Wolfgang Mayer-König
Körper
Wie sehr mich der unverhofft auf meiner Terrassenbank angetroffene, eingerollte Körper einer schwarzen Katze rührt und voll Liebreiz entzückt! Obschon ich lediglich einen einfarbigen, tief schwarzen, dickfelligen, eingerollten Rückenbogen sehe, der sich regelmäßig hebt und senkt.
Durch solche, aus eigenem Atmen zwar vertraute, aber abgestumpft als selbstverständlich übergangene, unerhört sanfte Atemzuge, erhalte ich ein Unterpfand, zwar fremden aber unerhört zugehörigen Lebens, obschon ich gerade erst in diesem Augenblick, durchs Terrassenfenster blickend, diesem Körper, diesem Leben, erstmals begegnet bin. So denke ich bei mir: Wie sehr kann man etwas Vorübergehendem so nahe sein, ohne es zu besitzen, ihm angehören, obschon man weder leblose Materie noch Lebendiges besitzen kann, weil beide für sich sind und es auch stets bleiben werden, und unser eigener Körper letzten Endes auch keine Taschen hat, und tragende Hände nur solange tragen, als sie nicht für immer niedersinken. Weil wir nichts und niemanden wirklich körperlich besitzen können, gelange es uns umso mehr, es oder ihn, zu akzeptieren, so zu nehmen, wie er oder es ist, es oder ihn zu lieben, zu pflegen, ja zu umsorgen. Warum sollte allem und jedem dabei das Scheitern der idealen Vorstellung anhaften oder gar innewohnen? Allein schon der Wunsch ist im Stande, anfänglich energiegeladen das instinktive Vermögen zu solchem Tun zu haben sowie das „Im Stande Sein dazu“ zu vollenden. (Sie liegt noch immer eingerollt auf der Terrasse, die Katze!). Mit solchem Verständnis, viele Irrtümer und Missverständnisse des Lebens zu vermeiden und sich den Geheimnissen der Pflege und Kultvierung aller Lebewesen und allen Lebens zu öffnen, lasst es sich, glauben Sie mir doch, liebe Leser, besser leben, lasst sich auch das Zusammenleben der verschiedenen Arten besser regeln, vermag eine solche Sicht, jedem Augenblick des Zusammenlebens eine besondere Wurde zu verleihen. Noch dazu heißt es ja, wir wurden nach dem Tod alle körperlich auferstehen, Menschen wie Tiere. Ich weis, ehrlich gesagt gar nicht, ob ich das will. Ja stellen sie sich doch einmal vor: allen Menschen wieder körperlich zu begegnen, die uns bis zur Weißglut schon zu Lebzeiten gepiesackt haben. Auch den Kriegstreibern, den Massenmördern und Kriegsverbrechern. Eine Art Totschlag im Affekt oder instinktive Mordlust kennen die Tiere zwar auch, aber der durchdachte, von langer Hand vorbereitete Massenmord ist eine eindeutige Erfindung des Menschengeschlechts.
In der Tierwelt wird dem in der aggressiv- defensiven Verteidigung seines Reviers zunehmend entkräftete, in seiner geschlechtlichen Potenz nachlassende Rudelführer oder Platzhirsch naturgemäß der Rest gegeben. Aber ist es bei den Menschen anders? Eine zugleich extrem heuchelnde, pietistische und auf Statussymbole erpichte, wie von Jugendfetischismus, Schönheitswahn und Potenzwettlauf stigmatisierte Gesellschaft, gibt den in all dem Vorgenannten körperlich nicht Nachkommenden den Rest; selbstredend auch den Körpern der nicht in ausreichendem Maße, mit entsprechender Mogelpackung korrigierenden, natürlich auch entsprechend zahlungskräftigen, Klientel. Wer wird künftig erklären, warum man den Großvater, nur weil er, wie es nun einmal bei alternden Saugetieren auch Gang und Gabe ist, im übertragenen Sinn „den Schwanz hangen lasst“, nicht gleich an den Rand der Gesellschaft drangen oder ihn gleich „wegraumen“ kann. Die Volks-, Haupt- und höheren Schulen übernehmen diese Aufklarungsarbeit nicht, das Elternhaus aus verständlichen Gründen ebenso wenig, der Religionsunterricht, der darin eine der wenigen sinnvollen Aufgaben hatte, tut es auch nicht. Die Universitäten vielleicht gar? Wer also kann und soll es tun? Wenn wir unsere Erde insgesamt betrachten, auf der Körper so respektiert werden, dass ein Großteil von ihnen jährlich an Hunger stirbt, obwohl allein schon ein Teil der Rüstungsausgaben und ein Teil der weltweiten Steuerhinterziehung zur vollkommenen Ernährung aller Menschen der Weltbevölkerung ausreichen wurde, schaut es nicht gut um sie aus. Wenn man auch beispielsweise bedenkt, dass in den letzten hundert Jahren dreimal so viele Körper von Menschen in Kriegen ermordet wurden und starben als in den fünftausend Jahren zuvor! Ware es angesichts des wissenschaftlich-technologischen Fortschritts und der Intelligenzentwicklung des modernen Homo sapiens nicht gescheiter, den Körper der Menschen hier und jetzt zu schützen? Das von der Staatengemeinschaft garantierte Grundrecht darauf wird ja mit Füßen getreten, es wird im Argot gesagt, darauf geschissen. Wer kann von uns allen Ernstes verlangen, dass wir darauf salbungsvoll warten, bis wir alle in der bestmöglichen körperlichen Kondition, die wir zu Lebzeiten hatten, wieder endgültig aufgeweckt werden und körperlich auferstehen dürfen? Ganz abgesehen davon, dass ein Großteil der Menschen, seit seiner Geburt, niemals die körperliche Unversehrtheit, diese Ungebrechlichkeit, hatte oder haben konnte, weshalb dies auf einen Großteil der Menschen, oh Schande, gar nicht zutrifft und wirksam werden kann. Von allen den gefährlichen Illusionisten sind mir noch die alten Griechen am liebsten. Es zeigt sich für mich einmal mehr, dass wir uns seit den alten Griechen bis zum heutigen Tag nur in tiefem, viel weiter zu fassendem, Mittelalter befinden. Ja so schaut es aus!
Die aristotelisch-scholastische Körperlehre besagt, dass die „materia prima“ die reine Potenz ist, durch welche jede substantielle Form ihre Aktualität und Individualität erhalt, und dadurch ein bestimmter Körper wird; dass aber die geistige Seele als einzige Wesensform des menschlichen Körpers auch jede beliebige Materie zu ihrem Körper gestalten kann und auch gestaltet. Sehr schon und eigentlich sehr treffend gesagt. Aber auch im Hellenismus, Platonismus und Gnostizismus kommt es zu einer Wiedervereinigung der durch den Tod zuvor vom Körper getrennten Seele mit ihrem nunmehr wieder hergestellten und endgültig nicht mehr der Verwesung unterworfenen Körper. Seltsam! Die anderen durchaus bedeutsamen Altvorderen sind nicht minder schwer zu verstehen, aber nahezu alle Religionen teilen diesen Glauben an ein sogar körperliches, ewiges Leben. Im Zarathustrismus aber auch später im Islam macht die leibliche Auferstehung aller erst die Totenauferstehung aus, wobei nicht ganz klar wird, was dabei „der jüngste Tag“, das Weltengericht, tatsachlich bedeuten soll. Nach der Rabbinischen Theologie, der Mischna, gibt es in der kommenden Welt kein Essen und kein Trinken, keine Fortpflanzung und keine Vermehrung. Das hatte ich mir schon denken können. Aber damit ist es nicht genug.
Die Gerechten, und nur die Gerechten, sitzen nur da, ihre Kronen auf den Köpfen und genießen den Glanz der Herrlichkeit Gottes. Und was ist mit den anderen? Ja und ist denn das nicht sozusagen auf die Dauer fad? Im ersten und im zweiten Korintherbrief lehrt Paulus übereinstimmend mit manchen damaligen Pharisäern: Die kommende körperliche Auferstehung aller Toten zum Endgericht sei eine endgültige Verwandlung der ganzen Welt. Na schon. Aber der genaue Ablauf, wie diese körperliche Auferstehung vor sich gehen soll, ist umstritten. Besonders die Frage, ob wiederum nur die Gerechten gemeint sind, ob die allgemeine Totenauferstehung auf die getauften Christen beschränkt ist oder eben, wie es die Sprache von selbst interpretiert, allgemein erfolgen soll. Aber auch, ob sie unmittelbar nach dem Tod erfolgt oder zumindest in nützlicher Frist, wie bei Jesus, der schon am dritten Tage wieder auferstanden ist, was ich mir gefallen lasse, oder wann sonst? Ja, und nicht zu vergessen, auch die Tiere sollen mit ihrem Körper auferstehen, so wollte es kein geringerer als Martin Luther. Ein, wie ich finde, sympathischer Zug von ihm. Denn Gott habe die Tierkörper genauso wie den Menschen aus Erde geschaffen und sie besaßen eine gleichartige Seele wie er. Dem stimme ich zu, denn das kann man bei Hund und Katz und Affe und allem Getier schon beobachten und erleben. Noch dazu haben viele Tierarten ein sehr ähnliches Chromosomenmuster wie der Mensch. Das wird vielleicht ein Schauspiel werden, ein unbeschreibliches, wie immer ein die menschliche Vorstellungskraft übersteigendes, ja sprengendes Durcheinander. Alle seit ihrer Entstehung lebenden und verstorbenen Menschenkörper und Tierkörper diesmal sämtlich vereint und auf ewig zusammen. Wer sich das vorstellen kann, ist mir, zugegebenermaßen, um etliche Schritte überlegen und voraus. Und bitte nicht sagen, das sei nur sinnbildlich gemeint. Eben nicht!!!
Jesus selbst weist die sadduzäische Leugnung der körperlichen Auferstehung als Irrtum zurück. Thomas lehrt: Der Mensch wird in seiner größten natürlichen Vollkommenheit auferstehen, wohl im Zustand reifen Alters. Zur Integrität des auferstehenden Körpers gehören auch die Organe des vegetativen und des sensitiven Lebens, weil sie selbst körperlich sind. Sehr berührend und tröstend ist der Glaubenssatz des Thomas, dass wir alle zusammen in voller körperlicher Unversehrtheit auferstehen, frei von Missbildungen, Verstümmelungen und Gebrechen. Man denke nur an alle Contergankinder, die Landminenopfer, die Kinder als Bombenopfer zuletzt in Syrien, all die vielen Down-Syndrom-Kinder, die krebskranken Kinder, die Kinder mit Schmetterlingshaut, die misshandelten, gequälten und missbrauchten Kinder. Aber wenn schon die körperliche Unversehrtheit angesprochen wird, was ist mit der seelischen? Wenn auch die Verletzung und Ermordung des menschlichen Körpers unter Strafandrohung gestellt ist, es gibt doch tausende Methoden einen Menschen seelisch so rasch und wirksam fertig zu machen, ja wirklich zu toten, ohne die geringste Spur der Missetat zu hinterlassen und so allseits geachtet und straffrei davonzukommen? Was ist damit? Die Gesetze der Menschheit sind nicht nur in dieser Hinsicht äußerst lückenhaft. Um das zu verbergen, wird auch ihnen der äußere Anschein eines vollkommenen Körpers gegeben. Die Römer, das Mittelalter, auch wir nennen es „Körper“ wie „Corpus Juris Civilis“ oder „Corpus Juris Canonici“. Alles den moralischen Gesetzen des Kirchenrechts Nachgeformte, sogenannte zeitgemäße, moderne Gesetze, obschon sie gerade das nicht sind. Eine Vielzahl völlig anachronistischer Bestimmungen haben Jahrzehnte und Jahrhunderte überlebt. Völlig unvermittelt, unausgereift und an der Realität vorbei, wurden Neuerungen dazu montiert und Unvergleichbares vermengend und vertauschend einfach dazu gepanscht. Einer staunenden Nachwelt wird eine Massenproduktion an Gesetzen hinterlassen, deren Vollziehbarkeit dabei völlig unbeachtet blieb. Wurde man endlich in den Staaten der Erde die Gesetze entrümpeln und menschliche Vernunft einkehren lassen, wurde man die Staatskassen heilen, weil eine der wirksamsten Verwaltungsreformen darin gelegen ist. Also auch in dieser Hinsicht sind wir weit weg von der Idee eines Körpers, welcher den Namen verdient. Das gilt auch für die Körperschaften öffentlichen Rechts. Für die einen Bevölkerung- und Berufsgruppen haben wir Interessenvereine und Körperschaften für ein und dasselbe Problem in Hülle und Fülle. Für die Werktätigen fühlen sich die Gewerkschaften, die Kammern, die Parteien zuständig. Was aber haben die Alten, die Behinderten, die Kranken, die Kinder, die Jugendlichen, all jene, die an der Bildung und an der Gesellschaft gescheitert sind? Was haben sie, frage ich mich? Entgegen der Auffassungen der seinerzeitigen Anhänger des Kirchenvaters Origenes gehören laut Thomas auch das Geschlecht und der körperliche Geschlechtsunterschied zu den körperlich Wiedererstehenden, wenn auch die diesbezüglichen vegetativen Funktionen nicht mehr stattfinden werden.
Nun das verstehe ich schon. Die Körper werden also wie Engel Gottes im Himmel sein, aber eben nicht geschlechtslos. Soll das beruhigend sein oder beglückend? Mir genügt schon die Heuchelei und Prüderie der einen Seite hier auf Erden und der ausgeschamte, militante und als „en vogue“ angepriesene Sexualbetrieb nicht Trieb, der allzu oft gegen die, noch in ihrer seelischen Entwicklung nicht gefestigt sexualdifferenzierten Kinder eingesetzt wird. Ja, diesbezüglich findet man mich unter der Anhängerschaft der Ansicht Jesu Christi, es wäre besser, man wurde solchen Typen einen Mühlstein um den Hals hangen und sie in die Tiefe des Meeres versenken, all diesen unzähligen kaltblutigen und von der Rechtsordnung verschonten Missetätern, Misshandelnden und Missbrauchenden des Körpers und damit der Seele von Kindern, was beides nachweislich zusammen gehört.
Zu welcher Erkenntnis es keiner Medizin, keiner Psychologie und auch keiner Religion bedarf. Der irdischen Gerichtsbarkeit, welcher denn sonst, waren immer schon Vermögensdelikte wichtiger, weil an ihnen das bis ins letzte Glied hinunterdelegierte Herrschaftsinteresse klebt, als solche gegen Körper und Seele der schwächsten Glieder unserer Gesellschaft, nämlich unserer Kinder. Deshalb werden die Täter von Richtern und Psychologen und allen mit Humanismus geschmückten Gutmenschen meist geschont und mit Glaceehandschuhen behandelt. Niemand denkt dabei an die Opfer und wie man mit den Opfern verfuhr. Und es soll mir ja keiner mit der Pädophilie der alten griechischen Philosophen kommen, um alles und jedes ins konservative Eck abdrangen zu können, um weiterhin alles und jedes entschuldigen und damit allfällige Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit von allem und jedem ungestört verhindern und gleichzeitig in Wohlgefallen auflösen zu können. Aber eben durch eine solche extreme Bipolarität und Schizotymitat der gesellschaftlichen Sexualitätsauffassung entstehen auch solche seit Jahrhunderten vorherrschenden, aber in letzter Zeit sich besonders extrem gestaltenden Formen der körperlichen und seelischen Unterdrückung junger Menschen. Aber kehren wir zurück zur heuchelnden Prüderie und zum Gefühl der Abgehobenheit des anderen Teils der Menschen, als fälschliches Gegengewicht zum Vorgenannten. Viele tun so, als seien sie anders hervorgegangen als alle anderen Menschen, gelte für sie die Wirklichkeit, aus einem körperlichen weiblichen Schoß hervorgegangen zu sein, nicht, wie für alle anderen. Zu dieser unseligen Differenzierung und damit mangelnden menschlichen Solidarität, tragen die Jungfraulichkeitsdogmen der Kirche bezüglich der Mutterschaft Mariens viel bei. Denn wenn sich einerseits die katholische Religion und Kirche schon zu der revolutionären Tat bekennt, dass Gott durch ein menschliches Wesen, eine Frau, körperlich Mensch geworden ist, dann sollten sie sich nicht versteigen und daran klammern, dass trotz der Geburt, diese Frau eine intakte Jungfrau geblieben ist. Womit sich die Religion und Kirche wieder um allen revolutionären Gedanken ihrer Lehre bringt. Ob das Hymen, also die Jungfernhaut Mariens, jetzt perforiert wurde oder nicht, kann doch nicht die Frage sein, welche in einem sogenannten „abortiven Prozess“ dem „heiligen Offizium“ der Glaubenskongregation des Vatikans als Nachfolgeinstitution der unheiligen Inquisition, die noch bis vor wenigen Jahren ihre Schreckensherrschaft entfalten konnte und die Gedichte Heinrich Heines und ihre Lektüre bei sonstiger Exkommunikation verbot, erlaubt einer katholischen Theologin vor kurzem das Lehramt zu entziehen, wie man es beim Autor Hans Küng nicht anders machte. Wie niederträchtig und armselig geht hier die Kirche vor, anstatt zu sehen, wie einmalig es ist, dass es das Judentum wie der Islam als Frevel erachten müssen, dass Gott durch den Körper einer Frau geboren und selbst Körper, selbst Mensch wurde. Aber, wie gesagt, hat das ein ganz kontraproduktives gesellschaftliches Rahmenmuster ausgelost, sich anders zu fühlen als die anderen. Als ob nicht jeder Mensch durch den Samenerguss eines erigierten männlichen Penis, der zuvor tief in die Vagina einer Frau eingedrungen war, entstanden ist. Anders findet bei niemandem oder nirgendwo eine Zeugung statt. Aus dieser körperlichen Vereinigung zweier Körper, weshalb der Mensch eben auch handelt wie ein Saugetier, aber dennoch anders ist. Weil er über den Sexualtrieb hinaus durch besondere Hinwendung einen Menschen so annehmen kann, wie er körperlich und seelisch beschaffen ist. Der sich um ein ernsthaftes Verständnis seines Wesens bemühen kann und dazu auch im Stande ist. Der seelische und körperliche Gebrechen durch Verständnis kompensieren, mindern oder zumindest mildern kann. Dessen körperliche Liebe so weit gehen kann, sich bei der Möglichkeit oder dem Wunsch nach Entstehung neuen Lebens der Freude und Wurde bewusst zu sein, zu einem Teil zum Erzieher des Menschengeschlechts geworden zu sein, auch zum Hüter über den Aggressionstrieb als lebensnotwendiges dynamisches Agens, so wie über den Geschlechts- und Selbsterhaltungstrieb als dominante Sicherung des Lebens, in der Weise, dass jeder auf seinem Platz und darüber hinaus dafür sorgt und Verantwortung tragt, dass, aus welcher Rücksichtnahme auch immer. Menschen, die körperliche und seelische Zerstörung anderer nicht zulassen dürfen, weder bei sich noch bei anderen. Dass man mit Entschiedenheit für Menschenwurde eintritt und nicht für die Arterhaltung der Systeme. Die körperliche geschlechtsbezogene Mitwirkung, die einzig tatsachlich mit der gesamten Menschheit verbundene, ja verankerte Kunst, wenn auch der dabei meist selbstbezogenen Befriedigung, wenn sie auch wechselseitig vollzogen scheint, bleibt oft die einzige Gemeinsamkeit, die einzige Andeutung von echter Zweisamkeit. Weil es keiner Verlängerung der Triebentladung und der körperlichen Neugier bedarf, um Spaß im Leben zu haben. Freude zu geben, hieße ja, sie zu haben. Sich auf jene Muhe und Gemeinschaft einzulassen, die anhaltende Freude ermöglicht. Weil sie dann nie etwas Einsames ist. Weil sie dann immer für das Lebendige und nicht für das Institutionelle, Kommerzielle, Materielle eintritt, das sonst relativ bedeutungslos in der Welt existiert und womit man alle Hoffnungen auf ein bisschen Zukunft und ein bisschen weiterführende körperliche Lust und Freude eben niemals stillen kann. Niemals dürfen wir diese Körperverachtung vergessen, mit welcher menschliche Abwegigkeit das Menschengeschlecht stigmatisiert hat. Wie sie ihren eigenen Lebenswillen mordend unter Beweis stellten. Merken sie, liebe Leser, wie Worte glühen können, wenn die Materie einschneidend wird? Beim Verdrängen so bemüht wie beim körperlichen und seelischen Foltern. Manche, die noch irgendwelche Skrupel aufbringen konnten, gingen ins Kino, um die täglichen Erlebnisse zu übertünchen, die Bilder all der von ihnen verübten körperlichen Gräueltaten. Jede ihrer niederträchtigen Taten erforderte ein neues Handwerk. Details von Schmerzreaktionen berechnet auf körperliche Leidzufügung und seelisches ertragen können, nicht ohne dabei den größtmöglichen Lustgewinn der Peiniger miteinkalkuliert zu haben. Irreparable Leiden, zu dauerndem Leid verlängert, Tat für Tat, Tag für Tag. Kinder spielzeugklein, ihr Wuchs brauchte nicht mehr gedeihen. Ihre körperliche Lebensuhr sollte stehenbleiben für die Ewigkeit. Die Seele hatte ihr Schluchzen verloren. Mit Zurufen, Pfeifen und Grölen holten sie sich ihre Opfer, schatzten ihre Körper ab. Auf die Erzwingung von körperlichem Ausgeliefertsein und seelischer Unfreiheit verstanden sie sich ja meisterlich. Immer wieder solch eingeschüchterter Auswahl solch unzerstörbar Verstörtem zu begegnen, stachelte sie noch mehr an. Dieser auch in Gaskammern nicht zerstörbaren, bis auf die Knochen abgemagerten, ausgemergelten, jugendlichen Zartheit zu begegnen, im Gegensatz zur beworbenen Geilheit langer nylonuberzogener Beine, von unten fotografiert in das angedeutete Dunkel schwungvoller Rocke, zwar diffus aber dennoch körperliche Erregung verheißend, jetzt aber nur diese durch Angst und unerträgliches Leid aufgesperrten greisenhaften Augen. Dem allen aber, trotz bestialisch erworbener Befriedigung, nicht und niemals Herr werden zu können. Weil hier offensichtlich etwas war, was über sie hinausführte, hinausging, wenn auch ihre Körper restlos zerstört wurden. Auch vor oder nach der Verwertung ihrer Zahnfüllungen aus Gold, ihrer Brillen und der mit dem Körper verbundenen Habseligkeiten, der Verarbeitung ihrer Körperhaut zu Lampenschirmen, ihrer Knochen zu Seife, als ihre Körper oder was noch davon übrig war schließlich die Heizofen hinabglitten, die zur industriell betriebenen Körpervernichtung installiert worden waren. Bis süßlicher Geruch bis in die Wohngebiete vordrang und alle davon wussten und niemand dagegen etwas einzuwenden hatte.
Über bleiben Relikte verzweifelter Hoffnung, ausgeschüttet über den Berg selektiven Auseinanderklaubens. Niemand behauptete mehr, er meine es gut. Niemand musste für sich einen Decknamen erfinden. Ruhig hatten sie so ins Gas zu gehen. Blindlings und barhäuptig sich der Erstickung anzuvertrauen. Niemand Verlässlicher, ob Mensch oder Gott, wurde ihren Körper oder ihre Seele aus diesem bösen Traum reisen, denn es war und blieb alles bittere Wirklichkeit. Die Verlängerung allen Kinderspiels war niemals Ernst, sondern immer nur die Wirklichkeit. Da und dort ein Gesicht, aus welchem erloschene Augen starrten, aufgetürmt in Bergen übereinandergeschichteter Körper, in denen hie und da, einer wie mit dem anderen Körper verbunden, ineinander verkeilt war, als hatte einer den Arm des anderen ergriffen. Oder als ob sich Gesichter einander zukehren wurden, als verharrten sie darin, nicht zu erraten, wozu die großräumigen Duschen wirklich dienten, oder es doch verzweifelt aufbaumend doch zu erahnen. Mit aufgesperrten Augen, ein letztes Mal, millionenfach die unliebsame Menschheit, ausgemergelt aber bis zuletzt noch aufrecht stehend körperlich zu vertreten, bis letzten Endes Bulldozer, die rollenden Körperberge vor sich herschoben, aus allen Richtungen auftürmten. Von Haut zerspannt, von Knochen ausgespreizt, nässend über den Gegenstoß hinaus.
Wie die wenig überlebenden Kinder die Armel ihrer gestreiften Lagerhemdchen aufkrempelten und unendlich traurig und erbost fragend ihre tätowierte Insassennummer auf dem Unterarm ihres bis auf die Knochen abgemagerten Kindermörders vorstreckten. Gleichgültigkeit über allem auch über der Asche der Opfer. Es ist auch hier und jetzt dunkel geworden. Die Katze liegt nicht mehr auf der Balkonbank. Die Bank ist leer. Aus dem Fernseher kommen Bilder und atomare Drohungen des nordkoreanischen Baby-Face-Diktators. Tausende uniformiert bewaffnete Körper im Stechschritt werden gezeigt. Die Welt ist unbelehrbar. Die Zeit und ihre Menschen sind unbelehrbar. Hauptsache es gibt die Ganzkörperphysik, die Kernphysik, was für ein Fortschritt.
Die Frauen rufen, mein Körper gehört mir. Wem gehört dann meiner? Das Wort teilt sich, erwirbt andere Bedeutungen und schmilzt zu neuen Worten zusammen. Die Katze fehlt mir, ich wollte ihr über das Fell streichen, warum habe ich geschrieben und es nicht rechtzeitig getan?
Wolfgang Mayer-König
Geb.1946 in Wien. Lebt als Universitätsprofessor und Schriftsteller in Niederosterreich und in Graz. Gründer des Universitätsliteraturforums „Literarische Situation“. Herausgeber der Literaturzeitschrift „LOG“. Autor von 36 Büchern. Verfasser des Zivildienst-Bundesgesetzentwurfs. Koordinator der intern. Wiederaufbauhilfe für Vietnam sowie der Verhandlungen zur Freilassung der Geisel nach dem OPEC-Terrorüberfall. War ständiger Delegierter bei den Vereinten Nationen. Internationaler Friedenspreis, Theodor-Körner-Literaturpreis, Kulturmedaille des Landes Oberösterreich, Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse, 2012. Ehrenobmann der Literarischen Gesellschaft St. Pölten.
Erschienen im etcetera Nr 52/ Körper/ Mai 2013 mehr...