Die Schatzinsel: Robert Louis Stevenson. Rez.: Bernadette Käfer
Bernadette Käfer HEITERE SCHATZSUCHE
DIE SCHATZINSEL Nach Robert Louis Stevenson Stückadaptation für das Landestheater NÖ: Antje Hochholdinger Neu erzählt für Kinder ab 6 Jahren Landestheater NÖ, Großes Haus 27.11.2010, 16 Uhr Regie: Antje Hochholdinger Bühne und Kostum: Dorothea Wimmer Musik: Kay Burki Mit: Julia Schranz, Othmar Schratt, Hendrik Winkler Philipp Brammer, Klaus Haberl, Rainer Doppler Gregor Fürnweger, Jürgen Weisert, Anna Maria Eder, Paul Goga Dauer: 1 Std.50 Min., Pause nach 45 Min. Österreichische Erstaufführung
In einer Bearbeitung der spannenden Abenteuergeschichte rund um den Jungen Jim Hawkins, dem durch Zufall die Schatzkarte des legendären Kapitän Flint in die Hände fällt, gelingt es Antje Hochholdinger, die auch Regie führte, das Publikum 90 Minuten lang in Spannung zu halten.
Schon als sich zu Beginn der Geschichte ein alter Seebär namens Bill Bones, authentisch gespielt von Klaus Haberl, im einsam gelegenen Landgasthaus „Zum Admiral Benbow“, dessen Besitzer Jim Hawkins (Julia Schranz) und dessen Schwester Lucy (Anna Maria Eder) sind, einquartiert, wird klar, wir rau die Sitten in England um 1758 sind.
Schon Bill Bones eindringliches Auftrittslied (für die Musikauswahl, Arrangements und Kompositionen verantwortlich: Kay Burki) bringt alle zum Schaudern. Als er auch noch von unheimlichen Besuchern bedroht und ihm der gefürchtete „Schwarze Brief“ überreicht wird (Gregor Fürnweger, Jürgen Weisert) fliegen Tische und Stühle. In all der Aufregung kann nur mehr der hilfsbereite Dr. Livesey (Hendrik Winkler) mit einer überdimensionalen Spritze helfen. Da sich jedoch Bill Bones nicht an seine ärztlichen Anweisungen hält und immer mehr Rum zu sich nimmt, versagen seine Kräfte und er stirbt.
In der nächsten köstlichen Szene durchwühlen Jim und Lucy Bills Hinterlassenschaft und finden so etwas Geld, welches sich Lucy behält und eine Schatzkarte.
Mit dieser begibt sich Jim zu seinen Vertrauten Dr. Livesey und dem ständig an einer Teetasse nippenden Friedensrichter Squire Trelawney (Philipp Brammer). Dieser organisiert ein Schiff und eine Mannschaft, unter der sich aber ehemalige Piraten (Jürgen Weisert, Paul Goga, Anna Maria Eder) mitsamt ihres Anführers Long John Silver (Rainer Doppler) befinden. Als sich diese zu erkennen geben, erfolgt ein erbitterter Kampf. Diese Kampfszenen für die kleinen Besucher (empfohlen ab 6 Jahren) altersadäquat zu gestalten gelang mithilfe eines Tricks: Die Kampfszenen wurden in Zeitlupe vollführt und der Ton der fallenden Schüsse war eher gedämpft als unnötig laut. Ein „Bravo!“ an die Schauspieler, denen es trotz dieses Zeitlupentempos gelang, actionreich und überzeugend zu agieren!
Schließlich gelingt es dem Team um Jim Hawkins mithilfe eines schrulligen Inselbewohners und ehemaligen Mannschaftsmitgliedes von Kapitän Flint, Ben Gunn (Othmar Schratt) den Schatz doch noch zu bergen und sicher auf ihr Schiff zu bringen. Vorher gab es noch einige aufheiternde Szenen wie die Sockengeschichte, Käse in der Tabaksdose oder die Zwischenrufe des Papageis, welche die Kinder und Erwachsenen zum Lachen brachten.
Alleine von dem großen, glitzernden Schatz hätten die Kleinen gerne etwas mehr gesehen…
Das wiederholte Auftauchen der Darsteller aus dem Zuschauerraum, ja sogar aus der Loge heraus, trug ebenfalls sehr zum hautnahen Erleben des Stückes bei.
Insgesamt eine spannende Aufführung mit Liebe zum Detail, welches sich vor allem in den Kostümen und Bühnenbild (Dorothea Wimmer) ausdrückte.
Aber auch die Schauspieler, besonders die Darsteller eines Jim Hawkins, Long John Silver, Dr. Livesey, Kapitän Smollet oder Squire Trelawney ließen ihren Spaß an der Schatzsuche in ihre Rollen miteinfließen.
Anstatt eines Programmheftes gab es diesmal in gewohnter Manier ein spannendes „Schatzinsel-Würfelspiel“ zum Mitnehmen.
Die vierte Schwester: Janusz Glowacki. Rez.: Eva Riebler
Eva Riebler Ich hab eine Melancholie
Die vierte Schwester Janusz Glowacki Landestheater NÖ, Großes Haus
Premiere: 23.10.2010, 19.30 Uhr
Österr. Erstaufführung
Deutsch: Birgitt Woitge
Regie: Isabella Suppanz
Bühne und Kostüme: Martin Warth
Musik: Krzysztof Dobrek
Mit:
Pippa Galli, Antje Hochholdinger, Chris Pichler, Dolores Schmidinger
Philipp Brammer, Krzysztof Dobrek, Rainer Doppler, Gregor Fürnweger,
Karl Ferdinand Kratzl, Oliver Rosskopf, Jürgen Weisert,
Helmut Wiesinger, Hendrik Winkler
Uraufführung Teatr Polski, Wroclaw Dez. 1999
Die erste Szene macht neugierig, nimmt vieles vorweg und beginnt wie die zweite mit der Preisverleihung des Film-Oskars für „Die Kinder von Moskau“. Die drei Töchter sowie der im Haushalt lebende Waisenknabe Kolja (Hendrik Winkler), der später die vierte Tochter Sonja für den prämierten Film abgibt, sind die Sinnbilder und Statisten der Kinder von Moskau: Sie leben chancenlos in einer korrupten Gesellschaft, haben wenig Möglichkeiten auf Aufstieg im Beruf oder auf einen netten, adäquaten Ehemann. Nur der Alkohol ist ihnen sicherer Trost. Als die älteste Tochter Wera (Antje Hochholdinger) von ihrem Freund, dem hohen Politiker (Rainer Doppler), schwanger wird, gibt er ihr keine Eheversprechen, freut sich zwar überschwänglich, das bezieht sich jedoch nur darauf, dass er offensichtlich nicht zeugungsunfähig ist und er bietet 600 Dollar für eine Abtreibung. Die jüngste Tochter Tanja (Chris Pichler) meint ihr Liebesglück im in Bestechungsangelegenheiten ebenbürtigen Gauner Kostja (Oliver Rosskopf) gefunden zu haben, jedoch reißt der Tod ihn von ihrer Seite. Dabei war er es, der großspurig meinte – er besteche den Tod! Und die mittlere Tochter Katja (Pippa Galli) wird ebenfalls von der holden Männlichkeit enttäuscht, da dieser ihr nur das gestohlene Fleisch, das sie bei sich trägt, entwenden wollte, bzw. der sie liebende Regisseur John Freeman (Gregor Fürnweger) bei der Oskarverleihung für den Film „Die Kinder von Moskau“ sich unvermutet als bereits verheiratet herausstellt. So ist stets die Freude ein Trugbild und bloß mit Leid verbunden. Auch der Wunsch in die USA zum Onkel auszuwandern, entpuppt sich als gefährliche Falle, ein Hirngespinst von dem man Abstand nehmen muss. Hier finden sich die Parallelen zu Tschechows Theaterstück „Die drei Schwestern“, in dem die drei Schwestern am Ende ebenfalls alleine und mehr oder minder unversorgt dastehen.
Brillant spielen nicht nur diese Protagonisten, ebenfalls hervorragend stellte Karl Ferdinand Kratzl Juri Alexejewitsch, den trinkenden russischen Vatertypus und Dolores Schmidinger Babuschka, die befreundete, stets neugierige Nachbarin dar. Diese ist übrigens die Einzige, die den sozialen Aufstieg in die so genannte „bessere“ Schicht durch ihre Tätigkeit als Werbefigur für gepanzerte Jacken, schafft. Doch auch hier ist der Wehmutstropfen, dass sie vorerst ihren einzigen Sohn, den korrupten Kostja, verlieren musste, da dieser eben keine dieser Westen getragen hatte. Von beiden und vor allem von Chris Pichler wird die russische Seele mit Melancholie, verbunden mit Korruption und Geldgier, herausragend dargestellt. Im Stück ist das verstorbene Mütterchen die Person, von der man sich etwas wünschen darf, bei dieser Premiere blieb kein Wunsch offen. Das Lachen über die Korruption zu Zeiten der Korruption blieb nicht im Halse stecken, sondern befreite, da man getröstet wurde mit Sätzen, wie: „Mut und Ehre zählt nicht mehr!“, oder „Was für ein Land! Wenn man in Russland was verändern will, statt zu trinken, fallen alle über einen her!“
Das komödienhafte, pointierte Treiben auf der Bühne bekommt stets von den Akkordeonklängen Krzysztof Dobreks (Komposition und Spiel) Stimmung und weiteren Schwung.
Eine unterhaltende, schwungvolle und qualitätsreiche Inszenierung (Regie: Isabella Suppanz, Dramaturgie: Barbara Nowotny) mit sorgsam gewählten Kostümen und sparsamem, geglücktem Bühnenbild von Martin Warth.
Heidi: Johanna Spyri. Rez.: Bernadette Käfer
Bernadette Käfer Einblick in Heidis Welt
HEIDI
Peter Stamm
Nach dem Kinderbuchklassiker von
Johanna Spyri Landestheater NÖ, Theaterwerkstatt08.10.10, 16 Uhr
Österreichische Erstaufführung: Peter Stamm und Gwendolyne Melchinger
Regie: Caroline Richards
Bühnenbild/Kostüme: Ilona Glöckel
Musik: Axel Müller
Mit:
Antje Hochholdinger, Christine Jirku, Elisabeth Luger,
Katharina von Harsdorf, Othmar Schratt, Stefan Wilde
Das Landestheater Niederösterreich eröffnete seine neue Kindertheatersaison am Freitag, den 08.10.2010 mit einer österreichischen Erstaufführung von Johanna Spyris Kinderbuchklassiker Heidi in einer Bearbeitung von Peter Stamm und Gwendolyne Melchinger.
Den fabelhaften Schauspielern gelang es unter der Regie von Caroline Richards auf kleinstem Raum eine stimmige Alpenszenerie darzustellen. Die originellen, fast durchgehend aus bunten Filzen hergestellten Kostüme unterstrichen ebenso wie das Bühnenbild (beides Ilona Glöckel) den ländlichen Charakter des Stückes.
Die auf die wichtigsten Handlungsinhalte gekürzte Fassung gibt in 65 Minuten einen klaren und witzigen Einblick in Heidis Welt. Heidi (Katharina von Harsdorf) und Peter (Stefan Wilde) spielen ihre kindlichen Rollen erfrischend echt, die zusätzliche Nähe der Darsteller in der Theaterwerkstatt lässt viele Kinder nach den imaginären Geißen suchen, welche da auf der Alm springen sollen.
Weiteres Lob gebühren Othmar Schratt und Christine Jirku für ihre Rollen des Alpöhi/ Hr. Sesemann und Dete/Großmutter. Ein weiterer Liebling des Publikums ist natürlich die zarte Klara, gespielt von Elisabeth Luger. Dass das nörgelnde Fräulein Rottenmeier (gespielt von Antje Hochholdinger) auch einige Lacher auf ihrer Seite haben kann, beweist sie in einer Szene, in der sie mit ihrem üblichen Outfit (Kostüm und Stöckelschuhe) über die Almwiese wandert.
Ein musikpädagogisch wertvoller Schachzug der Kindertheatereigenproduktion (Musik: Axel Müller) war, von dem allseits bekannten „Heidi“-Lied völlig Abstand zu nehmen und auf die durchaus lobenswerten musikalischen Qualitäten der Schauspieler zu setzen. Außer den am Anfang per Band eingespielten Alphornklängen gab es im Folgenden nur mehr Live-Musik, sei es als instrumentaler oder vokaler Beitrag.
Die Zwischenspiele auf dem Akkordeon waren ein guter Einfall der Regie, um kurze Umbauten zu überbrücken. Das weihnachtliche Blockflötenduett von Klara und Heidi kommt wohl in fast jedem österreichischen Haushalt vor und das zuletzt gebotene „Kuhglockenstück“ begeisterte nicht nur die Kinder.
Anstatt eines Programmheftes gab es ein Heidi Memory zum Mitnehmen – ein schöner Ausklang für einen berührenden Nachmittag im Kindertheater.
LitGes, Oktober 2010
Happy End: Dorothy Lane. Rez.: E. Riebler
Eva Riebler DIE GUTE ALTE ZEIT
HAPPY END
Dorothy Lane
Musik: Kurt Weil/ Liedtexte: Bertold Brecht
Landestheater NÖ, großes Haus
07.05.2010, 19.30 Uhr Regie: Jérôme Savary, Ulrich Waller Bühne: Eva Humburg, Jérôme Savary Kostüme: Michel Dussarat, Eva Humburg Musikalische Leitung: Matthias Stötzel
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, inklusive Pause
Pause: nach 1 Stunde 10 Minuten
Gastspiel einer Koproduktion der Compagnie Jérome Savary, der Ruhrfestspiele Recklinghausen und des St. Pauli Theaters Hamburg.
Premiere Mai 2008 Ruhrfestspiele Recklinghausen und Oktober 2008 Hamburg.
Gangster:
Bill Cracker: Peter Lohmeyer
Sam Worlitzer: Nicki von Tempelhoff
Dr. Nakamura: Marion Ramos
Jimmy Dexter: Timo Klein
Johnny Flint: Günter Märtens
Die Dame in Grau: Angela Winkler
Heilsarmee:
Major: Peter Franke
Leutnant: Niels Hansen
Lilian Holiday: Anneke Schwabe
1929 formulierte Bert Brecht seine „Fabel“, spielend in Chicago ungefähr so: Milieu Heilsarmee und Verbrecherkeller. Inhalt: Kampf des Bösen mit dem Guten. Pointe. Das Gute siegt.
Ja, und so ist es auch geblieben. Der Ort ist Chicago, allerdings zur Weihnachtszeit. Wohl, damit zwei mögliche Gangster in der unverfänglichen Uniform des Weihnachtsmannes erschossen werden können und der Bekehrungswille ausgerechnet am Weihnachtstag besonders augenfällig wird. An so einem Tag begeht man schließlich kein Verbrechen!
Die Aufführung zeigt all das Gangsterklischee mit dem üblichen Sexappeal des unschuldigen Mädchens und die Grauslichkeiten wie heraushängendes Gedärm oder Plastikbein. Die Stimmen und die Stimmung sind hervorragend und die schauspielerischen Leistungen ebenfalls.
Schlag auf Schlag folgen die Szenen und die Distanz zum Publikum wird durch zahlreiche Auftritte der Schauspieler aus dem Zuschauerraum gemildert. Genauso durchbricht das Orchester die Schranke des Orchestergrabens und musiziert bei Szenen im Heilsarmeelokal von der Bühne herab und wechselt den Strohhut mit dem Hut der Heilsarmee.
Ein rundum gelungenes Gastspiel im Sinne des Zeitgeistes!
Leonce und Lena: Georg Büchner. Rez.: I. Reichel
Ingrid Reichel DER ABEND VOR DER WAHL
LEONCE UND LENA
Georg Büchner Lustspiel
Landestheater NÖ, Theaterwerkstatt
Premiere: 24.04.10, 19.30 Uhr
Regie: Lisa-Maria Cerha Mit:
Pippa Galli, Antje Hochholdinger, Christine Jirku,
Julia Schranz, Katharina von Harsdorf
Philipp Brammer, Klaus Haberl, Thomas Richter,
Oliver Rosskopf, Othmar Schratt, Helmut Wiesinger, Hendrik Winkler
Bühne: Thurid Peine
Kostüme: Aleksandra Kica
Dauer: 1 Stunde 25 Minuten
Keine Pause
„Hat er schon seine Erbsen gegessen?“ Mit diesem Büchner Zitat aus dem Stück „Woyzeck“, welches mir seit meiner Schulzeit bekannt ist und das ich mein Leben lang in diversen Gesprächen mit süffisant genüsslichem Grinsen einzusetzen pflege, möchte ich diese Kritik beginnen. Ich meine: Hat ER schon gewählt? Der Bürger? Und SIE? Die Bürgerin? Heute, am 25. April, an diesem Tag der Bundespräsidentschaftswahl 2010 in Österreich? Eine Wahl mit der fragwürdigsten Wahlkampagne der Parteien. Wir haben eine Demokratie! Und wir brauchen den bereits vor 137 Jahren verstorbenen Georg Büchner (1813-1837), damit wir uns dessen wieder bewusst werden.
Büchner, der Naturwissenschaften, Medizin und Philosophie studierte, war ein rundum gebildeter junger Mann, der sich mit der Geschichte der Französischen Revolution ausführlich beschäftigte und sich darauf in konsequenter Weise politisch für die Menschenrechte einsetzte. Auf Grund seiner radikalen politisch-oppositionellen Aktivitäten wurde er steckbrieflich gesucht und er musste fliehen. Büchner starb mit nur 23 Jahren an Typhus. Seine Theaterstücke „Dantons Tod“ (1835) und „Woycek“ (1836) trugen maßgeblich zur Entwicklung der deutschen Dramatik bei. Der Name des Revolutionärs Georg Büchner steht seit 1951 für den wichtigsten deutschen Literaturpreis und wurde erstmals 1923 - noch in der Weimarer Republik - als nur regionaler Preis in Hessen vergeben.
Büchner schrieb „Leonce und Lena“ im Frühjahr 1936 für einen Wettbewerb der Cotta’schen Verlagsbuchhandlung. Doch er reichte zu spät ein und das Manuskript wurde ihm ungeöffnet zurückgeschickt. 60 Jahre vergingen, bis das Werk endlich im Mai 1895 in einer Freilichtaufführung des Münchner Theatervereins Intimes Theater uraufgeführt wurde. Die erste „Öffentliche Aufführung“ fand im Dezember 1911 im Residenztheater in Wien statt.
Der Inhalt des Stückes wäre in aller Kürze folgendermaßen beschrieben:
Der Prinz des Reiches Popo soll verheiratet werden, damit sich sein Vater Peter, die königliche Hoheit, endlich auf das Denken konzentrieren kann. Doch den jungen Prinzen Leonce langweilen die politischen Geschäfte und er will, die ihm unbekannte versprochene Prinzessin Lena vom Reiche Pipi nicht heiraten. Er flieht, sie flieht, sie fliehen also beide unabhängig voneinander und man will es nicht glauben, eben wie das Schicksal, der Zufall, die Vorsehung es will, wird das Voneinanderweglaufen der zwei verwirrten Romantiker zu einem Zueinanderlaufen. Sie treffen sich in der Mitte, wissen nichts voneinander und beschließen zu heiraten. Um ihr Vorhaben zu verwirklichen, finden die beiden Liebenden in Leonce Vertrautem Valerio und Lenas Gouvernante die nötigen Verbündeten. Damit der König sein Gesicht nicht verliert, indem da er die angekündigte Hochzeit aus Mangel an einem Brautpaar absagen muss, lässt er sich sprichwörtlich auf einen Kuhhandel ein. Auf Anraten seines Staatsratspräsidenten wird ein unbekanntes, primitiv erscheinendes Paar in Kuh- und Stierkostüm vermählt. Als die Maskerade fällt, erkennen der Regent samt Gefolgschaft und Volk, dass es sich dabei um das verkleidete Prinzenpaar handelt. „Vivat!“ Er möge leben! Die Königreiche Pipi und Popo vereinigen sich in ihrer territorialen Winzigkeit und in ihrer intellektuellen Einfältigkeit. Happy end!
Der zunächst klischeehaft, kitschige Inhalt erweist sich als grandiose Politsatire. Büchners komplexe Wortspiele und politische Andeutungen erfordern höchste Konzentration. Eine Konzentration, die bei den schnellen Dialogen nicht aufzubringen ist. Und weil der Autor als Regent weiß, dass das Volk - sein Publikum - zu dumm und zu träge ist, ihm in der politischen Kritik zu folgen, deklarierte er es gleich vorweg als „Lustspiel“, denn wer arbeitet und denkt begeht subtilen Selbstmord (Büchner frei zitiert).
Die gebürtige Vorarlberger Regisseurin Lisa-Maria Cerha machte aus dem Lustspiel gleich eine turbulente, aktionsreiche Persiflage. Büchner upgedatet! Grandios! Gewagt! Zum Erfolg trugen das großartige, schlichte doch Phantasie ankurbelnde Bühnenbild der in Berlin geborenen Thurid Peine und die anregenden und subtil verunsichernden Kostüme der polyglotten Aleksandra Kica, die ihre Erfahrungen als Kostümdesignerin der Wiener Rock- und Punkbands „Mondscheiner“ und „Kpunkt“ wunderbar einfließen ließ, bei.
Last but not least: Was wäre das großartigste Stück mit bester Regie und bestem Bühnenbild ohne schauspielerische Höchstleistung?
Das Ensemble des Landestheater NÖ hat sich in diesem Stück selbst übertroffen!
Von der kleinsten Nebenrolle bis zur Hauptrolle wurde hier bis ins Detail gefeilt. Ob Christine Jirku und Katharina von Harsdorf als strenge aber ziemlich blinde Prinzen suchende Polizist(inn!)en; Helmut Wiesinger als verzagter Schulmeister; Thomas Richter als verstörter Hofprediger; Philipp Brammer als Etiketten treuer und gewissenhafter Hof- und Zeremonienmeister; Hendrik Winkler als listiger, steifer Präsident des Staatsrats; Antje Hochholdinger als besorgte Gouvernante; Othmar Schratt als Witzfigur eines philosophisch vertrottelten Regenten; Klaus Haberl als ambitionierte, graue Eminenz des Prinzen, der sich mit Faulheitspropaganda unentbehrlich macht; beste Nebendarstellerin Julia Schranz als mächtig erotische und geile Rosetta, die verschmähte Exgeliebte des Prinzen; Pippa Galli als romantisch fliehende und Glück suchende Prinzessin Lena und schließlich Oliver Rosskopf als freakiger, sich selbst verwirklichender Prinz Leonce.
Welch eine unwahrscheinliche Knochenarbeit muss es gewesen sein, diese schwierigen Texte Büchners mit diesen handlungsreichen Abfolgen in dieser Selbstverständlichkeit auf die Bühne zu bringen?
Wer wagt noch einmal von Provinztheater zu sprechen, hat rein gar nichts verstanden!
Doch der Zuschauer spürt keine Mühen und Anstrengungen vom körperlichen und geistigen Volleinsatz, welcher den Darstellern abverlangt wurde, er wird NUR von dem Stück aufgesaugt, bleibt teilweise geschockt zurück, muss erst verarbeiten … vielleicht schafft er es bis heute Nachmittag, dem 25.04.2010, denn, wie es Büchner formuliert: „Die Herrschaft des Genies ist ein Puppenspiel!“
Ja, damals wie heute kämpfen wir gegen die Verdummung an, welch ein Theater!
Also, hat er schon gewählt? Oder will er seine Erbsen noch immer nicht essen?