CD

Gerhard Ruiss/Reinhold Ruiss: Gassenhauer CD

Hahnrei Wolf Käfer

Gerhard Ruiss
Reinhold Ruiss:

Gassenhauer CD
Wolkensteinprojekt Nr 2
redpmusic GmbH
2021, 12 Lieder

Man kennt und schätzt ihn ob seines Einsatzes für Literatur und Freiheit, man nimmt auch mit einiger Sympathie wahr, wie er zur Gitarre alte Schlager schmettert, wiewohl einem nicht unbegründete Zweifel kommen, ob man fremde rote Lippen im Autobus wirklich küssen muss. Nun hat Gerhard Ruiss, erneut mit Brüderunterstützung, seine zweite Wolkenstein-CD herausgebracht, und die ist hörenswert. Ein Langzeitprojekt des Wiener Dichters und Sängers war die zeitgemäße Auffrischung der sechshundert Jahre alten Lyrik Wolkensteins.
In drei umfangreichen Bänden (Folio Verlag) kann man sich vom Gelingen dieses Vorhabens überzeugen. Die Verse des Südtiroler Ritters werden nicht mutwillig aus ihrem historischen und vor allem kulturellen Zusammenhang gerissen, die Diktion ist dennoch gegenwärtig und in diesen passenden Arrangements, wie die CD hören lässt, äußerst sangbar.
Um Welt und Leben zu begreifen, wird man alte Sprachzeugnisse mitberücksichtigen müssen, die Frage, was Oswald von Wolkenstein uns heute noch sagt, ist obsolet. Die heitere Sinnlichkeit dieses Dichters tut vor allem jetzt, in Zeiten des Abstandhaltens, wohl, sie wurde in den Neufassungen bewahrt und von Reinhold Ruiss einfühlsam in eine Musik eingebracht, die weder instrumentell noch harmonisch auf alt macht, also der sprachlichen Neufassung prächtig dient. Trotz der einprägsamen Melodien kommt mir freilich die Bezeichnung als Gassenhauer etwas zu eng vor.
Unbedingt zu empfehlen ist zur neuen CD auch die alten Liebeslieder zu hören (Wolkensteinprojekt Nr 1), die eingängigen Weisen der beiden Tonträger werden aufmuntern und wahrscheinlich in jedem Hörer lang nachschwingen.

Neue Musik / STEFAN PRINS: Augmented

Peter Kaiser

STEFAN PRINS
Augmented
DVD: Generation Kill; Mirror Box Extensions; Piano Hero # 1-4; Third Space
CD: Not I; Third Space; Infiltrationen 3.0
diverse Interpreten
KAIROS 2019 (0015044KAI)

Wer sich einen Überblick über das und vielsagenden Einblicke in das Musikschaffen im Bereich der medialen und performativen Neuen Musik machen will, ist mit Stefan Prins (*1979) und seinem DVD/CD Doppelpack bei KAIROS bestens bedient: Radikaleres in Sachen Dekonstruktion und technischer Umsetzung wird sich schwerlich finden lassen.

Nehmen wir als Beispiel nur Third Space, wo mit Verfremdungen die unmittelbare Kommunikation zwischen Performer, Dirigenten und Publikum vielfach durch eine einfügte Black Box gebrochen wird. Bei Generation Kill dienen Play Stations hingegen als politische Statement um den Irrsinn den Krieges mit ferngesteuerten Drohnen zu symbolisieren. Prins mutet dem Hörer einiges zu, aber das tut die Realität auch.

Allesamt sind die Stücke Auftragsarbeiten von relevanten Festival für zeitgenössische  Musik und werden dementsprechend hochkarätig interpretiert (Klangforum Wien, Nadar Ensemble,…)

Es darf an dieser Stelle nochmals auf das Engagement des Labels KAIROS hingewiesen werden. Einmal wegen der ästhetischen und  hochwertigen Gestaltung der Tonträger und zum Anderen wegen der informativen und kompetenten Texte im Booklet, welche zum Verständnis der Werke oft unerlässlich sind.

Neue Musik / GIORGIO NETTI: necessità d´interrogare il cielo

Peter Kaiser

GIORGIO NETTI
necessità d´interrogare il cielo

Patrick Stadler, Sopransaxophon
KAIROS 2019 (0015058KAI)

Giorgio Netti (*1963) komponierte necessità d´interrogare il cielo Ende der 90er Jahre des vorigen Jahrtausends und es hätte damals durchaus in das Verlagsprogramm von ECM gepasst.

Es ist not den Himmel zu fragen ist als Titel Hölderins Kolumbus entlehnt und wie so mancher schöne Satz aus dessen Dichtung neigt auch Nettis musikalische Umsetzung dazu, sich näherer Deutung sachte zu entziehen.

Was also bleibt? Ein fahler Himmel, mit zeitweise blendend durch die diffuse Wolkendecke brechenden Sonnenstrahlen. Aber die Sonne hinter den Wolken ist kalt und vermag die Erde unter diesem Himmel nicht zum Leben zu erwecken. Flechten mögen hier gedeihen, aber es ist kein Flecken, an den man sich ansiedeln möchte.

Patrick Stadlers Instrument schliert über ondulierte Wolkenfelder und es wird ihm versagt bleiben in allen Registern seines Wohlklangs zu erstrahlen. Die Witterung bleibt trüb und trotz einer Spieldauer von insgesamt über neunundsechzig Minuten (5 Tracks) wird sich das nicht ändern.

Auch ob Friedrich Hölderlin (dessen Dichtung freilich enigmatisch genannt werden kann) seine Freude an dieser Himmelsstimmung gehabt hätte, darf bezweifelt werden. Sein Ideal war schließlich ein sonniges Arkadien.

Neue Musik / OSVALDO COLUCCINO: Emblema

Peter Kaiser

OSVALDO COLUCCINO
Emblema

Ex Novo Ensemble
KAIROS 2018 (0015049KAI)

Zumindest in Italien ist es nicht mehr nötig, zur Charakterisierung von Osvaldo Coluccinos Musik einen Luigi Nono als Vorläufer oder „Übervater“ zu zitieren: Längst haben seine Fans das Gemeinsame, aber auch das Neue, Weiterführende entdeckt (u. a. bei den Labels Col legno oder Neos dokumentiert) und begriffen, dass es mehr als einen Weg der zeitgenössischen Komposition geben kann. Soll man ihn meditativ oder gar mystisch nennen? Impressionistisch? Empfindsam? Oder vielleicht noch besser: labyrinthisch! Denn obwohl wir uns an Fäden entlangtasten, scheint das, was uns nach der nächsten Ecke erwartet, völlig ungewiss, ja, schon die Erwartung an sich scheint durch die Konstruktion des Labyrinths in Frage gestellt.

Coluccinos Bezugnahme im Booklet auf den Maler Piero della Francesca weist auf eine unmittelbare Beteiligung des Betrachters am Geschehen hin, andererseits aber auch auf eine unnahbare Kühle (wie wir sie herrlich beim Fresko Madonna del Parto oder der Auferstehung erleben dürfen).

Coluccinos Labyrinth ist das eigentliche Emblema für unsere Reise mit seinen Klanggeweben, deren Verknüpfungen und Muster nur aus großer Höhe sichtbar werden und so auf die Ebenen des Mikro- und des Makrokosmos verweisen. Einzig den Kampf mit dem Minotaurus verweigert Coluccino – den eigentlichen Herrscher des Labyrinthes zu stellen, bleibt Sache des Hörers.

Den Faden der Ariadne spinnen uns Flöte, Klarinette, Violine, Viola, Cello, Klavier: Das auf neue Musik spezialisierte und seit 1979 bestehende venezianische Ensemble Ex Novo glänzt in den Stücken Emblema 1, 3 ,4 ,5 ,6 ,7 in verschiedenen Besetzungen.

Neue Musik / FRIEDRICH CERHA: Eine Art Chanson

Peter Kaiser

FRIEDRICH CERHA
Eine Art Chanson

HK Gruber, Chansonnier
Kurt Prihoda, Percussion; Rainer Keuschnig, Klavier; Josef Pitzek, Kontrabass
KAIROS 2019 (0015028KAI)

Die ab 1985 geschriebenen, 1988 für den ORF aufgezeichneten und nun bei KAIROS erschienenen Chansons von Friedrich Cerha haben vor allem Texte von Ernst Jandl und Gerhard Rühm als Grundlage. Der mit den Literaten seit der legendären Wiener Gruppe verbundene Komponist, greift die kurzen und pointierten Sprachspiele im Sinne der Dichter auf, unterstützte sie und - so könnte man sagen - bereichert sie um eine weitere Pointe. Dass Friedrich Cerha (*1926) diese Unternehmung kompositorisch leicht von der Hand zu gehen scheint, ist bei seinem Können und seinem Sinn für tiefgründigen Humor kein Wunder.

Um diese Kleinodien so recht zum Funkeln zu bringen, schließt sich dem Trio der Komponist, Interpret und Chansonnier HK Gruber an. Seine raue, hörbar an Ernst Busch gebildete Herangehensweise fügt eine weitere charakteristische Facette hinzu.

Als Vergleichseinspielung bietet sich hier eine CD mit Agnes Heginger als Chansonnière aus dem Jahre 2015 an. Aufnahmetechnisch ist diese sogar der ORF-Produktion vorzuziehen. Stimmlich merkt man im Vergleich welches literarische und musikalische Potential diese Miniaturen haben. Die Heginger-Aufnahme wird übrigens um "Eine letzte Art Chansons" ergänzt.

Beide Aufnahmen dokumentieren ein wesentliches Stück österreichischer Literatur- und Musikgeschichte.