CD

Neue Musik / PIERLUIGI BILLONE: Face

Peter Kaiser

PIERLUIGI BILLONE
Face

Anna Clare Hauf, Stimme
PHACE, Leonhard Garms
KAIROS 2019 (0015040KAI)

Wer schon vor Pierluigi Billones CD OM ON (siehe die Besprechung auf dieser Website), einem Gitarren-Kettensägen-Massaker, die Flucht ergriffen hat, wird auch mit der aktuellen CD FACE seine Freude nicht haben. Wer hingegen schon immer die Einstürzenden Neubauten im Abendkleide genießen wollte, für den ist dieses Album ein heißer Tipp.

Wir treten eine Reise in archaische Gefilde an. In eine Zeit und Gegend, wo die Stimme nur Stimme war, und die Töne und Laute keine Worte. Pierluigi Billones (*1960) Inspirationen liegen möglicherweise im Gestammel des ohnmächtigen Menschen im Angesicht seines Schicksals und dem Mutwillen der Götter. Das Ensemble PHACE mag den Chor stellen und die Nornen. Hinter dem Efeu schlummert die Ruine eines dorischen Tempels.

Aber das sind nur Bilder, die uns ein Geländer geben sollen hinab zu den abschüssigen Klangwelten eines zeitgenössischen Komponisten, der nicht müde wird das Zeitlose zu suchen: Die conditio humana.

Neue Musik / RAMON LAZKANO: Piano Works

Peter Kaiser

RAMON LAZKANO
Piano Works

Alfonso Gómez, Klavier; Bilbao Symphony Orchestra u.a.
KAIROS 2019 (0015041KAI)

Die Positionierung einer (fast) reinen Klaviermusik-CD in klassischer Aufführungspraxis erfordert einiges an Selbstvertrauen. Vieles - man ist verlockt zu sagen: Alles! - ist hierin schon versucht worden; bei Vielem, wie der Sonatenform, der seriellen Musik usw. scheint das letzte Wort gesprochen.

Vier Stücke, mit je maximal einer Viertelstunde, und sechs ganz kurze Stücke. Das ist das Angebot des baskischen Komponisten Ramon Lazkano (*1968) an die Hörerin, den Hörer.

MIt Polyrhythmen und Resonanzen umschreibt J. L. Besada im Beiheft die bestimmenden Tendenzen der Kompositionsweise Lazkanos und spricht von: "… virtuose(r) Helligkeit dieser kurzlebigen Ergüsse … , die, kaum als Wege und Tänze gezeichnet, die Geste erschöpfen, indem sie den Klang hängen lassen." Und so bleibt der postmoderne Gestus des Unfertigen und weist die Werke als zum

Ausklang des 20. Jahrhunderts gehörend aus. (Das Lied des 21., das Neue Lied, scheint seine Stimme noch nicht gefunden zu haben…) Hörenswert und eine Bereicherung sind diese Kommentare und Resonanzen allemal.

Alfonso Gómez stellt diese musikalischen Aphorismen ist rechte Licht.

Neue Musik / NIRMALI FENN: The Clash of Icicles

Peter Kaiser

NIRMALI FENN
The Clash of Icicles
chamber music
Hong Kong New Music Ensemble
KAIROS 2018 (0015055KAI)

Der Blick von der 27. Etage eines Hongkonger Hochhauses; die Häuserschluchten von New York mit ihrem brausenden Verkehrslärm; die Durchquerung norwegischer Landschaften; endlose australische Weiten… Das sind die Inspirationsquellen von Nirmali Fenn. Sie selbst ist in Sri Lanka in schwierigen Verhältnissen geboren. Das englisch gehaltene Booklett bietet ausführliche Werk- und Lebensbeschreibungen.

Wie aber klingt die Musik, welche sich aus so verschiedenen Quellen speist? Seltsam indifferent, wie der Weg von A nach B, wobei nicht ganz klar wird, wann wir A verlassen haben und in B angekommen sind. Bei zu viel Welt, zu viel Einfluss, besteht die Gefahr, dass uns das Sein zu einem Rosa Rauschen wird.

Wir sind aus dem Tal, in dem sich der ganz eigene Dialekt, die ganz eigene Musik ungestört über Jahrhunderte entwickeln konnte und damit erkennbar wurde aufgebrochen. Wie klingt uns heute der Unterschied des steten Rauschens einer Klippenbrandung und der Lärmemissionen des Stoßverkehrs? Sind wir noch fähig ausreichend zu differenzieren um etwas erkennbar abzubilden?

Hören Sie selbst

Neue Musik / DOMINIQUE SCHAFER: Vers une présence réelle

Peter Kaiser

DOMINIQUE SCHAFER
Vers une présence réelle …
ensemble proton bern
Matthias Kuhn
KAIROS 2018 (0015036KAI)

Auf- und Abschwellen; Ausholen und Zurücknehmen; Farbkleckse; Hingehauchtes; Angedachtes; Spannungsbögen, die sich einer Entladung entziehen; Unfertiges …

Der Hörer so genannter Neuer Musik hat die Ausrufung des Fragments in der Ablöse von der großen Erzählung und der Apotheose mehr oder weniger begeistert akzeptiert. Das Fragment (als Ruine?) war eine Reaktion auf die Katastrophen des 20. Jahrhunderts und versteht sich wohl als Entsprechung zu Adornos Diktum über die Unmöglichkeit, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben.

Im Gegensatz zur ähnlich gelagerten Dada-Bewegung fehlen den Dekonstruktionen der Musik nach 1945 allerdings der Witz und die Wärme. Rühmliche Ausnahmen sind der bitterböse Bernd Alois Zimmermann und Friedrich Cerha.

Warum diese Aus- und Abschweifungen? Einfach, weil sich dem Rezensenten die Frage stellt, ob es nicht wieder Zeit wird für neue Erzählungen, die aus den Ruinen der Moderne neue Bilder und Visionen entstehen lassen. Vergessen wir auch nicht die Musik als politisch-philosophisches Organ im Sinne von Beethoven bis Hanns Eisler.

Das ewige Mehr vom Gleichen, das hartnäckig das Bedürfnis des Menschen nach Poesie und Getragenwerden ignoriert, wird die Konzerthäuser der Gegenwart und näheren Zukunft nicht füllen.

Diese Aufgabe zur Trendwende Dominique Schafer alleine aufzuhalsen, ist höchst ungerecht. Sein Bemühen, innerhalb des zeitgemäßen Kontexts neue Cluster usw. zu entwickeln, ist redlich. Das ensemble proton bern will man unbedingt live erleben. Und doch schwebt über allem die - berechtigte - Sehnsucht, von Musik berührt und manchmal auch geführt zu werden.

Neue Musik / MAURIZIO PISATI: Set7

Peter Kaiser

MAURIZIO PISATI
Set7

Ruben Mattia Santorsa (Klassische Gitarre) u.a.
KAIROS 2018 (0015052KAI)

1990 komponierte Maurizio Pisati (*1959) die Sette Studi für klassische Gitarre. Diese Solostücke dienten dann als Basis für die Sette Duo, welche die illustren Namen von Berggeistern tragen und wurden wiederum für Pisatis Oper Theatre of Dawn komponiert. Als Partner der klassischen Gitarre dienen Flöte, Perkussion, Bassklarinette, Saxofon, Stimme, Kontrabass und Viola.

Der Gitarrist Ruben Mattia Santorsa, geboren 1992 und ein Spezialist für Neue Musik ist mit den Sette Studi innig verbunden und so scheinen sie ihm beinahe auf den Leib geschrieben.

Die Stücke selbst gehen an die Grenzen dessen was technisch auf der Gitarre möglich ist. Inhaltlich bilden sie wohl inzwischen so etwas wie ein A und O der neueren Gitarrenliteratur und kümmern sich wenig um Abschweifungen in jazzigere Gefilde.