J. J. Preyer: Gestalten, nicht behaupten! Thomas Fröhlich

J. J. Preyer
Gestalten, nicht behaupten!

 

Der 1948 in Steyr geborene und dort lebende Josef J. Preyer gehört nicht zu jenen Autoren, die vermeinen, permanent zu allem und jedem ihren Senf abgeben zu müssen, wie es – leider – recht viele in diesem Land tun (meistens dann, wenn ihnen schriftstellerisch nichts einfällt). Stattdessen macht er am liebsten das, was er hervorragend kann: nämlich schreiben. Ob Krimis, Thriller oder „Gartenromane“, ob bei Literatureditionen oder im Rahmen von Romanheftserien wie etwa Jerry Cotton – der ehemalige Deutsch- und Englischprofessor Preyer hat absolut keine Berührungsängste zwischen so genannter Hochkultur einerseits und Genreliteratur andererseits. Was ihn zwar für die beamtete hiesige Literaturkritik relativ uninteressant erscheinen lässt, seine immer zahlreicher werdenden Leser jedoch umso mehr freut. Seit beinahe zwanzig Jahren schreibt er auch Sherlock Holmes-Storys, die u.a. im deutschen Blitz-Verlag erschienen sind – wie etwa sein letzter Roman Die Moriarty-Lüge" (Rezension im Heft). Dem etcetera überließ er exklusiv die Holmes-Kurzgeschichte Bella Donna" und gewährte Thomas Fröhlich folgendes Interview.

Lieber Herr Preyer, was war die Initialzündung für Ihre Beschäftigung mit Sherlock Holmes?

Wie wir seit Freud wissen, liegen die Wurzeln unserer Stämme, Äste, Blätter und vielleicht auch Dornen in der Kindheit. In meiner Kindheit gab es einen aufgelassenen Luftschutzraum im Keller unseres Hauses, in dem die Nachbarn Überflüssiges entsorgten. Dazu gehörten zu meinem Glück auch Bücher, darunter Conan Doyles Sherlock Holmes-Romane. Ich las diese Krimis zuerst, in einer großen Pappschachtel versteckt, im Schein einer Taschenlampe, dann wurde ich mutiger und trug das fremde Eigentum auch in unsere Wohnung. Als mein Vater das herausfand, erwartete ich eine Moralpredigt. Stattdessen erinnerte er sich an seine eigene Jugend, an Heftromane, in denen andere Autoren den Meisterdetektiv bunte Abenteuer erleben ließen. Er begann die Bücher aus dem Keller selbst zu lesen und erzählte mir einige Geschichten, an die er sich noch erinnern konnte. Im Kino sahen wir am Beginn der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts den Hund von Baskerville mit Christopher Lee und Peter Cushing, einen Film aus den legendären Hammer-Studios. Zu Weihnachten erhielt ich neue Holmes-Romane aus dem Blüchert-Verlag.

Wenn Männer älter werden, werden sie wieder kindisch, heißt es. Das war bei mir im Jahr 1996 der Fall. In Erinnerung an das Leseabenteuer der Jugend schrieb ich meinen ersten eigenen Sherlock-Holmes-Roman.

Wie stellen Sie sich Holmes vor? In einem Interview sagten Sie einmal, dass Sie Rupert Everett als bis dato beste Filmbesetzung empfanden? Finde ich auch, aber wie ist Ihre Begründung?

Ich stelle mir Holmes als meinen Latein- und Englischprofessor im Gymnasium vor. Ein hochbegabter, kaputter Mann. Arrogant und doch verletzlich, über den Dingen stehend, weil er genügend Tabletten und Whisky konsumierte. Den Lehrstoff hatte er im kleinen Finger der linken Hand, sodass er seine Stunden halb bewusstlos abspulte und wir dennoch nicht aufzumucken wagten. Wir Schüler waren sein Watson. Ohne uns wäre er erledigt gewesen. Der Kampf gegen unsere Unwissenheit war sein Kampf gegen das Böse in der Welt. Unser Unwissen war sein Moriarty.

Bei Rupert Everett kommt zu dieser feinsinnigen Arroganz noch die sexuelle Ambivalenz dazu, sodass eine vor Spannung zwischen entgegen gesetzten Polen schillernde und flirrende Persönlichkeit entsteht, die natürlich Watson an ihrer Seite benötigt, um nicht Form und Substanz zu verlieren.

Wie erklären Sie die Faszination der Gestalt Sherlock Holmes heute - immerhin nach 125 Jahren?

Holmes und Watson verkörpern die Kämpfer gegen das Böse, die in der Literatur oft paarweise auftreten: Don Quichotte und Sancho Pansa, Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar, Stan Laurel und Oliver Hardy, Jerry Cotton und Phil Decker …

Sie verwenden in Ihren Holmes-Stories oftmals Anspielungen auf andere literarische Werke der damaligen Zeit (bei der Moriarty-Lüge etwa die Schriften von Oscar Wilde). Was ist so faszinierend an der viktorianischen Literatur?

Mich fasziniert an der viktorianischen Literatur die Existenz aller Leidenschaften, die nun in vielen Werken des 21. Jahrhunderts detailliert vor den Lesern ausgebreitet werden. Das Reizvolle an der viktorianischen Literatur sind also das Vorhandensein dieser Leidenschaften und der vorsichtige sprachliche Umgang damit. Der Mensch wird nicht nackt gezeigt, sondern erotisch ver- und enthüllt.

Sie sind ja ein Vielschreiber (was überhaupt nicht negativ gemeint ist – ganz und gar nicht). Was ist Ihr Antrieb beim Schreiben?

Diese Frage führt an den Anfang unseres Gesprächs zurück, zu Freud. Er würde mich, wäre ich sein Patient oder Klient, mit wasserhellen Augen prüfend betrachten und dann feststellen: Der Mann schreibt aus Angst. Aus Angst vor dem Tod und der Einsamkeit, die damit einhergeht. Ich würde protestieren und einwenden, ich schriebe aus Lust, aus Lebenslust, um meine Fantasien ausleben zu können. Freud würde feststellen: „Also aus Angst, von den Phantasien in den Wahnsinn getrieben zu werden.“ Mir würden die Worte fehlen, mich dagegen zu verteidigen.

Sie schreiben in unterschiedlichen Bereichen, von der so genannten Hochkultur bis hin zu Jerry Cotton. Was die Gralshüter der „reinen Lehre“ wahrscheinlich eigenartig finden. Was ist für Sie – ganz persönlich – Literatur? Und welche Aufgabe hat sie bzw. soll sie Ihrer Meinung nach haben?

Ein literarischer Text soll eine Einheit von Inhalt und Sprache bilden. Er soll Leben und Szenen gestalten, nichts behaupten. Die Sprache soll den Charakter des Erzählers (damit ist nicht in erster Linie der Autor gemeint) reflektieren. Wenn der Verfasser zusätzlich etwas Wesentliches mitzuteilen hat, wird Literatur aus dem Text. Ich begnüge mich manches Mal mit Unterhaltung, manches Mal möchte ich mehr ausdrücken, Fragen, das menschliche Dasein, den Tod betreffend, aufwerfen, Antworten suchen, diese aber wie Shakespeare in groteske Geschichten kleiden, auch den Clown, und besonders diesen, Weisheiten erleben, erkennen und aussprechen lassen.

Was lesen Sie selbst am liebsten?

In meinem Beruf als Deutsch- und Englischlehrer an Gymnasien musste ich im Studium und danach viele Bücher lesen, die ich freiwillig nie zur Hand genommen hätte. Übrig blieb mein Interesse an Shakespeare und Goethe. Ansonsten lese ich Kriminalromane, hauptsächlich von englischsprachigen Autoren.

Gibt es etwas, was Sie uns noch auf den Weg mitgeben wollen?

Mir ist unlängst ein Zitat von Shakespeare in der Übersetzung von Friedrich Schiller untergekommen, das ich als Motto meiner Schreibarbeit recht passend finde:

Was ist Leben?
Ein Märchen ist es, das ein Tor erzählt,
Voll Wortschwall, und bedeutet nichts.

Ich danke für dieses Gespräch!

J. J. Preyer
Geb. 1948 in Steyr, OÖ. Ab dem 14. Lebensjahr literarische Veröffentlichungen. Studium Deutsch und Englisch in Wien. Lehrtätigkeit in der Jugend- und Erwachsenenbildung. 1982 Initiator des Marlen-Haushofer-Gedenkabends, der nicht zuletzt durch die Teilnahme von Hans Weigel den Anstoß zur Wiederentdeckung der Autorin gab. Mitarbeit an der Kinderzeitschrift KLEX von Peter Michael Lingens. 1996 gründete er den Oerindur Verlag, Verlag für lesbare Literatur und Krimis. Letzte Veröffentlichung: Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge, Blitz-Verlag, 2012.

Zur LitGes Rezension Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge: Josef J. Preyer

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J. J. Preyer: Gestalten, nicht behaupten! Thomas Fröhlich

Franzobel & Michael Stavarič: Interview im Frühstücks(t)raum. Gisela Linschinger

Franzobel & Michael Stavarič
Interview im Frühstücks(t)raum

 
Foto © Annabelle Lafeuil  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Interview wurde am 20. Oktober 2011 von Gisella Linschinger im Frühstücksraum des Hotels Le Plat d‘Étain in Poitiers geleitet, der letzten Station der Literaturtournee zum Thema „Schreiben in Österreich heute“, die Franzobel und Michael Stavarič durch Frankreich führte.

An Michael Stavarič wurde im vergangenen Januar der Adelbert-von-Chamisso-Preis 2012 für sein bisheriges Gesamtwerk und vor allem seinen jüngsten Roman „Brenntage“ vergeben, mit dem er die deutschsprachige Gegenwartsprosa auf sprachlich originelle Weise bereichert und die existenziellen Unsicherheiten und fundamentale Ängste des modernen Individuums literarisch gestaltet.
Der neue Roman „Was die Männer so treiben, wenn die Frauen im Badezimmer sind“ von Franzobel ist im ZOLNAY Verlag erschienen.

Franzobel, was reimt sich denn auf Traum?

FZ: Auf Traum reimt sich sehr viel: Baum, Zaum, Gaumen, Flaum, Raum, Schaum, kaum, Daumenschraube ... unglaublich viel. Ein Traum.

Nennst du diese Wörter jetzt nur, weil sie sich reimen, oder sind das auch Assoziationen? Kommt in deinen Träumen vielleicht oft ein Baum vor?

FZ: Nein, ich träume überhaupt nichts. Oder nur ganz selten. Ich bin ein Traumlos-Schläfer.

MS: Das kann ich von mir nicht behaupten. Als ich zwölf oder dreizehn war, habe ich eine Weile Träume aufgeschrieben. Komischerweise sind das jene Träume, an die ich mich noch immer am besten erinnern kann, nach so langer Zeit. Und damals, als ich dieses Traumtagebuch geführt habe, kam mir vor, dass man tatsächlich wiederkehrende Motive findet. Zum Beispiel, man verliert etwas und sucht es dann im Traum - ganz banale Dinge, die altbekannt sind - oder man steckt irgendwo fest und kommt nicht heraus. Ich kann mich erinnern, in dieser Phase hatte ich viele Träume, in denen ich auf dem Wasser mit einem Floß trieb und der Wasserfall kam immer näher. Und irgendwie hat man dann doch Angst zu sterben, was ich eigentlich lächerlich finde. Ich träume jetzt weniger und kann mich weniger daran erinnern, aber wenn ich träume und es geht um existentielle Dinge, dann ärgere ich mich wirklich im Aufwachen: „Was bist du für ein feiges Schwein, das war doch eh nur ein Traum, du hättest jetzt das und das machen müssen!“ Aber man scheint im Traum ungefähr dieselben Reaktionen an den Tag zu legen wie in der Realität. (lacht)

Franzobel, auch wenn du nicht träumst, verwendest du Traumsequenzen in deinen Werken?

FZ: Ja ja, meine Frau träumt sehr viel. Sie träumt fast jede Nacht irgendetwas und erzählt mir dann davon.

MS: Du stiehlst die Träume der anderen!

FZ: Genau, ich bin ein Traumdieb. Täglich in der Früh bekomme ich einen Traum serviert. Und das ist inspirierend. Mir gefällt die Traumwelt sehr, weil sie eine eigenständige, mit unsrem herkömmlichen Denken nicht zu vergleichende Logik besitzt. Träume sind ursprünglich, vielleicht wie Kinderzeichnungen. Das ist nicht verbildet. Ich bin ein bekennender Siesta-Schläfer und da habe ich im Halbschlaf häufig Phantasiewelten, die mich schriftstellerisch weiterbringen. Oft schreiben sich Texte im Halbschlaf weiter, manchmal träume ich Lösungen.

Wenn du Träume in deinen Romanen, Essays oder Dramen verwendest, welche Funktion nehmen sie ein?

FZ: Vor allem will ich zeigen, dass es mehr als nur die eine rationale Wirklichkeit gibt. Es gibt ganz viele Wirklichkeiten, Parallelwelten, die mich faszinieren. Es geht mir vielleicht auch um die Welt der Geister, ums Schamanische, darum, dass nicht immer alles erklärbar ist. In meinem neuen Roman etwa „Was die Männer so treiben, wenn die Frauen im Badezimmer sind“, ein Schelmenroman, beginnt Hildy, der Hauptdarsteller, plötzlich die Vögel zu verstehen. Das ist der Einbruch einer ziemlich durchgeknallten Sache, die sein Leben völlig auf den Kopf stellt. Eine große Fläche des Romans ist also quasi Traumlandschaft, die sich zwar mit einem Missbrauch erklären lässt, den Hildy als Kind erlitten hat, aber es ist natürlich mehr. Schriftstellerisch ist es vielleicht der Versuch, die poetische Kraft von Geisteskranken, die mich immer sehr fasziniert haben, zu nutzen.

MS: Mittlerweile gibt es in der Physik verschiedene Ansätze, die die Art von Eindimensionalität, die wir leben, in Frage stellen und Parallelwelten mathematisch zulassen. Ich glaube, das Universum ist um viele Dimensionen reicher, die wir nicht wahrnehmen, und das ist vielleicht so etwas wie ein Traum. Ich denke bei Phantasiewelten immer an „Alice im Wunderland“, was darin verpackt ist und welche Symbolik darin zu deuten ist. Im Grunde sind Traumwelten, die man kreiert, Metaphern. Sowohl Träumen an sich als auch die analytische Beschäftigung mit Träumen ist durchaus eine literarische Kategorie im Sinne von Symbolfindung, Metaphernbildung, Aussagen verrätseln, Assoziationen finden, die sich fortspinnen, die keinen Sinn ergeben, aber einen kreativen Prozess in Gang setzen.

Hast du diese Inspirationsquelle in einem der Bücher verwendet?

MS: Wenn man ein Buch entwirft, ist am Anfang nichts da, es gibt einen gedachten leeren Raum und den füllst du dann mit Kulissen, die du vielleicht noch einmal verschiebst, Protagonisten, die vielleicht wieder gestrichen werden. Es ist eine Versuchsanordnung wie in einem Traum und man spielt im Kopf die Dinge durch, wo sie hinführen können, und so entwickelt sich die Geschichte.

Träumen eure Protagonisten?

MS: In „Brenntage“ ist vielleicht alles nur ein Traum, weil der Roman in einer so verlorenen, märchenhaften Parallelwelt spielt, von der man gar nicht weiß, in welchem Nebel sie liegt und die auch nicht an eine moderne, urbane Gesellschaft angebunden ist. So kann man aber jedes Buch betrachten.

FZ: In meinem neuen Roman hat Hildy zwei, drei Träume, die auf andere Art und Weise etwas erzählen, was die Geschichte weiterbringt. Gleichzeitig wird darin das Erzählte aus seiner Perspektive und gefiltert durch die Traumwahrnehmung rekapituliert. Das, was Michael gesagt hat, trifft auch auf viele meiner Bücher zu. Es gibt ja diese philosophische Theorie, dass wir nur Hirne in einem Aquarium sind und die Welt bloß träumen. Solipsismus heißt das, wenn ich mich recht entsinne. Es ist unbeweisbar, dass wir uns nicht träumen, dass wir nicht geträumt werden. Ein schöner Gedanke. Wir können aber gegenträumen. In einem meiner Bücher, ich glaube in der Liebesgeschichte, kommt die Idee vor, dass sich zwei Träumende im Traum treffen. Ich glaube, es gibt dazu auch schon ein paar Thriller. Generell finde ich Träume schön, weil sie oft sehr poetisch sind, ständig etwas Unerwartetes passiert. Ein Traum, den mir die Pressedame meines Verlages erzählt hat, geht so: Sie kommt an einer Rezeption an und dort werden Träume verteilt, so wie Zimmer in einem Hotel. Und sie bekommt immer die schlechtesten Träume, weil sie zu spät kommt. Es gibt so etwas wie eine Bürokratie der Traumverteilung und das machen witzigerweise Zwerge, Traumzwerge. Der Traum ist eine märchenhafte Welt, unbeeinflussbar, brutal, und doch folgt sie einer Logik, die vielleicht jener ähnelt, die wir als Schriftsteller anwenden. Ich glaube, man kann von Träumen lernen, was diese sprunghafte, alogische, jedoch in sich geschlossene Logik angeht.

Es gibt da ein Lied im Musical The Rocky Horror Picture Show, das heißt “Don’t dream it, be it!” Hat dieses Motto in eurem Leben eine Bedeutung?

FZ: Ja, insofern, als ich mir meinen ureigensten Traum, nämlich als Künstler zu leben, erfüllt habe, weil mir mit sechzehn, siebzehn Jahren bei Betriebsbesichtigungen klar geworden ist, dass ich Künstler werden muss, in jedem anderen Beruf zugrunde gehe. Aber natürlich gibt es im Leben auch Hemmnisse und Feigheiten, die einen hindern und zögerlich werden lassen. Es gibt Eitelkeit und Neid und andere unschöne Dinge. Man muss sich jeden Tag aufs Neue am Krawattl packen, um sich aus dem Sumpf zu ziehen. Bequemer wäre es, auf ein Paradies samt Gerechtigkeit des jüngsten Tags zu hoffen. Aber an so etwas glaube ich nicht. Also bleibt mir nur das Jetzt, der Witz, die Poesie, die Lust.

MS: Ich musste da jetzt komischerweise an ganz etwas anderes denken: Ich habe mir als Jugendlicher sehr gern Horrorfilme angesehen und da gab es eine Reihe, die nur auf Träumen basiert, nämlich „Nightmare on Elmstreet“ mit dem Monster Freddy Kruger. Solange du nicht einschläfst, bist du vor ihm sicher, wenn du aber einschläfst, manifestiert er sich sofort. Ich weiß nicht mehr, ob er dich in seine Träume holt oder umgekehrt, aber die Geschichte beginnt immer gleich: Du merkst den Zeitpunkt nicht, in dem du aus der vermeintlichen Welt in den Traum gewechselt bist, weil sich nichts verändert hat, du bist inzwischen eingeschlafen, aber wir sitzen noch immer hier und wir führen immer noch dieses Interview, aber eigentlich sind die Monster schon da. Und daran musste ich eigentlich nun denken, an die Antithese: „Don‘t dream it.“ Vielleicht sollte man auch manche Dinge nicht träumen, weil sie dann realer werden. Das ist so eine Frage. Keine Ahnung.

Franzobel
Geb. 1967 in Vöcklabruck, eigentlich Franz Stefan Griebl; Studium der Germanistik und Geschichte an der Universität Wien; seit 1989 freier Schriftsteller; ist auch als Maler tätig; stark beeinflusst von den Dadaisten, der Wiener Gruppe und Heimito von Doderer; schreibt auch Kinderbücher; zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Der neue Roman „Was die Männer so treiben, wenn die Frauen im Badezimmer sind“ von Franzobel ist im ZOLNAY Verlag erschienen.

Michael Stavarič
Geb. 1972 in Brünn; kam als Siebenjähriger nach Österreich; Gymnasium und HAK in Laa an der Thaya; Studium der Publizistik an der Universität Wien; nach dem Studium tätig beim Internationalen P.E.N.-Klub, beim tschechischen Botschafter in Wien und an der Sportuniversität; Rezensent für „Die Presse“ und für das Stadtmagazin „Falter“; er schreibt Gedichte, Romane, Essays, Erzählungen und Kinderbücher; zahlreiche Preise und Auszeichnungen. An Michael Stavarič wurde im vergangenen Januar der Adelbert-von-Chamisso-Preis 2012 für sein bisheriges Gesamtwerk und vor allem seinen jüngsten Roman “Brenntage” vergeben, mit dem er die deutschsprachige Gegenwartsprosa auf sprachlich originelle Weise bereichert und die existenziellen Unsicherheiten und fundamentale Ängste des modernen Individuums literarisch gestaltet.

Gisela Linschinger aus Traunkirchen, studierte an der FH St. Pölten Fotografie und arbeitet seit zwei Jahren als Deutschlektorin an der Université de Poitiers und macht sonst, was sie will.

Dieses Interview wurde vom österreichischen Kulturforum Paris finanziell unterstützt.

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Franzobel & Michael Stavarič: Interview im Frühstücks(t)raum. Gisela Linschinger

Alexander Hauer: Ein Traum manifestiert sich nur in einem selbst. Ernst Punz

Alexander Hauer
Ein Traum manifestiert sich nur in einem selbst

 
Foto © Helmut Lackinger  

Ernst Punz, Wohnheimbetreuer, Autor und Journalist in St. Pölten, lernte anlässlich der Kulturpreisverleihung des Landes NÖ Alexander Hauer, den Begründer, Geschäftsführer und künstlerischen Leiter der Wachau Kultur Melk kennen, der auch die Internationalen Barocktage Stift Melk alljährlich leitet, und führte im Jänner 2012 folgendes Interview.

Gibt es einen Traum, der Ihr Leben bestimmt hat?

Ich musste immer wieder meine Neffen und Nichten sitten und habe sie einfach mit Theater spielen beschäftigt. Das hat sich dann im Schlaf fortgesetzt und ich habe wirklich davon geträumt, dass ich einmal beim Theater arbeiten werde. Das fand ich damals als Kind sehr witzig und ich kann mich heute noch an Bilder aus diesem Traum erinnern.

Hat Ihr Beruf mit Träumen zu tun?

Die Tätigkeit am Theater zu arbeiten und Visionen umzusetzen, ist durchaus verwandt mit dem träumen. Wir artikulieren vieles, das im Unbewussten bei uns Menschen mitschwebt oder sich eine neue Bahn bricht. Wir im Theater versuchen, neue Wirklichkeiten auf die Bühne zu stellen. Es kommt da vieles heraus, was sich beim einen in Traumgesichtern widerspiegelt und bei uns in Rollenbildern.

Haben Sie einen unerfüllten Wunschtraum?

Ich träume nicht davon, dass ich einen Lottosechser mache, in einer schönen Villa wohne oder auf einer einsamen Insel, sondern ich gehe manchmal auf Fantasiereisen, auf denen sich mein Wunschdenken manifestiert. Es tauchen schon Sehnsüchte auf, aber ich würde das nicht als Traum bezeichnen. „Ich träume den unmöglichen Traum“, wie es beim Mann von La Mancha heißt, finde ich, ist eine der dümmsten Zeilen, die es gibt. Träume schaffen eine andere Wirklichkeit, sind also möglich. Wenn man sich Vorhaben setzt, können die erreichbar sein oder nicht, sie sind aber immer eine Motivation. Von Träumen möchte ich mich eher überraschen lassen. Was die Arbeit betrifft und den Alltag, wünsche ich mir, dass der Respekt zu seinem Recht kommt. Ich glaube aber, dass das umsetzbar und dadurch gar kein Traum ist.

Ich wünsche mir zum Beispiel immer mit tollen Leuten zu arbeiten und wir haben bei den Melker Sommerspielen einfach tolle Leute. Diese Sehnsüchte konnte ich mir schon erfüllen und ich hoffe, dass dieses Miteinander bestehen bleibt, weil das eine große Kraftquelle ist. Und das ist traumhaft.

Werden Sie von Albträumen verfolgt?

Ich habe heute seit langem wieder davon geträumt, dass ich in Mathematik maturieren muss. Katastrophal. Das ist wirklich ein Thema, das mich immer wieder verfolgt hat. Früher träumte ich auch von Griechisch. Ansonsten bin ich vor Schweißausbrüche verschont geblieben. Albträume sind ohnehin jene Form, wo man Angst hat zu scheitern. Und scheitern wird man dort, wo man inkompetent ist. Mein dazu Satz ist immer Kompetenz ist die Kenntnis von Telefonnummern. Ich habe ein mit Nummern gut ausgestattetes Handy. Mit dem können Fragen, die ich selbst nicht beantworten kann, gelöst werden, weil ich ein großartiges Team um mich habe. Insofern gibt es da auch keinen Albtraum.

Was bedeutet für Sie der Traum in Literatur und Theater?

Mit Traumliteratur habe ich mich nicht gesondert befasst, mich interessiert die Fantasie generell. Mich faszinieren die irrealen Romane, gerade habe ich wieder Kafkas Verwandlung gelesen. Das würde ich nicht gerade als Traumnovelle bezeichnen, aber die Grenzen zwischen der Wirklichkeit und dem, was man als Absurdes oder Fantastisches bezeichnet, finde ich grundsätzlich sehr spannend. Mich interessieren die Mythen, wo ja auch viele Traumbilder, Traumdeuter und Traumgesichter vorkommen, die biblischen Geschichten. Zum Beispiel die Wahnvorstellung des Moses, wenn er den brennenden Dornbusch sieht. Heute würde man ihn wahrscheinlich wegsperren, gleichzeitig gilt er als Prophet. Die Wahrnehmung von Menschen, die ein drittes Auge haben. Was ist Genialität, was ist Prophezeiung und was ist krank? Da interessiert mich, wie Menschen damit umgehen. Ich glaube, dass ein Traum ganz intim ist und auf der Bühne gar nicht verhandelt werden kann. Ein Traum manifestiert sich nur in einem selber innerhalb von Millisekunden. Da ist man genau mit diesen Gestalten im Team, die man um sich hat im Traum.

Traum als Stilmittel in Literatur und Theater?

Das hat mich nie als Traum interessiert, weil ich das immer als Bild fand. Ähnlich wie Artus die Tafelrunde baut, weil es ein Bild ist. Ich glaube das Träume total wirklich sind, was zum Beispiel bei Lumpazivagabundus von Johann Nestroy der Fall ist. Man könnte sagen, ab dem Zeitpunkt, wo die drei die Glückszahl träumen, tauchen sie nicht mehr in der Realität auf, sondern sind genau auf dem Drogentrip, auf dem sie sein wollen. Jemanden anderen schickt man halt auf Entzug, aber hier stellt man es noch auf die Bühne und lässt das in dieser Traumwelt durcherleben. Wobei es bei Nestroy noch zusätzlich so ist, dass man damit die Zensur umgehen konnte. Alles was man in der Nichtwirklichkeit angesetzt hat, war fantastisch. Beim Publikum ist es aber angekommen. Die Literatur hat sich immer mit gutem Recht in den Traum als Stilmittel geflüchtet, weil man sagen kann, das ist jetzt noch nicht, aber das kann auf uns zukommen. Die Propheten und die Kassandra hat man dafür umgebracht.

Wie stehen Sie zur professionellen Traumdeutung?

Ich kann damit etwas anfangen, weil es analytisch ist. Die Träume führen einen auf sich selber zurück, was man alleine vielleicht gar nicht so kann. Wenn mich jemand nach meinem Traum fragt, nimmt er mich als Person ernst und fragt, was das sein könnte, wofür dieses Bild des Traumes steht. Auch da ist es so, dass es ein ganz intimes Verhältnis sein muss. Er soll mich zu mir selber führen, eine neue Facette von mir zeigen oder eine Tür zu mir aufmachen, die ich selber vielleicht nicht so kenne. Ich halte wenig von den Traumdeutern, Kartenlesern, Sternkonstellationserfindern, die mir sagen, indem ich bei der Fernsehhotline anrufe, wie etwas auf mein Leben eingreift. Die wirklich guten Traumdeuter, deuten ja nicht, sondern lassen dich selber deuten.

Wie deutest Du: Katharina träumt von Alexander?

Ja, Ich habe Katharina Stemberger angerufen und wir sind auf einen Kaffee gegangen. Sie hat mir erzählt, sie habe zweimal davon geträumt, dass sie mit mir über Die Päpstin* verhandelt habe. Ich habe ihr geantwortet, das kann tatsächlich in einer halben Woche der Fall sein, denn wir entscheiden jetzt, ob es eine jüngere oder eine ältere Besetzung geben wird und ob sie die Hauptdarstellerin werden soll. Zu der Zeit, wo sie davon geträumt hat, habe ich intensiv darüber nachgedacht, wobei sie sich in Wien befunden hat und ich mich in Rom. Sie wusste zuvor nichts davon und ist es geworden. Übrigens kommt in Die Päpstin auch eine Traumdeuterin, eine Wahrsagerin vor.

*Die Päpstin wird heuer bei den Melker Sommerspielen in einer Fassung von Susanne F. Wolf am 21. Juni 2012 uraufgeführt.

Alexander Hauer
Studium der Theaterwissenschaft und Germanistik in Wien. Seit 2001 Intendant der Sommerspiele Melk. Über fünfzig Inszenierungen für Schauspiel, Oper, Operette und Musical im In- und Ausland.

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Alexander Hauer: Ein Traum manifestiert sich nur in einem selbst. Ernst Punz