4. Tag
Robert Menasse
Den letzten Vortrag des 11. Philosophicum hielt Robert Menasse: „Landgewinnung und Erlösung. Die Kapitalismusreligion“. Der jüngste Staatsbesuch des Papstes in Österreich (September 2007) regte Menasse zu einer Theorie der Landgewinnung an. Die 100 Jahre alten Linden mitten in Mariazell am Platz vor der Basilika mussten weichen, wegen einer einstündigen Messe, die Papst Benedikt XVI persönlich vor Ort zelebrierte. Die Kritik ging an den Bürgermeister von Mariazell, der für die Fällung der Bäume seine Zustimmung gab. Eine Zustimmung die dem österreichischen Rechtssystem widerspräche. Menasse appelliert an unser politisches Bewusstsein - dies sei Landnahme von öffentlichem Raum für einen sakralen Ritus, und keinem sei es aufgefallen.
Die Frage auf die Menasse zunächst zielt, ist, ob Religion selbst nicht ein Säkularisierungsmittel sei, ein Mittel Heiliges, letztlich Gott dem Kapitalismus dienstbar zu machen, um selbst zur Religion zu werden.
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Menasse erklärt anhand von Goethes „Faust II“ die politische Vision einer freien Weltordnung. Da die Mehrheit der Menschheit an einen Gott glaube, sei seine Existenz in der aufgeklärten Welt unbewiesener Maßen als Begründer einer Religion anerkannt und Ausdruck der Dreifaltigkeit im Sinne von Vernunft, Freiheit und Säkularisierung.
Menasse unterscheidet zwischen der „Säkularisierung Gottes“ und der Säkularisierung der Welt. Der erste Begriff beinhalte den Gedanken, der Mensch sei nicht Gott, sondern nur der Maschinist seiner Religion. Der zweite Begriff verspräche keine Abschaffung der Religion, sondern ein verändertes Verhältnis zu ihr. Gelehrsamkeit, Vernunftanspruch und wissenschaftliche Neugier waren nicht befriedigend genug, sodass die Menschheit nach individuellem Profit suchte, um diesen dann heilig zu sprechen. Gemeint wären damit in der Praxis das unternehmerische Denken und die Arbeit mit Geld und Wertpapieren, die die herkömmlichen Werte und somit auch die gottgegebene Schöpfung in Frage stellten. Der Mensch konnte nun eine Welt aus dem Nichts schaffen, worauf das ideale Menschenbild in Konsequenz entzaubert wurde.
Menasse spricht vom Sachverhalt der medialen Schlagzeilen zum Papstbesuch als weltliche Bedeutung von „Gottesstellvertreter auf Erden“. Hierbei führte Menasse einige pointierte Beispiele an, mit denen er auf die Presse hinhackte und Lacher aus dem Publikum erntete. „Alles über den Papst“ lautete eine Überschrift - was das „alles“ war, wiedergab Menasse im Detail, weiters punktete Menasse mit der Schlagzeile „Pavarotti: Begräbnis wie für einen Gott!“ Menasse sieht darin den Beweis, dass Staat und Gesellschaft selbst zum spirituell-religiösen Gebilde wird, und die Religion dagegen sich selbst säkularisiert, um als politische, wirtschaftliche und militärische Macht auf den Markt zu wildern, den die religiöse Gesellschaft ihr bereitwillig öffnet.
Der Geschichte der Aufklärung nach, berichtet Menasse, dass es den politischen und wirtschaftlichen Repräsentanten der aufgeklärten bürgerlichen Gesellschaften, nie darum ging Religion abzuschaffen, sondern wie produktiv und profitabel sich Religion erweisen könnte. Die Religionsfreiheit befreite wohl die Menschen von der Kirchenzucht, jedoch nicht vom Glauben. So geschehe es, dass Gläubige, die den Kapitalismus produzieren, diesen als definitive Vernunft und Naturgesetz, also als „Gottes Wille“ sehen wollen.
Zu der zu Beginn erwähnten politischen und religiösen Landgewinnung bringt Menasse drei geschichtliche Aspekte. Drei Orte, drei Mal Landnahme im Ringen zwischen Religion und Welt, wie es Menasse formulierte.
1. Landgewinnung mit Gottvertrauen gegen die Religion: Amsterdam
Als sich Menschen entschlossen dem Bischof von Utrecht keine Steuern mehr zu entrichten, nahmen sie sich ein Land, auf welches der Bischof keine Rechte hatte, ein Land im Meer, Sumpf und Moor auf dem sie auf Pfählen eine Siedlung bauten. Die Moderne Europas begann, so Menasse, auf diesem Fleck Land im tiefsten Mittelalter.
2. Landgewinnung ohne Gott gegen die Religion: Auschwitz
Ein Land, welches laut Menasse, von Gott abgerungen wurde, eine säkularisierte Landnahme im radikalsten Sinn. Wo war Gott, als die Untaten der NS-Schergen geschahen? Gott könnte hier widerlegt werden. „Doch Auschwitz beweise nichts, […] denn es war Erde, wo zuvor keine war, dieses Land war Element […] radikal gottloses Land, das gleichsam im Handstreich heraus gebrochen wurde aus der Schöpfung Gottes.“
3. Landgewinnung als Gott und Religion: Nagasaki
Der Krieg war nach der Atombombe von Hiroshima, so Menasse, bereits beendet. Daher sei die A-Bombe auf Nagasaki was anderes. „Ich trotze das Land nicht einem anderen Element ab, ich schaffe erst das neue Element, ich BIN das neue Element, und in mir und auf mir und durch mich wird alles sein, auch wenn es gewesen ist.“
Menasse schlussfolgert, dass wir mit dieser Religion bis heute leben und beten. Wenn man Gott säkularisiere, dann wäre dies ein weltlicher Trick.
Der Trick nämlich mit dem Teufel im Bunde Profit zu machen, und da gottgefälliges Streben, dennoch am Ende Erlösung erwarten. Und da es der Mensch ist, der behauptet gottgefällig zu sein, nennt Menasse es Kapitalismusreligion. „Sprich die Vernunft heilig, dann begründe Deine Verbrechen vernünftig. Was immer die Menschen von Gott erhoffen […], versprich ihnen die Segnungen auch durch den Markt. Aber gib der Religion eine Markthalle.“
Mit dem Satz “Also warum nicht daran glauben, wenn man daran glauben muss?“ schließt Menasse seinen Vortrag, den er schließlich bedauere geschrieben zu haben, denn es war wohl ein seltsamer Tag, als der Papst kam und er aus „Faust II“ las und plötzlich glaubte etwas verstanden zu haben, was er nicht glaube gut wiedergegeben zu haben.