Buch

Andreas Okopenko: ‘Ich hab so Angst, dass die Chinesen kommen’

Hahnrei Wolf Käfer

Andreas Okopenko ‘Ich hab so Angst, dass die Chinesen kommen’
Herausgeber: Daniel Wisser

Salzburg und Wien
Jung und Jung 2020 136 Seiten
Seiten, ISBN: 978-3-99027-015-8;

Georg Christoph Lichtenberg hat davor gewarnt, Bücher mit Semmeln zu verwechseln und nur die frischen hochzuschätzen. Der Autor Daniel Wisser (zuletzt ‘Königin der Berge’) hat eine Auswahl von Gedichten des vielseitigen Dichters Andreas Okopenko (gestorben 2010) herausgegeben und mit einem kundigen Nachwort versehen. Freilich gibt es auch in diesem Buch Frisches, vier überzeugende Texte aus dem Nachlass sind glücklicherweise hier erstveröffentlicht.

Zwei Elemente von Okopenkos Stil fallen ins Auge: Der von ihm sebst so bezeichnete Konkretionismus und die von Sarksmus geprägte Ironie. Die ist wirklich eine willkommene Erholung von all der im Schwange seienden Gscheitlerei heutzutage, just weil man den Verdacht nicht abweisen kann, dass hier das Kluge bloß nicht großspurig, sondern im Kostüm des dummen August daherkommt. Von besonderer Bedeutung, da muss man dem Herausgeber recht geben, ist das an Whiteman erinnernde Langgedicht ‘7. Mai’, das als freie Assoziationskette dem Aberglaubern der Zweckmäßigkeit und der chronologischen Ordnungswut Hohn spricht. Keine weihevolle Stimmung, keine poesiebemühte Behübschung des Daseins, ein Lehrbeispiel, was Lyrik an Welterfassung alles vermag.

Vergnügen macht auch die Wiederbegegnung mit altem, aber stets bezugreichem Schalk dieses Autors. ‘Ich stamme aus einer frommen Familie und heiße Helene...’ beginnt etwa mit der passenden Anspielung auf Wilhelm Busch die Chinesenangst, die dem Buch auch den Titel borgt. Bezeichnend, dass dieser Band in der Reihe ‘Österreichs Eigensinn’ (Hsg. Bernhard Fetz) erschienen ist.

Elfriede Bruckmeier: Kostproben

Eva Riebler

Bilder Lothar Bruckmeier
St. Pölten, Literaturedition NÖ.

2020 126 S.
ISBN 978-3-902717-53-5

Elfriede Bruckmeier, geb. 1940 in Wien, veröffentlicht ihre Texte seit 1982, kuratiert und leitet nun nach dem Tod ihres Gatten, dem Maler Lothar Bruckmeier, den Verein für Kunst und Kultur in Eichgraben, NÖ. Dafür haben sie den alten Bahnhof Eichgraben für Ausstellungen adaptiert und renoviert.

2008 gab sie einen Haiku-Band heraus und nun ihre Erinnerungen, geteilt in die Kapitel: Erinnern, Andichten und Erdichten, die schon die Entstehung plausibel machen.

Sie überprüft liebevoll ihre Erinnerungen und gedenkt ihres Großvaters, einer Windjacke, die sie mit neun Jahren trug oder der Weißnäherin sowie eines Tanzpaares, das im nun abgerissenen Traisenpavillon in St. Pölten ein Pas de Deux  gemeinsam Körper an Körper genoss.  Geschildert wird uns die alte  Mutter, die dem Neurologen einen schönen, einstigen Ausflug mit der Tochter schildert und das Prädikat „fortgeschrittene Demenz mit Affektlabilität sowie teils wahnhafter Störung …“ in dessen Gutachten erntet. Spannend sind die kurzen Erzählungen, weil sie verortet sind (mit dem 58er, mit der Mariazeller-Bahn zum Ötscher …) und aus der damaligen Zeit schöpfen, z. B. die Erinnerung an einen weiß-behandschuhten Verkehrspolizisten, der mit eleganten Handbewegungen eine Kreuzung regelt usw. Der Leser wird mit Figuren bekannt, die wie der Maler Konrad z. B. den Streit mit seiner Frau braucht, um neue farbprächtige Inspirationen zu bekommen, und nicht versteht, dass diese, psychisch  an den Zerwürfnissen krank wird und nach einem Nervenzusammenbruch  ihm als streit- und Inspirationspartnerin nicht mehr zur Verfügung steht. – Ja, richtig überraschend, spannend und humorvoll ist der Inhalt und oft die Pointe am Schluss!

Hervorstechend sind auch die liebevollen Schilderungen kurzer Sequenzen, die plastisch vor dem Leser stehen und mit wenigen Sätzen Zeit, Ort und Bedeutung vermitteln.

Ein bisschen Wehmut aber kein Pathos kommt auf. Stilistisch klar, schön und sparsam wie die gelungenen farbenfrohen Acryl- und Öl-Arbeiten ihres Gatten Lothar Bruckmeier, die die Erzählungen passend begleiten! Man möchte diese Werke am liebsten im Original bewundern können!

Ein wunderbarer Erzählband mit tollen Bildern verschränkt!

 Maria Linschinger/Erzählung, Solmaz Farhang/Zeichnung

Herr Pomeranz lernt lachen

 Maria Linschinger/Erzählung, Solmaz Farhang/Zeichnung

Herr Pomeranz lernt lachen

Wien: Verlag Bibliothek d. Provinz 2019, 26 S.

ISBN 978-3-99028-752-1

 

Der Mond ist keine Sichel, sondern eine Melonenscheibe. Maria Linschinger schrieb spannende Erzählbände aus ihrer früheren Heimat Jenbach/Tirol, aus ihrer jetzigen rund um den Traunsee sowie Kinder- und Jugendbücher. Nun liegt ein Band vor für Vor- und Schulkinder. Spannend und lustig wie die Illustrationen von Solmaz Farhang. Diese sind wie Collagen aufgebaut und erweitern die Erzählung um Leuchtkraft und facettenreiche Vielfarbigkeit.

Solmaz Farhang, 1982 in Teheran geboren, arbeitet seit 2011 in Wien als Illustratorin und Comic-Zeichnerin. Master in „Art & Science“ der Angewandten, Wien. Von ihr im Verlag Bibliothek der Provinz erschienen: 2014 „Cordula und das Bummerdings“ mit Maria Linschinger und „Der Schatten“, mit H.C. Andersen.

Maria Linschinger veröffentlicht unter ihrem Namen Jugend- und Kinderbücher, während sie unter dem Pseudonym Maria Eliskases seit 2001, als sie ihre Tätigkeit als Volksschullehrerin zugunsten der als Autorin zurücklegte, ihre Erwachsenenbücher wie: Stragula, Winterkind (Miira-Lobe Preis), Quellenweg, Der Haubentaucher, Goldfisch, Frauenschuh, Im blauen Zug 2016 (alle Bibliothek der Provinz) schrieb.

Dieses Kinderbuch handelt von einem Workoholiker, der weder Familie, Freunde noch Überraschungen kennt. Sein Alltag ist mausgrau und ohne Veränderung. Die große Veränderung bringt ein Mädchen, das eines Morgens auf seinem Dach sitzt und mit den Füßen baumelt. Zu wem gehört dieses Kind und wie bringt man es zum Sprechen, wenn es doch nur seinen Mund zum Apfelessen öffnet? Herr Pomeranz ist ein Mann der Vernunft, er ist ja schließlich Buchhalter, und nun lernt er die Unvernunft kennen. Er geht nicht ins Büro, fast summt er mit dem Kind mit und beginnt zu kochen und sogar eine Pfingstrose auf den gedeckten Tisch zu stellen! Er lächelt, er lacht und fühlt sich glücklich und lädt sogar zu einem Sommerfest ein.

Als poetisches Ende sitzt das Mädchen im Apfelbaum und der Unterschied zwischen Wirklichkeit und Vorstellung verschwimmt.

Ein Buch, das Leser/innen jeglichen Alters glücklich stimmt!

Eva Riebler

 

 

 

Lyrik

Harald Vogel: bandsalat & bildgewitter Lyrik

 

 

 Harald Vogl: bandsalat & bildgewitter

Bilder: Renate Stockreiter

Literaturedition NÖ, 2018. 64 Seiten

ISBN 978-3-902717-45-0

 

Harald Vogel aus Steyr lebt in Amstetten publiziert in Literaturzeitschriften und Anthologien und legte nach 2017 „Im stillen weiß ungelesener blicke“ 2018 seinen zweiten Lyrikband vor.

Vielleicht weil er von Begleitsongs von Neil Young, Bob Dylan, Pink Floyd etc. vor allem für die Gedichte des Zyklus: „das knistern des vinyls zwischen den zeilen“ ab Seite 30 inspiriert war, hat Renate Stockreiter sich auf Illustrationen von Tonbändern, CDs oder Vinyl-Platten verlegt. Ihre Arbeiten sind minutiös, klar und humorvoll. Das Band, das stets aus den Kassetten quoll, formt sich nicht nur zu unlösbaren Knäueln, sondern zu phantasievollen Formen, die zu den Gedichten passen.

Harald Vogel arbeitet genauso sparsam mit seinem Wortschatz und erzeugt dadurch schöne Bilder. Er geht zurück in die Schilderung der Jahre, „die uns das kurzgeschoren / strohblond des sommers zeigen / und  ein feldergelb in abgeerntete blicke malen / in deren tiefe wir nun wie in keller steigen“. Sofort fühlen wir die Schönheit des stimmigen Bildes und legen eine pause ein, um die Worte genießen zu können: „dein mund buchstabiert mir / reisen ins grün schreiben / sich landschaften in schritte / die noch im labyrinth / eines gestern hallen …“.

Am Ende des ersten Teiles, der sich mit Bildern/Eindrücken früherer Kalendertage befasst, lesen wir: „aus allen wolken gefallen / verschwimmen die bilder / im verküpfen von atemschnüren / schauen wir uns hinterher / … und sind berauscht über eine so große poetische Weite!

Im zweiten Teil reist der Leser vor und mit den Songs der 70er Jahre, die sich im Hintergrund am Plattenteller drehen z. B. ins „textnetz“ von Bob Dylan oder anderer Songs, die neu buchstabiert und von der Grafikerin Renate Stockreiter feingliedrig gezeichnet werden.

Ein wunderbar feinsinniger, niveauvoller Lyrikband, sparsam und gekonnt in der Sprache, reich im Inhalt und der grafischen Textur. Eine erfrischende, lustvolle Gegenwarts-Lyrik  in gekonnter Aufmachung der Literatur Edition des Landes NÖ! Gratulation!

Eva Riebler

 

Hans Raimund: NEIGUNGEN

Eva Riebler

Hans Raimund Neigungen
Porträt des Autors als Leser

Wien: Löcker 2019, 296 S.
ISBN 978-3-85409-983-3

Zuneigungen, Abneigungen, Verneigungen – so heißt der Untertitel und ist kritisches Programm des nun erschienenen Werkes Hans Raimunds. Er gilt als hervorragender Lyriker, Buchautor, Übersetzer etc. und weist eine ganze Reihe von inländischen und italienischen Würdigungen und Preisen vor. Er war berufsmäßig 13 Jahre in Duino/Triest schreibend und übersetzend, Lehrer an einer internationalen Schule, jedoch nicht als Grenzgänger, sondern sich freudig auf den Ort einlassend und veröffentlichte dort 6 seiner ca. 30 Bücher. Zuletzt begeisterte mich seine Auswahl an Gedichten seines bisherigen Schaffens: „Auf einem Teppich aus Luft“ aus der Edition Lex Liszt. Genauso scharf-, fein- und tiefsinnig wie seine Lyrik sendet er nun fundamentierte kritische, ungeschminkte Betrachtungen über sein Leben und das anderer Autoren in die literarische Welt. Er ist sich der Privatheit seiner literarischen Betrachtungen bewusst, legt jedoch stets Beweismittel seiner radikalen Kritik vor. Er untersucht Botschaften und Denkansätze, lässt Programmatisches oder Schlüsselsätze nicht aus, denn er will nicht ein vollständiges sondern ein facettenreiches Bild eines Autors oder seines Werkes vermitteln. Es geht ihm um das Ver- oder Nichtverständnis des österreichischen Literaturbetriebes seit 1980, der misslichen Vergabensweise von Literaturpreisen, der Einschätzung oder harschen Kritik des Werkes eines Autors wie um subtile oder faszinierende Eigenheiten von Texten oder Persönlichkeiten (z. b. Adalbert Stifters), um Kausalität, Kennzeichen, Ästhetisches (z.B. schreckliche Wiederholungen), Verständlichkeit, Abgedroschenheit, germanistische Klüngel und und und … Welche Autoren/Autorinnen er auswählt unterliegt durchaus auch einmal nicht nur seinen Ab- oder Zuneigungen, sondern auch wie bei z.B. Gunnar Ekelöf dem Zufall. Bei der Beschäftigung mit W. H. Auden stieß er auf dessen Übersetzungen sowie auf Übersetzungen durch Nelly Sachs. Gunnar Ekelöf hat er liebgewonnen, fühlt sich ihm verbunden und verwandt, denn er sieht und genießt Parallelen zu seiner Person als „poeta doctus“, als Außenseiter. Raimund lässt uns miterleben, dass es im Werke Ekelöf “Gedanken, Sätze, Formulierungen, Texte gab, die ich einfach gern geschrieben hätte oder die auch schon von mir gemachten Aussagen entsprachen oder die, zu meiner Überraschung oder auch Genugtuung, auf mich und mein Leben und Schreiben zutrafen …“. Raimund bezieht sich immer wieder vergleichend auf seine eigene Persönlichkeit, z.B. auf seine Jugend, als das Lesen von Wild-West-Romanen oder Abenteuer-Romanen eine Möglichkeit war dem bedrückenden Alltag im Wien der Nachkriegszeit Interessantes abzugewinnen. Er sieht sich beim Altern zu, fragt, ob sich sein Horizont verengt hat, da er immer öfter Bücher liest, „die er schon einmal mit Vergnügen, Gewinn und Respekt gelesen hat.“ Er liest anspruchsvolle Bücher, „die außer einem WAS, das reizt, auch ein reizvolles WIE haben.“ (S. 63) Er sieht das Lesen nicht als intellektuelle Pflicht „sondern als gesuchte und herbeigewünschte Erfahrung einer Faszination, einer Be- und Verzauberung, die, intellektuell zu definieren, unmöglich, ja auch völlig unnötig ist.“ Nicht der Canon an Büchern des Bildungsbürgertums wie Homer, Vergil, Cervantes, Ulysses bis Musil usw. ist für ihn lesbar, auch nicht die aktuellen Erzählungen und Romane (denn über die Wirklichkeit, die er mit eigenen Augen sieht und erlebt und über Standard-Themen zu lesen ist ihm eher Zeitvergeudung) sondern momentan sind es eher Bücher aus einer anderen Zeit, aus anderen geografischen Bereichen … Bücher, die Gegenwelten aufbauen, zu der, in der er existieren muss. Raimund liebt Bücher mit sprachlichem statt flachem Niveau, mit Knappheit und sprachlicher Präzision statt gerade schicken Schnoddrigkeiten. Sein Augenmerk gilt E.T.A. Hoffmann sowie Johann Peter Hebels Kalendergeschichten. Außer über Ekelöf und Hebel findet der Leser Ansichten über Klaus Sandler, Alois Vogel, Hermann Hakel, Getrud Zelger-Alten, Stifter, J. Peter Hebel, Trakl und Wildgans. Anregungen zu Erich Fried, Doris Mühringer, Bruno Weinhals, Umberto Ecco – um nur einige zu nennen. Herrlich Kritisches über Liebesgedichte (Z.B. zu Texten von Norbert Silberbauer: .. „ein plattes Ausweiden der Idiomatik der Alltagssprache“ … zu Friedrich Hahn und Aumaier: …“schwimmend in der schon sauren Gertrude-Stein-Soße, gewürzt mit milden Prisen aus dem schon schimmelnden Arno Schmidt-Eintopf“)! Kapiteln enthalten Erregungen und Streitbares (Pointierte Entgegnungen/Briefe aus den Jahren 2001 und 2002 an das Amt d. Salzburger Landesregierung, an Kurt Neumann, Anna Mitgutsch, Karl Markus Gauss …), Nachrufe sowie persönliche, ungeschönte Berichte über Dichterfeste und Preisvergaben. Kurze Zeilen über seine Jugend in Petzelsdorf und im Alsergrund, der seine Heimat blieb, runden das persönliche Bild ab. Raimunds Schreib- und Denkweise ist couragiert, stets aufs schärfste diagnostizierend, notorisch unangepasst und herrlich konfrontationsreich! Spannendes aus der Gar- und Giftküche der Literatur dampft! Eva Riebler