Meisterklasse: Terrence McNally. Rez.: I. Reichel
Ingrid Reichel
HABEN SIE MUT?
MEISTERKLASSE
Terrence McNally
Landestheater NÖ, Großes Haus
Gastspiel des Volkstheaters Wien
Master Class 1995
In Deutsch: Inge Greiffenhagen und Bettina Leoprechting
Premiere: 21.01.10, 19.30 Uhr
Regie: Arie Zinger
Musikalische Leitung: Ottakar Prochazka
Mit: Claudia Emà Camie, Abdul Candao, Andrea Eckert,
Ottokar Prochazka, Eva Steinsky
Bühne: John Lloyd Davies
Bilder: Arnulf Rainer
Kostüme: Birgit Hutter
Dauer: 2 Stunde 5 Minuten
Keine Pause
Zwei Stunden nonstop - ohne Pause - so steht es in der Ankündigung. Zwei Stunden ohne sich die Beine vertreten zu können, ohne zu trinken, ohne auf die Toilette gehen zu können … zwei Stunden vollste Konzentration? Ist das heute überhaupt noch möglich? Kann man dem Publikum so ein langes Stück überhaupt zumuten? Wer ist darauf noch vorbereitet in unserer schnelllebigen Zeit? Unsere Jugend wird nicht auf Ausdauer sondern auf Sprints vorbereitet. Und genau darum geht es auch in dieser Meisterklasse der sagenumwobenen Operndiva Maria Callas. Es geht um Disziplin, um Ausdauer, um Konzentration und um die Fähigkeit des Zuhörens. Und es geht um Leidenschaft und cojones, also um Mut. Wer nicht bereit ist alles von sich zu geben, hat auf der Bühne nichts verloren. Aber wie so oft, holt uns die Bühne in der Realität ein. Wer nicht mitfühlt, wird das Gefühl nicht umsetzen können, weder auf der Bühne noch im Leben.
Das 1996 mit dem Tony Award ausgezeichnete Stück Master Class, des 1939 in Florida geborenen amerikanischen Dramatikers Terrence MCNally, wurde 11 Jahre auf der Bühne des Volkstheaters Wien gespielt. Das Stück ist neben dem oben erwähnten gesellschaftskritischen Aspekt eine Aufarbeitung des Lebens der 1923 in New York geborenen und 1977 in Paris verstorbenen Cecilia Sophia Anna Maria Kalogeropoulos, bekannt unter den Namen Maria Callas. Ihre Eltern, griechische Einwanderer, ließen den Namen in Callas ändern. 1937 wurden sie geschieden. Maria Callas folgte ihrer Mutter und ihrer Schwester nach Athen, wo sie bei der berühmten spanischen Sopranistin Elvira de Hidalgo am Konservatorium in Athen Gesang studierte. 1949 heiratete sie den um 27 Jahre älteren italienischen Industriellen Giovanni Battista Meneghini und nahm die italienische Staatbürgerschaft an. Nachdem das Paar seit 1957 mit dem griechischen Ölmilliardär Aristoteles Onassis Kontakt unterhielt, gingen sie 1959 einer Einladung auf Onassis Luxusjacht „Christina“ ein. Ergebnis dieser Kreuzfahrt waren zwei gescheiterte Ehen. Doch Onassis heiratete Callas nicht, obwohl sie ihm die fehlende Klasse gab. Ihren letzten Auftritt gab sie 1965, steht im Programm des Landestheaters. 1966 heiratete Onassis eine andere Frau mit Stil: Jacqueline Kennedy, unterhielt jedoch weiterhin die Beziehung zur Diva aufrecht.
Mit nur 53 Jahren starb sie an einem Herzversagen. Nach ihrem Tod wurde angeblich eine 1960 in Mailand ausgestellte Geburtsurkunde eines Sohnes gefunden. Im Stück ist jedoch von Abtreibung die Rede.
Der Name Callas steht für Perfektionismus. Nicht für ihre Stimme alleine wurde ihre relative kurze Karriere zur Legende. Ihre Erscheinung und Wandlungsfähigkeit machten sie zur bedeutendsten Opernsängerin des italienischen Fachs des 20. Jahrhunderts.
Die renommierte österreichische Schauspielerin Andrea Eckert erweckt diese Wandlungsfähigkeit und Leidenschaft der Callas wieder zum Leben. 1971 – 1972 unterrichtete Maria Callas ausgewählte Meisterklassen an der Juillard School in New York. In diesem Stück wird auf diese Zeit eingegangen, als sie die Spitzenleistungen ihrer Stimme bereits verloren hatte, der Mann, den sie liebte für sie unerreicht blieb, die Welt ihr nicht mehr zu Füßen lag, die Einsamkeit sich bemerkbar machte, der Applaus nur mehr im Kopf nachhallte und gemeinsam mit der Musik sich zu einer Groteske vereinte. Auch wird auf die demütigenden Bedingungen, mit denen sich Schüler einer Meisterklasse plagen müssen, eingegangen. Die Allüren und die Egomanie eines Stars oder vielmehr eines verletzten Stars sind nicht leicht zu ertragen. Obwohl das Stück nur um die Figur der Callas aufgebaut ist, bedarf es einiger Mitspieler, die hier alleine ihres Live-Auftritts wegen, nicht unerwähnt bleiben sollen. Der musikalische Leiter des Stücks Ottokar Prochazka begleitete als Emmanuel „Manny“ Weinstock am Klavier die drei leidgeprüften „Schüler“: die beiden Sopransängerinnen Claudia Emà-Camié als Sophie de Palma und Eva Steinsky als Sharon Graham und den Tenor Abdul Candao als Anthony Candolino. Die Nebenrolle des Bühnenarbeiters spielte Jürgen Weisert.
Dennoch bleibt das Stück ein Ein-Personen-Stück mit musikalischer Umrahmung. Es liegt alleine an der überwältigenden schauspielerischen Leistung Andrea Eckerts, die dieses schwierige Stück am Leben erhält, das Publikum zum Zuhören zwingt, den Atem anhalten lässt, wie ein Schüler vor einer Respekt einflößenden Lehrerin, trotz ihres pädagogischen Versagens, die die harte Arbeitsauffassung und bedingungslose Lebensphilosophie der Callas in sich aufgesogen hat und förmlich in Aussehen, Gebärde und Ton in ihre Haut geschlüpft ist. Das karge Bühnenbild John Lloyd Davies’ mit zeitweiligen Hintergrundbildern rundet die tadellose Regiearbeit des 1952 in Tel-Aviv geborenen Arie Zingers ab.
Fazit: Zwei fesselnde Stunden ohne eine Sekunde Langeweile!
Hinweis: Ab 27.02.10 spielt Andrea Eckert im Landestheater NÖ die Rolle der Gertrud in „Gertrud“, Schauspiel in drei Akten von Hjalmar Söderberg.