Susn: Herbert Achternbusch. Rez.: Peter Kaiser
Peter Kaiser
BAYRISCHER KREUZWEG, WEIBLICH
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SUSN
Herbert Achternbusch
Landestheater NÖ, Großes Haus
Premiere, 28.10.2011, 19.30 Uhr
Gastspiel der Münchner Kammerspiele
Regie: Thomas Ostermeier
Mit Brigitte Hobmeier und Edmund Telgenkämper
Bühne und Kostüme: Nina Wetzel
Musik: Nils Ostendorf
Video: Sebastian Dupouey
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
Einführungsgespräch mit Julia Lochte
Gleich vorweg und mit Begeisterung: Eine überzeugendere schauspielerische Leistung als die von Birgitte Hobmeier ist schwer denkbar. Ein Stück, welches etwa vierzig Lebensjahre einer Frau umspannt, und diese auf eineinhalb Theaterstunden komprimiert, wird von einer einzigen Schauspielerin bewältigt. Ein Rolle, welche normalerweise, so die Dramaturgin Julia Lochte in der Einführung, von vier Schauspielerinnen verkörpert wird. Eine urbayrische Ausgangssituation mit dem Regisseur Thomas Ostermeier (seit 1999 Leitung der Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin) und der 1976 in München geborenen Schauspielerin Brigitte Hobmeier macht dies möglich.
Tosender Applaus am Ende der vierten Station des Lebens- und Leidenswegs einer nicht ganz systemkonformen Katholikin. Aber von vorne.
Der bayrische Anarchist und Freigeist Herbert Achternbusch (*1938 in München) schreibt 1969 seinen Roman Die Alexanderschlacht. 1979 exzerpiert er aus diesem das Theaterstück Susn, welches die Lebensstationen eines Mädchens vom Lande in ursprünglich fünf, später in vier, Stationen nachzeichnet.
Über dieser Vorgehensweise schwebt die Gefahr, ein schwerfälliges Stück zu schaffen, welches an der Statik des Monologs scheitert. Thomas Ostermeier und Nina Wetzel (Bühne und Kostüm), führen vor, wie man diese Problematik grandios umschifft. Eine Videoinstallation von Sebastien Dupuey, niemals aufdringlich aber stimmungsvoll ganz beim Text, bildet den Hintergrund für das karge, aber effektiv eingesetzte Mobiliar, das den Schauspielern volle Handlungsfreiheit läßt.
An dieser Stelle sei die fantastische Leistung von Edmund Telgenkämper erwähnt, welcher bei einem Minimum an Text ein Maximum an Bühnenpräsenz und Spannung zuwege bringt.
Die Handlung in Kürze.
Station 1: Susn geht zur Oberschule und gesteht dem Pfarrer im Beichtgespräch, dass sie aus dem Religionsunterricht austreten will. Ein jungmädchenhafter Schwall von mehr oder weniger bedeutsamen Erlebnissen ergießt sich aus ihr, die effektvoll und stimmig mittels Video in Szene gesetzt wurden. Susn erkennt, dass die Menschen nach einer Scheinmoral handeln und leben.
Station 2: Zehn Jahre später in der Stadt, zeigen sich Symptome von Vereinsamung bei Susn. Alles bezieht sie auf sich selbst und findet doch nicht ihren Platz in dieser fremden Welt.
Station 3: Abermals zehn Jahre später beschuldigt Susn ihren Lebensgefährten, den Schriftsteller Herbert (Achternbusch im kritischen Selbstportrait als großer Schweiger), sie in jeder Hinsicht zu vernachlässigen. Zutiefst glaubwürdig gelingt es die in jeder Beziehung lauernden Abgründe darzustellen. Susn leidend und lebendig zum in sich vergrabenen Herbert: Geh´ doch in die Kälte, da ist es wenigstens nicht warm. Ein Satz, der in seiner valentinschen Intensität und Paradoxie nicht zu überbieten ist.
Letzte Station: In einer unübertrefflichen Szene altert Brigitte Hobmeier auf einem Klo sitzend mit ein paar Hilfsmitteln innerhalb weniger Minuten um Jahrzehnte. Eine beleuchtete Jesus-Statue ist ihr letzter Zuhörer. Übrig bleibt das Bild vom Scheitern einer Frau, welche vom Leben mehr erhofft hat als einen Apfel und ein Ei und ihre tragisch-komische Würdelosigkeit. Jesus, den sie verschwörerisch anrempelt, bleibt letzten Endes stumm: Du kaunst a nur leichtn.