Eva Riebler-Übleis
Landestheater NÖ in der Glanzstoff 30.4.15 Uraufführung - Premiere
GLANZSTOFF
Bürgerproduktion 3.0
von Felix Mitterer
Regie Renate Aichinger
Die dritte Bürgerproduktion in St.Pölten unter der Regie von Renate Aichinger bringt Leben in die leeren Hallen der Glanzstoff. Diese Fabrik – ehemals in Italien situiert - ist seit der Übersiedlung hierher, seit 1906 untrennbar mit der Stadt St.Pölten verbunden. Sie brachte Beschäftigung, anfangs für 306 ArbeiterInnen, die 125 kg Kupferseide pro Tag erzeugten und wuchs durch den günstigen Standort nahe der Österreich-Ungarischen Grenze. „Geht’s der Glanzstoff gut – geht’s uns allen gut!“ – war das Motto der St. Pöltner Wirtschaftspolitik.
Natürlich war die Existenz so einer wichtige Fabrik von Streiks (1918, 1945, 1950 usw.) und Sperrung (1930) begleitet und während und nach den beiden Kriegen war sie Plattform der Tagespolitik.
Dies alles sowie die Rolle von Gewerkschaftlern, Kommunisten oder Bruno Kreisky, Zwangs- und Gastarbeiter oder Geruchsbelästigung recherchierte Felix Mitterer sowie der Dramaturg Matthias Asboth, der alle Erinnerungen aus dem Volk sammelte und für den Autor aufzeichnete. Die Hauptgesprächspartner Felix Mitterers waren die langjährigen Betriebsräte Erich Strasser und Heinrich Kleinbauer, die er in der 11.Szene zu Wort kommen ließ. Mit der 12. Szene, der Schließung des Betriebes 2008, dem Auftritt der gesamten „Glanzstofffamilie“ endet dieses wertvolle Zeitdokument.
Felix Mitterer und vor allem der Initiatoren des BürgerInnentheaters Bettina Hering ist es somit zu danken, dass der Kumulierungspunkt St. Pöltens punkto Historie und Alltagsleben nicht spurlos aus dem Gedächtnis der BürgerInnen verschwindet. Viele aus dem Publikum und der großen Gruppe der Laienspieler haben nun erst so richtig gesehen und gehört, wie dieser Schauplatz Fabrik auch zum Schauplatz Leben wird und wurde.
Der Regisseurin Renate Aichinger ist es nicht nur zu verdanken, dass durch ihre freundliche, bestimmende Art die zahlreichen BürgerInnen beim Stück, d.h. bei den zahlreichen und umfangreichen Proben blieben, sondern auch dass die Texte auf mehrere Rollen – z.B. u. a. auf die jeweils drei Rollen der die Szenen begleitenden „Glanzlichter“ – aufgeteilt wurden, dass in vier Blöcken gespielt wurde, dass sich die Schauspieler unter die Besucher mischten und in ihrer Rolle bleibend aus und mit dem Publikum sprachen. Sie gingen von Schauplatz zu Schauplatz, von Halle zu Halle mit, sie informierten etc. So erst wurde die Starrheit eines Dokumentationsstückes exzellent aufgearbeitet und erfolgreich durchbrochen!
Die Laienspieler spielten nicht ihre Rollen – sie waren, sie verkörperten die Personen!
Kein Unterschied zu den 1:1 Rollen war zu sehen – (Die Enkelin des Glanzstoffgründers, Maria Urban trat als sie selber auf; der tunesische Gastarbeiter Abdelhamid Essid erzählte seine eigene Lebensgeschichte seit der Ankunft in St. Pölten, die Glanzstoffarbeiterin Heidi Mondl und der Arbeiter Johann Lechner sprachen zum Publikum über ihre Jahre in der Fabrik.
Voller Einsatz war von allen 53 gefragt und wurde 100-ig gebracht! Ein großes Lob ebenso dem Können und der Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit in diese Rollen zu schlüpfen. Man müsste ausnahmslos alle loben und hervorheben, nicht nur die beiden Maria Emharts ( Sigrid Zuser und Bianca Riegler) sondern auch die russische Zwangsarbeiterin Mircan Adtakan, die das Leid tragisch aber ohne aufgesetzte Theatralik ausdrückte, so dass sie tatsächlich über die Hinrichtung der Widerständler von 1945 weinte.
Die Bürgerproduktion 3.0 wurde ein großartiges Glanz-Stück, verwirklicht durch eine unvergleichliche Regie- und schauspielerische Leistung! Gratulation!
LitGes, im April 2015