Philosophie

13. Philosophicum Lech: 1. Tag - Winfried Menninghaus - Part 3. I. Reichel

Ingrid Reichel
OHNE KUNST UND SPRACHE, KEINE RELIGION!

 

13. Philosophicum Lech
Vom Zauber des Schönen.
Reiz, Begehren und Zerstörung.
Neue Kirche, Lech am Arlberg, Vorarlberg
16. – 20.09.09

 

1. Tag – Part 3
17.09.09, 18 Uhr

 

Vortrag von Winfried Menninghaus (Berlin):
Vier Vektoren der Schönheit: Sexualität, Technik, Sprache, Kunst

 

 
Winfried Menninghaus wurde 1952 geboren und ist Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft am Peter Szondi-Institut an der Freien Universität Berlin.

 

Menninghaus lud zu einer Zeitreise in die Vergangenheit, zu 40.000 Jahren zurück, die uns seine Evolutionstheorie ästhetischen Verhaltens erklärt.

Am Gesang des Vogels, besonders am konkreten Beispiel des Laubenvogels, erörtert er zunächst, dass die physikalische Attraktivität in der Natur zur Vermehrung diene. Menschliches Singen, Sprache und Selbstdarstellung wären eine Fortsetzung. Vergleiche zwischen Vogelgesang und der metrischen Stimme werden untersucht und beweisen das selektive Verhalten. Humorvoll impliziert er am Beispiel der Gegenwart, dass auch Architekturkritik als Partnerwahl herhalten könne.

Die Technik wiederum ginge mit ihrem Qualitätsanspruch und der künstlerischen Produktion einher. Zusammen führten sie unser ästhetisches Verhalten zu einer Tradition. „Die Durchschlagkraft und Fast-Parallelität der weltweiten Entwicklung ab 40.000 Jahre vor unserer Zeit sowie die Ähnlichkeit etlicher Produktparameter sind frappierend. Seit dieser Zeit scheint es keine Kultur mehr zu geben, die nicht ein hohes Maß an Energie, technischen Fähigkeiten und materiellen Ressourcen auf scheinbar überflüssige Ornamente und Kunstwerke aller Art verwendet. Wir haben es offensichtlich mit einem transkulturellen Erfolgsmodell zu tun.“

Der Werkzeuggebrauch selbst implementiere ein sexuelles Spielverhalten. Die Ornamente dienen als Status, Werbung, Bildung und Signale. Hier zeige sich der Zusammenhang der Kunst zur natürlichen Paarungsselektion. Ästhetisches Verhalten sei als Form des Zusammenwirkens vieler Fähigkeiten und Dispositionen zu verstehen, folgert Menninghaus, wie es an den anerkannten, markanten und adaptiven menschlichen Verhaltenmuster der sexuellen Wahl, des Spielverhaltens, des Werkzeuggebrauchs und der symbolischen Kommunikation zu sehen ist.

Das Zusammenwirken dieser in sich schon komplexen Konfiguration kognitiver, motorischer und/ oder kommunikativer Fähigkeiten ermöglichte durch unsere technologisch soziale Entwicklung die Kunst.

Die vierte entscheidende Komponente sei die menschliche Sprache. Durch Kampf und Unterwerfung entstand die Notwendigkeit der Interpretation. Nicht verbale Signale werden dekodiert, um Täuschung und Vorstellungskraft auszulegen.

Die Schönheit wäre oft in ihrer übertriebenen Ornamentik und Signalwirkung überflüssig. Manche seien sogar dadurch ausgestorben.

Die Struktur des menschlichen Geistes zeige die hybride Verschaltung der Evolution. Mit der Erkenntnis, dass ohne Sprache und Kunst keine Religion möglich wäre, und dass Kunst und Soziales demzufolge zusammenhinge, schließt Menninghaus seinen Vortrag.

 

Buchtipp:
Winfried Menninghaus: Das Versprechen der Schönheit.
Frankfurt/ Main: Suhrkamp Verlag, 2005. 386 S.
ISBN: 978-3-518-58380-7

13. Philosophicum Lech: 1. Tag - Winfried Menninghaus - Part 3. I. Reichel

13. Philosophicum Lech: Auftakt, Einführung Liessmann - Part 2. I. Reichel

 

 

 

 

Ingrid Reichel
BEGEHREN DURCH SCHÖNHEIT? ODER SCHÖNHEIT DURCH BEGEHREN?

 

13. Philosophicum Lech
Vom Zauber des Schönen.
Reiz, Begehren und Zerstörung.

Neue Kirche, Lech am Arlberg, Vorarlberg
16. – 20.09.09

 

1. Tag – Part 2
17.09.09, 17.30 Uhr

 

Nach den feierlichen Reden des Bürgermeisters von Lech Ludwig Muxel, des Landesstatthalters Markus Wallner und des Sektionschefs Friedrich Faulhammer, der als Vertretung des Wissenschaftsministers Johannes Hahn gekommen war, eröffnete Bildungsministerin Claudia Schmied das 13. Philosophicum. Im Schönen sehe sie die Chance, an der Kultur teilzuhaben, an einem sozialen Miteinander, an einem Zugang zu einer von Herkunft und Ökonomie unabhängigen Bildung. Jungen Menschen müsse eine Perspektive eröffnet werden. Schmied beendete ihre Eröffnungsrede mit einem Appell für die Politik des Schönen und der Wertschätzung an Kultur. Anschließend ging es weiter mit einem einführenden Referat von Konrad Paul Liessmann.

 

Einleitungsvortrag von Konrad Paul Liessmann: Vom Zauber des Schönen

 

 

 

Konrad Paul Liessmann wurde 1953 geboren und ist Professor an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter der Philosophicum Lech.

 

 

Schönheit gehöre zu den umstrittensten Begriffen der europäischen Kultur. Dies ziehe sich von unserer Geburt bis zu unserem Tod hin, vom schönen Baby bis zur schönen Leich. Seit der Antike galt die Schönheit in der Kunst als entscheidendes Ziel menschlicher Kreativität und kosmischer Harmonie. Sie bildet mit dem Guten und der Wahrheit eine Trias, die unseren Bildungsbegriff bis in das 19. Jahrhundert bestimmte. Der Streit in der philosophischen Ästhetik beruhe spätestens seit dem 18 Jahrhundert auf der Frage ob die Schönheit Ausdruck einer objektiven Idee oder Reflex einer subjektiven Empfindung sei.

Die Aktualität erfahre die Schönheit durch die zeitgenössische psychologische Attraktivitätsforschung und durch die evolutionsbiologische Ästhetik.

 

Eine mögliche Definition des Begriffs liefere eine berühmte Fußnote des französischen Schriftstellers Stendhal in seinen Reflexionen „Über die Liebe“: „Schönheit ist nur ein Versprechen von Glück.“ Ein Versprechen garantiere jedoch keine Erfüllung. Die Schönheit erweckt Erwartungen, Begierden und Sehnsüchte, eben Leidenschaften. Und genau diese können die Schönheit auch wieder entthronen, denn im Versprechen wirke die Zerstörung, immer schwinge ein Risiko der unerfüllbaren Lust und Befriedigung mit.

Zudem sei die Schönheit kein demokratisch herstellbares Gut. Wir leben in einer Zeit wo das Glücksgefühl schon fast zu einer Pflicht geworden ist. Durch die Chemie, die Chirurgie und die Gentechnik werde vieles möglich. Noch erzeuge der Schönheitswahn weder Bestürzung oder ‚Belächelung’, noch stehe unser Qualitätsanspruch nicht im Gegensatz zur sittlichen Moral. Liessmann verwies weiter auf den englischen Philosophen Hobbes, der in der Schönheit das „Anzeichen eines zukünftigen Guten“ sah. Reflexartig erwarten wir tatsächlich im Schönen das Gute, welches uns wieder Hoffnung gibt.

 

In der Kunst der Moderne sei das Schöne jedoch in Verruf geraten. Die Kunst geriet in den Verdacht des falschen Versprechens, eines schönen Scheins mit doppelter Moral: „Eine Kunst, die wahr sein will, kann in einer hässlichen Welt nicht schön sein.“, so Liessmann, doch gegen Ende des 20. Jahrhunderts hätten sich Künstler wieder dem Schönen zugewandt. Der gesellschaftskritische Impuls der Moderne sei erlahmt.

 

Und natürlich lässt Liessmann in seinem Einführungsvortrag die griechische Antike, die wie vielleicht keine andere Kultur der Schönheit in Form von Dichtung und philosophischen Reflexionen huldigte, nicht außer Acht. Ihre Bedeutung für die europäische „Metaphysik des Schönen“ legt Liessmann durch den Dialog „Der größere Hippias“ dar, in dem Platon von einem Gespräch zwischen Sokrates und Hippias berichtet, das die Ergebnislosigkeit der Frage, was denn nun das Schöne sei, offen legt. Doch nicht die Ergebnislosigkeit wäre von wahrer Bedeutung, als dass hier vielmehr zum ersten Mal im philosophischen Sinn nach dem Schönen gefragt wurde. „Platons Verknüpfung von Schönheit und Begehren durchzieht die Debatten über das Schöne bis in die Gegenwart.“ Es sei das Schöne, das wir begehren. Es war Nietzsche, der die Möglichkeit der Gleichsetzung von Schönheit und Begehren behauptete, berichtet Liessman weiter. Also: Was wir begehren, finden wir schön. Doch Begehren vergehe, der gute Geschmack setze wieder ein und alles fiele wie Schuppen von den Augen. Hier jedoch sieht Liessmann die Bestätigung Kants, dass das Schöne nur interessenloses Wohlgefallen sei. „Nur dort, wo keine Interessen im Spiel sind, kann der Geschmack unbefangen urteilen.“ Das würde jedoch bedeuten, dass wir das Schöne nicht begehren dürften und dies sei natürlich eine Illusion.

 

Mit der Erkenntnis, dass das Schöne jedoch niemals das Gefällige sein könne, vielmehr eine Gesamtheit darstelle und dass der Mensch der Verführungsgewalt des Schönen einfach nicht gewachsen sei, schließt Liessmann seine ausführliche Kontroverse über das Schöne.

 

Buchtipp:
Konrad Paul Liessmann: Schönheit
Stuttgart: UTB Verlag, 2009. 119 S.
ISBN 978-3-8252-3048-7

(Rezension im nächsten etcetera Nr. 38)

13. Philosophicum Lech: Auftakt, Einführung Liessmann - Part 2. I. Reichel

12. Philosophicum Lech: 1. Tag

 
12. Philosophicum Lech 2008
17. – 21.09.08
www.philosophicum.com

 

GELD. WAS DIE WELT ZUSAMMENHÄLT?

 

Mittwoch den 17. September startete das heurige Philosophikum durch mit einem philosophisch-literarischen Vorprogramm zum Thema: Die Silberlinge des Judas. Macht und Mythos des Geldes mit Michael Köhlmeier (Mit-Initiator des Philosophikums vor 12 Jahren, da er „g’scheite Leut’“ um sich haben wollte) und Konrad Paul Liessmann (Wissenschaftlicher Leiter/Moderator). Zum anschließenden Gespräch war Bundesminister Dr. J. Hahn eingeladen.

 

12. Philosophicum Lech 2008, 1. Tag
Donnerstag, 18.09.08 Nachmittag

 

Impulsreferat - Peter Koob

 

Den eigentlichen Auftakt bildete wie stets das Siemens-Magna-Impulsforum, diesmal unter der Leitung Peter Koob (EVP Corp. Developm. Magna International).
Sein Impulsreferat beinhaltete nüchterne Definitionen des Geldes als Zahlungsmittel, Wertaufbewahrer, Wertmesser oder Wertmaßstab, Recheneinheit und Beitrag zur Objektivierung von Vergleichen. Sein Ausgang bildete die Möglichkeit Geld zu verehren oder zu verachten. Sein Schluss erwähnte die soziale Komponente, die wahrgenommene Verantwortung eines Frank Stronach, der die jährlichen Gewinne, von 83.000 Mitarbeitern in 23 Ländern erwirtschaftet, nach einem festgelegten Schlüssel an Mitarbeiter, Manager, Aktionäre und die Gesellschaft zurückgibt. Im Sinne Henry Fords gilt: Ein Geschäft, das nichts als Geld verdient, ist ein schlechtes Geschäft.
Eva Riebler

 

 

Podiumsdiskussion

 

Dies bildete die Überleitung zur anschließend hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion mit
Dr. Hans Haumer, Prof. Jürgen Hubbert (Vorstandsmitglied der Daimler Chrysler AG bis 2005), Caritas-Präsident Franz Küberl und Heide Simonis (Ministerpräsidentin a.D., ehrenamtl. Bundesvorsitzende von UNICEF Deutschland).

Heide Simonis meinte: Wer sich auf Geld verlegt, wird reingelegt. In Skandinavien weiß man, wofür die bis zu 66% Steuern ausgegeben werden und klagt nicht über die hohen Steuern. In Afrika arbeiten die Chinesen wie in der Fabel „Der Hase und der Igel“. Sie rufen stets: „Wir sind schon da.“

Dr. Hans Haumer sah Geld als Energie, die jedermann gut oder schlecht verwenden kann, jedoch haben die Zentralbanken zuviel Geld erzeugt.

Prof. J. Hubbert sprach über Machtgier, Kontrolle und dem Risiko, wenn man das Geschäft mit Geld nicht versteht.

Franz Küberl meinte, wie ich mit meiner Gier umgehe ist eine Gesinnungsfrage. Mit Gier zu spekulieren ist Sünde. Gier kann Hirn fressen! Die Armen wissen, wo die Reichen wohnen und umgekehrt. 1% des BNP wäre notwendig um das Milleniumsziel bei der Armutsbekämpfung zu erreichen. Außerdem gilt: Man steht nur auf zwei Beinen gut!

Weiters wurde aufgeworfen:
Haben wir die Macht über das Geld oder das Geld über uns?
Geld ist Energie, diese können wir speichern.
Geld erzeugt Geldlosigkeit, bewertet Risiken.
Geiz bedeutet Arbeitslosigkeit!
Sokrates meinte auf einem Markt: „Welch unglaublichen Dinge, die es gibt; die ich nicht brauche!“
Eva Riebler

 

 

Eröffnungsrede - Bundesministerin Claudia Schmied

 

Anschl. hielt Bundesministerin Dr. Claudia Schmied nach der Dankesrede des Bürgermeisters Ludwig Muxel ihre Eröffnungsrede zum für sie verfänglichen Thema Geld:
Lauter Fallen, wohin sie auch blicke: Werde sie das Kulturbudget aufstocken? Als Politikerin müsse sie den Lauf des Geldes verfolgen. Nach Subventionen oder nach der Kontrolle durch den Staat ruft beinahe jeder. Der ungebremste Markt sei nicht unbedingt segensreich! Sie sei für eine Dialektik zwischen Freiheit des Wirtschaftens und Gewährleisten von fairen Bedingungen und Lebenschancen für alle Menschen, für eine Dialektik zwischen Liberalität und sozialer Gerechtigkeit.
Eva Riebler

 

 

Einführung - Konrad Paul Liessmann: Eine kleine Philosophie des Geldes

 

Thesen von Konrad Paul Liessmann:
Wer über Geld spricht hat es nicht!
Zuviel Geld kann man bekanntlich überhaupt nie haben!
Geld ist erstarrte Zeit!
Mit Geld regeln wir unsere Bedürfnisse, den Verkehr mit anderen, Geld ist ein Wechsel auf die Zukunft.
Anschließend folgten etymologische Bedeutungen und Ableitungen des Begriffes vom ahd. „gelt“ im Sinne von „gelten“. Nach Aristoteles ist Geld in Zusammenhang mit dem Tauschakt entstanden. Je arbeitsteiliger eine Gesellschaft, desto tauschfreudiger müssten ihre Mitglieder sein! Abbé F. Galiani warnte 1751 bereits Geld nicht mit wirklichem Reichtum zu verwechseln. Die nützlichsten Dinge seien: Erde, Wasser, Feuer, Luft und dann folge erst der Mensch.
Das Geld sei charakterlos und qualitätslos, meint K. P. Liessmann.
Eva Riebler

 

 

Vortrag - Hans Christoph Binswanger:
Geld und Magie. Die moderne Wirtschaft im Spiegel von Goethes Faust

 

Wie im Vorjahr beim Philosophicum zum Thema Religion, hat Goethe auch diesmal sehr oft das Wort. H. C. Binswanger sieht den „Faust“ mit C. G. Jung als „alchemistisches Drama“, vor allem im zweiten Teil, in Faust II, geht es um die Herstellung des begehrten Edelmetalls Gold. Faust macht sich verdient für die Gemeinschaft, erfindet das Papiergeld (analog zur Bank of England) und ist erfolgreich bei der Landgewinnung durch Eindeichen (Einsatz der Technik, Dampfmaschine) und gelangt somit zu Zufriedenheit; indem er seine Taten, die auch in Äonen nicht untergehen, genießt. Die Wirtschaft, die geleisteten Taten machen unsterblich und man kann zum Augenblicke sagen: Verweile doch, du bist so schön! Jedoch meint Binswanger, der wirtschaftliche Fortschritt zerstöre die Schönheit, Sicherheit (z.B. am Beispiel der Zerstörung der Hütte Philemon und Baucis oder der Gefahren der Technik) und die Fähigkeit zu genießen; denn der wachsende Reichtum bringe Ängste und Sorgen. Und wir müssen heute Soge für die Menschheit und das Menschsein übernehmen und tragen.
Eva Riebler

12. Philosophicum Lech: 1. Tag

11. Philosophicum Lech: 4. Tag, Robert Menasse - Part 15

4. Tag

 
Robert Menasse

Den letzten Vortrag des 11. Philosophicum hielt Robert Menasse: „Landgewinnung und Erlösung. Die Kapitalismusreligion“. Der jüngste Staatsbesuch des Papstes in Österreich (September 2007) regte Menasse zu einer Theorie der Landgewinnung an. Die 100 Jahre alten Linden mitten in Mariazell am Platz vor der Basilika mussten weichen, wegen einer einstündigen Messe, die Papst Benedikt XVI persönlich vor Ort zelebrierte. Die Kritik ging an den Bürgermeister von Mariazell, der für die Fällung der Bäume seine Zustimmung gab. Eine Zustimmung die dem österreichischen Rechtssystem widerspräche. Menasse appelliert an unser politisches Bewusstsein - dies sei Landnahme von öffentlichem Raum für einen sakralen Ritus, und keinem sei es aufgefallen.

Die Frage auf die Menasse zunächst zielt, ist, ob Religion selbst nicht ein Säkularisierungsmittel sei, ein Mittel Heiliges, letztlich Gott dem Kapitalismus dienstbar zu machen, um selbst zur Religion zu werden.

[weiter...]

Menasse erklärt anhand von Goethes „Faust II“ die politische Vision einer freien Weltordnung. Da die Mehrheit der Menschheit an einen Gott glaube, sei seine Existenz in der aufgeklärten Welt unbewiesener Maßen als Begründer einer Religion anerkannt und Ausdruck der Dreifaltigkeit im Sinne von Vernunft, Freiheit und Säkularisierung.

Menasse unterscheidet zwischen der „Säkularisierung Gottes“ und der Säkularisierung der Welt. Der erste Begriff beinhalte den Gedanken, der Mensch sei nicht Gott, sondern nur der Maschinist seiner Religion. Der zweite Begriff verspräche keine Abschaffung der Religion, sondern ein verändertes Verhältnis zu ihr. Gelehrsamkeit, Vernunftanspruch und wissenschaftliche Neugier waren nicht befriedigend genug, sodass die Menschheit nach individuellem Profit suchte, um diesen dann heilig zu sprechen. Gemeint wären damit in der Praxis das unternehmerische Denken und die Arbeit mit Geld und Wertpapieren, die die herkömmlichen Werte und somit auch die gottgegebene Schöpfung in Frage stellten. Der Mensch konnte nun eine Welt aus dem Nichts schaffen, worauf das ideale Menschenbild in Konsequenz entzaubert wurde.

 

 

 

 

 

 

 

Menasse spricht vom Sachverhalt der medialen Schlagzeilen zum Papstbesuch als weltliche Bedeutung von „Gottesstellvertreter auf Erden“. Hierbei führte Menasse einige pointierte Beispiele an, mit denen er auf die Presse hinhackte und Lacher aus dem Publikum erntete. „Alles über den Papst“ lautete eine Überschrift - was das „alles“ war, wiedergab Menasse im Detail, weiters punktete Menasse mit der Schlagzeile „Pavarotti: Begräbnis wie für einen Gott!“ Menasse sieht darin den Beweis, dass Staat und Gesellschaft selbst zum spirituell-religiösen Gebilde wird, und die Religion dagegen sich selbst säkularisiert, um als politische, wirtschaftliche und militärische Macht auf den Markt zu wildern, den die religiöse Gesellschaft ihr bereitwillig öffnet.

Der Geschichte der Aufklärung nach, berichtet Menasse, dass es den politischen und wirtschaftlichen Repräsentanten der aufgeklärten bürgerlichen Gesellschaften, nie darum ging Religion abzuschaffen, sondern wie produktiv und profitabel sich Religion erweisen könnte. Die Religionsfreiheit befreite wohl die Menschen von der Kirchenzucht, jedoch nicht vom Glauben. So geschehe es, dass Gläubige, die den Kapitalismus produzieren, diesen als definitive Vernunft und Naturgesetz, also als „Gottes Wille“ sehen wollen.
Zu der zu Beginn erwähnten politischen und religiösen Landgewinnung bringt Menasse drei geschichtliche Aspekte. Drei Orte, drei Mal Landnahme im Ringen zwischen Religion und Welt, wie es Menasse formulierte.

1. Landgewinnung mit Gottvertrauen gegen die Religion: Amsterdam
Als sich Menschen entschlossen dem Bischof von Utrecht keine Steuern mehr zu entrichten, nahmen sie sich ein Land, auf welches der Bischof keine Rechte hatte, ein Land im Meer, Sumpf und Moor auf dem sie auf Pfählen eine Siedlung bauten. Die Moderne Europas begann, so Menasse, auf diesem Fleck Land im tiefsten Mittelalter.

2. Landgewinnung ohne Gott gegen die Religion: Auschwitz
Ein Land, welches laut Menasse, von Gott abgerungen wurde, eine säkularisierte Landnahme im radikalsten Sinn. Wo war Gott, als die Untaten der NS-Schergen geschahen? Gott könnte hier widerlegt werden. „Doch Auschwitz beweise nichts, […] denn es war Erde, wo zuvor keine war, dieses Land war Element […] radikal gottloses Land, das gleichsam im Handstreich heraus gebrochen wurde aus der Schöpfung Gottes.“

3. Landgewinnung als Gott und Religion: Nagasaki
Der Krieg war nach der Atombombe von Hiroshima, so Menasse, bereits beendet. Daher sei die A-Bombe auf Nagasaki was anderes. „Ich trotze das Land nicht einem anderen Element ab, ich schaffe erst das neue Element, ich BIN das neue Element, und in mir und auf mir und durch mich wird alles sein, auch wenn es gewesen ist.“
Menasse schlussfolgert, dass wir mit dieser Religion bis heute leben und beten. Wenn man Gott säkularisiere, dann wäre dies ein weltlicher Trick.

Der Trick nämlich mit dem Teufel im Bunde Profit zu machen, und da gottgefälliges Streben, dennoch am Ende Erlösung erwarten. Und da es der Mensch ist, der behauptet gottgefällig zu sein, nennt Menasse es Kapitalismusreligion. „Sprich die Vernunft heilig, dann begründe Deine Verbrechen vernünftig. Was immer die Menschen von Gott erhoffen […], versprich ihnen die Segnungen auch durch den Markt. Aber gib der Religion eine Markthalle.“

Mit dem Satz “Also warum nicht daran glauben, wenn man daran glauben muss?“ schließt Menasse seinen Vortrag, den er schließlich bedauere geschrieben zu haben, denn es war wohl ein seltsamer Tag, als der Papst kam und er aus „Faust II“ las und plötzlich glaubte etwas verstanden zu haben, was er nicht glaube gut wiedergegeben zu haben.

 

11. Philosophicum Lech: 4. Tag, Robert Menasse - Part 15

11. Philosophicum Lech: 4. Tag, Gabriele Sorgo - Part 14

4. Tag

 
Gabriele Sorgo

Gleich anschließend an die Sonntagsmesse hält Gabriele Sorgo den vorletzten Vortrag zum
11. Philosophicum in der neuen Kirche in Lech: „Kult, Konsum und Konvivialität: Einkaufen als Gottesdienst?“

Wie sie zu Beginn ihrer Rede feststellt, wäre es vor wenigen Jahren noch kaum vorstellbar gewesen, am Sonntagmorgen in einer Kirche einen Vortrag zu halten, schon gar nicht als Frau und dann von der Kanzel und noch dazu über Shopping, gelte es doch als Häresie der Vernunftreligion.

In ihrem Beitrag will Sorgo das Gegenteil beweisen.

[weiter...]

1. Konsumkritik

Das heutige Konsumverhalten schneide mit schlechten Noten in den Kulturwissenschaften ab. Der 2002 verstorbene Theologe Ivan Illich verstand unter Konvivialität, eine Lebensform, die nicht nur materiellen, sondern auch sozialen und kulturellen Bestand hat.
Somit hieße konvivial nicht nur laut Duden: heiter oder gesellig, sondern „für ein gutes Zusammenleben geeignet“.

Waren und Religionen, die zu einer Abhängigkeit führen, bezeichnet Sorgo als nicht konvivial, da sie laut Illich die Eigenmächtigkeit und Kreativität untergrabe. Diese Abhängigkeit wird von Konsumkritikern mit religiösen Begriffen, wie Markenkult, Starkult, Konsumtempel und Freizeitparadies umschrieben, die damit eine doppelte Entwertungsstrategie verfolgen, im Sinne der Lächerlich-Machung des Konsumenten, sowie der Negativierung des Wortes Kult. Lebensbewältigung bedeute tägliche Wiederherstellung der eigenen körperlichen und psychischen Identität. Sorgo ordnet dem Einkaufen eine große Rolle zu, da der Konsum seit den 1960er Jahren im Zentrum der Gesellschaft steht und sie scheinbar zusammenhält, er erweise sich somit als Äquivalent zur verloren gegangenen Macht der Religion, als Mahlgemeinschaft.

2. Ursprung von Ritualen und Kulten

Sorgo holt geschichtlich aus. Bei Ritualen handle es sich um kulturell stilisierte Reaktionen auf die Umwelt, sie sicherten Ordnungsstrukturen und schafften Geborgenheit. „Einer der häufigsten ritualisierten Verhaltensweisen, die über viele Jahrtausende das Überleben sicherte, war die Nahrungsteilung: die Mahlgemeinschaft.“ Die Mahlgemeinschaft selbst war wieder entscheidend für die Evolution des Menschen, sowie Gruppenbildung Vorraussetzung für die Menschwerdung war. Die grundlegenden Fragen des Überlebens wie Essen und die daraus resultierenden Beziehungen und starken Gefühle hätten somit laut Religionsphilosophen etwas Heiliges. Doch Essen stehe auch für ein Fest, da es Glück, Freude und den Triumph des Überlebens liefere.

Heiliges entstand, wie Sprachwissenschaftler vermuten, mit dem Bewusstsein vom Wert dieser Grenzziehungen.
Da die menschliche Gemeinschaft und damit die Kultur mit großer Wahrscheinlichkeit bei der Nahrungsteilung begonnen haben, ist es nicht abwegig Kult und Konsum zu verbinden.

3. Eine Interpretation des Einkaufens als Kultur schaffende und religiöse Tätigkeit

Leider, fährt Sorgo fort, würden Konsum und Kultur heute defizitär praktiziert.
Der Alltag richte sich nach Anforderungen der Arbeit – Produktion und Ökonomie - und “Irrationales Verhalten, Formen der Verschwendung, Verehrung […], Massenverzückung haben ihren Platz auf Seiten des Konsums.“ Im Gegensatz zur heiligen Arbeit gelten diese als unheilige Verausgabung und Freizeitbeschäftigung.

Sorgo bringt Beispiele: die Veränderung des Sonntags, vom einst geheiligten Tag des Herren, zu einem Tag der Freizeitbeschäftigung und des Konsums; die Ersatzsuche einer romantischen Liebe im unbefriedigenden Suchtkaufverhalten von Luxusgütern. Die Frage nach dem Sein sei schließlich die Frage nach der Praxis: „Wie leben wir?“

“ Wie früher die Gläubigen zu den Wallfahrtskirchen, so würden heute die Konsumenten zu IKEA pilgern.“ Es sei ein zutiefst menschliches Bedürfnis abstrakten Verhältnissen eine konkrete sinnliche Gestalt zu geben. Durch die Körperfeindlichkeit in den Religionen und in den Geisteswissenschaften ist das Einkaufen zum Ersatzgottesdienst geworden. Doch in den Konsumsphären liege nicht Sinn und Identität als Ware, dies geschehe erst durch das menschliche Zutun. Die Kaufentscheidung hänge vom Weltbild ab und stellte somit eine Verbindung zur Transzendenz her. Daher sei Einkaufen oft ritualisiert. Konsumangebote versuchten die Verbindung dieser Transzendenz zu den einzelnen Personen, zur Familie, zur Gemeinschaft anzubieten. Sorgo bezeichnet sie als Bastelreligionen, die flexibel, änderungsfähig und tolerant sind, wie man es von den Individuen in der Moderne erwartet. Aus dem reichen Angebot jedoch das richtige auszuwählen, bezeichnet Sorgo als wichtige und schwere Kulturarbeit.

Der Kapitalismus jedoch ziele darauf ab, das reale Leben in Warenwerte zu verwandeln. Dies hätte eine vollkommene Entäußerung, Quantifizierung und Entwurzelung von Orten und Traditionen zufolge. Daher wäre der Kapitalismus (nach Benjamin) „der erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern verschuldenden Kultus […], der keine soziale, kulturelle oder materielle Erneuerungsmöglichkeiten in Betracht zieht.“

Der Konsument bastelt sich also einen sinnvollen Zusammenhang. „Dafür kauft er Waren. Und er kauft umso mehr, je weniger es im gelingt.“

11. Philosophicum Lech: 4. Tag, Gabriele Sorgo - Part 14