55/verloren/Interview: Eva Riebler-Übleis im Gespräch mit Christian Gmeiner

Eva Riebler-Übleis im Gespräch mit
Christian Gmeiner

Christian Gmeiner im Interview anlässlich der Ausstellung „Erinnern“ im DOKU, Prandtauerstr. 2, St. Pölten im Jänner 14. Die Fragen stellte Eva Riebler

Wie entstand die Idee zu dieser Ausstellung ERINNERN?
Da es so etwas in NÖ auf diese Weise noch nicht gab, wollte ich die aktuelle Erinnerungskultur mittels künstlerischer Objekte und Dokumentationen von Interventionen im öffentlichen Raum gemeinsam und übersichtlich präsentieren. Wichtig sind mir verschieden wirksame und interessante Projekte.

Wie wähltest Du die Teilnehmer für diese Ausstellung?
Die Auswahl trafen für’s erste junge Kunststudierende. Sie bekamen von mir sehr viele, auch internationale Beispiele für die aktuelle Erinnerungskultur vorgestellt und haben daraus ausgewählt und mit den jeweiligen Künstler*innen persönlich Kontakt aufgenommen. Daraus ergab sich ein Nebeneinander von arrivierten Künstler*innen, wie z.B. Ulrike Truger, Bele Marx und Gilles Mussard, Leo Zogmayer, Norbert Maringer, Hans Kupelwieser und jungen aktiven Künstler*innen. Wichtig ist auch die Eigeninitiative aller Beteiligten, so können Sie diese Ausstellung auch als spezielle Intervention sehen. Ich hatte mir aber vorbehalten, weitere Positionen zu ergänzen und habe dies auch entsprechend durchgeführt.

Wie siehst Du die Verbindung zwischen dem Thema ERINNERN und dem Thema unseres etcetera-Heftes VERLOREN?
Es gibt „Schweigestellen“ in der Gesellschaft. Daher schaffe ich seit Jahren eine neue Erinnerungskultur und stellte an verschiedenen Standorten Stahlskulpturen auf und schaffe ein Forum für didaktische Begleitung. Unter anderem beim Projekt „MOBILES ERINNERN“, bei dem es um die Todesmärsche ungarisch-jüdischer Zwangsarbeiter*innen gegangen ist. Elfriede Jelinek schrieb einige Jahre später das Theaterstück über die Ermordung von Juden am Anwesen von Margit v. Batthyany in Rechnitz., Peter Turini nimmt 2007 das Thema „Todesmarsch der jüdischen Ungarn im Theater „Jedem das Seine“ auf. Der St. Pöltner Historiker, Manfred Wieninger, verfasste einen sehr interessanten, historisch belegten Kriminalroman über das SS-Massaker an jüdischen Familien im Mai 1945 in Persenberg. Dieses Geschehen schien aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein verloren gegangen zu sein. Durch den Auftrag des St. Pöltner Bürgermeisters Stadler anlässlich meines Projekts „Mobiles erinnern“ in St. Pölten, ist über das Zwangsarbeiterlager ungarisch-jüdischer Familien in Viehofen erstmals geforscht worden. Beim gleichzeitigem Symposion im St. Pöltner Rathaus kam das Persenbeuger Massengrab im St. Pöltner jüdischen Friedhof durch PD Dr. Eleonore Lappin Eppel zur Sprache und die neuen Forschungsergebnisse über das Lager präsentierte Mag. Manfred Wieninger. Weiters wurde ich auch vom Bundesministerium für Unterricht und Kunst beauftragt, als Netzwerkkoordinator für „erinnern. at“ im Bereich Niederösterreich meine Ideen, planerische Arbeit und Projekte einzubringen. Vieles, was aus dem Bewusstsein verloren schien, ist in der Ausstellung präsentiert: die Arbeiten anderer Künstler und Künstlerinnen sind auch für viele junge Studierende anregend wie Schwarz-Weiß-Fotos vom Jüdischen Friedhof oder Vergrößerungen von Lagerbriefen von 1944/45. Verlorene Bücher gab es bereits unter Dollfuß. Er ließ politisch unliebsame Werke im Traunsee versenken. Spannend ist auch der Bezug Ulrike Trugers zum Tod Oma Fumas. Sie hat ihm in ein Denkmal gesetzt, das Sie ausnahmsweise mit der Flex und nicht händisch herstellte, um die Grausamkeit und Brutalität zu betonen, wie sie sagt.

Erklärst Du Deine zwei Projekte, die in dieser Ausstellung im DOKU-Center des Stadtmuseums St. Pölten zu sehen sind, näher?
Aus dem Jahre 2000 stammt das Projekt STALAG VX B Krems-Gneixendorf. Das war das zeitweise größte Kriegsgefangenenlager im 2. Weltkrieg auf deutschem Boden. Etwa 65.000 Kriegsgefangene, man stelle sich das mal vor, waren dort teilweise interniert und auch die Außenlager wurden dort verwaltet. Im Lagerfriedhof wurden nach Kriegsende Franzosen, Engländer und Amerikaner exhumiert, hier kamen auch 1564 „Russen“ ums Leben. Etwa 50 % aller gefangenen Sowjetsoldaten starben in Gefangenschaft. Da ich erstmals von ehemaligen Kriegsgefangenen in Frankreich davon erfahren habe, obwohl ich in Krems aufwuchs und auch zur Schule ging und nichts darüber hörte, war mir das Thema in Zusammenhang mit Waldheim, Haider, Krenn,…ein Anliegen. Ich setzte Zeichen in Form von sechs Stahltafeln, eine bei der ehemaligen Einfahrt ins Lager mit der Aufschrift „ERINNERN“ in den 12 Sprachen der damaligen Kriegsgefangenen. Sie können bei der Zufahrt zum Flugplatz diese Stahlstele sehen. Den Lagerfriedhof kennzeichnete ich, der bis dahin auch als Müllablagestätte verwendet wurde, obwohl aus verschiedenen osteuropäischen Staaten dort noch immer Tote bestattet sind. Sie sehen in Gneixendorf weitere vier quadratische Tafeln an den Ecken des ehemaligen Lagers, jeweils einen Kilometer voneinander entfernt, ein Fragezeichen mit dem Text STALAG VXII B. Mir war dabei wichtig, dass jeder und jede Einzelne aufgerufen ist, nachzudenken und zu hinterfragen, was mit dem ehemaligen Kriegsgefangenlager im Zusammenhang steht. Ich organisierte auch mit Schüler*innen, Studierenden und Lehrenden Exkursionen und Vorträge vor Ort, da gerade sie am stärksten in die Gesellschaft dieses Thema wirkungsvoll einbringen können. Im Zusammenhang mit dem Viertelfestival war bei den drei von mir organisierten Veranstaltungen („Walk-around“ am Gelände; Rathaus Krems Dokumentationsausstellung; Filmvorführung Billy Wilders STALAG 17) sehr großes Interesse am Thema sichtbar. Es wurde in den Medien reichhaltig und professionell darüber berichtet. Mein zweites präsentiertes Projekt ist „MOBILES ERINNERN“ und war zwischen 2004 und 2009. Von Ungarn – Slowakei – Österreich - Israel, auf etwa 40 Standorte bezogen, genau dort, wo ungarische Jüdinnen und Juden gegen Kriegsende ermordet wurden. Für mich war wichtig, dass die „Erinnerung vor Ort“ wach gehalten wird und nicht auf bestimmte Orte wie Ausschwitz, Mauthausen,… fern der eigenen Lebensbezüge angesiedelt wird. Das für mich wichtige war, dass ich durch die mobile Stahlplastik das Thema Todesmarsch „vor Ort“ sichtbar machen konnte und durch zahlreiche Symposien mit Expert*innen und Politiker*innen Denkprozesse auslösen konnte. Nicht zuletzt hat ein Begleittext des Bundespräsidenten Thomas Klestil Politiker*innen in kleineren Orten von der Wichtigkeit der Erinnerung überzeugen können. Viele, nahezu an allen Orten, an denen ich damit war, sind Privat- und Schulinitiativen entstanden. Zahlreiche Gedenktafeln, künstlerische Gestaltungen sind dort in der Zwischenzeit entstanden.

Wie viele Jahre Deiner künstlerischen Tätigkeit hast Du diesen politischen Projekten gewidmet?
In den letzten 15 Jahren habe ich besonders aktiv im öffentlichen Raum zum Thema NS-Zeit und verdrängte Geschichte gearbeitet. Für mich war wichtig zu zeigen und klären, wie uns die Erziehungsmuster und die schmerzliche Vergangenheit unserer Gesellschaft prägen. Wir sind, wie ich hoffe, Reflektierende ….

Du stelltest Dein Erinnerungstafeln an 30 verschiedenen Orten aus und sammeltest die Reaktionen der Bürgermeister und Bewohner. Wo hattest Du die negativsten Erfahrungen?
In Bratislava hatte ich nach dem Gedenken mit den Behörden große Schwierigkeiten, da der Bürgermeister plötzlich nicht mehr für das Erinnern an Juden war, obwohl er vorher angekündigt hat, eine Rede zu halten. Er ging dann sogar soweit, dass ich eine enorm hohe Strafe bezahlen sollte, da er der Meinung war, dass ich die Stahlplastik einen halben Meter vom ursprünglichen Platz entfernt auf die Wiese gestellt hätte und das Gras dadurch verbogen wurde. Das war auf einem großen Parkgelände im Stadtteil Petržalka und hätte keinerlei Gefährdung mit sich gebracht. Mir hat auch niemand ganz genaue Anweisungen über den Aufstellungsplatz zukommen lassen. Nur durch die Intervention des österreichischen Botschafters wurde alles positiv geregelt. In Strasshof hatte ich vom Bürgermeister zynische E-Mails bekommen. Er wollte das Gedenken vorerst nicht, obwohl ein riesiges Lager im Ort war, und dort viele ums Leben kamen. Sein späterer Interview 10 Verloren|März 2014 Vorschlag war, dass wir am 20. April, an Hitlers Geburtstag, meine Stahlplastik aufstellen sollten. Irene Suchy hat in ihrem interessanten Buch „Strasshof an der Nordbahn - Die NS-Geschichte eines Ortes und ihre Aufarbeitung“ auf diese unglaubliche Kommunikation Bezug genommen. In Bruck an der Leitha wurde mein Objekt „Mobiles Erinnern“ bewusst beschädigt. Auf einige Zettel gekritzelte Texte waren rechtsradikale Sprüche lesbar. Es kam zur Anzeige, die auch die Stadt unterstützte.

2005 warst du in St. Pölten, ich glaub am Riemerplatz. Wie war die Reaktion hier auf das Erinnerungs-Projekt?
Die Reaktionen waren sehr positiv. Im Briefkasten neben dem Objekt waren interessante Texte zu lesen. Unter anderem erhielt ich Kenntnis, dass seitdem das Interesse an Geschichte gewachsen ist und das Institut für jüdische Geschichte bei Veranstaltungen mehr Besucher*innen zählt. Der ORF brachte einen Beitrag, ebenso die Zeitungen. Politiker*innen waren von nahezu jeder Partei am Wort. Großartig fand ich, dass die Stadt St. Pölten im Rathaus ein Symposion mit einer dafür neu entstandenen Publikation veranstaltet hat.

Ist die Verantwortung des Künstlers eine größere?
Für‘s erste glaube ich, dass jede und jeder Mensch gleich viel Verantwortung für ein gedeihliches Miteinander trägt. Dazu gehört eben auch Erinnerung und dazugehörige Schlussfolgerungen bzw. bewusste Handlungen daraus. Der Künstler kann vieles schneller sichtbar machen. Viele sind, wie ich meist denke, sensibler, nehmen sich mehr Zeit für essentielle Fragen. Nehmen auch Abstand vom Alltag, dadurch kann vieles für einen berührender, erlebbarer und entsprechend sichtbarer sein.

Ist Deine Zeit als Projektkünstler beendet und führst Du als Maler Deine figuralen Bilder der früheren Jahre weiter?
Meine Malerei betreibe ich, wie seit langem, konsequent und ohne Spekulation auf kurzzeitige Trends und Medienwirksamkeit. Meine Arbeiten sind in verschieden Galerien und Sammlungen präsentiert und ich werde immer wieder zu Ausstellungen und Katalogbbeiträgen eingeladen. Durch eine radikale Veränderung in meinem Privatleben, merke ich sehr deutlich, wie sehr die Malerei für mich unverzichtbar und existenziell tragfähig ist. Ich habe mich ja gegen alle Trends als junger Maler für figurale Malerei entschieden und baue konsequent meine Möglichkeiten weiter aus. Meinen meist sehr spannenden Weg kann ich so intensiv erleben. Projekte im öffentlichen Raum sind sehr zeitaufwändig und müssen natürlich genauestens überlegt sein, ob es dafürsteht. Bislang habe ich aber immer wieder diesbezüglich Herausforderungen gesucht, angenommen und umgesetzt. Ich werde künftig sorgsamer und effizienter mit meiner Zeit umgehen.

2005 warst Du mit Deiner „Mobilen Erinnern“ in St. Pölten. Wie würdest Du hier vergleichsweise mit Hartberg in der STMK aufgenommen?
Mag. Pulle hat im Auftrag des Bürgermeisters sehr professionelle Organisationsarbeit geleistet, ebenso Mag. Wieninger bei seinen Recherchen und Neuentdeckungen. Die wichtigsten Persönlichkeiten waren vor Ort und haben auch Beiträge gebracht. In Hartberg hat sich der Pfarrer einige Tage vorher plötzlich von dem Gedenken distanziert, die Gemeinde allerdings ein Symposion zugesagt, welches sogar auf Grund des großen Interview-Interesses wiederholt wurde. Wie ich denke, kann so ein Widerstand das Gegenteil bewirken, besonders erfreulich für mich war, dass die Bildhauerin Ulrike Truger und der Schriftsteller Martin Pollak sehr viel Interesse daran gezeigt haben und interessante Statements abgaben.

Am Riemerplatz waren für 3 Wochen die Exponate, sprich Erinnerungsobjekt ausgestellt. Wie war die Akzeptanz der Stankt Pöltner Bevölkerung?
Nun, im Moment kann man nur aus vielen, schon erwähnten Fakten Schlüsse ziehen. Die gefundenen Zettel waren positiv, für das Projekt zu verstehen. Habe im Laufe der letzten Jahre diesbezüglich Anfragen bekommen und auch diesbezüglich publiziert. Im Internet findet man Näheres insbesondere Schlussfolgerungen unter http://www.erinnern.at/bundeslaender/ niederoesterreich/institutionen-projekte/projekt-mobileserinnern

Christian Gmeiner
Geb. 1960 in Wien, Studien: Kunstpädagogik Kunst und kommunikative Praxis (Lehramt Bildnerische Erziehung) Design, Architektur und Environment für Kunstpädagogik (Lehramt Werkerziehung). Meisterklasse Malerei und Grafik: (Eric Van ESS). Ausbildung für Kamera und Filmregie Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz und Hochschule für angewandte Kunst, Wien. Lehrtätigkeiten in Wien und Krems und Dozententätigkeiten in Europa und USA.

Interview „Erinnern“ im DOKU, Prandtauerstr. 2, St. Pölten im Jänner 14. ©Fotos DOKU

Erschienen im etcetera Nr. 55 / verloren / März 2014 mehr...

55/verloren/Interview: Johannes Schmidt im Gespräch mit dem Heftkünstler Norbert Gmeindl

Johannes Schmid im Gespräch mit
Norbert Gmeindl

Im Jänner 2014 führte Johannes Schmid mit dem Maler und am Stiftsgymnasium Melk tätigen Norbert Gmeindl ein Gespräch.

Wann wurdest Du Dir Deiner künstlerischen Begabung bewusst?
Ich fühle mich nicht besonders begabt, ich zeichne einfach gerne. Es gibt unter den Schülern einige, die nicht minder gut zeichnen können. Es war für mich ein großer Erfolg, in die Akademie der bildenden Künste aufgenommen worden zu sein. Es ist immer schwierig, sich selbst einer Begabung zu rühmen; dies muss von außen geschehen.

Hat Dich jemand auf Deinem Werdegang als Künstler besonders gefördert?
Meinen Eltern blieb meine Neigung nicht unentdeckt. Meine Mutter hat von mir 500 Kinderzeichnungen gesammelt. Ich durfte als Bub die Decke meines Zimmers künstlerisch gestalten. Mein Zeichenprofessor im Gymnasium war ein ausgezeichneter traditioneller Zeichner und Maler. Unser Verhältnis war gewissermaßen neutral. Als Volksschüler habe ich geglaubt, ich müsste selbst ein Buch schreiben, um dieses zu illustrieren. Denn zu Hause standen viele illustrierte Bücher. Später natürlich erkannte ich, dass man den Beruf des bildenden Künstlers unabhängig vom literarischen Schaffen ausüben kann. Nach dem zweiten Studienjahr stand mir mein Professor Melcher auf Grund meiner Arbeitshaltung kritisch gegenüber. Letztlich aber gewann ich einen der Abgangspreise. Man hätte mir zeigen müssen, wie man im Kunstbereich Fuß fassen kann. Ich bin nicht imstande, aus meiner Kunst Kapital zu schlagen. Ich bin in dieser Hinsicht nicht aktiv genug.

Hat es einen speziellen Grund, dass Du Dich vor allem der Tuschzeichnung widmest?
Mit dem Tuschestift lässt sich besonders präzise arbeiten. Ich liebe auch die Reproduzierbarkeit. Letztlich ist diese Vorliebe aber unerklärlich. Manchmal, eher selten, zeichne ich etwas vor. In der Regel aber arbeite ich, ohne vorzuzeichnen. Lediglich komplizierte Figuren entwerfe ich auf einem anderen Blatt. Mir behagt das Präzise und Harte des Tuschestifts. Ich würde gerne aber auch große Arbeiten machen. Dies verhindern aber die Lebensumstände. Wohin damit? Ich habe die Räumlichkeiten nicht. Doch muss ich sagen, ich habe einen Zeichenzwang; ich zeichne immer und überall. Technisch interessiert mich schwarz-weiß. Zu Beginn einer Zeichnung bin ich mir des Themas und der Ausführung nicht immer bewusst. Ich lasse mich während des Zeichnens selbst überraschen. Bei einigen Arbeiten habe ich dies dokumentiert, indem ich von jedem Arbeitsschritt Kopien gemacht habe. Oft muss ich mich entscheiden, welche Richtung ich bei meiner Zeichnung nehmen soll. Dies erklärt auch die Wiederholung gewisser Elemente. Ich gestalte verschiedene Varianten eines Themas, lote Möglichkeiten aus. Ich bin jemand, der intensiv in Büchern blättert und Ausstellungen besucht und von dort Anregungen empfängt.

Dein Thema ist unverkennbar der Verfall? Sind Verfall und Untergang für Dich Faszinosa, die Dein Weltbild bestimmen?
Ja. Ich war auch in einer Musikgruppe und habe dafür kleine Heftchen produziert, in denen das Thema Verfall ebenfalls thematisiert wurde.

Du befasst Dich intensiv auch mit Völkerkunde?
Welchen Einfluss auf Dein Werk hat das Studium der Kultur vor allem indianischer Völker?

Dies hängt mit den vielen Büchern zusammen, die mein Großvater über verschiedene Kulturen und Reiseberichte hatte. Mich interessiert die materielle Kultur, vor allem Nordamerikas, des pazifischen Raums und Sibiriens. Hinzu kommt jetzt Zentraleuropa, alpines Brauchtum. Die Frage nach dem Ursprung ist für mich dabei von Interesse. Woher kommen zum Beispiel gewisse Umzüge, Perchtenläufe? Das zweite Interesse gilt der Spätrenaissance, dem Manierismus, der phantastischen Kunst früherer Epochen. An der Völkerkunde interessiert mich auch, wie sie in Europa rezipiert wird, z. B. in Comics. Aufnahme, Berichterstattung, populäre Umsetzung, Transformation in eine triviale Kultur sind Gegenstand meiner Auseinandersetzung. Viele Elemente in Deinem Schaffen scheinen Archetypen wiederzugeben? Hast Du Dich mit der Psychologie C. G. Jungs auseinandergesetzt? Ich habe mich mit keiner Psychologie oder Philosophie befasst, die Archetypisches zum Gegenstand hat. Meine Kenntnis hierüber habe ich aus Märchen, Sagen und Comics. In meinen Zeichnungen kommen keine Individuen vor, sondern archetypische Gestalten oder Typen, das ist sicher richtig. So der scheiternde Held. Auch in den Comics sind die Figuren stereotyp, scharf konturiert, exemplarisch. Sollen Deine Figuren in den Grafiken „Verlorene ” darstellen? Verlorene? Ja, vielleicht, aber nicht ausdrücklich. Es könnte aber schon ganz gut zum Titel eurer aktuellen Ausgabe passen. Figuren in zuweilen ungewöhnlichen, auch aufregenden Situationen. Vieles nicht so bedeutungsschwer, eher befremdlich, absurd und komisch. Zumeist ist nichts entschieden: Bedrohte oder Bedrohende, Schlafende oder doch Tote. Stellen für Dich Weltuntergang, die Anarchie und die Sintflut vorherrschende dauerhafte Themen dar? Ich seh das Alles gar nicht so negativ. Verfall, zerbröckelnde Mauern, aber auch Fossilien, gestrandete und geborstene Schiffe und Archen, aber auch aus ihren Trümmern gebaute Hütten und primitive Paläste. Einsame Landschaften unterm Sternenhimmel, Rauch aus verloschenen Feuern oder Vulkanen. Vieles verdankt sich dem Medium Schwarz-Weiß-Zeichnung, das einem diese Themen geradezu aufdrängt, und entsteht erst während der Arbeit.

Ist die Welt Deiner Figuren immmer schon eine feindliche, hoffnungslose und somit eine verdammte gewesen? Oder gab es „bessere Zeiten“ und daher schmerzt der Verlust besonders?
Es gab vielleicht bessere Zeiten, die sich aber zunehmend verkomplizierten und pervertierten und ihr Verlust schmerzt gar nicht so besonders. Die Welt meiner Zeichnungen ist eher melancholisch in einem grüblerischen und assoziativen Sinn. Ich bin ja einer der Musikgruppe 8 ODER 9 und habe früher für unsere seltenen Auftritte kleine kopierte Heftchen herausgebracht. Das Unernste und das Pathetische lagen da eng beieinander : 8 ODER 9 lieben die Vergänglichkeit und ihr eigenes langes Leben.

Du bist in einem Jahrhundert geboren, in dem zwei Weltkriege stattfanden und die Zerstörung der Natur ein ungeahntes Ausmaß angenommen hat. Ist Deine Darstellung des Verfalls eine Reaktion darauf?
Ja. Meine Darstellungen zeigen nicht Hoffnungsloses, sondern eben Vergänglichkeit. Wenn es mir selbst schlecht geht, vermag ich den Verfall nicht darzustellen, dann kann ich eben keine Totenschädel zeichnen. Wie ich einen Tumor hatte, war dies über längere Zeit der Fall. Ich brauche eine gewisse Distanz. Der Sinn meines Schaffens liegt darin, mein Leben zu bewältigen. Ich fühle mich am lebendigsten, wenn ich mit meiner Frau verreise. Dann zeichne ich nicht stundenlang; dies tue ich unter dem Jahr.

Wie beurteilst Du den gegenwärtigen Kunstbetrieb in Österreich?
Werden die Künstler unseres Landes ausreichend gefördert und werden die richtigen Künstler gefördert? Ich kann dies nicht wirklich beurteilen. Was mich irritiert, ist das Gebaren der großen Museen. Viele Ausstellungen sind einfach zu dürftig. Als Museum würde ich mich darauf konzentrieren, eine solide und umfassende Dauerausstellung zu installieren. Mich stört auch die unablässige Neuordnung der Objekte. Es gibt zu wenig Beständigkeit. Ich liebte früher das NHM besonders, am Vormittag waren viele Säle leer, mir gefielen die historischen Vitrinen mit Saurierzähnen usw., auf belehrende Schautafeln kann ich verzichten. Besonders schmerzlich empfinde ich den Zustand des Völkerkunde- jetzt Weltmuseums. Es ist eines der bedeutendsten der Welt; es beherbergt z. B. die Sammlungen von Cook und Natterer, Objekte von den Osterinseln und vieles mehr. Dies alles ist nicht mehr zu sehen. Nur mehr der Penacho, die altmexikanische Sammlung aber lässt sich nicht besichtigen. Dieser Zustand währt schon länger als zehn Jahre. Man stelle sich vor, man geht ins KHM und findet keinen Holbein oder Rembrandt mehr. Du bist Gymnasiallehrer. Erlebst Du den schulischen Alltag als Bereicherung oder eher als Einschränkung Deines Künstlertums? Was ich als positiv befinde, ist, dass mir der schulische Alltag eine gewisse Struktur gibt. An freien Tagen produziere ich nicht mehr als an Schultagen. Zeichnen ist für mich ein Ausgleich zum schulischen Alltag, vielleicht auch eine gewisse Korrektur. Hat die Schule die Möglichkeit künstlerisch begabte Jugendliche ausreichend zu unterstützen? Allein die Existenz des Faches ist schon eine Art der Förderung. Man findet immer Schüler, die sich für ein Fach, so auch für bildnerische Erziehung begeistern und einen künstlerischen Beruf ergreifen. Welche Projekte planst Du für die nächste Zukunft? Ich möchte ein Buch mit meinen Zeichnungen herausgeben. Ich gehe unter vor Büchern, daher mein Wunsch selbst auch zu publizieren.

Ausstellungen (Auswahl)
2006 „Wo warst Du? All Ambra”, Kunstpavillon, Innsbruck
2006 Galerie Altnöder, Salzburg
2008 „klein+fein”, Galerie Altnöder Salzburg
2009 Tat Eve, Forum Stadtpark, Graz
2009 Zauber der Zeichnung (Zeichnungen in Österreich 1946-
2009), Galerie im Lanserhaus, Eppan (Italien)
2010 Wir wohnen, Kunstraum NOE, Wien
2010 Tonto#12-Nordpol, Künstlervereinigung MAERZ, Linz
2010 Wir wohnen, Kunstraum NOE, Wien
2010 „Mentalität Zeichnung”. Zeichnung in Österreich 1970-2010,
RLB Kunstbrücke, Innsbruck
2012 Melk Alte Post/Solo

Norbert Gmeindl, seit Kindheit ein manischer und wohl auch verträumter Zeichner und Gestalter, verzaubert zu hoher Inspiration und Imagination. Flugsaurier, Mammut und Zauberinnen ziehen in seinen Bildwelten ihre magischen Kreise. An Gmeindls Orten der Zuflucht treffen mythische Elemente an seltsamen Kultstätten in einem zeitlosen Jetzt aufeinander. Er umkreist in seinen Objekten und kleinformatigen Tuschezeichnungen das Unheimliche, Verträumte, Romantische, manchmal auch Herzzerreißende - voll Sehnsucht nach einer Welt, die nicht im Hier und Jetzt verankert ist.

Erschienen im etcetera Nr. 55 / verloren / März 2014 mehr...

61/LitArena VII/Interview: Ernst Gembinsky

Wohin die Reise geht: Erkundung unbekannter Landschaften

Ernst Gembinsky, Wiener Fotograf und Maler, ist bekannt als akribischer Beobachter. Seine Arbeiten spiegeln Landschaften, innere und äußere, wider. Mit dem Künstler sprach Cornelia Stahl.

Du hast den Beruf des Gärtners erlernt. Verstehst du dich heute auch noch als Gärtner? 
Nein, eher nicht. Ich habe mich als Gärtner viel mit Gartenplanung und -gestaltung befasst. Dabei waren mir besonders die künstlerischen Aspekte wichtig. Japanische Gärten finde ich faszinierend. Diese sind weit entfernt von einer Naturlandschaft, sondern strahlen durch ihre Symbolik eine Ruhe aus, die kaum in Worte zu fassen ist. In bin dann zunehmend meiner Sehnsucht gefolgt, künstlerisch tätig zu sein und hauptberuflich als Künstler zu arbeiten.

Von 1979 bis 1982 hast du am Wiener Konservatorium Gitarre gelernt? Was war deine Motivation, dich der Malerei zu widmen, nicht der Musik?
Damals habe ich am Prayner Privatkonservatorium in Wien Gitarre erlernt. Natürlich erfordert das Erlernen eines Instrumentes viel Geduld und Übung. Diese fehlte mir zum damaligen Zeitpunkt. In einer Pause zwischen den Proben hatte ich eine ruhige Minute und kritzelte irgendetwas auf ein Blatt Papier. Daraus entstand eine wunderbare Zeichnung. Plötzlich erinnerte ich mich daran, dass ich im Zeichenunterricht  während der Schulzeit für Mitschüler und Mitschülerinnen Zeichnungen anfertigte, damit diese ihre Note verbessern konnten. So begann der Weg in die Malerei.

Welche Rolle spielt heute, neben der Malerei, die Musik für dich? 
Ich höre fast alles: von Gustav Mahler bis Harri Stojka. Ich selbst habe ja auch Gitarre erlernt, aber hatte weit weniger Geduld. Bei Harri Stojka bin ich vor allem von seinem Gitarrenspiel begeistert. In der Malerei hat mich Hieronymus Bosch beeindruckt. An zeitgenössischen Künstlern waren es Gunter Damisch und Gottfried Helnwein. Wichtig ist mir, den eigenen Stil beizubehalten.

Die Konkurrenz unter den Künstlern ist enorm gewachsen. Kennst du das Gefühl, stets getrieben zu sein und sich immer wieder neu definieren zu müssen?
Dieses Gefühl kenne ich nicht. Mir ist es wichtig, den eigenen Weg zu gehen und sich nicht darum zu kümmern, welche Trends gefragt sind. Diese wechseln schnell: mal war abstrakte Malerei in Mode; jetzt ist wieder Gegenständliches gefragt. Ich kann frei entscheiden. Ich verkaufe nicht, muss also nicht davon leben. Das erleichtert mir meine künstlerische Arbeit.

Da bist du neben den anderen Künstlern privilegiert, die ihren Lebensunterhalt davon bestreiten müssen!
Ich habe mir meine Freiheit erarbeitet, durch meinen Brotberuf. Habe damals einige Reserven zur Seite gelegt und mich auf die unabhängige künstlerische Arbeit vorbereitet. Ich bin von keinem Sponsor abhängig und auch nicht erpressbar. Ich beobachte Künstler, die sich gegenseitig unterbieten. Wenn ich Bilder für wenig Geld verkaufe, sind sie mir auch nichts wert. Gibt es Zeiten des Stillstandes, der Leere, des Zweifelns? Wie findest du immer wieder zu deiner Identität als Künstler zurück? Natürlich gibt es auch Zeiten des Stillstandes. Meist lasse ich mich durch Musik inspirieren. Dann fange ich an zu arbeiten. Wenn mir etwas gut gelungen ist und mir die Richtung gefällt, geht’s richtig los in die produktive Phase. Vor zwei Jahren, vor und nach meiner Pensionierung, bin ich durch die Beschäftigung mit chinesischer Kalligraphie verstärkt zu Tuschezeichnungen übergegangen. Chinesen arbeiten aber mit Tusche und Pinsel, ich aber mit der Feder. Die meisten Bilder sind in meiner jetzigen Ausstellung im Bezirksmuseum Wien- Meidling zu sehen.

Gibt es Zeiten des Stillstandes, der Leere, des Zweifelns? Wie findest du immer wieder zu deiner Identität als Künstler zurück?
Natürlich gibt es auch Zeiten des Stillstandes. Meist lasse ich mich durch Musik inspirieren. Dann fange ich an zu arbeiten. Wenn mir etwas gut gelungen ist und mir die Richtung gefällt, geht’s richtig los in die produktive Phase. Vor zwei Jahren, vor und nach meiner Pensionierung, bin ich durch die Beschäftigung mit chinesischer Kalligraphie verstärkt zu Tuschezeichnungen übergegangen. Chinesen arbeiten aber mit Tusche und Pinsel, ich aber mit der Feder. Die meisten Bilder sind in meiner jetzigen Ausstellung im Bezirksmuseum Wien- Meidling zu sehen.

In Zeiten ständiger Beschleunigung, was wünschst du dir für deine weitere Arbeit als Künstler?
Ich versuche, mich vom Zeitgeist zu distanzieren, muss nicht ständig erreichbar sein, oftmals schalte ich das Handy lautlos. Die neuen Medien und das Internet haben natürlich auch ihre positiven Seiten, die ich für meine Arbeit nutze. Beim Fotografieren bin ich aber spät auf digital umgestiegen. Habe früher analog fotografiert. Die Arbeit in der Dunkelkammer geht mir ab. Das Beobachten, wie im Fixierbad nach und nach ein Bild entsteht, hat für mich nach wie vor noch etwas Faszinierendes an sich.

Ernst Gembinsky: Geb.1954, Fotograf und Maler. Ausbildung zum Gärtner. Foto-Studienreisen nach Südostasien. Musik-Studium am Konserv.Wien. Seit 1987 Einzel-/Gemeinschaftsausst. in Österr. & China. 2007 Gründung & künstler. Leitung Kulturforum Wien-Meidling. 2014 „Wer verweilt ist klug“ Schiff-Galerie. mehr...