3. Tag
Rainer Forst
Rainer Forst leitet sein Referat über „Toleranz und Religion“ mit der Frage ein, ob die Mohammed-Karikaturen aus Dänemark ein Zeichen der Intoleranz wären oder eine negative Reaktion darauf. Forst bringt 12 Lehren aus der Geschichte, die für den umstrittenen Begriff der Toleranz in der Gegenwart von Bedeutung sind.
1. Ablehnungsurteil: Toleranz heißt akzeptieren, obwohl man ablehnt. „ Der Toleranzüberlegung zufolge wäre es falsch, das Falsche nicht zu tolerieren.“
Die Ablehnung dürfe nicht auf Vorurteilen gegründet sein.
2. „ Nicht in jedem Fall ist die Toleranz das richtige Rezept gegen Intoleranz.“
3. Intoleranz gegenüber der Intoleranz fruchtet nicht.
4. Die grenzen der Toleranz sind oft willkürlich gezogen. Die Toleranz ist somit ein Akt der Balance zwischen drei Komponenten: Ablehnung, Akzeptanz, Zurückweisung.
5. Die Toleranz selbst ist kein eigener Wert - „Sie ist nur etwas Gutes, wenn sie gut begründet ist.“ – sonst könnte sie eine potenzielle Gefahr der Macht darstellen.
6. Erlaubnistoleranz gewährt Minderheiten Freiheiten (Bsp. Edikt von Nantes über die Hugenotten 1598). Da tolerierte Minderheiten mit Gehorsam bezahlen mussten, waren sie meist, obwohl 2. Klasse, die besseren Bürger (Bsp. Toleranzpatente Joseph II).
Hierbei nennt Forst Kant, der diese Art von Toleranz als „hochmüthig“ bezeichnete, und zitiert Goethe: „ Toleranz sollte nur eine vorübergehende Gesinnung sein: sie muß zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“
7. Die Toleranz darf nicht auf Hierarchisches oder Strategisches reduziert werden. Sie kann eine positive Einstellung von Individuen sein, sprich eine Tugend.
Sie bildet den Konsens zur Grundlage der Wechselseitigkeit.
8. Konzeptionstoleranz enthält demokratische Lebensform. Gewissen kann man nicht erzwingen, sonst wäre der Glaube geheuchelt.
9. Toleranz kommt nicht aus dem Christentum, nicht nur weil sich Toleranz auch in anderen Religionen findet, sondern weil das Argument der Toleranz sich nur durch viele Kämpfe durchgesetzt hat. „Nur ein frei zustande gekommener Glaube ist gut.“ (Augustinus)
10. Gewissensfreiheit
11. Respektkonzeption der Toleranz: das Toleranzargument muss auf reflexiver Natur begründet sein, sie muss eine normative und eine erkenntnistheoretische Komponente enthalten (Pierre Bayle).
12. Praxis der Toleranz bedeutet Überprüfung der Gesetze.
Forst bringt an dieser Stelle Beispiele der Toleranzproblematik, wie Religionssymbole – Kopftuch und Kruzifix – und Homosexuellen-Ehe mit Antrag auf Adoption.
Forst begreift die Toleranz als hohe Kunst und schließt seinen Vortrag mit der geschichtlichen Lehre, dass wohl keine Gesellschaft den Lernprozess der Ausbalancierung von Gleichheit und Differenz je abgeschlossen haben wird.