Buch

Frauenkollektiv RitClique: „Zündende Funken"

Cornelia Stahl

Frauenkollektiv RitClique: „Zündende Funken,
Wiener Feministinnen der
70er-Jahre“,
366 Seiten, Löcker Verlag,
ISBN: 978-3-85409-905-5

Gestrampelt gegen Ungerechtigkeit. Die Frauenbewegung Österreichs ging vor allem ab 1968 von Studentinnen aus. Patriarchale und autoritäre Strukturen waren noch immer allgegenwärtig. Trotz Armut und Wohnungsnot kämpften Frauen für die Verbesserung der Arbeits-, Wohn- und Lebensverhältnisse und eroberten sukzessive (Frei)Räume. Mutige Frauen rebellierten gegen die „Götter in Weiß“, politische Instanzen, Beamte, Fahrscheinkontrolleure, Arbeitgeber und letztlich gegen die eigenen Eltern. Diskussionen in Wohngemeinschaften verfolgten vor allem das Ziel einer gerechten, antikapitalistischen Gesellschaft. Kampfplatz war überall dort, wo Hierarchien eine Einteilung in „Oben“ und „Unten“ vorsahen. Traditionelles dominierte auch die Bereiche Kunst und Medizin, insbesondere die Psychiatrie, wo Patienten/ innen ärztlicher Willkür ausgesetzt waren. Tabuisiert wurde der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in Kinderheimen. Die Kinderladenbewegung bewirkte ein gravierendes Umdenken in der Erziehung- weg von Befehl und Gehorsam. Durchgesetzt wurde 1986 ein Verbot der Prügelstrafe an Schulen. Autoritäre Strukturen des 2.Weltkieges kursierten immer noch in der Öffentlichkeit und im Privaten. Ehefrauen, die bisher autoritätshörig waren, leisteten Widerstand und errangen ein neues Selbstbewusstsein, doch das aus 1811 stammende Familienrecht erschwerte den Ausbruch aus einer Gewaltbeziehung massiv, da dem Mann alle Rechte übertragen wurden. Frauenhäuser wurden geründet, um Frauen vor Gewalt zu schützen. Erfolge der Frauenbewegung Österreich müssen derzeit erneut eingefordert werden, wie das Frauenvolksbegehren zeigt. Das Frauenkollektiv RitClique, das sind Ruth Aspöck, Eva Dité, Erna Dittelbach, Ülküm Fürst- Boyman, Käthe Kratz, Brig. Lehmann, Mirl Ofner, Heldis Stepanik-Kögl, hat Texte, Fotos und Zeitschriftenausschnitte der AUF zusammengestellt. Ein wichtiges Buch, das nicht nur Frauen empfohlen wird!

Franzobel: Phantastasia oder die lustige Geschichte über die Traurigkeit.

Eva Riebler

Franzobel: Phantastasia oder die lustige Geschichte über die Traurigkeit.
Ill./Antje Keidies
Wien: Überreuter 2010, 128 S.
978-3-8000-5534-0

Hunde sind doch die besseren Menschen. Stefan Griebl alias „franzobel“ wuchs ab 1967 in Vöklabruck/OÖ auf, ist nachdem Geschichte- und GermanistikStudium seit 1989 freier Schriftsteller in Wien und war immer schon ein genialer Beobachter. Er hatte eine Unzahl von Hunde-Ge- und Verbotsschildern fotografiert und machte daraus 1995 sein phantasievolles Buch „Hundshirn“ (2015 neu ersch. Im Sisyphus Verlag). Darin beschreibt er S. 12 aus der Hundesicht die Rasse Mensch: „Männchen machend scharwenzeln sie, finden sich an jedem Ort. Der scheint ihr Reservat zu sein, ihr Artenschutz-Revier. Gigomanische Steine hat man ihnen ausgeschabt, dass sie darin häuslich werden, für draußen Büchsen, die toller laufen können als ein Hund. … uns wohl ähnlich … von oben mit Fell bewachsen ….

In diesem Kinderbuch jedoch ist weniger vordergründige Philosophie verstreut. Vielmehr sind drei sprechende Dackel mit einem 12-jährigen Jungen unterwegs und begleiten ihn in seinen traurigen Tagen, in denen er nach dem Tod seiner Eltern in ein Heim gesteckt werden soll.

Franzobel fühlt sich nicht nur in Hundehirne hineine, es gelingt ihm auch sich in die Angst eines einsamen Kindes an der Schwelle zur Adoleszenz einzufühlen. Natürlich mit Humor und mit Humor und … mit genialem Wortwitz! Der immer liebevoll beschreibend ist, auch wenn es um den unsympathischen, dicken Herrn Sauerbraten geht: „der Bauch war so groß, dass man meinen konnte, er hätte einen ganzen See ausgetrunken, oder zumindest eine ganze Lastwagenladung Wassermelonen verschluckt, na ja, wenigstens fünf.“ Märchenfiguren werden despektierlich charakterisiert und doch menschlich, wenn der Autor sie bezeichnet: „Die sieben Trottel mit den kleinen, fetten Stupsnasen“ oder „das Schneewittchen stank ziemlich aus dem Mund. Außerdem rülpste und furzte sie unentwegt und hatte furchtbar schmutzige Füße, so dass alle froh waren, als es weiterlief.“

Ein wirklich grandioses Kinder-Jugendbuch! Man hätte es in diesem Alter gerne selber als Waffe gegen die Traurigkeit oder Einsamkeit gelesen!

Franzobel: Das Floss der Medusa

Eva Riebler

Franzobel: Das Floss der Medusa
Wien Zsolnay, 2017, 590 S.
978-3-552-05816-3

Happy End nicht möglich! Franzobel ist nach seinem zweiten Krimi „Groschens Grab“ 2015, Zsolnay ein herausragendes Werk in einer ganz anderen Sparte gelungen, und zwar dem Genre des Historischen Romans! Die Medusa ging1816 unter und für alle, die nicht in den Rettungsbooten Platz fanden, wurde ein Floss gebaut. Allerdings standen darauf alle hüfttief im Wasser. Uns so begann der grausame Kampf des Überlebens und gezielten Ablebens vieler. Jeder der 147 Passagiere, der tot war, bildete eine größere Überlebenschance für die noch am Floss Weilenden. Denn nur zwei Fässer Wein und Drei Fässer Wasser und ein Sack Zwieback sollten für 13 Tage der Proviant sein.

Diesen grauenhaften, brutalen Kampf um den möglichen Preis des Lebens schildert der Autor grauenhaft minutziös. Er hat genau recherchiert, die Berichte an König Ludwig den XVIII gelesen und war der Frage nachgegangen, ob die Schilderung dieser Gräuel nicht damals wie heute der Menschheit erspart bleiben sollten. Die französische Presse hatte jedoch Wind bekommen, denn 15 Menschen hatten überlebt, waren jedoch vielleicht nicht mehr zurechnungsfähig oder eingliederungsfähig in die Zivilisation.

Output: Der Mensch ist eine Bestie, berechnender und brutaler als jedes Tier!

Und aus dieser Zeit nach den Napoleonischen Kriegen, der Hungersnöte und Rechtlosigkeit für das arme Volk berichtet Franzobel und verquickt die allgemeinen Zustände mit den persönlichen Befindlichkeiten der 15 Überlebenden. Vor allem das Überleben des großen, starken Hosea und des schmächtigen Jungen Viktors sind als Individuen von der ersten bis zur letzten Seite, wie ein Rahmen der persönlichen Schicksalsgemeinschaft, gespannt. Sie fallen sich jedoch nicht am Ende tröstend in die Arme – jeder ist zerstört und gezeichnet.

Happy End nicht möglich!

Dieser Stoff verlangt einem Autor das Größtmöglichste ab – und Franzobel, dem Autor aus Vöcklabruck/Wien gelingt dies! Ein unwahrscheinlich exzellenter  Historischer Roman und Autor!

 

 

René Freund: Ans Meer. Roman

Eva Riebler

René Freund: Ans Meer. Roman
Wien, Deuticke/Zsolnay, 2018, 140 S.
978-3-552-06363-1

Vom Held-Sein und dem Springen über Konventionen & eigenen Schatten. So ist das eben, wenn man sich etwas traut! Der Busfahrer will seiner neuen Freundin imponieren und ihrem Rat nachgehen, endlich nicht wie die anderen zu sein und außergewöhnliche Dinge zu wagen.

Als eine krebskranke Frau, bereits im Rollstuhl sitzend, von ihm verlangt – ein letztes Mal ans Meer zu fahren, und zwar sofort – sieht er DIE Gelegenheit, all die verantwortungsvollen Eigenschaften eines Busfahrers über Bord zu werfen. Los geht’s! Mit an Bord ist noch eine demente Frau und andere Schüler. Der Ausflug ist natürlich nicht hürdenlos, denn nun gilt der Autobus als gekapert und die Passagiere als entführt.

Das Buch liest man in einem Zug durch, so spannend und auch einfach ist es geschrieben. Das Happy End ist garantiert und man ist versucht aufgrund von Sprache, Aufbau und Inhalt dies Werk als Werk für 10 bis 14-Jährige einstufen zu wollen, denn sogar quengelnde Jugendliche sind einsichts- und verantwortungsvoll sowie stets hilfsbereit Auch die Polizisten und Richter entpuppen sich als sehr verständnisvoll und milde. Über die gesellschaftlichen Konventionen zu springen, ist sowieso DAS Thema für ein Kinder- oder Jugendbuch!

Viel spannender empfand ich René Freunds Satirebuch: Stadt, Land und danke für das Boot, bei Picus 2002 erschienen.

In diesem finden sich spannende Begebenheiten und keine lakonischen, alltäglichen Sätze, sondern einzigartige Reden, bei denen man zu glucksen beginnt: ... nachdem wir die Forellen knusprig gebraten hatten, fragte ich: „Willst du lieber die Selbstmörderin oder die, die immer so bled tuat?“ aber Schwamm drüber. Von der Amnesie zur Amnestie ist es ja nur ein kleiner Schritt!, wie Freund ebenda S. 150 über sich selber anmerkte… „Worauf wollte ich eigentlich hinaus? Ich fürchte, ich hab`s vergessen. Vielleicht sollte ich doch eines Tages Politiker oder Lobbyist werden. Am besten beides auf einmal. Von der Amnesie zur Amnestie ….“

Karoline Cvancara: Horak hasste es, sich zu ärgern

Klaus Ebner

Karoline Cvancara: Horak hasste es, sich zu ärgern
Roman, 240 Seiten
Verlag Wortreich, Wien 2018
ISBN 978-3-903091-40-5

Eigene Welt. Jeden Abend findet Erwin Horak sich im Wiener Lokal Hummel ein, um Zeitung zu lesen, etwas zu essen und einmal in der Woche mit seinem Freund und Kollegen Kurt zu schnapsen. Vor allem aber, um in Ruhe gelassen zu werden – sogar die Kellner, die ihn seit Jahren kennen, stellen ihm das Bier unaufgefordert auf den Tisch. Erwin ist ein Grantler, wie er im Buche steht. So gut wie alles geht ihm auf die Nerven, und vor allem andere Menschen. Dass er als Mittelschulprofessor arbeitet, erstaunt, aber natürlich widern ihn auch die Kinder an und er wartet sehnlichst auf die Pension, die der vier Jahre ältere Kurt diesen Sommer antrat.

Elfriede Steiner ist Trafikantin, frisch geschieden und eben dabei, sich das Leben neu einzurichten. Ihre vergangene Ehe bezeichnet sie als freudlos und einengend, und jetzt will sie endlich tun und lassen, was ihr gefällt. Sie entdeckt ihre Unternehmungslust und immer häufiger kommt auch sie ins Hummel. Als eines Tages ein Wolkenbruch die Gäste im Freien überrascht, läuft sie ins Innere des Lokals und landet, weil sonst nichts mehr frei ist, an Erwins Tisch.

Der ist natürlich alles andere erfreut und versucht mit allen Mitteln, sie zu vertreiben. Elfriede jedoch bleibt – auch zu ihrer eigenen Überraschung – dran, denn die mürrische Art des Herrn Professors reizt sie und weckt in ihr Abenteurergeist und Neugier. Die bissigen Gespräche des Grantlers und der Lebenslustigen an diesem Abend und den folgenden mutieren zu einem schrill-heiteren Feuerwerk, das Lesende dieses Buch keinen Moment mehr weglegen lässt. Eine überraschende Wendung jagt die nächste, ebenso ein Lacher den nächsten. Mehr verraten wird an dieser Stelle nicht – lesen Sie selbst!

Der Roman der 1974 in Wien geborenen Karoline Cvancara überzeugt mit feinem Wortwitz, erfrischender Dreistigkeit und einer Geschichte, in der Gefühle keineswegs zu kurz kommen