86 / Umweg / Prosa / Hahnrei Wolf Läfer: Verkehrsordnung

Machen wir uns nichts vor, egal, ob in einer Geschichte oder in der sogenannten Wirklichkeit, sich nichts vorzumachen, ist Grundvoraussetzung eines halbwegs erträglichen Daseins. Die Sache ist tausendmal beschrieben, mit dem Warum und Weshalb werde ich mich nicht aufhalten. Liebe und so, das ist eine geile Sache, aber wenn soeben keine Liebe im Angebot ist, will man doch mit jemandem schlafen, das ist bei Männlein wie Weiblein der Fall. Viel Unglück wäre vermeidbar, wenn sich die Menschen das eingestünden, es einander direkt sagen könnten und sich und einander nicht erst lang Liebe suggerieren müssten, wo der Trieb das Sagen hat und die Vernunft zum Schweigen gebracht worden ist, damit sie nicht störend dreinredet.
Frauen gehen gern paarweise in Bars oder Discos oder ins Theater und sie nennen das dann Freundschaft, weil man es doch irgendwie nennen muss. Menschen sind nicht gleich, auch bei zwei solchen Freundinnen ist eine attraktiver, klüger, charmanter, offener, witziger, gefällt einem besser, da braucht man gar nicht drumherumreden. Unter dem Druck der Correctness-Diktatur darf man das nicht so sagen, da droht sogleich die Body-Shaming- oder sonst eine Keule, aber wir verhalten uns alle dennoch danach. Die zwei, die ich ins Auge fasste, waren urgewöhnliche Mädchen, die dem Mädchenalter schon etwas entwachsen waren, das eine saß vor einem Aperolspritzer, das andere vor einem Glas Prosecco, einfältige Schlichtheit, die sich kein Autor durchgehen lassen würde. Nur die Wirklichkeit kann sich erlauben, mit dem Simpelsten anzuöden und tut das leider auch oft. Ich setzte mich, da die beiden soeben nicht
redeten, auf den dritten Sessel an ihrem Tischchen, und als sie mich erwartungsgemäß erstaunt anglotzten, dass es wie eine Forderung wirkte, erklärte ich kurz, sie mögen sich nicht gestört fühlen, ich interessierte mich nun einmal für Frauen, daran sei doch nichts Schlechtes, oder? Sehr schlagfertig war keine von beiden, aber meine Erwartungen waren nicht hoch genug, dass es für eine Enttäuschung gereicht hätte, so waren wir in Kürze in eines jener seichten, öden Gespräche verwickelt, die man in Kauf nehmen muss, will man die Nacht nicht allein verbringen. Was reden Frauen so, wenn ich nicht dabei bin, fragte ich die beiden. Das hätte mich bei meiner Mama schon interessiert, aber ich hätte es leider nie herausbekommen. Wörter sind wichtig, hier suggeriert das Wort Mama statt dem Begriff Mutter schon ein gewisses Ausmaß an Intimität, ein Einschleicherbegriff, dessen Funktion nie wahrgenommen wird. Wir waren bald in einer oberflächlichen Genderdebatte verfangen, einer von der Art, dass niemand als Frau geboren, sondern nur zu einer erzogen wird. Bei derartiger Unsinn muss man aufpassen, dass es nicht zu ernsthaft wird. Selbstverständlich erwähnte ich den offensichtlichen Lippenstiftzwang nicht, der einer Frau von klein auf angetan wird, nicht die Schminkdiktatur, gegen die es kein Mittel gibt, und schon gar nicht das Rouge auf den Wangen, das wäre bei den beiden etwas stark hergerichteten Damen zu anzüglich gewesen. Es war aber nicht schwierig, ihnen beizubringen, das auch in jedem Mann ein heimliches Bedürfnis nach Büstenhaltern schlummert. Kurze Pause. Zumindest ein Bedürfnis nach dem Auf- und Zumachen, freilich mehr nach dem Aufmachen als nach dem Zumachen... Bei Freundinnen ist es klug, sich vorerst der weniger attraktiven zuzuwenden, die scheinbar leeren Kilometer zahlen sich aus. Die Attraktivere wird der anderen diese seltene Bevorzugung gönnen, sie weiß ja, dass sie die Begehrenswertere ist, und muss sich das doch fast gar nicht beweisen. Kurzum, sie wird es sein, die sich unauffällig um deine
Aufmerksamkeit bemüht. Frauenfreundschaften würden ohne Diskrepanz nie halten, sie würden in andauernder Konkurrenz darüber zerbröseln, wer von ihnen glaubhafter sagt, dass es da keinerlei Konkurrenz gibt. Sobald man freilich das gewährenlassende Wohlwollen der Attraktiveren spürt, muss man darauf achten, dass die Umleitung nicht zu einer Sackgasse wird und man bei der Geringeren hängenbleibt.
Die Situation war bald so überdreht, wie ich es gern habe, daher wunderte mich nicht, dass die Hübschere sich den Namen Amanda gab, die Liebende, und ihre Freundin Helma nannte, was ein bisschen einfallslos wenn nicht eine jener kleinen Zurücksetzungen war, wie sie nur Frauen fertigbringen. Ich gab klarerweise meinen richtigen Namen auch nicht bekannt, was sollte ein Hanns in so einer Konstellation, selbst wenn er sich mit zwei N schreibt. Es ist eine faire Sache, jeder weiß, worauf der andere aus ist, und glaubt, er könne selbst entscheiden, wie weit er das Spiel mitmacht, während die Hormone längst die Entscheidung getroffen haben. Soll sich keiner für klüger halten als seine Hormone, die müsse nicht verbergen, was sie wollen. Irgendwas Herablassendes ist immer gut, aber man muss es sich leisten können. Mir macht es keine besondere Schwierigkeit, aus dem ärgsten Tolpatsch auf der Tanzfläche etwas zu machen, was wie eine Balletteuse aussieht. Meist sage ich dann: ‘Gelt, in einer Tanzschule warst du nicht’, warte ein wenig, dass Groll aufsteigen kann, setze aber dann rechtzeitig ein ‘Bist also ein Naturtalent’ darauf. Ein wenig Wechselbad der Gefühle heizt mehr an als sinnlose, sich schnell abnutzende Schmachterei. Man wundert sich, wie das Simpelste wirkt, es kann gar nicht dumm genug gehen, wenn einmal die Hormone das Kommando übernommen haben. Und dass sie das haben, das merkt man eben, wenn man nicht gänzlich vernagelt ist.
Ab diesem Moment ist Übereifer abträglich, man braucht nur noch nett sein, sollte darauf achten, dass man den Hormonen nicht im Weg steht, und muss sich notfalls was einfallen lassen, wie man, wenn einem nicht nach einem Dreier ist, die weniger attraktive loswird.
Daheim verschwand Amanda im Badezimmer. Ich fragte mich, ob sie eine von denen war, die sich frisch parfümiert, oder ob sie sich ein Pessar einsetzen mochte aus Furcht vor platzenden Kondomen, aber just als ich auf das erste setzen wollte, trat die Frau nackt aus dem Badezimmer heraus und war ein er. Zierlich, hübsch gebaut, aber eben ein er, ein Mann, und damit fang ich nichts an. Nicht, dass ich etwas gegen Transi hätte, aber bei aller geforderten Gleichberechtigung der Geschlechter, was sollte ich mit dem Kerl. Obschon ich sehr vorsichtig war, als ich das klarstellte, war der Mann verletzt. So wie ich klugscheißerisch dahergeredet hätte, wären sie sicher gewesen, dass ich mir der Sachlage bewusst wäre. Helmuth hätte ihm jeden Zweifel ausgeräumt, weshalb sie es auch nur in Anspielungen, angeblich sogar in deutlichen, zur Sprache gebracht hätten. Helmuth, nicht Helma. Naja, soll nichts Ärgeres passieren, sagte ich mir, es führen halt nicht alle, aber viele Wege nach Rom, wo auch ein Mann herrscht, der nicht Hosen anhat.

Hahnrei Wolf Käfer
Geb. 1948. Literarischer Beginn über die Präpositionsschwäche von Peter Rosei und dergleichen, später sprachfreundliche und autorenskeptische Essays über Haslinger, Gail, Menasse, Streeruwitz etc. im morgen. Im Buchhandel u.a. erhältlich: kultur nach gärtnerinnenart (Lyrikzyklus), täuschungen (Lyrikzyklus über das programmatische Pseudonym “Hahnrei”), ICH GING (Roman).