Buch

Michael Stavarič und Martina Stuhlberger/Illustr.: Tierisch wilde Weihnachten

Eva Riebler

Michael Stavarič und Martina Stuhlberger:
Tierisch wilde Weihnachten

Graz-Wien-Berlin, Leykam
Kinderbuch
2023, 104 Seiten
ISBN 978-3-7011-8290-9

24 Tiere erzählen von ihren Wünschen und Gebräuchen zu Weihnachten. Warum es Weihnachten überhaupt gibt sowie der Sinn, werden nicht beleuchtet. Es dürfte das Buch auf viele kindliche bis jugendliche Leser zugeschnitten sein, und die religiös-historische Einführung ja die Breitenstreuung mindern würde. So ist Weihnachten, was es tatsächlich ist: Ein Fest, eine Party mit Weihnachstsbaum, Geschenken und Musik, vielleicht sogar mit dem Lied: Stille Nacht, Heilige Nacht. Allerdings feiern nicht Menschen, sondern Tiere, die oft mit einem Mädchen namens Yara in Beziehung stehen.
Z. B. der Goldfisch oder die Schildkröte sowie die Katze überlegen, was zu einem gelungenen Fest ihrer Meinung nach gehört. Sie alle, wie auch die Schnecken, Läuse, Rehe oder Wölfe etc. bringen auf spannende Weise ihre persönliche Note ein. Sie erzählen ihre Sichtweise auf das Leben. Sie sind cool oder hilfsbereit und witzig und haben alle kreative Ideen, wie man einen Weihnachtsbaum gestalten könnte. Natürlich wünscht sich die Schildkröte einen frischen Salatbaum und der Goldfisch träumt von dichten Wasserpflanzen, an deren Spitze er selbst wie ein goldener Stern erstrahlt und überall herum glänzen funkelnde Fischschuppen. Und wie wär`s mit einem Unterwasser-Weihnachtsbaum von 12 Metern Höhe? Und haben Sie schon mal eine Kracke für Weihnachten gebucht?
Michael Stavaric hat viele gute Einfälle und charakterisiert die verschiedenen Tiere vortrefflich. Die Krabbe spricht wunderbar originellen Dialekt und auch der Wellensittich von Yara erläutert den Lesern das Wort „Christbaum”, kommend vielleicht von „Gerüst” und „Bahn” oder doch genannt „Kristbam”, wer weiß. Jedenfalls ist Stavarič und somit jedes Tier bemüht, dem Leser seine Welt zu öffnen und gute Tipps für das perfekte Weihnachtsfest zu liefern.
Ein köstliches und sehr gehaltvolles, umfangreiches Werk! Die zahlreichen, farbigen Illustrationen sind wirklich beeindruckend und hochwertig!

A. Nischkauer/Kalle Laar: Mir war, als ob es klopfte

Gerald Jatzek

Astrid Nischkauer u. Kalle A. Laar (Hg.und Übersetzungen):
Mir war, als ob es klopfte.

Neue Gedichte aus Lettland,
Parasitenpresse, Köln
2023, 122 Seiten
ISBN: 978-3-988050-25-0

Erweiterung. Es gibt zweifellos Länder, in denen Schreibende eine bessere Ausgangslage finden als in Lettland. Das potentielle Lesepublikum der Originaltexte ist auf weniger als zwei Millionen beschränkt. Dazu kommt die jüngere Geschichte des Landes zwischen dem deutschen und dem russischen Imperialismus, die dazu geführt hat, dass die Grenze zwischen Opfer und Täter nicht selten mitten durch Personen verläuft.
Vielleicht ist das mit ein Grund für den erzählenden Tonfall in einer Reihe von Gedichten: „Wir können alle möglichen Geschichten erzählen / und alle möglichen Kleider tragen, / wir können unseren Göttern Schnurrbärte malen", stellt Anna Auziņa fest. Eindeutigkeit wird dabei nicht angestrebt. Als „allzu introvertiertes und egozentrisches Genre", bezeichnet Krista Anna Belševica Gedichte. Um am Ende des Textes Zustimmung oder Ablehnung einzufordern: „Was soll das heißen – dass es nie wieder so sein wird, wie gewohnt? / Schau, das wissen wir nicht / (und es ist ganz gut so, dass wir es nicht wissen)."
Es sind freilich nicht unbedingt die großen Themen wie Geschichte oder Erkenntnis, über die berichtet wird. Artis Ostups macht sein Publikum mit ebenso poetischer wie augenzwinkernder Prosa zur Reisebegleitung: „Die Schlaflosigkeitsmaschine / mit von Betrunkenen vernebelten Fenstern schleuderte / mich auf Europas tiefsten / Punkt." Selten taucht in dem Band Banales auf, das man getrost ignorieren kann: „Gedichte sind wie / Käse. / Aus fünf Litern Milch / Einer. // Und / Nicht nur das." Uns sollte die Zusammenstellung neugierig machen, auf die Literatur der Ausgewanderten wie Gunars Saliņš oder David Bezmozgis etwa und natürlich auf Lettland, das selbst für Reisefreudige hierzulande exotischer ist als Thailand oder Kuba.
Schließlich findet die Erweiterung unseres Verständnisses von Europa nicht in Brüssel statt, sondern in unseren Köpfen.

Janko Ferk: Mein Leben. Meine Bücher

Cornelia Stahl

Janko Ferk:
Mein Leben. Meine Bücher

Erzählung
Innsbr./Wien: Limbus Verlag,
2022, 139 Seiten
ISBN: 978-3- 990392072

Literarischer Lebensrückblick. Es gibt verschiedene Arten, das eigene Leben zu erzählen. Günter de Bruyn tat es mit seinem autobiographisch getränkten Entwicklungsroman „Zwischenbilanz“ (S. Fischer Verlag, 1992), den ich 2022 im Musil-Museum, in Klagenfurt, erwarb. Mag es Zufall sein oder nicht, denn der Autor des vorliegenden Buches, Janko Ferk, ist in Klagenfurt geboren.
Sein Leben erzählt er anhand von Literatur und wählt dazu zehn Bücher aus, die ihn nachhaltig prägten und beeinflussten. Angefangen von Franz Kafka, Peter Handke, Erich Fried und Reiner Kunze, um hier nur einige aufzuzählen. Sogar die Bibel, insbesondere das Neue Testament, nennt der Autor und wartet mit Anekdoten auf, die die Lektüre zu einem Genuss machen. Leser*innen vergegenwärtigen sich, dass viele Episoden aus einer vordigitalen Zeit stammen. Ferks Erzählungen spiegeln in allen Beiträgen die Liebe zum Lesen.
Das Buch regt dazu an, über die eigene Lesebiographie nachzudenken und Literatur in Erinnerung zu rufen, die bedeutsam und prägend war in einzelnen Lebensabschnitten und nachwirkt bis in die Gegenwart.
Franz Kafkas Roman „Der Proceß“ diente dem Autor als Vorlage für sein Dissertationsprojekt im Bereich der Rechtsphilosophie.
Humorvoll lesen sich die Anekdoten zur Bibel. Ferk, der als Kärntner Slowene im katholischen geprägten Kärnten aufwuchs, pflegte in der Kindheit, Bitt- und Dankesgebete zu sprechen und passte sie der jeweiligen Situation an. „Geschickt wie ich war, habe ich beim nächsten Mal vor dem Stoß- das Dankesgebet gesprochen.“ (S. 68)
Janko Ferk, 1958 in Klagenfurt geboren, Jurist und Literaturprofessor an der Universität Klagenfurt. Dissertation über die Rechtsphilosophie Franz Kafkas. Ferk erhielt das Ehrenzeichen des Landes Kärnten (2020).

August Staudenmayer: Alter Affe Angst

Cornelia Stahl

August Staudenmayer:
Alter Affe Angst

Prosa
Wien: Klever Verlag,
2023, 150 Seiten
ISBN: 978-3-903110-95-3

Der Blick in den Spiegel. „Es fühlt sich an wie ein Spiegel“, sagt August Staudenmayer über seine Herangehensweise, bevor er ein Bild zeichnet. „Ich habe noch nie erlebt, dass ich mir vorgenommen habe, etwas Bestimmtes zu zeichnen“, ergänzt er. Ähnlich fühlt sich seine Prosa an, betrachtet man den aktuellen Prosaband „Alter Affe Angst“ detailliert. Das A dominiert: Assoziatives Schreiben nennt es Staudenmayer im Interview.
Der vorliegende Band enthält ein Universum an vielfältigen Assoziationen: Angefangen vom ersten Beitrag „Staat“:
„Der Nationalfeiertag ist ein weißer Zungenbelag. Wenn man die Zunge herausschneidet, wird der Belag teilweise rot“, S. 5. Eine kreative Auseinandersetzung mit den Farben der Nationalflagge Österreichs. Genau wie Janko Ferk in seinem Erzählband greift auch Staudenmayer das Motiv der Lebenserzählung auf. Zunächst im Versmaß formuliert:
Lebenserzählung
Meine Füße sind leer.
Leerer als der Kopf sein kann.
Kein Weg ist mehr in ihnen.

Der Künstler stellt die Dinge manchmal auf den Kopf, nimmt somit eine ungewohnte Perspektive ein: Die Füße sind leer, nicht der Kopf, wie wir manchmal von uns behaupten. Die Umkehrung der Dinge gelingt auch im Text „Kaltes Herz“:
Der Spieltisch sieht ihn mit kreisenden Pupillen an. Sämtliche Figuren streiten sich um die Rolle der Königin mit der grünen Null auf der Augenklappe, S. 40.
Mit den Augen des Autors sehen wir die Welt mitunter anders (wenn wir uns darauf einlassen). Auch beim Zeichnen ging Staudenmayer ungewohnte Wege. Er zeichnete mit der linken Hand und war überrascht, welche Dinge zutage traten. Herz & Hand, eine Einheit. Ein vergnüglicher Prosaband. August Staudenmayer, geb. in Herzogenburg, NÖ, lebt und arbeitet im Atelier 10/Anker-Brotfabrik in Wien.

Christa Nebenführ: Den König spielen die anderen

Hahnrei Wolf Käfer

Christa Nebenführ:
Den König spielen die anderen

Klever Literatur
Wien 2022, 234 Seiten
ISBN 978-3-903110-94-6

Vorne auf dem Buchdeckel steht Roman. Hinten steht: Dies ist kein Roman, vielleicht ist es ein Lokalaugenschein.
Ein Lokalaugenschein findet am Ort des Verbrechens statt, eines romanhaften Verbrechens, das Familie heißt.
Die Ich-Erzählerin Hermi ist Enkelin einer depressiven Großmutter, Tochter einer suizidalen Mutter und selbst depressiv. Zentrum des Geschehens ist aber die dominante, unzugängliche Vaterfigur, der König, den titelgebend die anderen spielen, denn ohne bereitwillige Gefolgschaft ist auch ein König nichts. Diese Erkenntnis stammt von dem unberechenbaren Tyrannenvater selbst, ein Exempel, wie das Patrirchat gemacht, gespielt, ermöglicht wird und wie es sich Gefolgschaft verschafft.
Üblicherweise organisieren Romane ihren Stoff, hier stürzt das Geschehen ungeordnet mit schicksalshafter Wucht auf den Leser ein. Der Autorin wie dem Verlag ist zu gratulieren, eine derartige Direktheit zu wagen, die gefangen nimmt. Der Text, zerrüttet wie die Familienverhältnisse, zittert vor Wut und Empörung über die Wutanfälle des Vaters, ohne diese Parallele ernsthaft in Betracht zu ziehen. Das sich selbst und den Umständen Ausgeliefertsein erfasst auf beeindruckende Weise bei der Lektüre auch den Leser. Es ist nicht unwahrscheinlich, Triggerwarnung, dass Bilder der eigenen Kindheit beim Lesen hochkommen.
Der Markt war überfüllt mit Me-Too-Geschichten, die Geschichte vom König ist keine. Der Missbrauch ist ein anderer, er ergibt sich aus der Struktur der Familie und steht damit in einer anderen Tradition. Die Geschichte zeigt, wie Kinder sich in die Konflikte ihrer Eltern hineinziehen lassen, das Geflecht von Distanzierung und sich doch verpflichtet fühlen.
Eigentlich geht es hier um vier Generationen von Frauen, die Autorin Hermi hat ja zwei Töchter. Es ist zu hoffen, dass die sich solchen Strukturen zu entziehen vermögen.