Buch

Zdenka Becker: Samy

Cornelia Stahl

Zdenka Becker: Samy
Meßkirch: Gmeiner-Verlag.
Roman. 2018, 283 Seiten.
ISBN: 978-3-8392-2254-6

Wenn dem Anderssein der Platz entzogen wird. Dem Thema europäischer Identität nimmt sich Becker im neuen Roman „Samy“ an. Die Handlung spielt in der Slowakei, denkbar wäre aber durchaus ein beliebiger Ort in einem der ehemals sozialistischen Staaten. Im Fokus steht Protagonist Samy, Sohn einer Slowakin und eines indischen Psychiaters, der in Wien lebt. Samy hingegen wächst allein mit seiner Mutter Olga in der Slowakei auf. Von Kindertagen an wird er von Gleichaltrigen gemobbt augfrund seiner dunklen Hautfarbe. Ratlos schauen die Pädagoginnen des Kindergartens auf das Szenario,das sich täglich abspielt und erklären Unterschiede anhand eines Rassenmodells. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass Einflussgrößen wie Sozialisation und kollektive Identität latent die Fäden im Hintergrund ziehen. Während sich in der Jugendbande der Stadt Nationalstolz ausbreitet und allmählich Waffen ins Spiel kommen, zieht sich Samy sukzessive zurück, unterdrückt sein Anderssein. Die Gespräche mit seiner Mutter stiften eher Verwirrung bei ihm, denn Olga suggeriert ihrem Sohn, dass er eine weiße Haut hat, genau wie die anderen Kinder auch. Der Roman, der sich wie ein Krimi liest, beruht auf wahren Begebenheiten und erzeugt mitunter Gänsehaut. Mechanismen wie Verleumdung, Ignoranz und gegenseitige Täuschung, die während der Zeit des Kalten Krieges im Sozialismus systemimmanent waren, werden bei den handelnd Personen sichtbar. Als Samy überraschend die Diagnose Depression erhält, scheint Olga aufzuatmen, wirkt diese doch entlastend und ist ein Vorwand, eigenes Versagen zu verdecken und Verantwortung an Ärtze zu delegieren. Am Ende eskaliert das Szenario. Zdenka Becker, geb. in Tschechien, lebt in St.Pölten, skizziert mit „Samy“ das Psychogramm einer Gesellschaff, die mit historischen Mustern kollektiver Identität arbeitet, einer Identität, die auf Nationalität fußt, in der Anderssein keinen Platz hat. Unbedingt lesen! C

Gabriele Glang: Göttertage. Rez.: Wolfgang Stock

 

 

Wolfgang Stock

Gabriele Glang:
Göttertage

Gedichte
Tübingen: Klöpfer & Meyer
2017, 96 Seiten
978-3-86351-459-4
 
Biographisches Dichten: Was für eine glänzende Idee!  Eine Dichterin versetzt sich in die Malerin Paula Modersohn-Becker, als sie in den Jahren 1906/07 Worpswede und ihren Gatten Otto Modersohn verlässt, um in der Kunstmetropole Paris ihre persönliche und künstlerische Freiheit zu entdecken.
Die Deutsch-Amerikanerin Gabriele Glang, selbst auch Malerin, legt mit „Göttertage“ ihr deutschsprachiges Lyrik-Debüt vor. Aus unzähligen Briefen, Zitaten, Tagebuchaufzeichnungen von P. Modersohn-Becker hat sie ein, wie sie sagt, „Destillat“ gebildet: sie spricht die Gedanken, Sorgen, Empfindungen einer Frau aus, die aufbricht, um einen eigenen Weg zu finden, den einer Künstlerin, die sich selbst als erst noch Werdende begreift.
In Paris trifft Paula Modersohn-Becker Künstlerfreunde, schult ihren Blick, arbeitet exzessiv, hat eine Affäre. Hier reift sie zu einer der bedeutendsten Malerinnen des frühen 20. Jahrhunderts heran. Es sind ihre Göttertage. Nach einem halben Jahr kehrt sie wieder zu ihrem Mann und nach Worpswede zurück, wo sie noch 1907, wenige Tage nach der Geburt ihres gemeinsamen Kindes stirbt.
Gabriele Glang bleibt – und das ist ihre Kunst – ganz nah an der Realität. Sie lässt all diese Situationen erfahrbar werden, wie Paula Modersohn-Becker sie selbst hätte beschrieben haben können. Ihre Worte wirken umso intensiver, je mehr sie sie aus sich selbst heraus klingen lässt. Manchmal hätten sie vielleicht noch eine Spur metaphorischer sein dürfen. Den Höhepunkt bildet das Gedicht, in dem P. Modersohn-Becker als Geist auf den Nachruf antwortet, den Rainer Maria Rilke unter dem Titel „Requiem. Für eine Freundin“ tatsächlich für sie geschrieben hat: Es ist die Emanzipation einer Frau in einer Männer-dominierten Welt und die einer Künstlerin, die sich gleichberechtigt mit einem Rilke auf eine Stufe stellt.
Das Buch enthält neben 32 mit Bedacht angeordneten Gedichten ein recht umfangreiches Vorwort von Sibylle Knauss, und hat es in sich: eine facettenreiche, ja, Biographie.

 

Gabriele Glang: Göttertage. Rez.: Wolfgang Stock

Milchram, Schachinger, Söregi/HG: Übergrenzen. Anthologie. Rez.: Eva Riebler-Übleis

Eva Riebler-Übleis
Aufwachen - Aufmachen!

 

 
 

Milchram, Schachinger,

Söregi/HG:

Übergrenzen. Anthologie

Wien: Septime,

2015. 328 S.

ISBN 978-3-902711-39-7

In dieser Anthologie setzen sich Corinna Antelmann, Paul Auer, Jaroslav Balvín, Jürgen Bauer, Zdenka Becker, Helwig Brunner, Marlene Danner, Karl-Markus Gauß, Lisa Glawischnig, Nora Grohs, Josef Haslinger, Silke Hassler, Silvia Hlavin, Markus Jaroschka, Radek Knapp, Johannes Milchram (Hg.), Susanna Muhr, A.J. Rosmondi, Marlen Schachinger (Hg. in), Rebecca Söregi (Hg.in), Angelika Stallhofer, Michael Stavarič, Linda Stift, Anton Thuswaldner, Ilija Trojanow sowie Daniel Zipfel mit dem Thema Grenze vielschichtig und individuell auseinander. Meist hat Grenze - ob politisch oder philosophisch - mit Abgrenzung zu tun und führt mit dem Wort ›über‹ zu den oft realen – manchmal auch phantastischen oder surrealen – Grenzen. In den Beiträgen der AutorInnen wird entgrenzt; begrenzt, vielleicht auch ausgegrenzt oder eingegrenzt. Auf alle Fälle wird erzählt und reflektiert, über die Grenze außen und innen, und somit über sich selbst, je nach Augenmaß des jeweiligen Autors. Über die Bedeutung des mit einem Thema Auseinandersetzens sagt z.B. Ilija Trojanow: Das Schreiben hat für ihn die Funktion das eigene Ego zu bändigen, zu dämpfen. … und ihm ist… die Rolle des fragenden, suchenden zweifelnden, prüfenden und neugierig herumirrenden Autors zugleich ein politisches und ein spirituelles Bedürfnis. Helwig Brunner (mein Favorit) hingegen hat genial in ein Sonett mit Gedanken über Canetti und das Ineinander und Übereinander von Bildern, das vergebene Verschweigen thematisiert und randscharf in der Mitte, mitten am Rand, wie er sagt, das Wichtige, nicht nur die Grenze gefunden. Dem Band beigefügt sind Postkarten mit wildromantischen Architekturmotiven von Laurentiu Ghitä, versehen mit Sprüchen. Mein Favorit ist Johannes Milchram: „... ich hatte meinen geknickten Flügel ordentlich gefaltet und war gestorben …“ Ein wirklich lesenswertes Werk, in dem ständig neue Ideen vermittelt und ausgelotet werden.

Milchram, Schachinger, Söregi/HG: Übergrenzen. Anthologie. Rez.: Eva Riebler-Übleis
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