Buch

Elisabeth Strasser: 0-1-0-1. Rez.: Klaus Ebner

 

Klaus Ebner
Auf nach Wandell!

Elisabeth Strasser: 0-1-0-1
Roman, 218 Seiten
Verlag Wortreich, Wien 2017
ISBN 978-3-903091-33-7

Der ungewöhnliche Titel des Buches, »0-1-0-1«, nimmt Bezug auf den eigentlichen Kern des Geschehens, auf die binäre Struktur einer Software. Umso mehr überrascht der Sprung in eine phantastische Welt, in der von Zwergen, Zauberern, Rittern und einem Orakel die Rede ist. Dennoch hat das eine mit dem anderen eine Menge zu tun.

Die in Niederösterreich geborene und heute in Linz lebende Autorin Elisabeth Strasser erzählt nämlich eine Fantasy-Story, und diese spielt sich innerhalb eines Online-Computerspiels im virtuellen Reich Wandell ab und ist vom Zutun verschiedener Anwender abhängig. Aber das Buch ist kein Fantasy-Roman per se, denn parallel wird von mehreren Personen erzählt, die im Rollenspiel Wandell geradezu versinken, von Moni und ihrem Kurzzeit-Liebhaber Oliver, der ihre Wohnung vollständig ausräumte und dann untertauchte, von Monis neuem Arbeitgeber Michael, von einer ehemaligen Literaturprofessorin und einer Autorin, aber auch von Ulrich und Konstantin, die das Wandell-Universum erfunden haben und eifrig selbst als Akteure mitmischen, wobei ihr freundschaftliches Verhältnis immer mehr zu einem Konkurrenzkampf mutiert.

Das Besondere an diesem Buch ist die Vermischung der wirklichen mit der virtuellen Welt. Alle tragenden Personen im phantastischen Wandell haben auch im Leben miteinander zu tun, wobei ihre Rollen durchaus unterschiedlich sein können. Anfänglich weiß natürlich niemand vom andern, doch das ändert sich mit der Zeit, und so ist den gespielten Gestalten in Wandell mitunter sehr bewusst, welche reale Person hinter einer bestimmten anderen Figur steckt.
»0-1-0-1« ist ein überaus kurzweiliges Buch, das Online-Spiele und Fantasy möglicherweise auf die Schippe nimmt, vor allem aber sich dieser Elemente auf eine äußerst vergnügliche Weise bedient und die Verflechtungen unterschiedlicher Lebenswege erzählt.

Elisabeth Strasser: 0-1-0-1. Rez.: Klaus Ebner

Bernadette Németh: Der Rest der Zeit. Rez.: Klaus Ebner

 

Klaus Ebner
Geschwister

Bernadette Németh: Der Rest der Zeit
Roman, 322 Seiten
Verlag Wortreich, Wien 2016
ISBN 978-3-903091-23-8

Die Ärztin Tünde wird an der Halswirbelsäule operiert, ausgerechnet zu Silvester, und das Risiko einer Querschnittslähmung steht im Raum. Das ist Ausgangspunkt und zugleich Rahmenhandlung des Romans »Der Rest der Zeit« der österreichischen Autorin Bernadette Németh, die nicht ganz zufällig ebenfalls Ärztin ist. Die Geschichte erzählt von drei Geschwistern, Tünde, Melinda und Adam, und deren Eltern, die während des Ungarnaufstandes nach Österreich gekommen waren. Es geht vordergründig um die Lebensbeziehungen der drei und hintergründig um die Art und Weise, wie man sich im Leben zurechtfindet und was man daraus macht.

Tünde wollte immer schon Schriftstellerin sein, doch der Arztberuf hat diesen Weg nahezu verbaut. Melinda ist Malerin, und sie möchte ihre künstlerische Tätigkeit nicht wegen des Kindes an den Nagel hängen, wie einst ihre Mutter es getan hat. Adam hingegen ist so etwas wie ein katholischer Fundamentalist mit haarsträubenden Vorstellungen; den Priesterberuf verlor er aber wegen seiner Liebe zu einer Frau, nun arbeitet er als Religionslehrer und versucht sich als Bücher schreibender Theologe. Alle drei stehen gewissermaßen vor Wendepunkten in ihrem Leben.

Den Hauptteil des Romans, dessen Schicksalswege abwechselnd ins Rampenlicht gelangen und fein miteinander verwoben sind, bildet wohl Tündes Geschichte. Die Leserinnen und Leser erfahren viel von der ärztlichen Ausbildung und von der Unbill, die einem da zustoßen kann. Was die Protagonistin in ihrer Turnuszeit und insbesondere in einem katholischen Spital erlebt, lässt inständig hoffen, dass die Autorin bloß seltene Einzelfälle zu einer ganzen Geschichte verbaut hat. Die Tatsache, dass sie selbst Ärztin ist, suggeriert freilich, dass es tatsächlich eine ganze Menge solcher unkollegialer, teamunfähiger, cholerischer und narzisstischer Mediziner in unserem Gesundheitssystem geben könnte, wie dieses Buch sie beschreibt.

Der Erzählfluss reißt mit, man möchte unbedingt wissen, ob und wie die von Bernadette Németh ausgelegten Fäden am Ende wieder miteinander verknüpft werden.
 

Bernadette Németh: Der Rest der Zeit. Rez.: Klaus Ebner

Marlen Schachinger: Martiniloben. Rez.: Klaus Ebner

 

Klaus Ebner
Auftakt

Marlen Schachinger: Martiniloben
Roman, 504 Seiten
Septime Verlag, Wien 2016
ISBN 978-3-902711-58-8

Die Universitätsdozentin Mona zieht aus der Stadt aufs Land, weil sie dem Stress und alltäglichen Gehässigkeiten entkommen möchte. In ihrem neuen Heimatort wurden Flüchtlinge untergebracht, und von Beginn an wird sie mit der Ablehnung der Bevölkerung konfrontiert, die sich immer offener gegen die Flüchtlinge richtet und schließlich auch gegen Mona selbst, die versucht, Flüchtlingsfamilien zu unterstützen und sich sogar mit einer Syrerin und deren Tochter anfreundet.

Natürlich gibt es auch unter den Flüchtlingen Konflikte wie Unterdrückung von Frauen und Gewalt – ein gefundenes Fressen für die voreingenommenen Dorfbewohner. An der Uni kämpft Mona derweil um einen Professorenposten, und sie steht hier wie da auf verlorenem Posten.

Was wie ein begrenzter Schauplatz rund um die Thematik der Flüchtlingsaufnahme und des Zusammenlebens beginnt, ufert im letzten Drittel des Romans immer mehr aus. Übergriffe von Seiten der Bevölkerung werden häufiger, die Gewalt eskaliert, Exekutive und Behörden verlieren die Kontrolle. Schließlich gibt es einen Umsturz in der Hauptstadt. Die Kommunikation kommt teilweise zum Erliegen, keiner weiß, wo man noch sicher ist, Nachrichten fehlen, und was man hört, ist – nicht zuletzt für Lesende – geradezu unglaublich.

Der in Niederösterreich lebenden Autorin Marlen Schachinger gelang es, den in unserem Land leider latenten und durch die Flüchtlingsproblematik hell auflodernden Fremdenhass in die Geschichte einer Frau zu verpacken, die vermeint, sich in eine ländliche Idylle zurückzuziehen.

Die Brutalität, mit der Schachinger zeigt, wie das gesamte gesellschaftliche Gefüge eines – unseres – Landes aus dem Ruder läuft, ist verstörend, und im Nachwort weist die Autorin darauf hin, dass die Realität manche ihrer Einfälle inzwischen überholt hat. »Martiniloben« ist ein wichtiges Buch. Und wichtig wäre nun, dass viele es läsen.
 

Marlen Schachinger: Martiniloben. Rez.: Klaus Ebner

Doron Rabinovici: Die Außerirdischen. Rez.: Klaus Ebner

 

Klaus Ebner
Ein außerirdisch gutes Buch

Doron Rabinovici: Die Außerirdischen
Roman, 256 Seiten
Suhrkamp, Berlin 2017
ISBN 978-3-518-42761-3

Außerirdische haben die Erde besetzt. Über Nacht. Dass keiner von ihnen zu sehen ist, tut nichts zur Sache, denn die Menschheit übt sich in vorauseilendem Gehorsam. Der Köder sind materieller Wohlstand, sagenhafter Reichtum, der Sieg über Krankheiten und das Ende aller Kriege. Dafür sind die Menschen bereit, Spiele auf freiwilliger Basis zu veranstalten, deren Verlierer geschlachtet werden und auf der Speisekarte der Außerirdischen landen. Denn die wollen das. Angeblich.
Anfängliche Empörung wird rasch vom Tisch gewischt, denn es geht ja um die Wohlfahrt der ganzen Menschheit. Da zählen die paar Opfer nicht, die sich überdies freiwillig melden.

Sol ist Reporter eines elektronischen Gourmet-Magazins, das zum richtigen Zeitpunkt zur medialen Drehscheibe rund um die Außerirdischen – die nach wie vor keiner gesehen hat – mutiert. Das neue Format war zwar Sols Idee, doch er ist es, dem immer unwohler wird und der mit der neuen Politik der Menschenopfer im Grunde nicht kann.
Das Buch ist überaus vielschichtig: Da klingen Wirtschaftskrisen und Finanzblasen ebenso an wie unbarmherzige Medienspektakel, Terrorismus und Diktatur. Das angebliche Ferienparadies, in das die Schlachtopfer vor ihrer Tötung gebracht werden, erweist sich als eine Art Konzentrationslager, und die vielen Anlehnungen an die Ereignisse in den Nazi-KZs lassen einem den Atem stocken. Hier kam mir der Gedanke: Doron Rabinovici hat ein Buch über die Shoah geschrieben, ohne über die Shoah zu schreiben. Und zudem ist das nur eine von zahlreichen Facetten.

Ob es die Außerirdischen wirklich gab, bleibt offen. Denn kein Feind des Menschen ist schrecklicher als der Mensch selbst. Kurz gefasst würde ich diesen Roman so charakterisieren: aufwühlend, tiefsinnig, spannend. Ein Glücksfall der Literatur. Bitte lesen!

Doron Rabinovici: Die Außerirdischen. Rez.: Klaus Ebner

Gerhard Köpf: Das Dorf der 13 Dörfer. Rez.: Klaus Ebner

 

Klaus Ebner
Große Dorfgeschichte

Gerhard Köpf: Das Dorf der 13 Dörfer
Roman, 240 Seiten
Braumüller Verlag, Wien 2017
ISBN 978-3-99200-185-9

Mit dem Roman »Das Dorf der 13 Dörfer« führt uns der emeritierte Literaturprofessor Gerhard Köpf in die Welt seiner Allgäuer Heimat.

Vordergründig geht es um einen älteren Radiojournalisten, der für eine Reportage ins Dorf seiner Jugend zurückfährt. Bei der Zugfahrt breitet sich ein innerlicher Erinnerungsteppich aus, in dem eine Vielzahl von Geschichten und Personen verknüpft ist, die in der Jugend des Journalisten eine Rolle spielten. Da ist von der Großmutter und vom Vater ebenso die Rede wie vom Lehrer und verschiedenen Ansässigen, aber auch von kuriosen Zugereisten, die dann einen Teil oder sogar ihr ganzes Leben im Dorf der 13 Dörfer verbracht haben.

Die erzählten Geschichten beginnen in den Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts und erstrecken sich zumeist in die Fünfziger und Sechziger, also in jene Zeit, die der Radiojournalist noch vor Ort verbracht hat. Gerhard Köpf ist aber vor allem Sprachkünstler, wie sie in der Literatur viel zu selten wurden. Er schöpft aus einem reichen Vokabular und nutzt gern seltene, fachspezifische und zuweilen veraltet wirkende Wörter. Zudem sorgen oft Wortspiele für Schmunzeln, wie etwa »Sie musste sehen, wo sie blieb. Und sie hat es gesehen.« (S 174).

Zwar ist Gerhard Köpf Deutscher, der im Grunde über (s)eine deutsche Gegend schreibt, doch überraschte mich das viele Österreichische, das in diesem Roman zu finden ist. Das reicht von Austriazismen hin zu einer auffälligen Affinität zu österreichischen Schriftstellern, etwa Doderer und Brandstätter. Zu Letzterem verrät uns der Landbriefträgersohn Köpf überhaupt eine besondere und mehrschichtige Beziehung.

Köpfs Roman ist ein literarischer Genuss, dessen Lektüre ich wärmstens empfehle.

Gerhard Köpf: Das Dorf der 13 Dörfer. Rez.: Klaus Ebner