86 / Umweg / Lyrik / Eka Ekiseli: Ich überlebe, Es schneit rot u.a.

Ich überlebe
Wir sehen das gefrorene Licht vom Mond,
die Häuser sind wie die weit geöffneten Augen.
Allein, laufen.
Das Laufen hat kein Ende.
Der Umweg zu dir ist spurlos.
Die Bäume wie die Zwischenzeilen im Abschiedsbrief.
Wir sind wie Sonnenblumenkerne auf dem Feld
und unsere gelben Blumen riechen nach Ewigkeit.
Ich bin wie die Asche in deinen Handflächen.
Heimatlos.
Wer das überlebt, wird die brennenden Schmetterlinge
sehen.
Träume zählen,
nie die Ruhe finden,
die neue Sprache lernen und die alte vergessen.
Wir sind durch den tiefen Wald angekommen,
dann war das Wasser trüb und versalzen.
Komm und hol mich!
Ich bin aus dem Ton,
aus der Erde
aus dem Gras erschaffen.
Ich bin am Korrekturrand notiert,
Markiert,
Allein.
Hinter mir brennt die Stadt.
Wer das überlebt, wird die brennenden Schmetterlinge
sehen.

Es schneit rot
Wir hören der Stille zu
Auf dem alten Teppich liegend
zitronengelb ist das Zimmer.
Leise zieht die Zeit, wir sind müde.
Die Träume wandern aus.
Dort brennt die Stadt.
Wir zu zweit.
Es schneit rot.
Es schneit.
Erzähl mir davon, wie findest du mich,
wenn wir erneut beginnen zu atmen,
wenn wir aus dem Herzen der Erde herauskommen.
Erzähl mir davon!
Im Spiegel tanzen die staubgefärbten Siluetten von uns.
Ich brauche dich wie die Treppen die Schritte.
Wie die Schmerzen die Endorphine.
Ich brauche dich.
Wie die Sonne zu Mittag schläft
In den Pupillen.
Ich öffne die Tür und dieser Duft,
dieser Duft…wohin ich gehe, folgt mir.
Ich gehe im Zimmer umher, als ob ich nicht da wäre.
Was könnte ich mitnehmen:
Die Briefe.
Die Bücher.
Den Geschmack der Küche?
Aus dem Fenster rennt die Zeit
wir bleiben hier.
Die Träume wandern aus.

Die namenlose Zeit
Wen ich wie du in einer namenlosen Zeit geboren wäre,
wenn ich auswanderte,
hätte geträumt
von meinen Handflächen aufgewärmte Erde zu spüren.
In zerstörter Stadt, in einem kalten Keller
an der Grenze der Geduld, von Schattentheater abgelenkt.
Dann würde ich wie du weinen.
Es wäre weder Nacht noch kein Tag.
Ich könnte den Glassplitter in den Schnittwunden heilen,
wenn ich wie du weit weg von hier sterben müsste
würde abwarten, um aufzuerstehen.
wenn ich den Gott finden könnte,
würde ihn nie wieder verlieren.
Wenn es mir so kalt wäre
wie es dir gerade ist,
auf dem Boden ohne Decke liegend,
könnte ich auch nicht schlafen.
Wenn ich wie du an die Holzwände schreiben würde,
würde ich über die Menschen schreiben,
die wie wir leben.
dann würden diese Briefe gelesen werden.
Wenn ich wie du einvernommen würde, schwieg auch ich.
Ich würde namenlos bleiben, weil ich in einer namenlosen
Zeit geboren bin.

Eka Ekiseli
Geb. als Eka Macharashvili 1976 in Tiflis, Georgien. Studium an der Universität Tiflis, Philologie. 1996-2000 Studium an der Kulturuniversität, Literaturwissenschaft. 1992-2015 zahlreiche Lyrikveröffentlichungen in Literaturzeitungen und Literaturzeitschriften in Georgien. Berufstätig als Lehrerin und Journalistin. 2003 Emigration nach Österreich. Im Jahr 2018 Veröffentlichung in Deutsch, Zeitschrift Etcetera NR. 71. 2020 Der Maulkorb #28. Wohnt seit 2003 in Linz und arbeite als Lehrerin und Dolmetscherin.