Oh les beaux jours: Samuel Beckett. Rez.: I. Reichel
Ingrid Reichel
EINE PARODIE ÜBER OPERETTE UND BOURGEOISIE
OH LES BEAUX JOURS / Glückliche Tage
Samuel Beckett
In französischer Sprache mit deutschen Untertitel
Landestheater NÖ, Großes Haus
Österreich-Premiere: 28.01.10, 19.30 Uhr
Regie, Bühnenbild und Lichtkonzept: Robert Wilson
Dramaturgie: Ellen Hammer
Mit: Adriana Asti, Yann de Graval
Kostüme und Maske: Jacques Reynaud
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten
Pause nach 55 Minuten
Originaltitel: Happy Days
Uraufführung: 17.09.1961, Cherry Lane Theatre, NY
Aus dem Englischen: Erika und Elmar Tophoven
Gastspiel einer Koproduktion von:
Change Performing Arts / Milan; Grand Théâtre de Luxembourg;
Spoleto52 Festival dei 2 Mondi und CRT Artificio, Milano
Premiere: 19.09.2008, Grand Théâtre de Luxemburg
Samuell Beckett ist einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Der in Dublin noch als Brite geborene irische Schriftsteller, lebte ab 1937 vorwiegend in Frankreich. Mit seinen stark reduziert inszenierten Theaterstücken revolutionierte er das moderne Theater. 1969 erhielt er den Literaturnobelpreis. Sein bekanntestes Werk ist „Warten auf Godot“. Beckett starb 1989 in Paris.
Der weltberühmte 1941 in Waco/ Texas geborene Regisseur Robert Wilson sieht die Aufgabe der Künstler, nicht nach Antworten zu suchen, sondern Fragen zu stellen. Mit seinen Fragen führte der Allroundkünstler Wilson das Theater in eine Welt des Experimentellen.
Der Franzose Yann de Graval, in der Rolle des Willie, wechselte vom klassischen Ballett 1988 zum Theater.
In der Rolle der Winnie, die italienische Diva Adriana Asti! Man will es nicht glauben, sie feiert am 30. April 2010 ihren 77. Geburtstag! In Anbetracht ihres Alters sei ihr, ihr starker italienischer Akzent in der französischen Aussprache verziehen. Ihre hohe schauspielerische Leistung bleibt davon unbeeinflusst.
Den Zweiakter „Glückliche Tage“ könnte man als Warten auf den Tod interpretieren. Es geht um das Ehepaar Winnie und Willie - wobei Willie nur eine Nebenrolle zukommt - das sich in der Monotonie ihres Alltags ihrer eigenen Vergänglichkeit bewusst wird.
Wilsons Inszenierung gleicht einem Gemälde. Der dünne weiße Bühnenvorhang wird flatternd mit bedrohlicher Musik weggefegt und sichtbar wird ein Berg, ein Vulkan, dessen Masse die Bühne füllt. Aus dem Krater ragt Winnie, von der Taille abwärts umhüllt, als ob das schwarze Lavagestein ihren vergeblich auf Fruchtbarkeit wartenden Schoß als Rock diene. Willie ist nur manchmal hinten am Fuße des Berges mit dem Rücken zum Publikum, in einem Ruderleiberl zu sehen. Meistens verkriecht er sich in ein Loch des Vulkans, doch mit dem Kopf voran bleibt er gerne stecken in diesem Eingang seiner vertrauten Höhle. Aus dem Schoß der Geborgenheit, dem Uterus gibt er grölende Geräusche von sich. Willie kann sich kaum artikulieren, klingt wie ein sterbendes Tier. „Der arme Willie, lange wird er es nicht mehr machen…“ sagt Winnie etwas zynisch zu sich selbst und feilt an ihren Nägeln, spricht von ihrer Frisur und von der Körperpflege. Mit Augenrollen und gekünstelten, abgehackten Gesten versucht sie sich attraktiv zu postieren. Sie wirkt wie eine Puppenfee, oder noch besser, wie eine dieser großen unbeweglichen Madonnenfiguren, die man bei den Prozessionen auf einem Gestell durch die Stadt trägt. Winnie ist in ihrer Unbeweglichkeit zur Erstarrtheit verdammt. Dementsprechend wirkt die Monotonie ihres unerfüllten Daseins teilweise depressiv auf sie. Alles was sie braucht, hat sie in ihrer Tasche aufbewahrt. Zahnbürste und –Zahnpasta, Revolver, was man eben so braucht um den Alltag zu bewältigen. Winnie ist der Natur ausgesetzt. Die blanke Sonne strahlt auf sie nieder, der schützende Sonnenschirm fängt Feuer, die Blitze schlagen neben ihr ein. Doch sie bleibt davon unberührt und spricht von einem herrlichen Tag. Der Count Down ihres Lebens wird zur Groteske. „Wenn du gehst, was werde ich ohne dich tun den ganzen Tag?“ fragt sich Winnie, die von Willie schon lange nichts mehr gehört hat. Man wartet auf die Eruption, auf den Schuss aus der ihr immer zur Hand liegenden Pistole. Wann wird dieser Vulkan von einer Frau endlich ausbrechen? Die Spannung wird schier unerträglich, wäre es kein Beckett, der seinen Zuschauern durch die Monotonie den Spiegel ihres Daseins präsentiert. Das warten auf den Tod. Das Leben – sinnlos!
Im zweiten Akt ist es endlich soweit. Winnies Oberbekleidung wirkt durch das Lichtdesign schwarz, und dann wiederum schimmert kurz ihr kleines Hütchen am Kopf knallig Rot. Sie ist im alten Stil der 50er Jahre gekleidet. „Oh, du hast dich kaum verändert…“ sagt Winnie zu Willie, der in seinem schwarzen Anzug gekleidet vorne auf der Bühne kniend auf den Händen gestützt, erscheint. Winnie spricht mit ihm wie zu Lebzeiten, sie macht zwischen Leben und Tod keinen Unterschied. Auch „die Schwerkraft ist nicht mehr dieselbe“. Die Tage und die Nächte werden immer kürzer, die Pausen ihres Redeflusses immer länger. Das Lächeln auf Winnies Gesicht verschwindet, als sie ihren letzten Gesang unterstützt von ihrer Spieldose summt: „Lippen schweigen, / ’s flüstern Geigen: / Hab mich lieb! / All die Schritte / Sagen bitte / Hab mich lieb! / Jeder Druck der Hände / Deutlich mir's beschrieb, / Er sagt klar: / 's ist wahr, 's ist wahr, / Du hast mich lieb!
So wie das Stück mit Franz Lehárs Operettentext aus der „Lustigen Witwe“ endet, so sehr ist es nicht nur für Winnie und ihrem frustrierten Ehefrauendasein zutreffend, sondern auch für die Menschen in unserem Land NÖ. Hatte doch das ehemalige Stadttheater und nunmehrige Landestheater NÖ zur Freude des lokalen Publikums einst viele Operetten aufgeführt.
Das Institut Français de Vienne proklamierte die Aufführung in St. Pölten auf seiner Homepage. Daher waren viele Franzosen und der französischen Sprache mächtige Besucher zu diesem Gastspiel des Grand Théâtre de Luxembourg in der NÖ Landeshauptstadt zu sehen. Dafür blieb das St. Pöltner Publikum großteils mit wenigen Ausnahmen aus, obwohl dem Stück durch das Laufband mit deutschem Untertitel leicht zu folgen gewesen wäre. Traurig, werden doch die Niederösterreicher und vor allem die St. Pöltner mittlerweile, laut Aufführungskritik im Standard online, um ihre Gastspiele beneidet.
Es seien einmal mehr
Schade, dass sich die St. Pöltner dieses Meisterstück mit Meisterinszenierung entgehen haben lassen…
An das Landestheater: Bravo!
An den Regisseur Robert Wilson, an Adriana Asti und Yann de Graval abermals: BRAVO!