Eingeschlossenheit

EINGESCHLOSSENHEIT

Wolfgang Mayer König

Gerade in einer Phase der Eingeschlossenheit, der Austerity und des Isolationsleids sollte die Qualität des Wortes und der Tat hervortreten als eindringlicher Hilfeschrei aus tiefster kultureller Seele. Ob diese Geste verstanden wird oder nicht, bleibt sich gleich, weil die Wirkung qualitativen Handelns auch Unverständige nicht verfehlt. Soll die Nachwelt entscheiden, was da mit uns geschah, wie wir uns verhielten, wie wir daraus hervorgingen oder daran vergingen. Mit uns kann man so umgehen, mit unserem Verständnis, unserer Hilfe und unserem Anstand sei fix zu rechnen, auch dort, wo ansonsten Hopfen und Malz verloren seien.

Die Gediegenheit unseres Bemühens wiege jetzt besonders. Unsere Kultur, unsere Sprache, wurde zwar zur Nutzlosigkeit verdammt, aber dadurch sei sie noch mehr zum Träger und Beförderer einer seelischen Kraft und eines Weges in Richtung der Gestaltung alles Vorstellbaren geworden. Im Lockdown werde die Musik der Worte als Understatement über das Vorgefundene, das verbliebene Nichts, darübergehoben, und zu einem fassbaren, begreifbaren Gemisch aus Bildhaftem, Musik und Sprache, mit allen Weichteilen, Ecken und Kanten vereint.

Die Gestalt der Oberflächen wie die Farbe des Fleisches seien anders beleuchtet als sonst. Die Annäherung geschehe nicht mehr bloß durch Erspähen, Draufschauen, Hinschauen, sondern in der Zusammenschau geschlossener Augen. Wir wenden uns nicht mehr zu lange einem Gegenstand zu, dürfen uns, weit weniger als sonst, Gewohntem widmen, es ist uns auch untersagt, uns zu lange in etwas zu verbohren, sondern wir sind dazu verhalten, zu überprüfen, ob alles auch die plumpe Funktion verloren hat, jeder Verweis ins Leere geht.

Wir vermögen uns nicht körperlich zu berühren, weil uns dies untersagt ist. Also wächst in uns die Kraft, uns seelisch zu berühren, im bezughabenden Anderen, diese Form der Berührung auch zu empfangen, zumindest zu spüren.

Unsere Kultur ist nicht mehr waghalsig, aber auch nicht mehr inflationär, dementsprechend auch nicht mehr gezwungen, sich stets abzurunden. Sie existiert ja offiziell gar nicht mehr. Die Reflexionen werden nicht mehr ausgelöst, können also auch nicht weiterarbeiten. Plötzlich lebt alles ohne dem Schielen nach dem Publikumsgeschmack. Keine einzige Zeile behält ihre Verweisfunktion.

Wir verschlingen einander nicht, gehen auch nicht nebeneinander parallel einher, sondern dürfen uns mit dem Unbegreiflichen, dem Verwirrenden, dem nicht Entzifferbaren vermählen. Dabei wird auf nicht sehr noble Weise unsere Erkenntnismündigkeit auf die Probe-,  ja in Frage gestellt.

Wie dumm muss man sein, um von dieser Zeit, dieser Gesellschaft akzeptiert zu werden. Was bleibt ist die Nabelschau der Isolierten, die erlaubten uferlosen Spaziergänge während des Ausgehverbots. Was wiegt ein Lebensschicksal, um welches man sich immer wieder erfolglos annimmt ?

Die Vollbremsung der Welt erfolgte geradezu sekundenschnell. Nicht einmal ansatzweise durften wir den Augenblick genießend verweilen, sondern nur mehr den Atem anhalten, nur mehr verharren und abwarten, bis die Endgültigkeit dazu führt, dass aus allen Wahrheiten nur mehr die Einzige überbleibt. Als solche nicht nachvollziehbar, weil sie mit jedem, den sie trifft, wesentlich untergeht.

Wie anziehend war alles vorher, mit kraftvollem Schwung und freudespendender Kunst.

Wie war es wirklich ?