Premiere von „Metropolis“ bei den Sommerspielen Melk. Rez.: Ernst Punz
Ernst Punz
Stummen Stimmen geben, Leid zur Sprache bringen
Was für ein Fest für einen Autor muss das gewesen sein, als der Intendant der Melker Sommerspiele Alexander Hauer Franzobel beauftragt hat, den weltbekannten Stummfilm Metropolis von Fritz Lang als Theaterstück zu dramatisieren und ihm Sprache zu verleihen.
Fritz Lang musste seinerseits aus technischen Gründen den umgekehrten Weg gehen, als er den Roman Metropolis seiner Frau Thea von Harbou verfilmte. Fertiggestellt machte ihn der Film dann nicht einmal glücklich. Erst als in den achtziger Jahren eine Renaissance einsetzte und Künstler wie Madonna und Freddie Mercury Metropolis entdeckten, dachte Lang neu darüber nach. Anzumerken wäre, dass er bereits bei Charlie Chaplins Modern Times ahnen hätte können, dass ihm etwas Vorbildliches gelungen ist.
Charaktere und Handlung von Metropolis lesen sich wie eine Bestandserhebung der jüngeren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zeitgeschichte. Ein leistungsorientierter Vater, der ein Imperium aufgebaut hat, sein Sohn, der sich dem Müßiggang mit seinen gleichgestellten Freunden hingibt, Subalterne und Arbeitende, die in ihrer Abhängigkeit dieses System ermöglichen und ein wissenschaftlicher Mastermind an der Grenze von Genie und Wahnsinn, der das ganze geplant hat. Doch plötzlich gelangt – wodurch auch immer – eine Mahnerin in dieses sich selbst genügende Räderwerk und erklärt den aus der Unterwelt stammenden (Menschen-)Kindern, die sie an der Hand führt, dass es sich bei den ausschweifend lebenden um ihre Brüder und Schwester handelt. Auf den Sohn übt Maria (sic!) einen besonderen Zauber aus, auch bekannt als Liebe. Was folgt ist eine Läuterungs-, Liebes-, Revolutions-, und Heldengeschichte, die in den Zusammenbruch des Systems und die Errettung der Ausgebeuteten mündet. Dass Maria einer Gehirnwäsche unterzogen wird und zwischenzeitlich zur Feme fatale mutiert, ruft in Erinnerung, dass viele neue Ideen und Bewegungen kommerzialisiert und vom Mainstream übernommen wurden.
Autor Franzobel konnte und musste aus dem Vollen in die Leere schöpfen und hat dies reichlich getan. Zwischen vorgegebenen Stummfilmtiteln, die gelegentlich wie Bojen im Sprachmeer auftauchen, füllt er die Tiefen und Untiefen des Dramas mit meterhohen Wellen, lässt Wellentäler entstehen, sprüht Gischt und lässt die Flut auch wieder versickern. Stummfilmtheatralik taucht genauso auf wie zeitgenössischer Kabarettistenchargon, vom altgriechischen Chor über apokalyptische Predigten reichen die sprachlichen Mittel fließend bis hin zu bekannten geilen Werbesprüchen. Franzobel schafft mit seinem Metropolis, dem er den Untertitel Das große weiche Herz der Bestie gegeben hat, ein neues eigenständiges Werk, das der Gesellschafts- und Kulturkritik des Vorbildes mehr als gerecht wird.
Die Sommerspiele Melk hätten mit der Dramatisierung von Fritz Langs Originalfassung ein Problem gehabt. Die Erschaffung eines Bühnenbildes mit riesigen Maschinenhallen und tausende Komparsen hätten das Budget vermutlich ähnlich gesprengt wie das des filmischen Vorbildes. Zudem wäre die finale Überflutung der Unterstadt den durch Hochwasser leidgeprüften Theatermitarbeitern nicht zuzumuten gewesen. Somit wurde das werktätige Volk auf den im (Zwie-)Spalt bis zur Erschöpfung leistenden und zur Nummer 11811 degradierten György reduziert. Die durch menschliche Unvernunft erzeugte Sintflut wurde gleich ganz gestrichen und einem Boten in Form eines zeit- und geldsparenden Berichtes á la Ganz Madrid in Waffen in den Mund gelegt. Das gibt in der Bewertung natürlich gigantonomische und gargantueske Abzüge, aber wer Franzobels Werk liest, kann sich ja Langs rauchendes und pfauchendes Industriemonster vorstellen und sich darüber freuen, dass er beim Lesen keine nassen Füße bekommt. Das real sichtbare Bühnenbild von Daniel Sommergruber und die Kostüme von Moana Stemberger waren futuristisch gehalten und erinnerten an Innenleben und Ausstattung von Weltraumunternehmen und Raumschiffcrews sowie Planetenbewohnern. Die Bühnenmusik steuerte das Melker Jazzgenie Thomas Gansch bei. Verglichen mit dem existierenden orchestralen Werk zu Metropolis, beschränkte sich der bekannte Trompeter auf minimalistisch anmutende Klavierklänge. Eindeutig wurde auch hier dem Wort der Vorrang gegeben.
Den Mitwirkenden der Sommerspiele Melk ist es mit Intendant und Regisseur Alexander Hauer auf jeden Fall wieder gelungen, eine Einheit von Wort, Klang und überlagertem Bühnenbild – gemeint ist das Stift Melk – zu schaffen, das die auch als Religionskritik zu verstehende Aussage eines Darstellers nach Marias (Erlösungs-)Rede Lügen straft: Sowas Dummes habe ich nicht mehr gehört, seit ich in der Kirche war.