Bühne

Das Weinen – das Wähnen

Eva Riebler

Landestheater NÖ  26.1.24

Züricher Schauspielhaus zu Gast

Das Weinen – das Wähnen

Von Christoph Marthaler

Mit Texten von Dieter Roth

 

Ein aseptisches Theaterstück

Der klinische Tod des Theaters

 

2020 fand durch Corona zeitversetzt die Uraufführung im Züricher Schauspielhaus statt. Marthaler aus Basel hatte ein kleines Bändchen mit dadaistisch anmutenden Texten von Dieter Roth bekommen, das er hochhielt und beiden zu Ehren diese Produktion gestaltete. Es handelt sich um den schmalen vierten Band aus einer Serie von Gedichten bzw. Wortfindungen zum Thema „Tränenmeer“. Daher der Titel „Das Weinen/Wähnen.

Das riesige Bühnenbild einer realistischen Apotheke sollte weiterhin genützt, statt zerhackt zu werden. Dieser Realismus ist nicht der einzige fixe Punkt im Werk. Auch die sechs Schauspieler mussten die gleichen bleiben, egal ob sie von Mailand oder Düsseldorf einfliegen. Der Rest- sprich: Inszenierung und Texte – sind eher dadaistisch bis an Ort und Stelle tretendes Nonsens-Theater. Leider ist kein kafkaesker Witz vorhanden, sondern klinische Sterilität. Da es 1 Stunde 47 dauert, ist es mühsam den seltenen Slapstick aufzulauern. 

Die fünf Apothekerinnen haben viel zu tun und es ist schnell klar, dass sie wie gleichgeschaltete Beamtinnen unterwegs sind. Sie verhalten sich seriell und haben in Wirklichkeit weder die Funktion Kunden, Kundinnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, noch sich um den einzigen hilfsbedürftigen Patienten zu kümmern. Er stört den Frieden des synchron ablaufenden Alltags und wird einfach fortgetragen. Sein Tod letztlich unter dem grünen Apotheken-Kreuz zeugt vom Niedergang von Medizin und Heilmitteln. Dies ist eine schöne Anspielung, da ja das Stück in der Corona-Zeit entstanden ist.

Leider werden Wiederholungen zu Gesetzmäßigkeiten und Sterilität von Wort und Handlung zur Fadesse.

Am Theater gibt man sich am wenigsten der Kunst der Entschleunigung hin – sind doch die Sitze unbequem zum Lümmeln oder Schlafen.

Ein aseptisches Stück, bei dem man den Beipackzettel: Kann einschläfernde Wirkung hervorrufen – unbedingt vorher lesen sollte!

Der Prozess

Eva Riebler

LANDESTHEATER NÖ

Werkstattbühne

20.1.24

KAFKA: DER PROZESS 

Inszenierung und Sounddesign Jonathan Heidorn

Dramaturgie Thorben Meißner

Sich an den Roman „Der Prozess“ heranzuwagen, zeugt von großem Selbstvertrauen, da doch der Bekanntheitsgrad enorm ist. Kafkas Weltbild ist ebenso ziemlich ausgereizt interpretiert worden.

Das Labyrinth, die Ausweglosigkeit, die Verfilztheit des Beamtentums in Prag und anderswo sowie die eigene Hilflosigkeit und Vergeblichkeit irgendwo Unterstützung zu finden – all dies brachte Kafka in seinen Texten unter und all dies finden wir in der Theateraufführung wieder! 

Die Produktion wurde allen Anforderungen gerecht und die vier Schauspieler/innen zeigten ihr Profil und füllten/fühlten mit Körper und Gestik alle Nuancen! Julian Tzschentke, Caroline Baas, Michael Scherff und Lukas Walcher wurden in vielen Rollen mit unterschiedlichsten Charakteren konfrontiert/verbunden und brachten Skurillheit und Absurdität sinnlich erfahrbar auf die Bühne. Die wunderbare Regie von Thorben Meißner und Jonathan Heidorn war nicht nur einfallsreich sondern auch bescheiden z. B. in der Farbwahl von Violett (steigernd vom kleinen Schal bis zur großen Robe des Gerichts) und wohltuend sparsam in der Wahl von Requisiten. Dadurch wirkte der Text umso wuchtiger/mächtiger!

Es war überwältigend, wie präzise die Texte und Inhalte gebracht wurden und wie die vielen Nuancierungen belebt wurden! Obwohl nur 6-7 Wochen geprobt worden war, hatten die Schauspieler, die Regie sowie Dramaturgie Kafka verwirklicht, wie es nicht zu erträumen war.

Die Aufführung  ging unter die Haut und rief Gänsehaut hervor! So prall war nie Groteskheit mit Wahrheit gefühlt und gefüllt.

BALLET DU GRAND THEÁTRE DE GENEVE

Eva Riebler

FESTPIELHAUS   ST.P.   15.12.23

BALLET DU GRAND THEÁTRE DE GENEVE

Damien Jalet: Skid

Fouad Boussouf: Via

Der Raum, der den TänzerInnen zur Verfügung steht, ist eine metallene Schräge. Man denkt an Wiederkehr, wenn die Finger an der oberen Kante heraus langen und die Körper unten im Nichts verschwinden und wiederum oben ein neuerliches Bewegen und Rutschen in Angriff nehmen, um wie auf einer eisigen Skipiste in seitlichen und verkrümmten Formen sich bergab zu bewegen.

Der Kreislauf ist gegeben und durch die gleichen dicken Kostüme die Uniformiertheit mit der Aussage: Alle sind wir gleich und meist ist die Bewegungsrichtung schon vorgegeben. Nur mittels Konzentration oder gemeinschaftlichem an den Händen-fassen kommen wir nach oben an die Kante. Die Variationen der Variationen erzeugten sinnbildliche Inhalte. Und das ästhetische Nach-oben-kommen des nackten, letzten Tänzers suggerierte die sisyphosartige Tätigkeit des Menschen generell.

Auch das zweite Tanzstück des marokkanisch-französischen Choreografen Boussouf war aussagekräftig und noch rhythmischer. Da Boussouf das Tanzen als ursprüngliche Kindheitserfahrung erlebt hat, ist es seine wichtigste Inspiration. Wichtig ist für ihn nicht das Lineare, gekennzeichnet von Anfang und Ende, sondern der Kreis, der ineinander, auseinander und ständig neu erfunden, begonnen oder gekreuzt werden kann. Das Stück kann am Ende wieder neu beginnen. Die repetierenden Elemente tauchen in die Farben Gelb, Rot und Blau. Vom Sonnenaufgang geht es über in den Sonnenuntergang. Der Titel „Via“ heißt so viel wie ÜBER. Die starke einheitliche Farbigkeit als wichtiges  zusätzliches Element in Kleidung und Hintergrund lässt die Tänzer in ihrem ständigen Klopf- und Stampfrhythmus trotzdem Schweben, vermittelt festliche Leichtigkeit und erzeugt eine wirklich großartige Inspiration!

Ein tolles Abwechslungsreiches Werk, das Ewigkeitscharakter hat!

Beide Choreografien vermittelten intensive Wirkung und inspirierende Ästhetik!

„Wir haben es nicht gut gemacht“

Eva Riebler

Landestheater St. Pölten

LESUNG  12.12.23

Christiane von Poelnitz /Jens Harzer

„Wir haben es nicht gut gemacht“ 

Der Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Max Frisch

Im Rahmen eines Gastspieles des Thalia Theater Hamburg

 

Bereits im Jänner 2023 wurde im NDR ein Teil des Briefwechsels ausgestrahlt. Es sind intime Briefe und doch sind sie Weltliteratur, wie sie es heute nicht mehr geben kann. Der ganze Briefwechsel mit dem gleichen Titel war im Piper/Suhrkamp Verlag erschienen und ein Spiegel Bestseller. Als Hörbuch (speak low Verlag zu 36,-) würde der Briefwechsel 966 Minuten dauern. Das Thalia Theater hat auf gut 100 Minuten gekürzt. Es sind vom Kennenlernen mit Max Frisch 1958 bis zur endgültigen Trennung 1963 300 Briefe erhalten.

Die beiden Schauspieler verkörpern hervorragend in ruhiger Ernsthaftigkeit dieses schwierige Liebespaar. Bachmann hatte nur mit Frisch einen gemeinsamen Wohnsitz und beide erkannten die Schwierigkeit der Liebe. Das Bestreben zusammen zu sein und jeder für sich literarisch und öffentlich zu arbeiten ist dem Scheitern geweiht. Da nützt die so oft beteuerte Zeile: Du bist frei, nichts, wenn der Verlust der Liebe, die Abwesenheit zu groß ist. Frisch ist der, der weiß: „Die Zeit mit dir wird die große Zeit gewesen sein.“, bittet jedoch, obwohl er mit seiner Partnerin Marianne glücklich ist: „ Bleib bei mir, wenn du kannst“. Bachmann will keine „Belästigung für ihn sein“. Für Frisch sind „die Briefe eine andere Chance als das Gespräch“ und Bachmann schreibt: „Ich habe das Bedürfnis nur in Briefen Worte aufzuheben.“ 

Sie sind so nebenbei auch ein Paar in der Öffentlichkeit, was die Situation nicht vereinfacht.

Bachmann scheint am Ende dieser 5 Jahre immer mehr gebrochen und verwundet und schreibt in einem Brief: “Es ist nicht mehr meine geheimste Wunde.“ Sie erbittet umsonst einige bestimmte xyBriefe, die sie geschrieben hat, zurück zu bekommen.

Scham, Bitternis und unheilbare Verwundung erdrücken. Bachmann kränkelt an der Liebe und scheint verhärtet und weniger liebevoll als Frisch. Sie geht durch die Hölle der Einsamkeit, Traurigkeit und Krankheit sowie Angst, wie man den unveröffentlichten Gedichten von 1963-64 ebenfalls erdrückend entnehmen kann. (2000 aus dem Nachlass veröffentlicht im Piper Verlag: „Ich weiß keine bessere Welt“).

Durch diesen Briefwechsel werden zwei Weltliteraten von innen gelesen und gehört.

Ein berührender, eindrucksvoller Abend!

Die größere Hoffnung

Stefan Harm

Uraufführung von Ilse Aichingers „Die größere Hoffnung“

in einer Fassung von Sara Ostertag und Julia Engelmayer

1. Dezember 2023, Landestheater Niederösterreich, St. Pölten

 
Sara Ostertag und Julia Engelmayer bringen mit Ilse Aichingers Roman „Die größere Hoffnung" einen sowohl thematisch als auch formell höchst anspruchsvollen Text auf die Bühne, der die fürchterlichen Lebensbedingungen von verfolgten Kindern „mit den falschen Großeltern“ während der NS-Zeit anschaulich macht. Jede*r Darsteller*in ist mit mehreren Rollen bedacht und zusätzlich wechseln sich Caroline Baas, Bettina Kerl, Julia Kreusch und Laura Laufenberg in der (Haupt-)Rolle der Protagonistin, Ellen, ab. Das mag zwar unüberschaubar wirken, funktioniert aber bemerkenswert gut und gibt der Dramatisierung zusätzlich einen gewissen Spin.
 
Die Inszenierung schafft es, der poetischen Fülle dieses vielschichtigen Romans voller Metaphern und Symbole gerecht zu werden. Eine treffliche Auswahl von märchenhaften Traumsequenzen und generell surreal wirkender Erzählungen, verwoben mit historisch-plausiblen Ereignissen voller Tragik und auch kindlich-naiven, beinahe witzigen, Einschüben erzeugt eine ambivalente, im besten Sinne angespannte, Stimmung. Ein durchaus von Ironie geprägter Zugang macht die Grausamkeit der eigentlichen Thematik erträglicher. So muss man schon schmunzeln, wenn der 1964 geborene Michael Scherff als das jüngste Kind der Gruppe, Herbert, auftritt – mit einem Teddybären unterm Arm.
 
Die Bühne ist recht dunkel gehalten, der Einsatz von Requisiten und Licht ist effizient wie effektiv. (Die Kostüme wurden übrigens aus alter Kinderbettwäsche angefertigt.) Mira Lu Kovacs prägt das Bühnengeschehen mit einer breiten, wunderbar einfühlsam abgestimmten Mischung aus zart-melancholischen Passagen, musicalartig choreographierten Einlagen und kräftigem E-Gitarren-Sound. Abgesehen von der leider zunehmenden weltpolitischen Aktualität von Krieg, Verfolgung und Vertreibung ist es vor allem ihrem Einsatz von Musik und Gesang zu verdanken, dass die Inszenierung sehr gegenwärtig wirkt. 
 
Trotz zunehmender Verdunkelung und schwindender Zuversicht werden Träume nie ganz aufgegeben. Die „große Hoffnung“ der Kinder, eine Ausreise, ein Entkommen, bleibt (wie im Roman) freilich auch im Bühnenstück unerfüllt. Der titelgebende Begriff von „größerer Hoffnung“ lässt sich schwer fassen, wird oft mit dem Tod (und damit dem Ende aller Schrecklichkeiten) gleichgesetzt. Er hat jedenfalls nichts mit der Hoffnung zu tun, bloß irgendwie zu überleben. Vielmehr geht es dabei um eine Art innere Haltung, selbst im allerdunkelsten Moment, im Angesicht von Tod und Niedertracht, menschlich zu bleiben. Aichingers Roman ist keine leichte Kost und fordert einen durchaus – Sara Ostertag, das gesamte Ensemble und natürlich Mira Lu Kovacs servieren ein Stück, das kräftig, ästhetisch schön und überaus empfehlenswert ist.