, bis sich schließlich der Realismus auf den Wechsel zwischen Stöckelschuhen und Barfuß-Rhythmus auf dem Holz des Bühnenaufbaus reduziert.

Vollends als symbolischer Ausweg gegen den Hintergrund modernerer Personenführung wirkt es dann, wenn Charlott Kreiner den ihr vom Sekretär diktierten fatalen Brief, der dann dem Marschall von Kalb (Thomas Mraz in Lederkluft) aus der Tasche fallen und in Ferdinands Hände geraten soll, gleich mit Kreide auf den Bühnenboden schreibt, um dem Standard-Federkiel und anderen dazugehörigen Rokoko-Requisiten auszuweichen.

Das gipfelt dann beim Schluss-Showdown mit der vergifteten Limo (sic!), die dem Paar das Leben kostet, in der Exposition von sehr viel Haut, vor allem auch von Seiten des mit ziemlichem Babyspeck gesegneten Mirko Roggenbock als auch sonst von der Haartracht sehr unpreußischen Majors Ferdinand. Wie überhaupt in der modernen Regiearbeit die Flucht in den sexuellen Infight offenbar schon vom Reinhardt-Seminar an als dramaturgische Standard-Überbrückung mühsamer Dialoge gelehrt wird.

Dass derlei nur eine sehr oberflächliche Modernität durch Angleichung an vergleichbare Actionszenen unserer Film- und TV-Welt darstellt und eigentlich die Differenz, der zuliebe die Klassiker ja vielleicht auch gespielt werden, wieder zurücknimmt, wird dabei zu wenig bedacht. Am Ende handelt es sich dabei um einen nur sehr ephemeren Anflug von Weltläufigkeit, unter dem die Provinzialität der Gesamtauffassung umso gefährlicher weiterschwärt. Leider hat St. Pölten dabei einen tiefeingefressenen Ruf zu verlieren, der erst jüngst wieder im Verriss eines Schweizer Kritikers an die Oberfläche getreten ist, wenn er einer Modernisierung der im selben Jahrhundert spielenden Gefährlichen Liebschaften auf der Bühne am Züricher Neumarkt im dortigen Tages-Anzeiger (vom 5. 10.) mit ähnlichen Mitteln den vernichtenden Satz nachruft: St. Pölten in Zürich, und darin als Weltstädter den Vorwurf risikoscheu, provinziell, ein Mini-Stadttheater eben, verpackt.

Darin spukt noch die anekdotische Haltung, die unsere Landesbühne zur Nachfolge des k. k. Theaterlebens in Teplitz-Schönau (vgl. die Pension Schöller) in Republik-Zeiten gestempelt hat - auch noch Herbert Lederer, der knapp nach dem Krieg mit Gerhard Klingenberg hier engagiert war, behandelt die Stadt in seinen Theateranekdoten Abgeschminkt voll nach diesem Klischee.

Man merkt der St. Pöltner Kabale und Liebe an, wie sie gegen diesen offenbar durch Jahrzehnte gepflegten Nimbus ankämpft. Ganz gelungen ist es ihr aber noch nicht; vielleicht, weil die Anbiederung an Tranchen des heutigen Publikumsgeschmacks den Namen einer Modernisierung noch nicht ganz verdienen. Vor allem bei Schiller, bei dem ja auch ein Gegencheck noch am Platz ist, inwiefern seine kommunikative Absicht von der moralischen Erziehung des Menschengeschlechts auch zu ihrem Recht kommt und der Zuschauer durch das Stück gegen heutige Strategien allfälliger Despotien immunisiert wird.

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