Bühne

Kleiner Mann - was nun? Hans Fallada. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
Glücksfaktor: Weib und Kind

 
Kleiner Mann - was nun?
Hans Fallada
Fassung: Luk Perceval
Landestheater NÖ, Großes Haus
Premiere: 17.03.11, 18.45 Uhr
Münchner Kammerspiele
Premiere: Schauspielhaus München: April 2009
Regie: Luk Perceval
Bühne: Annette Kurz
Video: Luk Perceval u.a.
Mit Orchestrion, Film und Musik der 30er Jahre

Mit: Paul Herwig als Johannes Pinneberg
Annette Paulmann als Emma, genannt Lämmchen
Gundi Ellert als Fr. Kleinholz und Mia PinnebergWolfgang Pregler als Dr. Sesam, Frau Scharrenhöfer, Lauterbach, Lehmann, Erste Dame, Herr Jänecke, Gendarm
André Jung als Emil Kleinholz, Heilbutt, der Schauspieler
Hans Kremer als Mutter Mörschel, Jachmann, zweite Dame, ein Anderer
Stefan Merki als Karl, Schulz, Fräulein Semmler, Herr. Kessler, Spannfuß, Ein Herr, Kunde, Frau Rusch, Schupo
Peter Brombacher als Vater Mörschel, Kube, Postbote, Alte Dame, Fetter Brillenmensch, Dicker Mann, Vermieterin
Tina Keserovic als Schwester, Marie, Frau

Arbeitslos – was nun? Könnte genauso der Titel dieses Werkes aus der Zeit der Wirtschaftskrise lauten. Die Antwort enthält keinerlei revolutionierendes Potential, sind es doch zwei unbedarfte, pflichtbewusste und fleißige Bürger, die das biedere Leben meistern wollen.

Hans Fallada erinnerte sich im gleichnamigen Buch an die düsteren Julitage 1931 als der Bankenkrach die Firmenpleiten und damit die Arbeitslosigkeit anheizte und auch ihn stellungslos und verschuldet zurück ließ. Da damals seine Frau ihn mental unterstützte, er, wenn er seinen Sohn Murkel im Kinderwagen spazieren führte, als „Der arme Arbeitslose mit Kind“ in seiner Umgebung bereits als bekannt galt, dürfte dies sowie seine gute Ehefrau als Emma, genannt Lämmchen, ins Werk eingegangen sein. Sie ist für den Protagonisten Johannes Pinneberg der sichere Hafen, in dem er Rettung für Seele und Verstand findet. Sie verkörpert naturgemäß die bayrische Zuversichtlichkeit mit dem großen, weiten Herz, neuen Ideen um sparen zu können („Museumsbesuche kosten nichts“) und nicht die mögliche österreichische Version des lamentierenden, mürrischen Eheweibes.

Die Jammergestalt ist Pinneberg, der vorerst an seiner Arbeitsstelle mit der Macht des Chefs und der Unsolidarität der Kollegen konfrontiert wird, später in Berlin den korrupten Geschäften seiner Mutter samt Lebensgefährten ohne den klaren Kopf seiner Ehefrau nicht entkommen könnte, der den Einsparungen und Repressionen als Konfektionsverkäufer, der sein monatliches Verkaufssoll erfüllen muss, so ausgesetzt ist, dass er seine menschliche Würde preisgibt. Und sogar dies rettet ihn nicht.

Die Darstellung des Zeitgeistes wurde mit dem Orchestrion, das dominant alle Szenen beherrschte, mit sinnigen Liedern wie „Einmal schafft’s jeder“, „Irgendwo auf der Welt“, „Zeig der Welt nicht dein Herz“ u. a. aus den 20er bis 30er Jahren sowie der Überblendung des Bühnenraumes mit dem Film von Walther Ruttmann „Berlin, die Sinfonie der Großstadt“, 1927 aussagekräftigen bewältigt. Lämmchen und Pinneberg sind die Einzigen, die nicht mitsingen, denn nicht nur das Atmosphärische soll zählen, sondern die politische Aussage „Reichtum und Glück liegen in der Liebe“ oder „die Familie als heile Welt“ wird von ihnen ernsthaft aber unaufdringlich und subtil transportiert.

Das Ensemble der Münchner Kammerspiele verwirklichte diese Gedanken und charakterisierte die Typen der 30er Jahre unnachahmlich, überzeichneten, wo passend, verzichteten auf Glamour und Tingel-Tangel, verkörperten mit Geduld und Präzision die meist naiven Gestalten des unteren Standes, was bei über vier Stunden Spielzeit und ca. 36 verschiedenen Rollen für 9 Schauspieler eine großartige Leistung darstellt. Dem Gelingen dieser Herausforderung beizuwohnen war ein Genuss, da das traditionelle Theater der Vorstadt weder mit falschem Pathos aufgeblasen noch aberwitzigem Augenzwinkern verdünnt worden war.

Kleiner Mann - was nun? Hans Fallada. Rez.: Eva Riebler

Der Spieler: Fjodor Dostojewski. Rez.: Ernst Punz

Ernst Punz
DER SPIELTHERAPEUT

 
Der Spieler
Fjodor Dostojewski
Bühnenfassung für das Landestheater NÖ: Helmut Peschina
Landestheater NÖ, Großes Haus
Premiere: 05.03.2011, 19.30 Uhr
Regie: Johannes Gleim
Bühne und Kostüme: Markus Meyer
Dramaturgie: Barbara Nowotny
Mit:
Alexej Iwanowitsch: Valentin Schreyer
Polina Alexandrowna: Katharina von Harsdorf
Antonida Wasiljewna: Else Ludwig
General: Helmut Wiesinger
Mademoiselle Blanche de Cominges: Antje Hochholdinger
Mr. Astley: Paul Matic
Marquis de Grieux: Rainer Doppler
Croupier: Jürgen Weisert

„Dabei wäre alles so einfach. Sie müssten nur ihre
Nächsten lieben, wie sich selbst. Harr, harr, harr!“

Irgendwann im zweiten Akt von Helmut Peschinas Bühnenfassung von „Der Spieler“ kommt der Casinocroupier an den vorderen Bühnenrand und betätigt sich paradoxerweise als bibelbelesener Spieltherapeut. Der Mann arbeitet an der Abschaffung seines Berufsstandes. Leider vergeblich – das hört man auch an seinem höhnischen Gelächter.
Fjodor Dostojewski, der sich im Original als Ketzer und Barbar bezeichnet, hat in seinem frühen Drama eigenes Erleben verarbeitet. Gott sei Dank nicht umsonst, denn er hat der Nachwelt zahlreiche Werke hinterlassen, die teilweise unter höchstem Existenzdruck entstanden sind. Bereits in seinem Frühwerk ist es ihm gelungen, in verdichteter Weise das Wesen der Spielsucht in höchst dramatischer Weise zu zeigen. Jener Sucht, die von Therapeuten als die am schwersten zu therapierende bezeichnet wird.

Die St. Pöltner Inszenierung von Johannes Gleim beginnt ein wenig matt – vielleicht ist es Premierenunsicherheit. Doch nach ungefähr zehn Minuten ist plötzlich Spannung da, die beginnt, die Zuseher mit in das Spiel hineinzuziehen. Sehr schnell ist zu spüren, worum es allen geht: Um das Geld und um das nackte Überleben. Und an dieses Geld könnte man kommen, wenn es bald zum Ableben von Großmutter „Babuschka“ Antonida Wasiljewna kommt – überzeugend gespielt von Else Ludwig. Und höchst lebendig, denn plötzlich ist die Todgeglaubte da, auch wenn es um ihre Gesundheit nicht zum Besten gestellt ist. Ihr möchte man am liebsten über die Stufen zum hochgelegten Casino hinauf- und wieder herunterhelfen. Und wenn ihr scheinbar die Knie versagen, geht ein Zucken durch die Zuschauerreihen; bei ihren gespielten Herzanfällen spürt man selbst ein Ziehen in der Brust.

Ganz gesund ist auch Mr. Astley – gespielt von Paul Matic – nicht. Der großkarierte Engländer hyperventiliert und muss den Sauerstoffgehalt in seinem Blut mittels Ein- und Ausatmen in ein vor den Mund gehaltenes Papiersackerl senken. Vermutlich wird im deswegen auch leicht schwarz vor den Augen und er sieht nicht wohin er mit seiner Schirmspitze sticht. Nämlich in die Weichteile von Alexej Iwanowitsch, gespielt mit sehr viel Körpereinsatz von Hauptdarsteller Valentin Schreyer. Die Schirmattacke von Mr. Astley – gespielt von Paul Matic - könnte aber auch pure Absicht gewesen sein, denn Alexej Iwanowitsch, in der Rolle Valentin Schreyer, ist einer seiner Nebenbuhler um die schöne Polina Alexandrowna. Katharina von Harsdorf gibt die verschuldete Polina als zwischen Geldgier und Haßliebe hin- und hergerissene Halbwahnsinnige, die nicht davor zurückschrecken würde, Alexej in den Selbstmord zu stürzen oder ihn als Mörder zu dingen. Sie treibt es mit dem sie Anbetenden derart auf die Spitze, dass dieser ihr gleich zu Beginn am liebsten das Messer in die Brust stechen würde. Aber das wäre dann ein ganz anderes Stück.

Ähnlich und doch ein wenig anders liegen die Dinge bei Mademoiselle Blanche. Antje Hochholdinger spielt das höchst willig zwischen Geld- und Männerliebe hin- und hereilende leichte Mädchen, das ihrem Namen zum Trotz ein kleines Schwarzes trägt. Wenn wundert es, wenn bei soviel Gier, Sucht, Geld, Sex und Gewalt dann irgendeiner einer auf dem Boden liegt. Helmut Wiesinger tut dies sehr beeindruckend als von Blanche verlassener General, mit im Rausch entblößter Brust und herzerweichend schluchzend auf russisch: Vor sich eine Wodkalache. Klaren Wein hingegen schenkt Rainer Doppler, der den Marquis de Grieux als nicht sehr sympathisch agierender Franzosen zu geben hat, dem Alexej ein, um diesem klar zu machen, wer hier wen und warum liebt – oder auch nicht.

Die im Stück eingestreuten komödiantischen Einsprengsel verwässern die Tragik der Thematik, aber vielleicht ist das auch das Russische daran. Wodka heißt ja bekanntlich Wässerchen – brennt am Anfang und nachher spürt man nichts mehr.
Insgesamt eine sehr moderne Inszenierung mit zahlreichen Anklängen an gängige Sujets der neueren Zeit, wie zum Bespiel den von Mr. Astley nasal rezitierten Beatlesliedern.
Höchst originell auch die Darstellung des Casinos als gläsernen Kasten, in dem der als Clown à la Jack Nicholson geschminkte Croupier sein Sprüchlein „rien ne va plus“ neben einem Goldenen Kalb aufsagt. Womit nach der anfangs zitierten Bibelstelle aus dem Neuen Testament auch dem Buch des ersten Bundes die Ehre gegeben wird.

Fehlt nur noch eine Anspielung und sie kommt verlässlich: Nach dem alles verspielt und die letzte Roulettekugel ausgerollt ist, will sich Alexej die Kugel geben. Er tut dies aber nicht verschwenderisch auf russische Art, sondern höchst sparsam – wie die Deutschen beim Geld. Mit nur einer Kugel im knarrenden Trommelrevolver gibt er sich seine letzte Chance, diesmal im Russischen Roulette. Und gewinnt bei einer Trefferquote von 1 aus 6 ein neues Leben.

LitGes, März 2011

Der Spieler: Fjodor Dostojewski. Rez.: Ernst Punz

Die Unsicherheit der Sachlage: Philippe Löhle. Rez.: Ernst Punz & Eva Riebler

Ernst Punz & Eva Riebler
ZWISCHEN WAHRHEIT UND WAHNSINN

 

 

Die Unsicherheit der Sachlage
Philipp Löhle
Landestheater NÖ, Theaterwerkstatt
Premiere: 26.02.2011, 19.30 Uhr
Österreichische Erstaufführung
Uraufführung Mai 2009, Schauspielhaus Bochum
Regie: Steffen Jäger
Bühne: Sabine Freude
Kostüme: Aleksandra Kica
Mit Julia Schranz, Philipp Brammer, Oliver Rosskopf, Hendrik Winkler

 

Die neue Bühnenfassung unter der Regie von Steffen Jäger verändert klar und deutlich die Erstfassung von Phillip Löhle. Der erste Blick der Zuschauer trifft verstört auf die Glaswand mitten im Zuschauerraum, die die Durchsicht auf die zweite Hälfte des Publikums jenseits dieser frei gibt. Gespielt wird also in der Mitte, auf gleicher Höhe mit dem Auditorium. Das heißt die gleiche Augenhöhe vermittelt bereits „das bin genauso ich oder du“ und die Glaswand teilt scheinbar in zwei Bereiche, die jedoch akustisch und optisch durchgängig bleiben. Nach der Pause wechselt das Publikum auf die andere Seite und füllt seine Wissenslücken punkto Handlungfortgangs auf. Soweit zur erweiterten Transparenz und zur gelungenen Gleichzeitigkeit, die aus dem linearen Stück erfolgreich herausgebrochen wurden.

Der Inhalt ist auf den ersten Blick alltäglich – die Trennung eines Paares, Jan und Jule, und der damit verbundene Auszug Jans aus der gemeinsamen Wohnung, wendet sich jedoch auf den zweiten Blick dem terroristischen Potential in uns zu. Denn der Freundeskreis kann nur für kurze Zeit den Wohnungssuchenden auffangen. Nach einigen Wochen Sofasurfing reißt dem schwulen Paar die Geduld, Jan wird mit all seiner Unordnung zum Störfaktor und er findet sich wie viele Obdachlose auf der Parkbank wieder. Als „Sophisticated Homeless“ gelingt es ihm, seinem Chef, einem abgebrühten Zeitungsmann, eine Home Story, oder besser Homeless Story, als seine Kolumne aufs Auge zu drücken. Jans Beobachtungen einer verrückten und brutalen Welt gießt er in pointierte Formulierungen, jedoch ziehen sie ihn zusehends hinunter und ergreifen schließlich ganz von ihm Besitz. So bereiten sie ihm zusätzlich zu seinem Trennungsschmerz weiteren seelischen Schmerz, vermehren Schlaflosigkeit und seine psychische Verwirrung. Er gaukelt sich vor Verbrecher und Täter zu sein: „Ich schade euch täglich! Ich bin der Täter, ich, euer Nachbar!“ oder „Das Gute im Menschen ist eine Erfindung“, „Wir ticken wie Mäuse im Karton“ und merken nun, dass die Welt digitalisiert wird. „Früher ritzte man seine Liebe in den Baum! Sende mal das Mail an einen Baum!“
Jan macht der Polizei das moralische Angebot, ihn vorsorglich in Verwahrung zu nehmen, diese lehnt jedoch ab. Ausstiegshilfen werden in Theaterstücken wie „Biedermann und die Brandstifter“ auch nicht geboten. Was bleibt ihm anderes übrig, als selbst Herr seiner unsicheren Sachlage zu werden und das nächste „Ding“ selbst zu planen und auszuführen.

Regisseur Steffen Jäger, in Zusammenarbeit mit Hausdramaturg Rupert Klima, hat für die Werkstatt des Landestheater Niederösterreich die Gespaltenheit des Protagonisten aufgedröselt und stellt dessen multiple Erscheinungsformen auf zwei Bühnen und in bis zu vierfacher Verkörperung dar. Die Bühnen befinden sich Rücken an Rücken, durch große Fensterflächen transparent gemacht, und werden gleichzeitig von vier Schauspielern bespielt. Das Sprachgemurmel von der „anderen Seite“ tönt herüber und verbindet sich mit den Dialogen und Einspielungen der „eigenen Seite“. Die durch die aufgeteilte Spielweise halbierte Spielzeit wird dem Publikum nicht vom Kartenpreis abgerechnet, sondern nach der Pause durch Wiederholung des Stückes eingearbeitet. Die Zuschauer, die nach der Pause die Plätze wechseln, bekommen nun auch die zweite Hälfte von Jans ganzer Wahrheit nachgeliefert. Und als Draufgabe gibt es die Antwort auf die sich während des gesamten Stückes aufbauenden Frage: Was ist nun „Wahn oder Wirklichkeit“?

Spieltechnisch - und scheinbar spielerisch leicht - eine schwindelerregende Meisterleistung der Darsteller Julia Schranz, Philipp Brammer, Oliver Rosskopf und Hendrik Winkler. Sie spielen, singen, tanzen, schreien und dozieren in fast nicht zählbaren Rollen: Jans Freundin Jule, die Freunde Björn und Robert, den Chefredakteur, eine Modeverkäuferin, einen Obdachlosen, einen Polizisten, ein Tangopaar usw. bis hin zur ständig zwischen ihnen wechselnden Darstellung von Jan Cäsar Schmidt. Damit nicht genug, bewältigen sie in rasender Geschwindigkeit Textlängen, die ihm Journalistenjargon „Bleiwüsten“ genannt werden, agieren zwischen unzähligen Koffern, einem Papier schluckendem Reißwolf, Tischen, Stühlen, Sofa, Stehlampe, Bügeleisen, TV-Fernbedienung und einem Minibackofen für eingefrorenes Gebäck. Sie bedienen absturzgefährdete Diaprojektoren, die auf wackelig aufgetürmten Koffertürmen balancieren und schalten sie mittels Handfunkgerät - als Diktaphone getarnt - von Zeit zu Zeit auf der jeweils anderen Bühne ein. Und das alles synchron. Kein Wunder, dass zwei der Schauspieler nach bravourös geleisteter Arbeit, beim Bühnenwechsel während des lang anhaltenden Schlussapplauses, nicht durch die seitliche Tür laufen, sondern -  gegenüberliegend - beinahe gegen die Wand.
Ein Lob an die schauspielerische Leistung und die dramaturgische Effizienz!

LitGes, März 2011

Die Unsicherheit der Sachlage: Philippe Löhle. Rez.: Ernst Punz & Eva Riebler

Don Carlos: Friedrich Schiller. Rez.: Johannes Schmid

Johannes Schmid
EIN POLITTHRILLER

 
Don Carlos. Infant von Spanien
Drama von Friedrich Schiller
Landestheater NÖ, Theaterwerkstatt
Premiere: 22.01.2011, 19.30 Uhr
Regie: Silvia Armbruster
Bühne und Kostüme: Stefan Morgenstern
Mit:
Othmar Schratt (Philipp der Zweite), Pippa Galli (Elisabeth von Valois), Philipp Brammer (Don Carlos), Antje Hochholdinger (Prinzessin Eboli), Elisabeth Luger (Marquisin von Mondekar), Hendrik Winkler (Marquis von Posa), Oliver Rosskopf (Herzog Alba), Stefan Wilde (Domingo), Wolfgang Seidenberg (Fernsehsprecher)
Dauer: 3 Stunden inkl. Pause nach 1 Stunde 30 Minuten

Silvia Armbruster verfolgt mit ihrer Inszenierung von Schillers „Don Carlos“ die Absicht, diesem oft gelesenen Klassiker der Weltliteratur als Politthriller besondere Aktualität und Spannung zu verleihen. Entsprechend diesem Konzept liegt das Hauptaugenmerk ihrer Bearbeitung nicht so sehr auf dem von Schiller in dichterischer Umsetzung Kant‘scher Philosophie vertretenen Freiheits- und Humanitätsideal, sondern in erster Linie auf der Darstellung zwischenmenschlicher Konflikte sowie politischer Machenschaften und Intrigen. Diese Deutung des Dramas hat Armbruster konsequent und überzeugend durchgeführt. Don Carlos, brillant dargestellt von Philipp Brammer, wird als Mensch gezeigt, der sich aus der Bevormundung durch den Vater emanzipiert und von der unerfüllten Liebe zur Stiefmutter befreit, um seine Stimme zu erheben für Recht, Vernunft und Menschlichkeit. Brammer versteht es, den anfänglich schwankenden, gegen Ende hin selbstbewussten Charakter des Infanten durch sein vorzügliches Spiel überzeugend zur Anschauung zu bringen. Hendrik Winkler, in der Rolle des Marquis von Posa, begeistert vor allem in der berühmten Unterredung mit König Philipp. Eindrucksvoll und nicht zu übertreffen mimt Pippa Galli die Elisabeth von Valois, eine Rolle, die an eine Schauspielerin höchste Anforderungen stellt. Galli weiß durch ihre vielfältige und nuancenreiche Sprechkunst jede Emotion, jede Erschütterung wie selbst erlebt darzustellen. Antje Hochholdinger spielt mit größter Ausdruckkraft die unglücklich liebende Prinzessin Eboli, die Opfer politischer Intrigen wird. Oliver Rosskopf begeistert als Herzog von Alba in der Rolle des gewissenlosen Erfüllungsgehilfen und Schergen seines Herrn. Nicht minder überzeugend Stefan Wilde als Domingo. Den Wandel des Königs vom selbstsicheren Potentaten zum seelischen Wrack darzustellen, ist Othmar Schratt in eindrucksvoller Weise gelungen. Elisabeth Luger spielt souverän die Rolle der Marquisin von Mondekar.

LitGes, Januar 2011

Don Carlos: Friedrich Schiller. Rez.: Johannes Schmid

Verstörung: Thomas Bernhard. Rez.: Ingrid Reichel

Name des Rezensenten
VON DER VEREINSAMUNG UND LÄCHERLICHKEIT

 

 
VERSTÖRUNG
Thomas Bernhard
Bearbeitung: Karl Baratta und Gwendolyne Melchinger
Landestheater NÖ, Großes Haus
04.12.2010, 19.30 Uhr
Regie: Karl Baratta
Bühne und Kostüme: Daniela Juckel
Mit: Christine Jirku, Brigitte Karner, Katharina von Harsdorf,
Hans Hollmann, Benjamin McQuade, Oliver Rosskopf,
Helmut Wiesinger, Paul Wolff-Plottegg
Dauer: 2 Std. 30 Min. inkl. Pause nach 50 Min.
Uraufführung

 

Bereits 1967 erschien „Verstörung“ von Thomas Bernhard im Suhrkamp Verlag. Nach „Frost“ (1964) war es sein zweiter Roman. Im Auftrag des Landestheaters NÖ schrieb der in Wien geborene Regisseur und Dramaturg Karl Baratta gemeinsam mit der Dramaturgin Gwendolyne Melchinger das Prosawerk zu einem Theaterstück in zwei Akten um.
Und so haben wir es wieder einmal mit einer Rarität im Landestheater NÖ zu tun: mit einer Uraufführung eines Werkes von Thomas Bernhard.
Bernhard, das deklarierte
enfant terrible der österreichischen Literaturszene, hatte seine eigene 68-er Revolution gemacht. In der Verkörperung eines Studenten, der seinen Vater, einen Landarzt in der Steiermark bei einem langen Tag der Visite begleitet, die auf der Burg Hochgobernitz bei seinem Patienten den Fürsten Saurau endet, lässt Bernhard die österreichische Nachkriegsszenerie Revue passieren. Es sind die Reflexionen des Studenten über die Aussagen des Landarztes und die Selbstgespräche des Fürsten, die der Gesellschaft den Spiegel vorsetzen.

So reflektiert der Student die Gedankengänge seines Vaters: „Es sei für mich eine fortgesetzte Traurigkeit, wenn ich ihn begleite, und aus diesem Grund zögere er auch die meiste Zeit, mich auf seine Krankenbesuche mitzunehmen, weil sich immer in allen Fällen zeige, dass alles, was er aufsuchen und anrühren und behandeln müsse, sich als krank und traurig erweise; gleich, um was es sich handle, bewege er sich fortwährend in einer kranken Welt unter kranken Menschen, Individuen; auch wenn diese vorgebe, vortäusche, eine gesunde zu sein, sei sie doch immer eine kranke und die Menschen, Individuen, auch die sogenannten gesunden, immer krank.“ (Suhrkamp Tb: S. 14).

Dabei steht nicht nur die andauernde Volksdepression im Vordergrund, auch die familiäre Beziehung des Landarztes mit seinem Sohn und seiner Tochter sind Thema. Bernhard dringt bis in die kleinsten Ritzen unserer Seele. Ein Brief des Sohnes an seinen Vater verdeutlicht die chaotischen zwischenmenschlichen Beziehungen. „Es war mir immer unmöglich gewesen, ihn (den Brief) zu schreiben. Die Peinlichkeit, in einem solchen Brief auf einmal auszusprechen, was jahrelang nur gedacht worden ist, Vermutungen zur Sprache zu bringen, war mir jedes Mal sofort bewusst. Auch die Scheu, möglicherweise längst vergessenes Material für die in diesem Brief unerlässlichen Beweise meiner Anschauung von uns heranziehen zu müssen, vereitelte mein Vorhaben. Ich musste ja aufrichtig und also rücksichtslos und doch auf alle Betroffenen Acht gebend vorgehen, das machte einen solchen Brief so lange Zeit unmöglich.“ (S. 23).

Auf Burg Hochgobernitz spitzt sich die Lage dann zu. Fürst Saurau schwelgt einerseits in der Erinnerung der guten kaiserlichen Zeit. Die einstigen Naturkatastrophen wie Hochwasser und Murenabgänge vermengen sich mit den „Saurauschen Schauspielen“, die in seinem Lusthaus aufgeführt wurden, zu einem monumentalen Schauspiel. Bibliotheken, in denen nicht mehr gelesen wird, außer alte Zeitungen aus der guten alten Zeit, Räume mit Wänden, die keine Gemälde mehr tragen, frauenfeindliche Sprüche, die das Patriarchat mit all seinen Machtansprüchen zurückerobern wollen, zeigen die Rückseite der Medaille: die Lächerlichkeit einer veralteten, unappetitlich gewordenen, alleingelassenen und vereinsamten Gesellschaft.

„Alles immer verändern zu wollen, das ist mir ein ständiges Bedürfnis, eine infame Lust, die zu den peinlichsten Zerwürfnissen führt. Die Katastrophe fängt damit an, dass man aus dem Bett steigt. Dass man alles auf ein philosophisches Fundament stellt, sich produziert. Die Finsternis ist kalt, wenn der Kopf ausgeschaltet ist.“ (Fürst Saurau, S. 203))

Karl Baratta geht mit der komplexen Sprache und den permanenten Wiederholungen Bernhards subtil ans Werk. Wie ein Mann am Mischpult lässt er die einzelnen Stimmen der Schauspieler ineinander gleiten, mixt sie zu einem Sprachchor, verstärkt massiv Bernhards Intentionen, oft bleiben nur Schlagwörter wie „Opfer“ hörbar. Die Gleichzeitigkeit der Gespräche und der Gedanken hämmern sich in die Gehirne der Theaterbesucher.

„Es ist ein unheimliches Buch, das wie eine klassische Erzählung anfängt und den Leser ins Grauen hineintreibt, ohne dass er es merkt.“, sagt Thomas Bernhard über sein eigenes Werk „Verstörung“.
Dies ist Baratta und Melchinger mit ihrer dramaturgischen Umsetzung auch meisterhaft gelungen. Gesteigert wird die Inszenierung noch durch das minimalistische Bühnenbild und den fahrbaren Sesseln und Tischen. Daniela Juckel führt nach ihrer Szenographie in Hjalmar Söderbergs Dreiakter „Gertrud“ im Landestheater NÖ, welcher im Mai 2011 noch zweimal aufgeführt wird, ihre Taktik der nackten Räumlichkeit und der beweglichen Requisiten weiter. Kein Gegenstand zuviel kann uns von dieser mächtigen Bernhardschen Sprache ablenken. Schlichte helle, zerschlissene blau-graue Wände geben die undefinierte Räumlichkeit der verschiedenen Szenen wieder, Details erübrigen sich, erledigt der Zuschauer in seiner Fantasie, falls er überhaupt Zeit dazu hat, aufgesogen von der schauspielerischen Leistung dieses so komplexen Stückes.

Der bekannte Theaterregisseur und Schauspieler Hans Hollmann ist auf der Landestheaterbühne erstmals zu sehen. Er spielt die Rolle des Fürsten Saurau und kommt demzufolge erst im zweiten Akt zum Einsatz. Seine Mimik ist nicht zu toppen. Besser kann man sich nicht vorstellen den Fürsten zu spielen: seine Vergesslichkeit, seine Überheblichkeit, seine Eitelkeit, seine Menschlichkeit … Das ehemalige Ensemblemitglied des Burgtheaters Paul Wolff-Plottegg spielt nicht weniger überzeugend den akademisch gebildeten, engagierten Landarzt. Die allseits beliebte Theater-, Film- und Fernsehschauspielerin Brigitte Karner spielt natürlich und sinnlich gleich drei Rollen, jeweils die Schwester des Fürsten, die des Patienten Krainer und die Halbschwester des Industriellen. Vom NÖ Theaterensemble spielt Oliver Rosskopf, den verklemmten Studenten und Sohn des Arztes. Zusätzlich zu den schwierigen Texten nimmt er bravourös auch körperliche Anstrengung auf sich. Ebenfalls vom NÖ Ensemble spielen Katharina von Harsdorf zwei Rollen, einerseits die Tochter, andererseits den Sohn des Fürsten Saurau, Christine Jirku die tote Wirtsfrau, die Patientin Ebenhöh und die Dienerin des Fürsten, Helmut Wiesinger den Industriellen, Lehrer und für den Job des Forstverwalters sich meldenden Zehetmayer. Der Amerikaner Benjamin McQuaid spielt den jungen geisteskranken Krainer und sorgt für die musikalische Begleitung am Klavier.

In einer Zeit, in der sich der Rechtsradikalismus europaweit ausdehnt, und vor allem in Österreich, wo man noch immer fleißig Unangenehmes unter dem Teppich kehren möchte, kann Bernhard nicht oft genug gespielt aber vor allem mit solch einer Glanzleistung von Inszenierung und schauspielerischer Fähigkeit nicht oft genug gesehen werden. Bravo!

Verstörung: Thomas Bernhard. Rez.: Ingrid Reichel