Ilma Rakusa und Andréas Becker
Wunder Sprache
Ilma Rakusa und Andréas Becker - Foto: Yoshi Kato
Ilma Rakusa lebt und arbeitet in der Schweiz, Andréas Becker in Frankreich. Nicht eine gemeinsame Muttersprache verbindet die beiden, sondern das Schreiben in einer Fremdsprache. Gisella Linschinger hat die Autoren im Rahmen der Literaturtage „Bruits de Langues“ an der Universität Poitiers getroffen und mit ihnen über das Wunder Sprache diskutiert. Eine Frage, zwei Antworten.
Liebe Ilma, lieber Andréas, was bewegt euch dazu, zu schreiben?
IR: Kaum fing ich zu lesen an – und ich las viel und mit Leidenschaft –, begann ich meine eigenen Geschichten zu spinnen. Das ging irgendwie Hand in Hand. Vielleicht begann es noch früher: in jenem Triester „Siestazimmer“, wo ich wach lag und beim Beobachten der Lichthasen Dinge ersann. Die Phantasie hatte Macht über mich. Später bahnte sie sich ihren Weg in die Schrift und aufs Papier. Es gab kein Halten.
AB: Schreiben bewegt mich. Schreiben hat mich immer schon bewegt. Ich war noch nicht zehn, als ich meinen ersten Roman schrieb; die Faszination, die Sprache auf mich ausübt, ist schwer zu beschreiben, vielleicht wird man damit geboren und hat einfach keine andere Wahl.
Wie habt ihr eure Schreibsprache gewählt?
IR: Die Sprache hat mich erwählt, die deutsche. Nicht, dass sie meine erste gewesen wäre, sie war die vierte. Nach Ungarisch, Slowenisch und Italienisch lernte ich mit fünf – in Zürich – Deutsch. Ich lernte auf Deutsch lesen, ich absolvierte alle Schulen auf Deutsch, meine intellektuelle Sozialisierung spielte sich auf Deutsch ab. Im Deutschen fühlte ich mich zu Hause, wozu die Beherrschung feinster Sprachnuancen gehört. Und so war es keine Frage, dass sich die ersten Gedichte – und alles Weitere – auf Deutsch schrieben.
AB: Die Sprache hat mich gewählt. Französische Wörter haben früh angefangen, eine „gehörte“ Anziehungskraft zu entwickeln, bereits im Urlaub mit meinen Eltern in Frankreich fand ich es ungemein spannend, Streichhölzer zu kaufen und dabei „allumettes“ zu sagen. Das war damals schon und ist immer noch Musik in meinen Ohren.
Andréas, auf welche Weise experimentierst du mit Sprache? Ilma, wie schlägt sich deine Mehrsprachigkeit in den Texten nieder?
AB: Sprache aufbrechen, Wörter aufbrechen, um Gewohnheiten aufzubrechen. Aufzeigen wie die Machtsprache (Politik, Werbung) mit uns umspringt, wenn wir sie nicht hinterfragen. Uns nicht gefallen lassen, dass Sprache so sein muss, wie Herrschaftsstrukturen es verlangen. Nicht aufgeben, sich auch amüsieren mit Buchstaben. Kombinieren, verlieren und doch nicht nachlassen. Auf diese Art alte Geschichten neu erzählen.
IR: Mein Kopforchester ist natürlich vielstimmig und immer wieder versuche ich, Elemente anderer Sprachen in mein Schreiben einfließen zu lassen. Indem ich fremdsprachige Namen und viele Diminutivformen verwende, wie sie im Ungarischen und Russischen üblich sind. Das erzeugt eine bestimmte emotionale Färbung, mitunter auch einen Verfremdungseffekt, an dem mir durchaus gelegen ist. Im Grunde geht es darum, mein Deutsch „polyvalent“ zu machen, es gewissermaßen durch andere Spracherfahrungen zu überformen. Freilich in einem diskreten Sinn, ohne beschädigte Grammatik, aber mit gelegentlichen Wortschöpfungen wie „Alleinchen“ oder – in meinem Gedichtband „Love after love“ – mit zweisprachigen Reimen: „Remember, I care. / I caress you. / Das Karo ist leer.“
Habt ihr versucht, in eurer Muttersprache zu schreiben und zu publizieren?
IR: Ich käme nie auf die Idee, etwas Literarisches auf Ungarisch zu schreiben. Briefe, Mails usw. schon, aber wo es um die ganze Palette der sprachlichen Möglichkeiten geht, bleibt meine sogenannte Muttersprache auf der Strecke.
AB: Schreiben ja, publizieren nein. Bis jetzt habe ich auf Deutsch nichts geschrieben, was es wert wäre, veröffentlicht zu werden; es wäre sinnvoller, die Texte, die ich auf Französisch schreibe, ins Deutsche zu übersetzen. Sobald ich direkt auf Deutsch schreibe, erscheint mir flach und fade, was sich zu Papier bringt.
Welche Vorteile bringt es, ein mehrsprachiger Autor zu sein?
IR: Ich bin keine mehrsprachige Autorin, denn ich schreibe ausschließlich auf Deutsch. Doch meine Biographie weist mich als leicht exotisch aus, weshalb man mich oft der Kategorie „Schriftsteller mit Migrationshintergrund“ zuordnet. In dieser „Schublade“ fühle ich mich ziemlich unwohl und möchte von diesem Label nicht profitieren. Trendig ist es allemal, Verlage und Kritik sind im Moment stark auf solche Autoren fokussiert. Fragt sich, wie lange noch.
AB: Der Vorteil, in einer Fremdsprache zu schreiben, ist, dass diese Sprache eine fremde, eine entfremdete Sprache bleibt. Fremdheit der Sprache gegenüber (und der Welt im Allgemeinen) ist mir eine zwingende Voraussetzung für Kreativität. Seltsam sich dem Geschehen gegenüber zu fühlen, ist eine der wichtigsten Quellen von Schaffen. In einer fremden Sprache zu schreiben, hat auch den Vorteil, sich frei zu fühlen. Man hört nicht die Stimme der Eltern, wenn man schreibt; nicht den erhobenen Zeigefinger, verhält man sich mal wieder nicht so, wie es eigentlich sein sollte nach dem Ordnungsgeschmack der Autoritäten. Dadurch wird Sprache zu einem Material wie Noten für den Komponisten oder Farbe für den Maler. Es ist nicht mehr so, dass das, was geschrieben steht, rational verständlich ist, und dieser Irrsinn macht Texte lebendig, schwirrend und musikalisch.
Ihr arbeitet beide auch als Übersetzer – was habt ihr bei dieser Tätigkeit gelernt?
Übersetzt ihr euch auch selbst?
IR: Übersetzen ist die beste Sprachschule, man lernt unglaublich viel. Ich habe rund 25 Bücher – aus dem Russischen, Französischen, Serbokroatischen und Ungarischen – übersetzt und möchte diese Erfahrung nicht missen. Meine eigenen Texte übersetze ich nicht, da meine Zielsprache ausschließlich das Deutsche ist. Doch bin ich meinen Übersetzern aktiv behilflich und investiere viel Zeit in diese Zusammenarbeit.
AB: Ich habe nur schlechte Bücher übersetzt, um Geld zu verdienen, dabei habe ich nichts Wesentliches gelernt. Bei einer Selbstübersetzung ist die Versuchung (für mich) zu groß, den Text soweit zu verändern, dass ein neues Buch entsteht. Diese „Zurückübergesetzung“ wäre also nicht der gleiche Text wie der Ursprung. Das kann als Kunstform interessant sein, ist dann aber keine Übersetzung mehr.
Was verbindet ihr mit dem Begriff „Wunder“? Verwendet oder vermeidet ihr ihn?
AB: Große Worte versuche ich zu vermeiden beim Schreiben, ich versuche mich an das Alltägliche, das Verwunschene, an die unsichtbaren, unschönen Tiefen des Ichs zu halten. Wunder dagegen sind wunderbar. Wunder ist Liebe, aber Liebe ist – was mein Werk angeht – nicht literarisch.
IR: Ich mag das Wunder sehr, ein schönes Wort und eine interessante Sache, angefangen bei den biblischen Wundern. Vor einiger Zeit habe ich einen Essay zu diesem Thema geschrieben. Er beginnt so: „Alle Kinder wollen das Wunder, und das Kind in uns will von diesem Wunsch nicht lassen. Dass uns Flügel wachsen, dass es Goldstücke regnet, dass sich Wüsten in Paradiesgärten verwandeln, dass sich Tischlein decken und uns mit Köstlichkeiten verwöhnen, dass Tote lebendig werden, Böses verdorrt, dass wir Gefahren mit Siebenmeilenstiefeln oder unter dem Tarnmantel der Unsichtbarkeit entkommen, dass Raubtiere zahm vor uns niederknien und Zauberflöten schlechte Geister verscheuchen...“ Zu meinen liebsten Wundern gehört das Pfingstwunder, wo alle in ihrer jeweiligen Muttersprache reden und sich doch verstehen. Ein multilingualer Zauber.
Ilma Rakusa
Geb. 1946 in Rimavská Sobota (Slowakei), als Tochter einer Ungarin und eines Slowenen. Kindheit in Budapest, Ljubljana und Triest, 1951 Umzug nach Zürich. Studium der Slawistik und Romanistik in Zürich, Paris und St. Petersburg, dann Lehrbeauftragte an der Universität Zürich. Seit 1977 erschienen zahlreiche Lyrik-, Erzähl- und Essaybände sowie Übersetzungen von Marina Zwetajewa, Marguerite Duras, Danilo Kiš, Imre Kertész u.a. Jüngste Veröffentlichungen: "Mehr Meer. Erinnerungspassagen" (2009), "Aufgerissene Blicke. Berlin-Journal" (2013), "Einsamkeit mit rollendem 'r'. Erzählungen" (2014), alle erschienen im Literaturverlag Droschl, Graz. Ilma Rakusa ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, sie lebt in Zürich. www.ilmarakusa.info
Andréas Becker
Geboren, ja, das auch, 1962 in Hamburg. Studium an der Universität Hamburg, Philosophie und Geschichte. Gründung einer Werbeagentur, Umzug nach Frankreich, Tätigkeiten als Lehrer und Übersetzer, anschließend Leiter eines Weingutes, und endlich freier Schriftsteller in Paris. Immer noch lebendig. Veröffentlichungen: "L’Effrayable", Roman, Editions de la Différence, Paris, 2012, "Nébuleuses", Roman, Editions de la Différence, Paris, 2013, "Les Fleurs de Fer", Nouvelle, Chant du Monstre, Paris, 2014. www.andreasbecker.fr
Gisella Linschinger
Geb. 1983 in Gmunden/OÖ, ist eine austro-französische Entertainerin. Studium der Linguistik und Internationalen Entwicklung in Wien. Absolventin des Lehrgangs "Angewandte Fotografie" an der FH St. Pölten. Arbeitet und tanzt an der Université de Poitiers, zuletzt im Stück „Réveillez-vous, belle endormie“ (TAP – Théâtre et Auditorium de Poitiers), einer Kreation der Groupe Recherche Chorégraphique in Zusammenarbeit mit François Chaignaud und Cecilia Bengolea.
Erschienen im etcetera Nr. 56 / wunder / Mai 2014 mehr...