Ingrid Reichel
WER DEN SCHADEN HAT, HAT AUCH DEN SPOTT
oder
WO DER WURM BEGRABEN LIEGT
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Erwin Wurm:
Polizeikappe, 2010
Styropor, Epoxitharz, Stoff
53 x 91 x 99 cm
© Studio Wurm,
Foto: Mischa Nawrata
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PRIVATE WURM
Essl Museum - Kunst der Gegenwart, großer Saal
Eröffnung: 19.10.10, 19.30 Uhr
Ausstellungsdauer: 20.10.10 – 30.01.11
Kurator: Günther Oberhollenzer
Realisierung: Brüder Gollinger
Agnes und Karlheinz Essl haben scheinbar wieder das Unmögliche möglich gemacht. Innerhalb von zwei Jahren wurden Thema und Konzept der Ausstellung mit dem mittlerweile international renommierten österreichischen Künstler Erwin Wurm 2-3 Mal neu verhandelt bis es schließlich zu dieser Form der Schau mit dem Titel „Private Wurm“ kam, erzählt Karlheinz Essl in der Pressekonferenz am Vormittag der Ausstellungseröffnung. Dass nicht immer Privates drinnen ist, wo Privat! draufsteht, gehört mit zum Spiel der veränderten Wahrnehmungen in Erwin Wurms Werk. Die üblichen veränderten Maßstäbe und verzerrten Perspektiven in seinen Skulpturen zeigen, wie gefangen und eingeschränkt wir in unseren Beobachtungen sind und ermöglichen dem Betrachter ohne Belehrung und Fingerzeig auf humorvolle Art und Weise ein kleines Ausbrechen aus unserer Selbstgefangenheit.
Der Kurator der Ausstellung Günther Oberhollenzer wirft die Frage auf, ob Wurm etwas vorspielt, uns etwa eine gekünstelte Realität präsentiert? Wurm sei nicht nur ein ironisch, witziger Künstler, sondern verbreite existentielle Verunsicherung mithilfe der Comicübertreibung als Stilmittel. Sein Werk sei durchaus pessimistisch und zynisch zu betrachten, bei näherer Auseinandersetzung sei Wurms Werk sogar beklemmend, grausam und schmerzhaft, führt Oberhollenzer seine durchaus leidenschaftliche Erklärung fort.
Die kleine Ausstellung im großen Saal im 2. Stock des Essl Museums zeigt nur sieben Skulpturen und ein Haus. Von den Skulpturen sind vier Möbelstücke. Alte Schränke aus massivem Holz wurden als Ganzes zu Sitzgelegenheiten umfunktioniert, Altes an Neues angepasst. Trotz beachtlicher Größe bleibt nur eine kleine unbequeme und ungepolsterte Sitzfläche.
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Erwin Wurm:
Big Coat, 2010
Aluminium, paint
224 x 81 x 64 cm
Foto und © Studio Erwin Wurm
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Erwin Wurm:
Narrow House, 2010
© Studio Erwin Wurm,
Foto: Mischa Nawrata
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Die Aluminium-Skulptur „Big Coat“ nimmt den Museumsbesucher in Empfang. Nackte Beine tragen kopflos einen Mantel wie einen Schrank, lackiert ist die Skulptur in den Farben des Logos des Essl Museums: der aufgesetzte Kasten im typischen Pink, die Beine in Silber. Direkt dahinter versteckt sich „Me under LSD“, eine Skulptur aus Polyester und Beton. Eine am Boden aufgestützte Hand trägt eine Wolke, anstatt des fehlenden Körpers. Wurm bekundet in der Ö1 Sendung am 19.10.10 um 17 Uhr, kaum Erfahrungen mit Drogen gehabt zu haben. Ihm ginge es hier lediglich um Bewusstseinserweiterung, diese als Gegenpol zur Engstirnigkeit zu zeigen. Vis à vis ist eine etwa mit einem Meter Durchmesser große, mannshoch montierte, Kappe der österreichischen Polizei. Hier kann man Schutz suchen. Auf dem Kopf wird sie einem nicht fallen. Wurms Vater war Kriminalbeamter, soweit der weitere herbeigezauberte Bezug zu Private Wurm. Es war ein alter Wunsch, den sich Wurm hier erfüllte. Einst hatte er schon die Idee einer Polizeikappe mit drei Meter Durchmesser bei einer Skulpturausschreibung für die Polizeidirektion am Heldenplatz, sie wurde jedoch abgelehnt.
Aushängeschild der Schau ist allerdings das „narrow house“, welches, wie der Titel schon besagt, ein beengtes, auf ein Siebtel in der Breite auf einen Meter reduziertes Haus mit 16 Meter Länge und 7 Meter Höhe ist. Als Vorbild fungierte Wurms Elternhaus, ein klassisches Einfamilienhaus aus den 60ern mit Satteldach, welches trotz Verzerrung wieder erkennbar sein sollte. Sein Elternhaus war ein solches, daher lag es nahe, sich an dessen Bauplan zu halten, begründet Wurm seine Wahl. Das schlanke Haus wäre keinesfalls als das Gegenstück zum dicken Haus aufzufassen. Wichtig sind ihm die Verzerrungen der Realität. Unsere Wahrnehmung richte sich immer mehr nach den Medien, der Fernseher mit den Breitwandbildschirmen zeige, laut Wurm, verzerrte amerikanische Verhältnisse, es sei nur mehr eine Frage der Zeit, bis sich die Realität anpasse. Übrig bliebe eine suggerierte Individualität. Wurm zeigt sich fasziniert über die Ablichtungen leerer Räume und die zunehmende Anonymisierung des Individuums, wenn er Innenarchitektur- und Interieurzeitschriften durchblättert. Der Mensch repräsentiere sich immer mehr über sein Haben als über sein Sein. Wurm bezieht sich, laut seiner Aussage (Ö1 Sendung: 19.10.10, 17 Uhr) auf Erich Fromms Sozialordnung der zwei Charakterstrukturen Haben oder Sein. Das Haus habe nicht nur eine Schutzfunktion wie eine dritte Haut, sondern sei auch Prestigeobjekt, zeige den Wohlstand, die Potenz.
Wurm war in allen Entwicklungspunkten des Kunstprojektes involviert. Das Haus selbst wurde innerhalb von zwei Monaten realisiert. Nichts konnte wegen der Verschmälerung vom Sponsor bauMax fertig übernommen werden, nicht einmal die Tapeten mit Muster der 60er Jahre, die ein nostalgisches Gefühl vermitteln, berichtet Oberhollenzer. Das Haus wurde von der Firma Dekorationsbau Winter detailgetreu nachgebaut, für die Realisation waren die Brüder Gollner verantwortlich. Das Haus werde in andere Ausstellungen übernommen, antwortet Wurm auf die angesprochene Zukunft des Hauses. Es sei durch seine Module wie Küche, Bad etc. mobil. Mit wenigen Umbauarbeiten wäre es auch für den Freiraum tauglich. Am liebsten sähe er es zwischen anderen Einfamilienhäusern stehen.
Das Haus steht exemplarisch für die Alltagsrealität und soll Erinnerungen wachrufen. Auch der Geschmack verändert sich: Was damals modern und schick war, ist es heute nicht mehr. Das Haus ist voll möbliert mit Alltagsgegenständen ausgestattet, die ebenfalls auf ein Siebtel der Breite geschmälert wurden. Mit einer Esswohnzimmereinrichtung, den Sanitäranlagen und der Küche, einem Schlafzimmer und einem Vorraum zeigt das Haus die Bleibe eines Durchschnittsbürgers. Teppich, Vorhänge, Geschirr, Buchregal, Backofen usw. sollen einen bewohnten Eindruck vermitteln. Die Kosten für die Realisierung dieses Kunstwerks sind in der Höhe eines kleinen Einfamilienhauses anzusetzen.
Dabei hat alles so kostengünstig angefangen…
1991 zeigte Wurm noch in kurzen Videos seine legendären 13 pullovers, 1992 59 positions, 1994 C-Prints Double oder Palmers 1997. Hier war der Mensch Zentrum in Wurms Werk. Der Mensch und seine Kleidung, seine zweite Haut, wie sie ihn deformiert, zur Unkenntlichkeit verändert. Wurm scheute sich nicht, Ausstellungsbesucher einzuladen, mit Alltagsgegenständen zu posieren, um sie zu fotografieren. So entstand die erste Serie von C-Prints 1997 seiner berühmten One-Minute-Sculptures. Mit seiner Minimal-Art begann sich der Begriff der Skulptur von ihrer Starrheit zu lösen. Eine Skulptur der Handlung wurde geboren, wie auch der Bewegung und vor allem eine Skulptur, die den Betrachter als Teil von sich beansprucht.
Seit 2002 lehrt der Objekt-, Installations-, Videokünstler und Fotograf Erwin Wurm Bildhauerei/ Plastik und Multimedia am Institut für Bildende und Mediale Kunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.
Mit der wachsenden Größe seiner Kunstwerke beginnt jedoch zunehmend auch Wurms erweiterter Skulpturbegriff leblos zu werden. Von den damals noch um Gleichgewicht kämpfenden Skulpturen, konzentriert sich Wurm mehr und mehr auf die fette, übergewichtige kapitalistische Skulptur, oftmals entstehen in einem Guss lebensgroße Autos, zerfließende oder platzende kleinere Modellhäuser etc. mit dementsprechend aufwändiger Herstellung und Verarbeitung. Nach der Ausstellung im MuMoK 2006 „Keep a Cool Head“, wo ein Fertigteil-Einfamilienhaus kopfüber am Dach des Museums verkeilt wurde, realisiert Wurm nun das schlanke Haus, das gestauchte Haus, welches den Museumsbesucher auffordert, einzutreten und Platz zu nehmen.
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Erwin Wurm:
Narrow House, 2010
© Studio Erwin Wurm,
Foto: Mischa Nawrata
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Doch leider hat sich die Angst des Kurators, das Haus würde nicht lebensecht wirken, erfüllt. Alles nur Theaterrequisiten. Weder nostalgische, noch klaustrophobische Gefühle überkommen den Besucher. Die versprochene Detailfreudigkeit am Interieur ist eine regelrechte Enttäuschung. Hier hat man am falschen Eck gespart.
Wer tatsächlich die 60er Jahre erlebt hat, weiß wovon ich spreche: In sich gemusterte Stoffüberzüge, Vorhänge und Tapeten in Medaillons in orange-rosa-grün-brauner Farbe, gesprenkelte Linoleum- und Teppichböden, dunkle Holzplafonds, geschmacklose gemusterte Fliesen bis an die Decke des Badezimmers und der Toilette, Plastiküberzüge, ja vor allem viel Plastik, die von der Decke hängenden grauenvoll kitschigen Lampen. Wo ist die Fülle dieser in sich gemusterten Scheußlichkeiten geblieben? Und natürlich die heißbegehrten ersten Haushaltsgeräte, die den Frauen die Hausarbeit erleichterten, das elektrische Bügeleisen, der Staubsauger, wo ist die Waschmaschine, die sich jede kleinbürgerliche Familie vom Mund abgespart hat? Aber vor allen Dingen, wo sind die Pantoffeln des Haushaltungsvorstands geblieben? Vielleicht sind hier zu viele Männer am Werk gewesen? Welche Frau stellt Geschirr auf Esszimmer- und Küchentisch gleichzeitig und hat nicht gekocht? Hier betritt der Besucher ein überteuertes lebensgroßes Puppenhaus, doch leider will der Besucher nicht mitspielen.
Eher findet man diesen Anblick in Wohneinrichtungshäusern, wo man nüchtern etwas verkaufen will. Nur was will uns Erwin Wurm verkaufen? Eine Kritik an die Kleinbürgerlichkeit? Die Engstirnigkeit und der fehlende Horizont der Vergangenheit oder auch der Gegenwart vielleicht? Wie auch immer, des Rätsels Antwort bleibt unangetastet im Konzept des Künstlers verpackt.
Dennoch wühlt die Ausstellung auf und fordert Kritik. Ob diese Art von Kritik die Intension des Künstlers war, ist fraglich. Die herkömmlichen großen Medien scheinen fest geschlafen zu haben und kündigten eine „große Ausstellung“ an (ORF ZIB 2, 19.10.10) oder sprachen von einem Elternhaus der 60er Jahre, welches beklemmende Gefühle beim Eintreten auslöse. Die Medien zeigen tatsächlich eine verzerrte Perspektive, viel verzerrter als Wurm in dieser Schau in der Lage war zu verdeutlichen. Mit diesem Budget hätte man viel mehr umsetzen können. In der Kosten-Nutzen Relation ist dieses Projekt gescheitert. Kritische Aspekte wurden überhaupt nicht berücksichtigt.
Dass der Kunstmarkt generell mit seinen Preisen oder die Projektkosten dieser Ausstellung hier kein Thema sind, ist überflüssig zu erwähnen. Dennoch wird man das Gefühl nicht los, dass die Kunst im Allgemeinen als solche schon mehr als zur Dienstleistung abgedriftet ist. Neben dem Unterhaltungswert, löst sie ganz nebenbei Integrationsprobleme, gleicht die schlechte Fremdenpolitik der Regierungen aus, ist mittlerweile nicht nur Arbeitsbeschaffer, sondern auch Psychiater geworden. Wenn also Künstler wie Erwin Wurm das zweideutige Spiel mit dem Kapitalismus vorantreiben, um damit die Kritik an dem mittlerweile ohnehin sterbenden Kleinbürgertum zu finanzieren, dann wird auch diese Kunst überflüssig.
Unerklärlich ist bei dem ganzen Medienrummel um diese Privat Wurm Show, warum bei der Pressekonferenz versäumt wurde, darauf hinzuweisen, dass dieses narrow house bereits die zweite Garnitur ist. Vom 17.07. – 15.09.2010 hatte Erwin Wurm seine erste Einzelausstellung in China, im Ullens Center for Contemporary Art (UCCA) in Beijing mit dem Titel „Narrow Mist“, wo es laut Homepage des UCCA genauso ein Haus, wie im Essl Museum zu sehen gab.
Zur Erinnerung: In diesem Sommer waren wieder verheerende Überschwemmungen in China, die sich katastrophal bis über ganz Pakistan ausgebreitet hatten. Nachdem eine Schlammlawine ein ganzes Dorf in China weggerissen, es auf einem Schlag über 1200 Tote und 500 Vermisste gegeben hatte, rief sogar das sonst so nüchterne China am Sonntag, den 15.08.2010 den Staatstrauertag aus. Von den Verletzten und Obdachlosgewordenen sprach man erst gar nicht. Ich erinnere an die klägliche ausgegangene Spendenkampagne für Pakistan, die vom gerade vom Urlaub heimgekehrten Kleinbürger nicht so wahrgenommen wurde, wie man es sich gewünscht hätte … während unbewohnbare und unnutzbare Häuser - überteuerte Bühnenrequisiten! - jeweils im Wert von einem Einfamilienhaus in den Kulturhäusern der Welt entstanden.
Ab diesem Punkt wird die Kunst nicht nur überflüssig, sondern sie ist mit dem menschlichen Makel versehen. In unserer Zeit der Weltwirtschaftskrise und der Klimakatastrophen wird die Umsetzung gigantomanischer Kunstkonzepte zu einer wahrlich unethischen Angelegenheit. Hier liegt der Wurm begraben. Hier ist die wahre Verzerrung zu finden.
Aber wer den Schaden hat, hat auch bekanntlich den Spott. Es ist daher zu erwarten, dass das
k l e i n e Volk für Erwin Wurms g r o ß e Kunst wenig Verständnis aufbringen wird.
Zur Ausstellung wird demnächst ein Katalog erscheinen, der den Aufbau des narrow house in Klosterneuburg im Essl Museum dokumentiert.
LitGes, Oktober 2010