Kleiner Mann - was nun? Hans Fallada. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
Glücksfaktor: Weib und Kind

 
Kleiner Mann - was nun?
Hans Fallada
Fassung: Luk Perceval
Landestheater NÖ, Großes Haus
Premiere: 17.03.11, 18.45 Uhr
Münchner Kammerspiele
Premiere: Schauspielhaus München: April 2009
Regie: Luk Perceval
Bühne: Annette Kurz
Video: Luk Perceval u.a.
Mit Orchestrion, Film und Musik der 30er Jahre

Mit: Paul Herwig als Johannes Pinneberg
Annette Paulmann als Emma, genannt Lämmchen
Gundi Ellert als Fr. Kleinholz und Mia PinnebergWolfgang Pregler als Dr. Sesam, Frau Scharrenhöfer, Lauterbach, Lehmann, Erste Dame, Herr Jänecke, Gendarm
André Jung als Emil Kleinholz, Heilbutt, der Schauspieler
Hans Kremer als Mutter Mörschel, Jachmann, zweite Dame, ein Anderer
Stefan Merki als Karl, Schulz, Fräulein Semmler, Herr. Kessler, Spannfuß, Ein Herr, Kunde, Frau Rusch, Schupo
Peter Brombacher als Vater Mörschel, Kube, Postbote, Alte Dame, Fetter Brillenmensch, Dicker Mann, Vermieterin
Tina Keserovic als Schwester, Marie, Frau

Arbeitslos – was nun? Könnte genauso der Titel dieses Werkes aus der Zeit der Wirtschaftskrise lauten. Die Antwort enthält keinerlei revolutionierendes Potential, sind es doch zwei unbedarfte, pflichtbewusste und fleißige Bürger, die das biedere Leben meistern wollen.

Hans Fallada erinnerte sich im gleichnamigen Buch an die düsteren Julitage 1931 als der Bankenkrach die Firmenpleiten und damit die Arbeitslosigkeit anheizte und auch ihn stellungslos und verschuldet zurück ließ. Da damals seine Frau ihn mental unterstützte, er, wenn er seinen Sohn Murkel im Kinderwagen spazieren führte, als „Der arme Arbeitslose mit Kind“ in seiner Umgebung bereits als bekannt galt, dürfte dies sowie seine gute Ehefrau als Emma, genannt Lämmchen, ins Werk eingegangen sein. Sie ist für den Protagonisten Johannes Pinneberg der sichere Hafen, in dem er Rettung für Seele und Verstand findet. Sie verkörpert naturgemäß die bayrische Zuversichtlichkeit mit dem großen, weiten Herz, neuen Ideen um sparen zu können („Museumsbesuche kosten nichts“) und nicht die mögliche österreichische Version des lamentierenden, mürrischen Eheweibes.

Die Jammergestalt ist Pinneberg, der vorerst an seiner Arbeitsstelle mit der Macht des Chefs und der Unsolidarität der Kollegen konfrontiert wird, später in Berlin den korrupten Geschäften seiner Mutter samt Lebensgefährten ohne den klaren Kopf seiner Ehefrau nicht entkommen könnte, der den Einsparungen und Repressionen als Konfektionsverkäufer, der sein monatliches Verkaufssoll erfüllen muss, so ausgesetzt ist, dass er seine menschliche Würde preisgibt. Und sogar dies rettet ihn nicht.

Die Darstellung des Zeitgeistes wurde mit dem Orchestrion, das dominant alle Szenen beherrschte, mit sinnigen Liedern wie „Einmal schafft’s jeder“, „Irgendwo auf der Welt“, „Zeig der Welt nicht dein Herz“ u. a. aus den 20er bis 30er Jahren sowie der Überblendung des Bühnenraumes mit dem Film von Walther Ruttmann „Berlin, die Sinfonie der Großstadt“, 1927 aussagekräftigen bewältigt. Lämmchen und Pinneberg sind die Einzigen, die nicht mitsingen, denn nicht nur das Atmosphärische soll zählen, sondern die politische Aussage „Reichtum und Glück liegen in der Liebe“ oder „die Familie als heile Welt“ wird von ihnen ernsthaft aber unaufdringlich und subtil transportiert.

Das Ensemble der Münchner Kammerspiele verwirklichte diese Gedanken und charakterisierte die Typen der 30er Jahre unnachahmlich, überzeichneten, wo passend, verzichteten auf Glamour und Tingel-Tangel, verkörperten mit Geduld und Präzision die meist naiven Gestalten des unteren Standes, was bei über vier Stunden Spielzeit und ca. 36 verschiedenen Rollen für 9 Schauspieler eine großartige Leistung darstellt. Dem Gelingen dieser Herausforderung beizuwohnen war ein Genuss, da das traditionelle Theater der Vorstadt weder mit falschem Pathos aufgeblasen noch aberwitzigem Augenzwinkern verdünnt worden war.

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