57/konkrete Poesie/Interview: Eva Riebler-Übleis im Gespräch mit Josef Linschinger

Josef Linschinger

Im Sommer interviewte Eva Riebler-Übleis Josef Linschinger, den Meister der Konkreten Poesie, in seinem Atelier in Traunkirchen.

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Foto: Eva Riebler-Übleis  

Im „etcetera“ Themenheft BLIND ist ein gemeinsamer Beitrag von Eugen Gomringer und dir in seinem Interview abgedruckt. Er wird nächstes Jahr 90 Jahre alt und als Vater der Konkreten Poesie bezeichnet. Wie wichtig ist er als Theoretiker der „Konkreten“?
Ich freue mich, daß in „etcetera“ die Konkrete Poesie immer wieder aufgegriffen und in dieser Ausgabe sogar zum Thema gemacht wird. Die von dir erwähnte Arbeit mit Eugen Gomringer ist unsere vorläufig letzte Zusammenarbeit, ein Diptychon mit dem Titel „trans/cross“. Zu seinem 90. Geburtstag, nächstes Jahr, wird ein Buch erscheinen, das die Gemeinschaftsarbeiten, die Eugen Gomringer mit verschiedenen Künstlern gemacht hat, beinhaltet. Ich habe das Glück, seit dem 1. Gmundner Symposion für Konkrete Kunst 1989 mit ihm zusammen arbeiten zu dürfen. Ja, er wird als Vater der Konkreten Poesie apostrophiert, er ist aber auch ein großer Mittler der Konkreten Kunst, nicht zuletzt durch sein Institut in Rehau. Seine erste Kunstsammlung bildete den Grundstock des Museums für Konkrete Kunst Ingolstadt, das 1992 eröffnet wurde. Dieses Museum war das erste für Konkrete Kunst überhaupt. Als Theoretiker kann Eugen Gomringer nicht hoch genug geschätzt werden. Er hat neben seinen eigenen poetischen Texten viele Texte für und über Künstler verfaßt und Vorträge und Eröffnungsreden gehalten.

Ernst Jandl spricht in seinen Bemerkungen zur Dichtkunst 1979 „wie viel Erquickliches habe ich dem Unsinn zu verdanken …“. Bist du beleidigt, wenn jemand deine Arbeiten als Unsinn bezeichnet?
Nein, das bin ich nicht! Für manche werden sie auch Unsinn sein, für die, die sich damit auseinandersetzten, könnte es „Undsinn“ werden. Ich meine damit, daß aus der gewohnten Verwendung des Materials von Sprache und Schrift, durch kleine Veränderungen ein zusätzlicher oder neuer Sinn entsteht und eine andere Sicht auf Gestalt und Inhalt ermöglicht wird. Darum geht es mir. Jandl meint in Spiel mit Sprache, „Das Spiel ist auf ein Ziel gerichtet: Das unterscheidet es in jedem Fall von Spielerei.“ Dem stimme ich gerne zu, das Ziel des Spiels ist Erfindung und Entdeckung, aber auch Weiterentwicklung von Bestehendem.

Spielst du mit den Gefühlen des Betrachters? In der Poesie sind Gefühle, Tragik, Humor wesentliche Bestandteile der Thematik, verwertbar als Ausgangs- oder Endpunkt …
Konkrete Kunst und Konkrete Poesie zielen auf Objektivität und Erkenntnis und erfordern die Mitarbeit des Betrachters. Sie sind nicht vordergründig auf Gefühle ausgerichtet, sie können aber durchaus Emotionen auslösen. Pierre Garniers sehr einfach anmutende Texte lösen sofort Gefühle aus, wenn da nur eine stilisierte Sonne zu sehen ist und darunter steht „Ilse in den Feldblumen“ oder „Im aufgeschlagenen Weltbuch liest Ilse das Gedicht“. Das Wort „Text“, klein geschrieben und in AvantGarde-Lettern, kann zu einem dramatischen Ergebnis führen:
t ex t.
Ich war sehr betroffen, als ich diese Entdeckung machte. Andererseits gibt es bei konkreten und visuellen Texten des Öfteren etwas Humoriges. Die Wirkung kann sehr unterschiedlich sein.

Die Musik und die Sprache haben den Vorteil mit Lauten sukzessive Entwicklungen zeigen zu können, d.h. sie können Bewegungen, Veränderungen und nicht nur Momente zeigen. Wie löst du dieses Problem in deiner dargestellten Kunst? Durch Serie, Reihe ...
Bei vielen meiner Arbeiten entsteht aus der usprünglichen Bild- bzw. Text-Idee oft eine Reihe von Bildern, die einen Ablauf, eine Transformation darstellen, in denen eine zeitliche Komponente enthalten ist. Natürlich braucht eine einzelne Arbeit auch Zeit, um gesehen bzw. gelesen zu werden. In einer mehrteiligen Arbeit verweist das vorhergehende auf das nächste Bild oder Blatt. Es sind quasi „Stills“ eines gedachten Films. Inzwischen gibt es auch drei Filme von mir.

In deinen digitalen Drucken veränderst du die Formen und Farben. Wie sehr ist das ästhetisch Mosaikartige angestrebt, wie sehr willst du dem entgehen?
Bei den Arbeiten mit Vokalen geht es nicht in erster Linie um das Ästhetische, es geht um das objektive Mit- und Ineinander von Formen und Farben, die durchaus ästhetische Ergebnisse zeitigen können.

Gibt es die Gefahr, dass das Aneinanderreihen von Darstellungen zu wenig ist? Dass die Beziehung, die Entwicklung nicht erkennbar ist?
Bei einer Bildserie kommt es darauf an, was und wieviel man davon zeigt. Bei der Darstellung einer seriellen Idee ist eine Mindestzahl von einzelnen Bildern nötig, um sie nachvollziehen zu können. Ein Auszug aus einer Bildreihe mag funktionieren, aber bei einer Arbeit mit vielen Einzelbildern kann die Ähnlichkeit eventuell zu einem wenig interessanten Ergebnis führen. Wie gesagt, auf die Auswahl kommt es an.

Wie stehst du zur Aussage aus Meyers Lexikon: Das Hässliche, ästhetisch Unbefriedigende, kann in der Poesie in ungleich höherem Grade zu positiver, ästhetischer Wirkung verwertet werden?
Die Ästhetik des Hässlichen? Die kann durchaus ihre Berechtigung haben. Mir kommt es aber auf die Idee an. Was soll transportiert, was davon kann verstanden werden, wieviel bleibt offen? Wenn das Ergebnis ästhetisch ist, umso besser.

Spielst du mit den Erwartungen des Betrachters? Rechnest du mit einer positiven Empfangsfähigkeit?
Ja, ich erwarte, daß sich der Betrachter mit der Arbeit auseinandersetzt, und hoffe, daß er dabei ein Aha-Erlebnis hat. Er soll etwas entdecken, was er so noch nicht gesehen und gedacht hat.

Sprachkritik ist Gesellschaftskritik. Ist deine Barcode-Arbeit gesellschaftskritisch?
Ursprünglich hat mich die fremde, unlesbare Schrift interessiert, die ein „konkretes“ Bild produziert. Senkrechte Balken in Schwarz und in zwei Breiten. Den Vokalen habe ich, wie davor schon den lateinischen, Farben zugeordnet, die ihrem Klang entsprechen. So habe ich Aphorismen und Zitate mittels Code 39 zu „konkreten“ Bildern gemacht. Diese Texte können vom Inhalt her gesellschaftskritisch sein, aber allein die Verwendung des Codes an sich könnte schon so aufgefasst werden. Für die Kulturzeitschrift „Landstrich“, dessen Thema „Mein höchstes Gut“ war, habe ich alle mir zugänglichen Codes verwendet, mein Beitrag war konsumkritisch gemeint.

Zur Frage nach den Spielregeln. Das Spiel ist ja zielgerichtet und nicht Spielerei. So ist es auch mit deinen Farbfeld-Arbeiten der letzten Jahre. Welchen Zügen, Regeln und Kombinationen gibst du den Vorzug?
Du meinst meine Sudoku-Arbeiten. Ich habe der Zahlenreihe von 1 bis 9, die im Sudoku in 81 Feldern vorkommen, systematisch Farben zugewiesen. 1 Rot, 5 Gelb, 9 Blau und dazwischen je drei Abstufungen, also neun Farben, die ein Farbspektrum ergeben. Die Aufgabe des Sudoku ist auf schwarzem Grund in den Farben der vorgegebenen Zahlen zu sehen. Bei dem Bild der Lösung sind die Farben der Zahlen auf weißem Grund gesetzt. Im dritten Bild sind Aufgabe und Lösung zusammen, nicht in Zahlen, eben in deren Farben. Es sind stark farbige Bilder, die durch eine Art gelenkten Zufalls generiert werden.

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Josef Linschinger, SUDOKU 17/1/2/3/01 09 11, Giclee-Print auf Leinwand

Woher stammt deine Idee, Sudokus in Bilder umzusetzen, was der Vielfalt des Sudokus eine weitere Facette hinzufügt?
Die Idee fand ich bei der Suche nach einer Lösung für eine Jahreswendekarte für die Galerie 422 – Margund Lössl, die ich seit Jahren gestalte. Ich nahm dafür das Sudoku, welches am letzten Tag des Jahres in meiner Tageszeitung erscheinen sollte, und bat den Gestalter der Sudokus, Philipp Hübner aus Wien, es mir schon vorher zur Verfügung zu stellen. Danach entstand ein Zyklus von Sudoku-Arbeiten in verschiedenen Ausführungen und Größen und das Büchlein „Die Faszination des Sudoku“, das du in „etcetera Nr. 53“ rezensiert hast. Übrigens: Frau Lössl hat sich für einen Code-Entwurf entschieden, die Sudoku-Karte hat ein anderer Auftraggeber verwendet.

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Josef Linschinger, aus ROTATIONEN, 1986/2012, Acryl auf Leinwand

Was bewegte dich von 1989 - 2009 die Gmundner Symposien für Konkrete Kunst mit Ausstellungen von über 600 Künstlern zu organisieren?
Ich begann meine Arbeit im Bereich Konkreter Kunst 1977, meine ersten Konkreten Texte entstanden 1987 und ich musste feststellen, daß es in unserem Land relativ wenig Aktivitäten auf diesem Gebiet gab. Dieter Bogners Ausstellungen und die Symposien auf Schloß Buchberg waren Ende der 1970er Jahre und in den 1980er Jahren von größter Bedeutung. Ab 1986 stellte ich mit der losen Künstlergruppe „vertikal-diagonal-horizontal“ international aus. Es ergaben sich Kontakte, die mich veranlassten, 1989 die Ausstellungsreihe „Konstruktive Strömungen“ zu organisieren, die das Pilotprojekt zu den Gmundner Symoposien für Konkrete Kunst wurde. Es waren neun Ausstellung in sieben Städten. Das erste Gmundner Symposion war der Konkreten Poesie gewidmet und hieß TEXTBILD-BILDTEXT. Elf Künstler aus Deutschland, Frankreich, Italien, Tschechien und Österreich waren gekommen, darunter Heimrad Bäcker, Ilse und Pierre Garnier, Heinz Gappmayr, Eugen Gomringer. Es folgten 21 Symposien zur konstruktiven, konkreten und konzeptuellen Kunst und eine Art Zusammenschau in der Landesgalerie Linz.

Du vereinst als Künstler und Mentor der Konkreten Kunst großes internationales Ansehen auf dich. Findest du nicht zu wenig Ansehen in Österreich?
Das internationale „Ansehen“ ist insofern richtig, als ich meine Arbeiten in vielen, und auch wichtigen Ausstellungshäusern zeigen durfte und sie in Museen und Sammlungen Aufnahme fanden und so „angesehen“ werden können bzw. konnten. Dass sich meine Aktivitäten und meine Künstlerschaft in der Wahrnehmung der österreichischen Öffentlichkeit nicht so positiv darstellen, mag daran liegen, daß sie in der Provinz passierten und der Interessentenkreis für diese Kunst, die wir in unserem Gespräch vereinfacht Konkrete Kunst nannten, überhaupt sehr klein ist. Zu beklagen ist, daß es nur ganz wenige Museen, die sich fallweise, und nur zwei Galerien in Österreich gibt, die sich hauptsächlich damit befassen.
Mir war es ein Anliegen, internationale Künstlerinnen und Künstler nach Gmunden einzuladen oder ihre Werke zu zeigen und darüber zu diskutieren. Als Präsident der Künstlergilde Salzkammergut, sie wurde 1928 gegründet, war ich Ausstellungsleiter der Kammerhofgalerie der Stadt Gmunden und konnte nicht nur auf diese Galerie für die Symposien zugreifen, sondern bei Bedarf auch auf Räume im Kongreßhaus Gmunden – Villa Toscana, auf die VKB-Galerie, auf den Galerieraum des Thomas-Bernhard-Archivs und auf die Werkstattgalerie der KGS. Daß ich die Symposien über einen doch relativ langen Zeitraum durchführen und Arbeiten so vieler Künstlerinnen und Künstler präsentiern konnte, ist für mich eine Genugtung. Die Dokumentationen der Gmundner Symposien sind im Ritter Verlag, in Klagenfurt, erschienen. Im nächsten Jahr wird „Schwarzes Quadrat auf weißem Grund“, die Ikone, die Kasimir Malewitsch 1915 schuf, ins Bewußtsein rücken. In den vergangenen 100 Jahren hat sich diese Kunstrichtung beständig weiterentwickelt und das wird sie sicher auch in Zukunft tun. In diesem Sinn: etcetera.

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Josef Linschinger, Wittgenstein-Zitat in Code 39, 1991

Josef Linschinger
Geb.1945 in Gmunden
1969 erste konstruktive Arbeiten
1970-75 Studium an der Hochschule für Gestaltung Linz
1975-2003 Lehrtätigkeit Kunstuni. Linz, zuletzt als Professor
1976-80 Hörer an der Freien Intern. Hochschule für Farbe und Umwelt Salzburg
seit 1977 konstruktiv/konkrete Arbeiten
seit 1987 Arbeiten visueller/konzeptueller Poesie
1989 bis 2009 Initiator und Organisator des Gmundner Symposions für Konkrete Kunst
2002 Beginn der Ausstellungsreihe „Japanische Visuelle Poesie“ in A, D, H und Japan mit inzwischen 19 Stationen u. a. in der Austrian Embassy Gallery Tokyo, im Vasarely Museum Budapest und im Forum Konkrete Kunst Erfurt.
Seit 1981 zahlreiche Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen in den meisten europäischen Ländern sowie in Ecuador, Israel, Japan, Kanada, Korea, der SU und den USA. Diverse Preise und Auszeichnungen.
Josef Linschinger wagt einen neuen Schritt in der graphischen Darstellung abstrakter oder/und poetischer Begriffe, indem er sie in ihren Strich-Code umsetzt; ein einfaches, klares, sinnfälliges Unternehmen, das mit seinem binären System über die Grenze unseres Jahrhunderts ins neue Jahrtausend weist. Diese Umsetzung geschichts-, gefühls-, ideenbeladener Begriffe in ein strenggegliedertes Streifenmuster ist von spröder, ja abstrakter Schönheit.
Hier wird dem weltüberspannenden Konsumbereich eine Graphie abspenstig gemacht und künstlerisch eingesetzt, um humane Inhalte zu erneuern, durch eine neue Form mit neuer Spannung aufzuladen. Josef Linschingers Weg von der konstruktivistischen Malerei mündet ganz logisch ins Strich-Code-System, das ja eine rein konstruktivistische Sprachfigur ist; in gewisser Weise könnte man hierin die soziale Vollendung des Konstruktivismus sehen, das zwingende Ergebnis. ...
Pierre und Ilse Garnier, Autoren, Amiens. Aus: Zyklen, Hg. Kunstuniversität Linz, Ritter Verlag 2003
Es gehört zu den Charakteristika der Konkreten Kunst, dass ihren Werken jeweils Spielregeln zugrunde liegen, so unterschiedlich Medien, Materialien und Zielsetzungen innerhalb dieser vielgestaltigen Strömung auch sein mögen. Das heißt, dass nicht individuelle Handschrift und spontaner Duktus die Arbeit bestimmen, sondern dass die Werke systematisch entstehen. ...
So setzt die Bindung an die Regeln des Sudoku ein höchst reizvolles visuelles System ins Werk, ein Farbenfeuer, das sich dem gelenkten Zufall verdankt, ein Rätsel, das Unvorhersehbares durch die Bindung an die Methodik hervorbringt, ein Bildsystem unausschöpflicher Überraschungen – Linschingers ureigene bildnerische Erfindung.
Dr. Marlene Lauter, Direktorin Museum im Kulturspeicher Würzburg.
Aus: Die Faszination des Sudoku, Verlag Bibliothek der Provinz 2013