52/Körper/Lyrik: Hahnrei Wolf Käfer

Hahnrei Wolf Käfer
Ein paar Kyoka zum Körper-Thema

Und die andere Seite des Körperlichen?

Der Körper denkt und
macht, dass der Geist glaubt, er lenkt.
Doch das Hirn gehört,
            wandelt es auch somnambul,
            immer noch zum Soma-Pool.

Der Geburtskanal
ist die Quelle der Qual. Mag
er auch Pforte zum
            Himmel sein, ist die Stelle
            zuerst Zutritt zur Hölle.

 

Schönheitschirurgie

Schönheitschirurgie ‘Schönheitschirurgie’
sagt man nicht mehr. Aber ist
die Metzelei nun
            (die Schönheit bleibt der Fetisch)
            als Chirurgie ‘ästhetisch’?

Oft beschränkt sich die
Liebe zur Antike auf
Operatives.
            Sie möchte eine Nase
            wie die auf jener Vase.

Das Schönchen wollte
nicht nach Äußerlichkeiten
beurteilt werden.
            Innre Werte, die sie hat?
            Rechts und links ein Implantat.

Sie kauft nur Bio,
trägt keine Kunstfaser ... Doch
ihr toller Körper
            (filmisch beglückt er Massen)
            ist nicht naturbelassen.

Auch sie ist gegen
weibliche Beschneidung, doch
ist unter ihrer
            Kleidung auch nicht ganz Natur
            diese Lippenkorrektur.

Diesen Popsch hat kein
Sterblicher gezeugt, kein Weib
ausgetragen. Der
            hat, wie er so hübsch nach Norm,
            von der Chirurgie die Form.

Der Po ist halt nicht
sexuell, wies der Richter
schnell die Klage ab,
            der, als er nach Hause kam,
            seine Frau a tergo nahm.

Hahnrei Wolf Käfer
Geb. 1948. Literarischer Beginn über die Präpositionsschwäche von Peter Rosei und dergleichen, später sprachfreundliche und autorenskeptische Essays über Haslinger, Gail, Menasse, Streeruwitz etc. im Morgen. kultur nach gärtnerinnenart (Lyrikzyklus), täuschungen (Lyrikzyklus über das programmatische Pseudonym “Hahnrei”), ICH GING (Roman).
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51/viel-leicht/Lyrik: Samson Cvetkovic - Vielleicht morgen

Samson Cvetkovic
Vielleicht morgen

Zwölf Uhr mittags,
und ich habe nichts besseres zu tun,
als die Staubkörner,
auf meinem Parkettboden,
zu zählen.

Ich könnte arbeiten gehen,
ich könnte den Müll hinaustragen,
ich könnte das Geschirr spülen,
ich könnte den Boden staubsaugen,
ich könnte die Fenster putzen,
ich könnte den Fernseher reparieren,
ich könnte die Wäsche waschen,
ich könnte etwas Nützliches tun,
irgendwas,
und ich habe nichts besseres zu tun,
als zu Hause rumzusitzen,
und auf bessere Zeiten zu warten.

Ich könnte Geld spenden,
ich könnte versuchen,
den Hunger in der Welt zu bekämpfen,
ich könnte ein ehrenamtliches Mitglied werden,
ich könnte den Kranken,
und Bedürftigen helfen,
ich könnte versuchen,
das eine oder andere Leben zu retten,
ich könnte so vieles tun,
um nützlicher für diese Welt zu sein,
und ich sitze zu Hause rum,
und esse Schinken-Käse-Sandwiches.

Ich könnte studieren,
und Arzt werden,
oder Ingenieur,
oder Anwalt,
oder Physiker,
oder Maschinentechniker,
oder Wissenschaftler,
oder weiß der Teufel was.

Ich könnte so vieles tun,
um ein geachtetes Mitglied der Gesellschaft
zu werden,
und ich hänge nur mit meiner Puppe,
im Bett rum,
steck ihr hin und wieder,
mein Ding zwischen die Beine,
und bin zufrieden,
mit dem was ich habe.

Ich könnte so vieles tun,
um mein Leben wertvoller zu gestalten,
um etwas aus mir zu machen,
und meinem Leben,
einen Sinn zu geben,
ich könnte allerlei tun,
um etwas auf der Welt,
und in meinem Leben,
zu bewegen,
und ich mache nichts,
als rumzuhängen um zwölf Uhr mittags,
Schinken-Käse-Sandwiches zu essen,
und ab und zu,
mein Schätzchen zu vögeln.

Aber morgen ist ja auch noch ein Tag.
Und vielleicht mach ich dann,
etwas von alledem.

Samson Cvetkovic
Geb. 1985 in Wien und lebt seitdem auch dort. Mit mehr oder weniger schlechtbezahlten Jobs hält er sich über Wasser. Schreibt Kurzgeschichten und Gedichte, Veröffentlichungen in Anthologien.

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50/Wozu Literatur?/Lyrik: gegen die hilflosigkeit gedichte zu schreiben. Thomas Rackwitz

Thomas Rackwitz
gegen die hilflosigkeit gedichte zu schreiben

wer heute noch schreibt
glaubt nicht an zufall
oder an die form des monats auf dem fahndungsbild
oder an die karriere des alphabets

wer heute noch schreibt
kämpft mit der ämterguerilla
oder pimpt seinen lebenslauf
mit wohlfahrtsstipendien

wer heute noch schreibt
wünscht sich zurück
die zensur denn die weckt
die aufmerksamkeit

wer heute noch schreibt
wär besser krawattenvertreter
ein ultra in einer arche
die richtungsonne treibt

wer heute noch schreibt
wäre am besten in einer stahlkammer
amok gelaufen
als er die chance dazu hatte

wer heute noch schreibt
streitet mit baumaktivisten
ringt mit dem vergessen
im sumpf der zitate

wer heute noch schreibt
hat besser was gegen die zukunft
in der hand

 

Thomas Rackwitz
das gedicht als antimaterie

ich floh vor der enge des weltraums
und fand eine zuflucht in diesem stillgelegten gedicht
hinter einem in zeitlupe verschwendeten rauschen

hier war ich sicher vor dem voting
des lieblingsbuchstabens oder der möglichkeit
den weltrekord im schielen zu brechen

hier gab es keine friedhofstouristen
keinen regen nach der werbung
hier weste niemand
vom zinseszins früherer küsse

hier schlug kein herz von zeit zu zeit
in schwarzweiß wurden keine steine gequält
wurden die schockgefrorenen weder gehypt
noch diskriminiert

in dieser höheren form der antimaterie
trieben keine bitte-nicht-stören-schilder
durch die kanalisation
in dieser höheren form der antimaterie
war alles immer noch
an seinem angestammten platz
besaß jedes zeichen
die sprengkraft des vergessens

Thomas Rackwitz
Geb. 1981 in Halle/Saale, lebt in Berlin und Gröbers, arbeitet als Lektor und Übersetzer, ist Mitglied des Friedrich-Bödecker-Kreises, der IGdA und im Förderkreis der Schriftsteller in Sachsen-Anhalt e.V., veröffentlichte 4 Bücher und in Anthologien/Zeitschriften, erhielt u. a. den irischen Féile Filíochta Award 2007, das Walter-Bauer-Stipendium der Städte Merseburg und Leuna 2008 sowie den 3. Preis beim lauter niemand preis für politische lyrik 2011.

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