86 / Umweg / Bericht / visualized dreams ...

Museum Gugging Sonderausstellung 7. Oktober 2021 bis 20. März 2022.
Ein Bericht von Eva Riebler: Über den Umweg des Zeichnens, Malens und Beschriftens werden Traumata bewältigt.

Die aktuelle Sonderausstellung „visualized dreams …“ beleuchtet mit rund 150 Werken drei faszinierende Persönlichkeiten: Die Schweizer Künstlerin Ida Buchmann (1921-2001) wird in dieser Schau den Künstlern aus Gugging Johann Fischer (1919-2008) und Johann Korec (1937-2008) gegenübergestellt. Wenn dir das Leben deine Träume nicht erfüllt, dann lebe deine Träume durch deine Kunst! Das ist die zentrale Botschaft der Ausstellung.

Vier Gemeinsamkeiten der drei KünstlerInnen lassen sich feststellen: Erstens visualisierten sie in ihren Werken ihre Wünsche, Fantasien und Vorstellungen. Zweitens spielt die Schrift in ihren Arbeiten eine ganz zentrale Rolle. Drittens hatten sie langjährige Psychiatrie-Erfahrungen. Und viertens besaß keiner von ihnen eine künstlerische Ausbildung oder sonstige kreative Erfahrung. Diese Schau zeigt also Art Brut in seiner klassischen Form.

„Erst durch ihre künstlerische Arbeit konnten sie dem Psychiatriealltag teilweise entfliehen, ihr Talent zum eigenen Vorteil nutzen und sich ein neues Lebensziel setzen. ‚visualized dreams …‘ zeigt daher neben den bildnerischliterarischen Werken auch die Überlebensstrategien von drei Künstlerpersönlichkeiten, die imstande waren, durch ihr Schaffen ein schwieriges Schicksal zu bewältigen und dabei auch in den Genuss von Erfolg und mehr Lebensfreude kommen konnten,“ schreibt Johann Feilacher, künstlerischer Leiter des Museum Gugging und Kurator der Ausstellung im Vorwort des Katalogs. Und weiters: „Es sind emotionale Werke, die nicht ausgehend von Vorbildern aus der Kunstwelt entwickelt wurden, sondern aus persönlichen Talenten, Erfahrungen und Lebensumständen hervorgingen. Wenn wir genau hinblicken, können wir uns alle in ihren Werken irgendwo wiederfinden.“

Ida Buchmann:
Ida Buchmann wurde 1911 in Egliswil in der Schweiz geboren. Mit 18 Jahren verlor sie ihre Mutter und mit 23 Jahren ihren Vater und musste dann ihre Geschwister aufziehen. Mit 30 Jahren heiratete sie und bekam einen Sohn und eine Tochter. Nach mehreren kürzeren Aufenthalten in der Psychiatrie lebte sie von 1966 bis zu ihrem Tod 2001 in der psychiatrischen Klinik Königsfelden.

Ida Buchmann war eine spätberufene Künstlerin, weil sie erst im Alter die Möglichkeit bekam, ihre künstlerisch- kreativen Fähigkeiten zu nützen. Ihr Psychiater förderte sie und so begann sie in den 1980er-Jahren mit Stift, Pinsel und Farbe auf Papier und Leinwand zu arbeiten. Sie schuf singend ihre Bilder und brachte Texte, die auf sie selber bezogen waren, auf die Leinwand. Ihre großformatigen Werke, die ihr Gefühlsleben visualisierten, schuf sie meist Volkslieder singend oder im Dialog mit ihren Betreuer*innen. Und nicht nur das: Wie Anke Wiedmann in ihrem Katalogbeitrag erzählt, zog sie bei der Eröffnung der Gruppenausstellung „Von einer Welt zu’r andern“ 1990 in der Kölner DuMont Kunsthalle die Aufmerksamkeit auf sich, als sie die Besucher*innen singend zu ihren Werken führte und dort „Hof hielt“, wie Medienberichten zu entnehmen ist. Ihr und der legendären Sängerin Nina Simone galt die Aufmerksamkeit unter den rund 600 Anwesenden.

In ihrer relativ kurzen Schaffenszeit entwickelte Ida Buchmann trotz ihres kleinen Gesamtwerks einen eindrucksvollen Variantenreichtum, den sie mit großer Expressivität und Dynamik zum Ausdruck brachte. Ihre Figuren, Blumen und Tiere mit dicken schwarzen Umrisslinien sind auffallend farbenfroh und gewähren Einblicke ins Innere, Einblicke in ihre Gefühlswelt. Ihr Bedürfnis nach Liebe und Nähe sowie erotische Fantasien werden sichtbar.

Wie Johann Fischer und Johann Korec spielt die Schrift in ihren Werken eine zentrale Rolle. Dabei unterscheidet sich Ida Buchmanns Einsatz der Sprache nicht nur durch die Verwendung des Schwyzerdütsch. Ihre Schrift wird auch zum gestalterischen Formenelement und sie zeigt sich wesentlich experimentierfreudiger als ihre männlichen Kollegen.

Johann Fischer:
Johann Fischer kam 1919 in Eggendorf am Wagram zur Welt. Der Bäckermeister wurde 1940 zur Deutschen Wehrmacht eingezogen und 1946 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft
entlassen. Er übernahm den elterlichen Hof, steigerte sich aber bald in Fantasien, wonach er Ölquellen besaß und außerordentlich reich war. Ab 1961 war er dauerhafter Patient der Heil- und Pflegeanstalt Gugging. Als Navradil 1982, ein Jahr nach der Gründung, die Möglichkeit bekam, ein Kunstprojekt durchzuführen, aber zu wenig Zeichner oder Maler hatte, lud er den ruhigen Fischer ein, mitzutun. So kam dieser, obwohl er noch nie gezeichnet hatte, in das heutige Haus der Künstler und wurde somit
Teil jener Generation, die 1990 mit dem Oskar Kokoschka- Preis ausgezeichnet wurde.

Seine ersten Werke waren mit schwarzem Farbstift einfach ausgeführte Darstellungen von Tieren und Gegenständen, die aber bereits sein künstlerisches Talent dokumentieren. Bald darauf begann er mit Farben zu experimentieren, die sich bald in seinem Werk etablierten. Als nächsten Schritt begann er, seine Zeichnungen zu „inschriftieren“, wie er das nannte. Diese zunächst kurzen Textpassagen entwickelten sich zu blattfüllenden Geschichten. Auf mit Lineal gezogenen Linien und mit sorgfältigster Schreibschrift erklärte Johann Fischer, wie die Welt funktioniert oder wie sie zu sein hätte. Er besuchte sehr gerne das Museum, um seine eigenen Werke zu betrachten und dabei auch seine Texte konzentriert zu lesen. „Mit einem Lächeln und den Worten ‚interessant, was da geschrieben steht‘ kommentierte er seine Betrachtungen“, erzählt eine Betreuerin: „Mit seiner noblen Art, seinem Auftreten, seiner noch dazu stets perfekten Kleidung und mit seinem gepflegten Umgangston ähnelte Johann Fischer fast einem englischen Lord“.

Auch seinem „Chef“ Johann Feilacher erklärte er in gewählter und bedeutungsschwerer Sprache seine künstlerischen Vorhaben und betonte, welche Wichtigkeit die Aussage seines Werks habe. Volkswirtschaftliche Fragen interessierten ihn. So überlegte er, wie viel Raum und Geld eine Familie mit zwei Kindern vom Staat brauchte. Mehrmals schrieb er sogar dem Vorsitzenden einer österreichischen Partei, um seine Gedanken zur Verbesserung der Welt anzubringen.

Johann Korec:
Johann Korec wurde 1937 in Wien geboren und lebte bis zu seinem 14. Lebensjahr in Jugendheimen. Nach dem Besuch einer Sonderschule arbeitete er bis zum 21. Lebensjahr als Kuhhalter und Knecht bei Bauern. 1958 kam er in die damalige Heil- und Pflegeanstalt Gugging, wo sein künstlerisches Talent von Leo Navratil entdeckt und gefördert wurde. 1981 zog Johann Korec in das damals neu gegründete Zentrum für Kunst- und Psychotherapie, das heutige Haus der Künstler. Sein Traumberuf war Dompteur oder Tierwärter in einem Zirkus, daher pauste er nicht nur Liebesszenen aus Zeitschriften ab, sondern auch Zoo- oder Zirkusbilder. Anfang der 1960er-Jahre entstanden die ersten kleinformatigen Arbeiten mit Bleistift und Farbstift. Das zentrale Thema war die Beziehungen zwischen Mann und Frau und bereits damals waren seine Zeichnungen von schriftlichen Kommentaren begleitet, die ihm wichtiger als die Zeichnungen waren. Anfang der 1970er-Jahre schrieb Johann Korec auf Anregung von Leo Navratil auch kurze Prosatexte. In den 1980er-Jahren entstanden wieder Werke ohne Vorlage mit stark autobiografischen Zügen, die meist seine Liebesabenteuer beschrieben, nicht immer zum Wohlwollen der Geliebten, die dabei nicht unerkannt blieben. Seine Zeichnungen erzählen Geschichten, sind quasi illustrierte Tagebuchaufzeichnungen. Ab Ende der 1990er-Jahre entstanden dann großformatige Leinwandarbeiten, in denen er das Dargestellte immer mehr reduzierte und auch die Kommentierung bis auf Schlagworte in seiner eigentümlichen Schreibweise zurückging.

„Seine Freude drückte er mittels Gesten aus: Es konnte also durchaus sein, dass er während einer Vernissage einfach seinen Kopf auf meine Schulter legte oder mich umarmte“, erzählt Galerie-Leiterin Nina Katsching in ihren persönlichen Erinnerungen. „Johann Korec war eben ein Mann, der Frauen mochte – ein Genießer. Er konnte sehr charmant und zart sein, aber auch direkt und fordernd, wenn ihm etwas nicht passte.“ Er genoss die Anerkennung seiner Kunst und fuhr gerne auf Vernissagen. Er behielt den Überblick und kommentierte oft das Geschehen um sich herum, nicht immer zur Freude seines Umfelds.

Ausserdem gibt es bis April 2024 die Ausstellung „gugging! Classic & contemporary“ zu sehen.

Seit über 50 Jahren liefern KünstlerInnen wie August Walla, Oswald Tschirtner, Johann Hauser etc. aus Gugging weltweit bedeutende Werke der Art brut.‚ Das museum gugging feiert die neue Schau anlässlich seines 15. Geburtstags.