Buch

Sophie Reyer: CORONA. Ein Chor,

Eva Riebler

 

Edition Melos, Wien 2020, 62 S.

ISBN 9783951984209

 

Was kann einem Corona und diverse Verordnungen mit und ohne Lockdowns schon ausmachen, wenn man schreiben kann? Natürlich wäre ja auch eine Schreibblockade denkbar. Aber von der kann man/frau auch poetisch berichten.

Sophie Reyer verortet sich kurzerhand im „Ichgrab“ und lugt von dort gegen Himmel. Der große Adler äugt auf sie und sie sehnt sich wieder zurück in die Eizelle. Eine akustische Untermalung klingt an. -  So in einer ihrer 50 Miniaturen S. 19.  : Himmel / allein in mittlerer Höhe / im Visier des /  Riesenadlers: ich //  sei! Wieder // Ei werden (Stimme / von // Kindern).

Sie transformiert, begleitet oder vergleicht mit vielen Tieren, mit Adlern, kleinen Vögeln, Schmetterlinge  und nimmt als Umgebungsraum den Wald, den Berg oder den eigenen Resonanzraum. Das lyrische Ich hört in sich hinein und bemerkt die Stille, die Ruhe, die sich ausbreitet. Im Fortschreiten der Gedichte entwickelt sich die Befindlichkeit des lyrischen Ichs weiter. Es wünscht sich das Zusammensinken der Angst und den Tod und das Herauskriechen des Staubes aus dem Körper und sieht als positives Element den Morgenstern.

Ein durch und durch poetisches Werk. Besinnlich, die Zeit anhaltend und Hoffnung genauso wie einfühlsame Leere verbreitend!

Sophie Reyer, geboren 1984 in Wien, Philosophin, Komponistin und Schriftstellerin lehrt am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien.

Die letzte souveräne Miniatur des mit zarter Poetik gespickten Lyrikzykluses lautet:

: Transformation

Leere: man  lebt jetzt

Wand an Wand mit

sich

 

Alena Mornstajnova: Hana. Roman

Lakshmi Seitz

Übersetzt von Raija Hauck.

Wieser Klagenfurt/Celovec 2020

 

 

Das Werk beginnt im Februar 1954 mit der Kindheit der Ich Erzählerin Mira, geschildert wird das Leben einfacher Leute in Tschechien, ihre Mama wusch brav jeden Sonntagnachmittag Kaffeetassen, dann starb sie früh und war zu denen geworden, deren Gräber sie besucht hatte. Mira´s Leben dreht sich darum, ob Mohn oder Powidl in den Buchteln ist, ob Papa den Gürtel nimmt, wenn er erkennt, dass Mira am Wasser war, auf Eisschollen geritten ist. Diese Schläge waren fürchterlich erniedrigend. So geht es dahin bis zu jenem unheilvollen Tag, dem Wendepunkt in Mira´s Leben, an dem das „Böse, das hereinkriecht“, personifiziert ist (S. 21), da sie als Einzige ihre Familie verliert, weil sie bestraft wird, folglich die aufgrund einer Epidemie von Typhus vergifteten Zuckerkringel als Einzige nicht serviert bekommt. Dann erbt sie das große Haus der Familie. Als Waisenkind schlägt sie sich in einer Ziehfamilie durch, bis sie zu ihrer Tante Hana kommt, unserer Titelheldin, die einst im KZ war und ein dämmeriges Dasein führt, doch wohlwollend zu Mira ist. Im Laufe der Zeit wird der Sohn der Ziehfamilie Mira´s Geliebter, was von der Tante und von außen nicht gern gesehen wird, doch Mira erklärt uns sonnenklar, warum sie sich auf Gustav einlässt: „Ich war nicht so vorsichtig. Ich wollte einen nahen Menschen haben, jemand, den ich ganz und gar gernhaben konnte und der meine Liebe erwidern würde“ (S.111). Doch Gustav´s Schwäche, er „war geradeaus und nicht hinterhältig und deshalb konnte er Heimtücke nicht erkennen“ (S.113) lässt ihn nicht auf die Idee kommen, dass er vorsichtig sein sollte. Er wird später ihr Ehemann.

Im 2. Teil macht die Autorin einen Rückblick auf die sehr packende Familiensaga voll Herzeleid in der Generation vor Mira, wir erfahren alles über Mira´s Mutter Rosa und Schwester Hana, deren Liebesbeziehungen, Bangen, Schicksal und Bewältigung. Der Teil thematisiert das Leben der Juden 1933-1945. Wir sind mitten in den Fluchtschicksalen und den Einschränkungen der tschechischen jüdischen Familie im Zuge des 2. Weltkriegs. Der sensible, emotionale Stil der Autorin lässt den Leser magnetisch in die Handlung hineingezogen sein. Die Hilflosigkeit gegenüber der Übermacht einer einher ziehenden Krankheit der Ludmila schildert sie etwa folgendermaßen: „Dann begann sie über Schwellen und Teppichkanten zu stolpern, Dinge fielen ihr aus den Fingern, sie zerschlug vier Teller und zwei Tassen aus dem Porzellanservice von ihrer Großmutter und ihre Knie waren so schwer, dass sie nicht die Treppe hochkam“ (S. 129).

Der offizielle Kriegsbeginn brachte Bekanntmachungen gegen die Juden, z.B.: „Es begann mit dem Verbot, Kinos und Theater zu besuchen. … Dann kam das Ausgehverbot nach acht Uhr abends“ (219).

Im 3. Teil, der 1942-1963 angesiedelt ist, spielt die Ich-Erzählerin Hanna in ihrer schlanken, dunklen, lediglich Brot essenden Präsenz die Hauptrolle. Die Befindlichkeit der ehemaligen KZ-Insassin schildert sie selbst so: „In meinem Kopf ist nur Nebel. Manchmal ist er so undurchdringlich, so dicht, dass kein einziger Gedanke hindurchscheint. Das ist der Zustand, den ich für Glück halte“ (S.265).

Die Familiensaga hält die Traumata der Frauen, die durch die Judenvernichtung entstanden sind, fest. Die empfindsam erzählte Inhaftierung in KZs sowie die Vorsicht der jüdischen Bevölkerung geht dem Leser direkt unter die Haut. Es ist eine sehr starke, herzzerreißende Chronik, in der jede/r Liebende das Bangen um die eigenen Beziehungen wiederfinden kann. Die Frauenschicksale aus verschiedenen Blickwinkeln werden generationsübergreifend dargestellt. Zum Schluss erscheint wieder Mira, die einzige Nachfahrin ihrer großen Familie, mit ihrer kleinen Familie und – immerhin – ihrer eigenen Lebensperspektive. 

Katrin Bernhardt: aufbrechen. Gedichte.

Eva Riebler

Edit. Lex Liszt, 2020 Oberwart, 102 Seiten

ISBN 978-3-99016-182-1

 

Die Autorin lebt im Burgenland und in Wien. Sie studierte Archäologie und Philosophie, war Sängerin und Texterin und erhielt zahlr. Preise für ihre Lyrikbände: Fallen ohne Aufprall 1995, Fluchtplan lebt nicht mehr 1998 Bibl. d. Provinz, Auf bittere Haut geschrieben 2013 Ed. Lex Liszt, sowie der Prosaband: Die Gesichtslosen 2000 Bibl. D. Provinz.

In fünf Kapiteln hat Katrin Bernhardt das Aufbrechen als Fortgehen oder sich öffnen und spürbar da sein zum Thema gemacht.

Das erste Kapitel befasst sich mit dem Aufbrechen in ein anderes Leben. Unzufriedenheit kann zur Last werden oder auch ein Anreiz sein, das Weite zu suchen. Sie - oder das lyrische Ich – fragt sich: Wie es ist sich selber zu verlieren oder wieder zu finden? Oder S. 11: Ein Lohnsklave und andere in ihrem farblosen Alltagstrott fragen sich mutlos: Ob das der Seele Heimat ist. Jedoch der, der aufbricht entgeht vielleicht der Verzweiflung, vielleicht ertrinkt seine Poesie nicht zwischen Ratschlägen und Organisationen.

Eine wunderschöne lyrische Essenzen lautet: Der kleine Vogel im Nest hat Angst vor dem Wind und dem Winter und trotzdem schlägst sein kleines Vogelherz für die Freiheit da draußen!

Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Aufbruch in ein anderes Land und das dritte mit Denkstrukturen: Poetisch und einmal leicht – einmal schwer – wird von Hitler, Flüchtlingen oder Menschenverachtung am Stammtisch gesprochen, aber die positive Antwort heißt. Mein Herz ist groß! Oder: Gottes schöne Welt sehen wir in den kleinen Dingen!

Das letzten Kapitel, betitelt: In eine andere Liebe - versammelt so schöne Momente und Wendungen. Jede Lyrik mit anderen Aussagen und doch jede so weich, poetisch, intensiv und spannend.

Ein Buch, das die Anmut der Sprache zeigt und einfach auszudrücken weiß. Nicht einmal das Thema Liebe verkommt in Kitsch und  Gewöhnlichkeit! Außergewöhnliche Miniaturen in wunderbarer Sprache!

 

 

I

Manfred Schlüter: GURUKU GURUKURU

Eva Riebler

 

Gedichte f. Kinder u. and. Menschen. Wien 2020, Bibliothek der Provinz, 80 S.

 

 

Kleine Kinder lieben Reime und kurze Sinn- oder Unsinn-Sprüche, sie haben ein Gespür für die Sprache. Sie legen oft weniger Wert auf die didaktische Weisheit oder Aussage, als vielmehr auf den Rhythmus der Sprache.

Dies findet sich alles im vorliegenden Kinderband von Manfred Schlüter, der seine Affinität zu Kinderbüchern bereits mehrfach erfolgreich unter Beweis gestellt hat und dafür mit Preisen überhäuft worden war (1983 Friedrich-Hebbel Preis, 2008 Friedrich Bödecker-Preis, 2017 Kulturpreis des Kreises Dithmarschen). Er lebt an der Nordsee und hat im Verlag Bibliothek der Provinz den Band „Am Anfang, sagte der Apfel“, „Der kleine Herr Jemine“ und „Na Du?“ für Kinder herausgebracht. Wie er von der Nordsee zum Verlag von Richard Pils im Waldviertel kommt, muss er erst in eine Geschichte verwandeln.

Schlüter illustriert seine kurzen Erzählungen oder Lautgedichte selber, denn wer könnte das besser als er als Autor, der mit seinen Zeichnungen den Inhalt erweitert oder den Witz oder die Skurrilität erst dingfest macht.

Schlüter gibt auch ganz offen zu, dass er bei Erich Fried, Christian Morgenstern oder Joachim Ringelnatz sich Anleihen nahm. Das tut natürlich den Inhalten und Ausführungen keinen Abbruch, sind doch Anklänge an diese Autoren doppelt kauzig oder originell ausgefallen.

Hat die Katze einen Sprachfehler, ist der Ochse besonders wissbegierig oder schwimmt das kleine Pfeilchen gegen den Strom – so ist dies immer ein paar poetische, fantasievolle Zeilen wert!

Philosophisches findet sich natürlich auch verpackt, S. 66 mit offenem Schluss, unter dem Titel: Später: Ich bin klein/Bald bin ich groß./Und in tausend Jahren bin ich tot./Wo bin ich, wenn ich nicht mehr bin?/Vielleicht flieg ich mit den Wolken/übers Meer. Hin und her./Vielleicht tanz ich mit dem Wasser/in Flüssen und Seen. Schön!/Vielleicht leb ich im Laub der Bäume./Im Staub. Im Traum der Träume./Im Wind. Im Sturm./Vielleicht bin ich ein Regenwurm./Vielleicht bin ich ein Gedicht./Vielleicht auch nicht./vielleicht bin ich ganz einfach weg./Anderswo. Irgendwo./Nirgendwo?

 

Es tut sich ein wundersames Sammelsurium an sprechenden Dingen oder Tieren auf, die die Welt und die Gedanken der LeserInnen oder ZuhörerInnen weiter bevölkern!

Alles in allem ein wundersames Büchlein mit bizarren Kindertexten, die ständig überraschen und schmunzeln lassen!

 

Émil Jadoul: Bär singt

Eva Riebler

 Übers. Alexander Potyka. 2020 Paris. 2021 Picus Wien,

ISBN 978-3-7117-4020-5

 

Émile Jadoul hat auf ganz großartige Weise nicht nur getextet sondern illustriert, dass eine Einheitlichkeit und gegenseitige Durchdringung von Text und Bild gelungen ist, die unnachahmlich scheint.

Der Bär lässt alle Tiere im Wald durch sein Lied einschlafen und klettert auf Zehenspitzen zu seiner Freundin Amsel die in einem Baumloch zuhause ist. Sie ist schon alt und krank und kann nicht mehr singen, daher ist der Bär ihre Stimme. Mit sanften Geschichten von Mond und Sternen schläft sie friedlich ein letztes Mal ein. In seinem Herzen hat Bär das Vermächtnis der Amsel, ihre Lieder, bewahrt. Darüber ist er nun glücklich.

Eine sanfte Gute-Nacht-Geschichte für kleine Kinder, die nicht behutsamer und einfühlsamer sein könnte, mit Zeichnungen, die  schlicht und formschön und so einmalig naiv-kindlich gelungen sind, dass es wirklich eine große Freude ist, so ein kostbares Buch in Händen halten zu dürfen!

Die meisten Bücher des Autors sind nur in französischer Sprache, aber es scheint unumgänglich, dass man sich auch diese besorgt, auch wenn man daneben das Dictionnaire Francais legen muss!

Danke lieber Émile Jadoul für diese wunderbaren Werke!