Josef Krejcar
Arbeitsdruck – arbeitslos – Wege aus der Krise
Ein Gespräch von Brigitta Broeske mit Prim. Dr. Josef Krejcar vom Landesklinikum Mauer, geführt am 10. Juni 2011.
Welche Arten von Belastungen in der Erwerbsarbeit führen am häufigsten zu Einweisungen in das Landesklinikum Mauer?
Ich möchte vielleicht so beginnen: Da gibt es das Modell von Prof. Hilarion Gottfried Petzold, Die Säulen der Identität, das die Persönlichkeit eines Menschen seine Identität auf fünf Säulen stellt. Dies sind die Säulen des Körpers, der sozialen Sicherheit, der zwischenmenschlichen Beziehungen, der Werte sowie der Arbeit. Das heißt: zur Identitätsbildung, zur Selbstverwirklichung ist Arbeit ein wesentliches und wichtiges Merkmal. Es gibt ja die Untersuchungen von Marie Jahoda und Paul F. Lazarsfeld vor über 80 Jahren, die Studie Die Arbeitslosen von Marienthal, in der die Autoren untersuchten, was Arbeitslosigkeit mit Menschen macht, wie sie die Persönlichkeit, den Lebens- und den Alltagsrhythmus verändert. Derzeit ist es so, dass neben der Arbeitslosigkeit auf Grund veränderter wirtschaftlicher Strukturen – Zunahme von Produktivität, Technisierung, aber auch von Globalisierung – der Druck am Arbeitsplatz immer mehr wird. Im Sinne von Optimierung, Evaluation von Arbeit, Produktionsdruck, weltwirtschaftlichem Klima erhöht sich dieser Druck und bringt den einzelnen Menschen auch immer mehr an Grenzen.
Es gibt jetzt das Schlagwort des Burn-out. Also Burn-out ist ja keine medizinische oder psychiatrische Diagnose, beschreibt aber einen Vorgang, der dazu führt, dass Menschen unter bestimmten Arbeitsbedingungen psychisch oder körperlich krank werden. Dieses Burn-out kann verschiedene Ursachen haben. Im Wesentlichen kann man es auch in Verbindung setzen mit dem Begriff Arbeitsstress.
Dieser Arbeitsstress kann ein äußerer sein, das heißt Stress, der bedingt ist durch vermehrte Anforderung von außen. Es kann aber auch ein innerer sein. Dieser hängt von der Persönlichkeit, vom Lebensstil des Einzelnen ab, z.B. Menschen, die alles sehr genau, perfekt und leistungsorientiert machen möchten oder Ängste vor Versagen haben. Verbinden sich diese beiden Stress-Faktoren wird die Symptomatik dann noch weiter verstärkt.
Zu welchen Krankheitssymptomen führen diese Belastungen?
Wenn ich vorher Burn-out angesprochen habe, ist es ja so, dass dessen Entwicklung oft verbunden ist mit einem Bis das es nicht mehr geht! Das heißt, die ersten Zeichen von Überforderung und Überlastung werden entweder übersehen, oder nicht im richtigen Maße wahrgenommen.
Der/die Betroffene versucht, in einem ersten Schritt das selbst zu kompensieren, das heißt, es zu schaffen. Das führt manchmal dazu, dass er/sie noch mehr arbeitet, noch in einen größeren Druck kommt, um die Dinge, die nicht so gut laufen, die er spürt, aber nicht genau wahrnimmt, wieder ins Reine zu bringen. Das heißt, der Organismus und auch die Person versuchen sich anfangs selbst zu regulieren. Diese Regulation, wenn die Problematik weiterhin nicht wahrgenommen wird, kann zu einem Stresskreislauf, allmählich zur Erschöpfung führen.
Zu einer Erschöpfung, die sich ausdrücken kann, sei es jetzt in einer psychischen Symptomatik, also verbunden mit, wie man so sagt, depressiven Symptomen wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Antriebsverminderung. Man hat keine Lust mehr in die Firma zu gehen, zu arbeiten oder was man vielleicht früher gerne gemacht hat, wird jetzt zur Belastung – Schlafstörungen (Einschlaf-, Durchschlafstörungen), oft grübelndes Denken, immer wieder durchdenken Was ist alles nicht gelungen? Was hab´ ich noch zu tun? Es wird alles zu viel.
Zu dem kommt es häufig zu körperlicher Symptomatik. Der Körper ist ja auch ein Signal- und Orientierungsorgan des seelischen Bereiches, man spricht dann von psychosomatischen Zusammenhängen, indem der Körper, vor allem das Vegetativum, reagiert. Das kann zu Beschwerden im Magen-Darmbereich, im Herz-Kreislaufsystem, sprich hoher Blutdruck, zu Störungen der Temperaturregulation, Hitze-, Kälte- sowie erhöhte Schmerzempfindlichkeit, also zu einer Gesamtbelastung des vegetativen Systems führen.
Sind solche Patienten auch suizidgefährdet?
Ein weiterer Punkt des Bis das es nicht mehr geht!
ist verbunden mit Ängsten, mit Verzweiflung, oft mit Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit. Wenn man das Gefühl hat, ich hab alles getan jetzt, um das selbst zu regulieren und es selbst zu meistern, dann hat man oft Angst, Schwäche zu zeigen. Auch sagen zu können: ich hab` Grenzen, ich muss Stopp sagen. Sei es jetzt, es sich selbst einzugestehen, aber auch den Mitarbeitern, den Kollegen, vielleicht auch der Familie, wenn da die Erwartung besteht: Ich muss immer gut sein! und Ich hab` das bis jetzt geschafft und jetzt geht es nicht mehr! Das führt in manchen Entwicklungen natürlich zu diesem Gefühl von Hilf- und Hoffnungslosigkeit. Das entspricht etwa dem, was auch depressive Menschen erleben.
Auf der einen Seite Zukunftsängste, auf der anderen Seite die Vorstellung, die Zukunft wird es womöglich nicht geben.
Und dann ist es auch möglich, dass man die ganzen Symptome mit Suchtmittel kompensiert, seien es jetzt Tabletten, die abhängig machen, vor allem Tranquilizer, naheliegend natürlich mit der legalen Hauptdroge, dem Alkohol.
Und in diesem Gefühl von Hilf- und Hoffnungslosigkeit entsteht auch das Gefühl der Wertlosigkeit der Person. Wertlosigkeit bedeutet manchmal die Vorstellung In dieser Welt ist es nicht gelungen oder Ich gehe in eine andere Welt oder ganz einfach aus dieser Welt flüchten zu wollen. Das wäre dann ein Weg in eine suizidale Stimmung, eine suizidale Krise, möglicherweise auch dann in einen Suizidversuch.
Welche Behandlungsmethoden bieten Sie dafür an?
In Krisensituationen, sei es jetzt psychosomatische, depressive und/oder auch suizidale Krisen, besteht die Notwenigkeit jetzt nicht vordergründig Problembereiche anzusprechen oder diese ganze Situation schon therapeutisch zu thematisieren, sondern erst einmal Schutz, Sicherheit und einen festen Boden zu bieten. In einer Atmosphäre der Wertschätzung, der Begegnung mit der Möglichkeit, dass jemand Vertrauen findet in dieses therapeutische Angebot.
Wichtig ist natürlich die Gesprächssituation, um ein Beziehungsklima herzustellen, sei es jetzt von ärztlicher, psychotherapeutischer oder pflegerischer Seite.
Es ist oft so, dass diese Krisensituation, oder die Schwere der Symptomatik nach einigen Tagen abnimmt – auch durch die Distanzierung von dem gewohnten Milieu draußen – in einem geschützten, therapeutischen Rahmen eben. Dass es dann möglich ist, über all das was auf der Seele liegt, sich aussprechen zu können, als erster therapeutischer Schritt, dorthin zu kommen, einmal schauen zu können: Was belastet so mein Leben? Wie geh` ich mit mir um? Wie ist mein Lebensstil? Wie geh` ich mit schwierigen Situationen im beruflichen Bereich um? Was hat das für eine Geschichte?
Lebensstil ist nicht etwas, was heute passiert, sondern Lebensstil entwickelt sich ein ganzes Leben und hat damit sehr viel mit Erfahrungen in Kindheit und Jugend sowie im späteren Erwachsenenalter zu tun. Dass man viele Situationen durchaus meistern kann, also wo man Ressourcen hat, aber, dass es dann auch wieder Situationen gibt, wo man diese Ressourcen, diese Fähigkeiten ganz einfach noch nicht erworben hat, oder noch nicht in diesem Maße erworben hat. Genau dann kommt es zu diesem Erleben von Schwäche: Ich kann das nicht! Das heißt, hier beginnt der Prozess der Umorientierung.
Wichtig ist auch, weil ja der Körper immer miteinbezogen ist und wesentliche Begleitsymptome zeigt, sowohl im kreativen als auch körperorientierten therapeutischen Bereich Hilfe anzubieten. Also das geht von Entspannung bis zur Körperwahrnehmung. Körperwahrnehmung jetzt auch im Sinne einer differenzierten Wahrnehmung: Was passiert im Körper? Was funktioniert eigentlich noch?
Oft haben die Leute das Gefühl, es funktioniert eigentlich überhaupt nichts. Also dieses positive Körpergefühl trotz der Krise allmählich finden zu können. Durchaus auch im Körperbereich gehalten und getragen zu werden, also beziehungsorientierte Körperarbeit.
Sehr oft ist es schwierig etwas auszusprechen, vor allem im Gefühlsbereich auszudrücken. Dies wird erfahrungsgemäß über kreative Medien oder über Bewegungen erleichtert. Deshalb werden auch Musik-, Mal- und Tanztherapie sowie Qi Gong, Feldenkrais, Wassershiatsu, gemeinsam mit Entspannungstechniken angeboten.
Ich habe bis jetzt vor allem beziehungsorientierte, körperorientierte, kreativorientierte und psychotherapeutische Angebote genannt, aber natürlich ist in der Medizin auch die medikamentöse Therapie durchaus hilfreich, im Sinne von Beruhigung, Entspannung, aber auch Besserung der Stimmung.
Antidepressiva sind nicht nur Medikamente, die den Stoffwechsel beeinflussen und regulieren, sondern die ein bestimmtes Verhalten auch fördern können, nämlich die Neugier, den Mut, ja, wenn Angst auf der einen Seite steht, sich etwas zuzutrauen, insgesamt die Stimmungslage und das Selbstwertgefühl zu verbessern. Deshalb sind Medikamente durchaus ein wichtiger Teil sowohl bei der Gesamtbehandlung als auch der Behandlung einer depressiven Symptomatik.
Was sind die langfristigen Ziele der Behandlung?
Das unmittelbare Ziel ist, die Krise zu bewältigen. Das ist klar. Das mittelfristige therapeutische Ziel ist es wieder ein gutes Selbstgefühl, ein Selbstwert-, Körpergefühl zu bekommen. Oft ist ja die Krise verbunden mit einer Selbstwertstörung, oder ich würde gar nicht sagen Störung, sondern einem Selbstwertdefizit – dass sich jemand wieder etwas zutraut, wieder was in die Hand nimmt, wieder was anpackt und das natürlich in Verbindung mit der Zukunftsorientierung. Das ist ähnlich, so wie bei depressiven Symptomen oder in einer depressiven Krise – wieder neugierig zu werden, wieder in Bewegung zu kommen in eine positive Vorwärtsbewegung.
Die Arbeitsplatzsituation, Möglichkeiten von Veränderungen der Arbeitsbedingungen, können wir natürlich von hier nicht regulieren, aber durch die Mitarbeit der Sozialarbeit, die ja bei uns eingebunden ist im stationären Behandlungsprogramm, kann man schon Orientierungshilfen geben. Orientierungen, die in Richtung Wiedereinstieg in den gewohnten Arbeitsplatz gehen, oder Umschulungen, bzw. Projekte die vom AMS angeboten werden.
Im Bereich der psychosozialen Versorgung bietet der psychosoziale Dienst (PSD der Caritas) unter dem Begriff Job-Coaching und Arbeitsassistenz auch eine Begleitung im Anschluss an die stationäre Behandlung an. Also da gibt es verschiedene Möglichkeiten, wobei natürlich die Arbeitsplatzsituation für Menschen, die verwundbarer oder verletzbarer sind, in dieser doch produktions- und leistungsorientierten Gesellschaft, schwierig ist.
Der wichtigste Aspekt aber bleibt: Die kritische Situation positiv aufzulösen, wieder mehr Vertrauen zu bekommen, in sich und auch in die eigene Zukunft – und vor allem auch als längerfristiges Ziel einen anderen Lebensstil zu entwickeln.
Josef Krejcar
Geb. 1947; Studium der Medizin, Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Neurologie sowie psychotherapeutische Medizin; arbeitet seit 1978 in der Psychiatrie in Mauer (Niederösterreich), seit 1983 auf der Station für Psychotherapie und Psychosomatik auf Pavillon VII, viele Jahre deren Leiter; seit 2009 Leiter der II. Psychiatrischen Abteilung für Stationäre Psychotherapie.
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