Franzobel & Michael Stavarič
Interview im Frühstücks(t)raum
Das Interview wurde am 20. Oktober 2011 von Gisella Linschinger im Frühstücksraum des Hotels Le Plat d‘Étain in Poitiers geleitet, der letzten Station der Literaturtournee zum Thema „Schreiben in Österreich heute“, die Franzobel und Michael Stavarič durch Frankreich führte.
An Michael Stavarič wurde im vergangenen Januar der Adelbert-von-Chamisso-Preis 2012 für sein bisheriges Gesamtwerk und vor allem seinen jüngsten Roman „Brenntage“ vergeben, mit dem er die deutschsprachige Gegenwartsprosa auf sprachlich originelle Weise bereichert und die existenziellen Unsicherheiten und fundamentale Ängste des modernen Individuums literarisch gestaltet.
Der neue Roman „Was die Männer so treiben, wenn die Frauen im Badezimmer sind“ von Franzobel ist im ZOLNAY Verlag erschienen.
Franzobel, was reimt sich denn auf Traum?
FZ: Auf Traum reimt sich sehr viel: Baum, Zaum, Gaumen, Flaum, Raum, Schaum, kaum, Daumenschraube ... unglaublich viel. Ein Traum.
Nennst du diese Wörter jetzt nur, weil sie sich reimen, oder sind das auch Assoziationen? Kommt in deinen Träumen vielleicht oft ein Baum vor?
FZ: Nein, ich träume überhaupt nichts. Oder nur ganz selten. Ich bin ein Traumlos-Schläfer.
MS: Das kann ich von mir nicht behaupten. Als ich zwölf oder dreizehn war, habe ich eine Weile Träume aufgeschrieben. Komischerweise sind das jene Träume, an die ich mich noch immer am besten erinnern kann, nach so langer Zeit. Und damals, als ich dieses Traumtagebuch geführt habe, kam mir vor, dass man tatsächlich wiederkehrende Motive findet. Zum Beispiel, man verliert etwas und sucht es dann im Traum - ganz banale Dinge, die altbekannt sind - oder man steckt irgendwo fest und kommt nicht heraus. Ich kann mich erinnern, in dieser Phase hatte ich viele Träume, in denen ich auf dem Wasser mit einem Floß trieb und der Wasserfall kam immer näher. Und irgendwie hat man dann doch Angst zu sterben, was ich eigentlich lächerlich finde. Ich träume jetzt weniger und kann mich weniger daran erinnern, aber wenn ich träume und es geht um existentielle Dinge, dann ärgere ich mich wirklich im Aufwachen: „Was bist du für ein feiges Schwein, das war doch eh nur ein Traum, du hättest jetzt das und das machen müssen!“ Aber man scheint im Traum ungefähr dieselben Reaktionen an den Tag zu legen wie in der Realität. (lacht)
Franzobel, auch wenn du nicht träumst, verwendest du Traumsequenzen in deinen Werken?
FZ: Ja ja, meine Frau träumt sehr viel. Sie träumt fast jede Nacht irgendetwas und erzählt mir dann davon.
MS: Du stiehlst die Träume der anderen!
FZ: Genau, ich bin ein Traumdieb. Täglich in der Früh bekomme ich einen Traum serviert. Und das ist inspirierend. Mir gefällt die Traumwelt sehr, weil sie eine eigenständige, mit unsrem herkömmlichen Denken nicht zu vergleichende Logik besitzt. Träume sind ursprünglich, vielleicht wie Kinderzeichnungen. Das ist nicht verbildet. Ich bin ein bekennender Siesta-Schläfer und da habe ich im Halbschlaf häufig Phantasiewelten, die mich schriftstellerisch weiterbringen. Oft schreiben sich Texte im Halbschlaf weiter, manchmal träume ich Lösungen.
Wenn du Träume in deinen Romanen, Essays oder Dramen verwendest, welche Funktion nehmen sie ein?
FZ: Vor allem will ich zeigen, dass es mehr als nur die eine rationale Wirklichkeit gibt. Es gibt ganz viele Wirklichkeiten, Parallelwelten, die mich faszinieren. Es geht mir vielleicht auch um die Welt der Geister, ums Schamanische, darum, dass nicht immer alles erklärbar ist. In meinem neuen Roman etwa „Was die Männer so treiben, wenn die Frauen im Badezimmer sind“, ein Schelmenroman, beginnt Hildy, der Hauptdarsteller, plötzlich die Vögel zu verstehen. Das ist der Einbruch einer ziemlich durchgeknallten Sache, die sein Leben völlig auf den Kopf stellt. Eine große Fläche des Romans ist also quasi Traumlandschaft, die sich zwar mit einem Missbrauch erklären lässt, den Hildy als Kind erlitten hat, aber es ist natürlich mehr. Schriftstellerisch ist es vielleicht der Versuch, die poetische Kraft von Geisteskranken, die mich immer sehr fasziniert haben, zu nutzen.
MS: Mittlerweile gibt es in der Physik verschiedene Ansätze, die die Art von Eindimensionalität, die wir leben, in Frage stellen und Parallelwelten mathematisch zulassen. Ich glaube, das Universum ist um viele Dimensionen reicher, die wir nicht wahrnehmen, und das ist vielleicht so etwas wie ein Traum. Ich denke bei Phantasiewelten immer an „Alice im Wunderland“, was darin verpackt ist und welche Symbolik darin zu deuten ist. Im Grunde sind Traumwelten, die man kreiert, Metaphern. Sowohl Träumen an sich als auch die analytische Beschäftigung mit Träumen ist durchaus eine literarische Kategorie im Sinne von Symbolfindung, Metaphernbildung, Aussagen verrätseln, Assoziationen finden, die sich fortspinnen, die keinen Sinn ergeben, aber einen kreativen Prozess in Gang setzen.
Hast du diese Inspirationsquelle in einem der Bücher verwendet?
MS: Wenn man ein Buch entwirft, ist am Anfang nichts da, es gibt einen gedachten leeren Raum und den füllst du dann mit Kulissen, die du vielleicht noch einmal verschiebst, Protagonisten, die vielleicht wieder gestrichen werden. Es ist eine Versuchsanordnung wie in einem Traum und man spielt im Kopf die Dinge durch, wo sie hinführen können, und so entwickelt sich die Geschichte.
Träumen eure Protagonisten?
MS: In „Brenntage“ ist vielleicht alles nur ein Traum, weil der Roman in einer so verlorenen, märchenhaften Parallelwelt spielt, von der man gar nicht weiß, in welchem Nebel sie liegt und die auch nicht an eine moderne, urbane Gesellschaft angebunden ist. So kann man aber jedes Buch betrachten.
FZ: In meinem neuen Roman hat Hildy zwei, drei Träume, die auf andere Art und Weise etwas erzählen, was die Geschichte weiterbringt. Gleichzeitig wird darin das Erzählte aus seiner Perspektive und gefiltert durch die Traumwahrnehmung rekapituliert. Das, was Michael gesagt hat, trifft auch auf viele meiner Bücher zu. Es gibt ja diese philosophische Theorie, dass wir nur Hirne in einem Aquarium sind und die Welt bloß träumen. Solipsismus heißt das, wenn ich mich recht entsinne. Es ist unbeweisbar, dass wir uns nicht träumen, dass wir nicht geträumt werden. Ein schöner Gedanke. Wir können aber gegenträumen. In einem meiner Bücher, ich glaube in der Liebesgeschichte, kommt die Idee vor, dass sich zwei Träumende im Traum treffen. Ich glaube, es gibt dazu auch schon ein paar Thriller. Generell finde ich Träume schön, weil sie oft sehr poetisch sind, ständig etwas Unerwartetes passiert. Ein Traum, den mir die Pressedame meines Verlages erzählt hat, geht so: Sie kommt an einer Rezeption an und dort werden Träume verteilt, so wie Zimmer in einem Hotel. Und sie bekommt immer die schlechtesten Träume, weil sie zu spät kommt. Es gibt so etwas wie eine Bürokratie der Traumverteilung und das machen witzigerweise Zwerge, Traumzwerge. Der Traum ist eine märchenhafte Welt, unbeeinflussbar, brutal, und doch folgt sie einer Logik, die vielleicht jener ähnelt, die wir als Schriftsteller anwenden. Ich glaube, man kann von Träumen lernen, was diese sprunghafte, alogische, jedoch in sich geschlossene Logik angeht.
Es gibt da ein Lied im Musical The Rocky Horror Picture Show, das heißt “Don’t dream it, be it!” Hat dieses Motto in eurem Leben eine Bedeutung?
FZ: Ja, insofern, als ich mir meinen ureigensten Traum, nämlich als Künstler zu leben, erfüllt habe, weil mir mit sechzehn, siebzehn Jahren bei Betriebsbesichtigungen klar geworden ist, dass ich Künstler werden muss, in jedem anderen Beruf zugrunde gehe. Aber natürlich gibt es im Leben auch Hemmnisse und Feigheiten, die einen hindern und zögerlich werden lassen. Es gibt Eitelkeit und Neid und andere unschöne Dinge. Man muss sich jeden Tag aufs Neue am Krawattl packen, um sich aus dem Sumpf zu ziehen. Bequemer wäre es, auf ein Paradies samt Gerechtigkeit des jüngsten Tags zu hoffen. Aber an so etwas glaube ich nicht. Also bleibt mir nur das Jetzt, der Witz, die Poesie, die Lust.
MS: Ich musste da jetzt komischerweise an ganz etwas anderes denken: Ich habe mir als Jugendlicher sehr gern Horrorfilme angesehen und da gab es eine Reihe, die nur auf Träumen basiert, nämlich „Nightmare on Elmstreet“ mit dem Monster Freddy Kruger. Solange du nicht einschläfst, bist du vor ihm sicher, wenn du aber einschläfst, manifestiert er sich sofort. Ich weiß nicht mehr, ob er dich in seine Träume holt oder umgekehrt, aber die Geschichte beginnt immer gleich: Du merkst den Zeitpunkt nicht, in dem du aus der vermeintlichen Welt in den Traum gewechselt bist, weil sich nichts verändert hat, du bist inzwischen eingeschlafen, aber wir sitzen noch immer hier und wir führen immer noch dieses Interview, aber eigentlich sind die Monster schon da. Und daran musste ich eigentlich nun denken, an die Antithese: „Don‘t dream it.“ Vielleicht sollte man auch manche Dinge nicht träumen, weil sie dann realer werden. Das ist so eine Frage. Keine Ahnung.
Franzobel
Geb. 1967 in Vöcklabruck, eigentlich Franz Stefan Griebl; Studium der Germanistik und Geschichte an der Universität Wien; seit 1989 freier Schriftsteller; ist auch als Maler tätig; stark beeinflusst von den Dadaisten, der Wiener Gruppe und Heimito von Doderer; schreibt auch Kinderbücher; zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Der neue Roman „Was die Männer so treiben, wenn die Frauen im Badezimmer sind“ von Franzobel ist im ZOLNAY Verlag erschienen.
Michael Stavarič
Geb. 1972 in Brünn; kam als Siebenjähriger nach Österreich; Gymnasium und HAK in Laa an der Thaya; Studium der Publizistik an der Universität Wien; nach dem Studium tätig beim Internationalen P.E.N.-Klub, beim tschechischen Botschafter in Wien und an der Sportuniversität; Rezensent für „Die Presse“ und für das Stadtmagazin „Falter“; er schreibt Gedichte, Romane, Essays, Erzählungen und Kinderbücher; zahlreiche Preise und Auszeichnungen. An Michael Stavarič wurde im vergangenen Januar der Adelbert-von-Chamisso-Preis 2012 für sein bisheriges Gesamtwerk und vor allem seinen jüngsten Roman “Brenntage” vergeben, mit dem er die deutschsprachige Gegenwartsprosa auf sprachlich originelle Weise bereichert und die existenziellen Unsicherheiten und fundamentale Ängste des modernen Individuums literarisch gestaltet.
Gisela Linschinger aus Traunkirchen, studierte an der FH St. Pölten Fotografie und arbeitet seit zwei Jahren als Deutschlektorin an der Université de Poitiers und macht sonst, was sie will.
Dieses Interview wurde vom österreichischen Kulturforum Paris finanziell unterstützt.
LitGes, etcetera Nr. 48/Traum/Mai 2012 mehr...